Buß- und Bettag (19. November 2014)

Autorin / Autor:
Pfarrer Konrad Autenrieth, Kernen [Konrad.Autenrieth@elkw.de]

Jesaja 1, 10-17

Liebe Gemeinde,
in diesen Wochen mangelt es gewiss nicht an Nachrichten, die uns beklemmen. Nachrichten, die uns fragen lassen: Was soll ich denn tun? Wie könnte ich helfen? Hat, was da passiert, mit mir zu tun? Was ist die richtige Antwort auf den Vormarsch des „Islamischen Staates“? Was ist zu tun möglich, damit nicht noch mehr Menschen am Ebolafieber zugrunde gehen?
Lebten wir in alter Zeit, würden Kaiser oder Papst vielleicht in diesen Wochen einen Bußtag, ein Volksgebet verordnen, wie einst, als die Osmanen vor Wien standen oder die Pest mit ihren Schrecken durchs Land zog.
Wir tun es nicht, solch einen Bußtag ausrufen. Nicht weil es keine Gläubigen mehr gäbe. Nicht weil kein Gottvertrauen in den Herzen wäre. Nicht weil Beten keinen mehr Wert hätte.
Was uns daran hindern mag, kommt zur Sprache in den Worten des Jesaja, die uns heute zu bedenken gegeben sind. Er muss ein mutiger Mensch gewesen sein, dieser junge Mann aus Jerusalem, der sich traute, einen solchen Ton anzuschlagen.
Textlesung: „Höret des Herrn Wort,…“Braucht diese Kraftvolle Botschaft überhaupt eine Auslegung?

Lebst du auch, was du predigst?

Wollten wir sie kurz zusammenfassen, so müssten wir etwa sagen: „All euer Glaube, eure Spiritualität, alles Beten und fromme Reden ist rein vergeblich, wenn euer Tun dem nicht entspricht.“
Diese biblische Wahrheit ist uns wie kaum eine andere in Fleisch und Blut übergegangen. An jeder Straßenecke, in jeder Familie, an jedem Stammtisch, auf jeder Wahlkampftribüne wird sie als unschlagbare Waffe zum Einsatz gebracht:
„Da hört, was er redet, wie schön er die Worte setzt. Und jetzt schaut dorthin: Da tut er gerade das Gegenteil.“
Reden und Tun, Glaube und Handeln, sie sollen einander entsprechen. Mag sein, dass das oft auch missbraucht wird zu selbstgerechten Schnüffeleien und Lästerreden. Schwachstellen, wo Wort und Tat nicht übereinstimmen, wird man bei jedem finden. Und doch bleibt es wahr:
Wer die Hände zu Gott erhebt, wer sein Wort auf den Lippen trägt, wer hohe Ideale von Gerechtigkeit auf die Fahne schreibt, der muss sich fragen lassen: „Lebst du auch, was du predigst?“
Als vor 25 Jahren Berliner Mauer und DDR-Grenze gefallen waren, gab es große Hoffnungen auch in den Kirchen: „Jetzt wird ja niemand mehr wegen seines Glaubens benachteiligt. Jetzt trauen sich die Leute bestimmt wieder in die Kirche, treten wieder ein.“ – Von wegen. Die Menschen hatten genug von Idealen und Fortschrittsphrasen. Zu lange hatten sie zusehen müssen, wie die Verantwortlichen (Herren) die hohen Ziele des Sozialismus mit Füßen getreten haben. Da hatten viele gesagt: „Jetzt sind wir aus dem Schlamassel gerade rausgekommen. Jetzt kommt die Kirche und fängt an, uns zur Bescheidenheit und Geduld zu mahnen. Und dafür sollen wir noch Kirchensteuern zahlen.“
„Lebst du auch, was du predigst?“
Wenn wir schauen, wie Kirche in den Medien vorkommt, so finden wir – ob´s uns freut oder nicht – selten etwas über das, was gut gelingt, über Gottesdienste, Seelsorge, Kirchenmusik, Kinderbibeltage, Gemeindeausflug, Gesprächskreise. Interessant für die Medien ist nur: „Lebst du auch, was du predigst?“
Was kommt für andere bei all dem heraus, an diakonischer Zuwendung zu Bedürftigen, Flüchtlingshilfe, an Vesperkirche, Hausaufgabenbetreuung.
Wenn Kirchen und Gemeinden das tun, dann bekommen sie gute Noten. –
Nach dem Ergebnis beurteilt die Öffentlichkeit uns Christen.
Ja, wer sich als Christ bekennt, dem wird immer noch doppelt scharf „auf die Finger geschaut“. Wer sich bekennt, setzt sich Nachfragen aus. Wer sich bekennt, muss sich gelegentlich auch selbst einmal fragen: „Lebst du auch deine guten Absichten? Bist du so, wie du es gern wärst, barmherzig, sanftmütig, friedvoll?

Es kann nicht anders sein, als dass auch bei Christen immer wieder Reden und Tun nicht in Einklang sind. Doch darf das sein? Bei manchem Christen kommt die Gewissensfrage erst gar nicht vor: „Hauptsache ist meine persönliche Beziehung zu Gott, meine Rettung, mein Lobpreis, mein Jesus!“
„Lebst du auch, was du predigst?“
Die andere Möglichkeit, sich dieser Gewissensfrage zu entziehen, zeigt uns die Evangelien-Geschichte vom reichen Jüngling: Er sagt letztlich seinen Idealen ab. Vollkommen wollte er werden. Alle Gebote habe er von Jugend auf gehalten. Da sagt Jesus zu ihm: „Willst du wirklich vollkommen sein, so verkaufe deinen Besitz und gib´s den Armen. So wirst du einen Schatz im Himmel haben, Und dann komm und folge mir nach.“ Da wurde der Jüngling – so heißt es –traurig und ging weg; denn er hatte viel Besitz.
Wenn ich es recht sehe, gehen heute viele einen ähnlichen Weg: Am besten gar nicht mehr von Gottes Willen reden, lieber auf Distanz zu Idealen bleiben. Wer nichts vorlegt, muss sich auch an nichts messen lassen. Ich erspare mir schmerzhafte Nachfragen, etwa die meiner Kinder. Ich vermeide Häme und Spott meiner Mitmenschen, wenn ich an der selbst gelegten Latte scheitern sollte. Alles in allem lebt sich´s unbehelligter. So kann niemand dem andern mit etwas kommen.
Noch strecken wir den Zeigefinger aus in Richtung Afrika, Mittelamerika und die arabischen Länder: Nichts als Korruption, Rechtsverfall und Gleichgültigkeit! – Doch sind wir in unserem eigenen Land davon wirklich noch so himmelweit entfernt?

Glaube und Frömmigkeit nicht als Selbstzweck

„Wascht euch, reinigt euch, tut eure bösen Taten aus meinen Augen, lasst ab vom Bösen! Lernet Gutes zu tun, trachtet nach Recht, helft den Unterdrückten, schafft den Waisen Recht, führt der Witwen Sache.“
So ruft Jesaja. Er sagt jedoch nicht: „Lasst eure Gottesdienste, hört auf zu beten, schafft eure Feiertage ab.“
Der Bote Gottes weiß wohl: Unsere Welt braucht Menschen, die nach Gottes Wort fragen. Unserer Welt braucht Menschen, die Dank und Glück empfinden können, braucht auch Menschen, die schwelgen, sich an Musik, an Düfte und Farbe selig verlieren können. Solche Menschen braucht diese Welt. Nur eines darf nicht sein: Bloßer Selbstzweck, gedankenlose Beweihräucherung, hirnloser Festtaumel, das nicht.
Freilich, viele Nachrichten aus den gegenwärtigen Krisenregionen versetzen uns in ein Gefühl von Ohnmacht. Manchmal würden wir sie gerne vergessen. Wenn schon die Mächtigsten keine Lösung wissen, wie sollen wir es? Waffenlieferung an die Bedrängten, sollen wir uns dafür stark machen? Immer mehr Fremde, die bei uns Heimat suchten, wie kommen wir damit klar?
Für manche liegt es da nahe, zu sagen: Da hilft nur noch beten! Doch Friedensgebete können entschlossenes Handeln nicht ersetzen. Gebete sind kein Ersatz für konkrete Spenden und Hilfslieferungen. Schon gar kein Ersatz für die notwendigen Weichenstellungen in der Politik.
Uns, die wir ständig informiert und weltweit vernetzt sind, wird viel zugemutet. Gegen vieles können wir in der Tat als Einzelne nichts tun. Wir können es bloß aushalten.
Dennoch bleibt Jesajas Anspruch bestehen: Du bist nicht ohnmächtig. Du hast einen Kopf, mit dem du wissen kannst, wie viel von der Gerechtigkeit, vom Frieden und von der Bewahrung der Schöpfung für die Zukunft aller abhängt. Und du hast Hände, daran mitzuarbeiten: Hände, die heilen, Hände, die geben können, Hände, die man über Gräben weg einander reichen kann.
Es macht Mut, dass es in unserer Gemeinde Beispiele dieses Geistes gibt. Seit vielen Jahren werden Asyl-Suchende vom Arbeitskreis und seinen Freunden soweit wie möglich unterstützt. Es wird Sprachunterricht gegeben. Sachspenden werden verteilt. Und über die „Bundesschluss"-Initiative bestehen sowohl freundschaftliche wie fördernde Kontakte nach Westafrika. Wir sind froh, dass diese Aufgaben – auch stellvertretend für viele in unserer Gemeinde – wahrgenommen werden.

… dass das ganze Leben der Gläubigen Buße sei

In alter Zeit mag der Anlass für einen Bußtag eine ganz bestimmte Bedrohung für Land und Volk gewesen sein. Nach unserem Verständnis will uns der Bußtag daran erinnern, was Luther 1517 in der ersten seiner berühmten Thesen ausdrückt: „Unser Herr und Meister Jesus Christus wollte mit seinen Wort ´Tut Buße!´ sagen, dass das ganze Leben der Gläubigen Buße sei.“
Unser ganzes Leben also darf und soll unter der Frage bleiben: „Lebst du auch, was du predigst? Lebst du auch, was du bekennst?“
Nie sei ein Christ fertig, nie selbstzufrieden, doch immer zuversichtlich in der Bitte: „Schaffe in mir, Gott, ein reines Herz und gib mir einen neuen, beständigen Geist.“

Amen.

Predigt zum Herunterladen: Download starten (PDF-Format)