Epiphanias (06. Januar 2014)

Autorin / Autor:
Pfarrerin i.R. Renate Ganzhorn-Burkhardt, Mössingen [r.gabu@gmx.de]

2. Korinther 4, 1-6

Liebe Gemeinde!

„Das ist aber ein dunkler Text!“, sagte unser Sohn Tilman kopfschüttelnd, „ und das ausgerechnet zum Erscheinungsfest – soll da nicht der ganzen Welt ein Licht aufgehen?“
Tilman ist 38 Jahre alt, Mathematiker und für theologische Fragen immer aufgeschlossen. Deshalb habe ich ihm in den Weihnachtstagen einmal diesen Text langsam vorgelesen und ihn um seine Assoziationen dazu gebeten. „Behalten habe ich von dem, was du mir vorgelesen hast, gerade mal das „nicht müde werden“ ganz am Anfang und dann, dass Gott das Licht aus der Finsternis hervorruft, am Schluss – das hat mich an die Schöpfungsgeschichte erinnert. Aber sonst... dunkel, sehr dunkel...“
Ist es Ihnen gerade ähnlich ergangen?
In der Tat geht der Apostel Paulus sogar davon aus, dass manche gar nichts von dem sehen, was er ihnen eigentlich aufdecken will: den hellen Schein des Evangeliums nicht nur irgendwo in der Welt, sondern direkt bei, ja sogar in ihnen, in ihren Herzen. Licht soll es da werden mitten in der Dunkelheit, so wie Weihnachten ein Fest des Lichtes und der Lichter ist in der dunkelsten Zeit des Jahres.
Drei Lichter haben mir aus unserem Predigttext besonders eingeleuchtet:

Der Morgenstern: Nicht müde werden

„Strahlen brechen viele aus einem Licht – unser Licht heißt Christus. Strahlen brechen viele aus einem Licht – und wir sind eins in ihm“ – haben wir soeben gesungen. Das ist die Botschaft, um die es Paulus im vierten Kapitel des zweiten Korintherbriefs geht. Darum muss er gleich zu Beginn für sich und seine Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen betonen: Wir werden nicht müde, wir verlieren nicht den Mut, wenn es darum geht, das Licht des Evangeliums für viele in der ganzen Welt aufscheinen zu lassen – hell und klar, deutlich und offen. Und dies trotz vieler Widerstände und Verleumdungen, nicht zuletzt aus der Gemeinde in Korinth.
Für mich ist dies schon der erste Lichtstrahl zum Abschluss der Weihnachtszeit: nicht müde werden, wenn jetzt wieder der Alltag beginnt nach den Feiertagen mit ihrem Lichterglanz. Nicht müde werden, wenn die Gottesdienste jetzt wieder weniger gut besucht sind wie an Heiligabend. Nicht den Mut verlieren angesichts steigender Kirchenaustrittszahlen. Nicht müde werden, sondern in den Alltag des neuen Jahres mit hinübernehmen, was uns in den Weihnachtstagen wieder neu aufgegangen ist, wenn wir uns am Krippenspiel der Kinderkirche erfreut haben und mit so vielen das „O du fröhliche...“ gesungen haben mit leuchtenden Gesichtern und brennenden Herzen...
Nicht müde werden, sondern das Licht bewahren und weitertragen.

Der Laserstrahl: Gott zwischen Dunkel und Licht

„Wenn aber“, so fährt Paulus fort – und ich zitiere ihn jetzt nach einer Übersetzung aus unseren Tagen – „Wenn aber unsere Freudenbotschaft dennoch zugedeckt ist, dann ist sie es bei den Verlorenen, bei Menschen, die Gott nicht vertrauen. Ihr Verstand ist von der Gottheit dieses Zeitalters verdunkelt worden. So sehen sie das helle Licht der Freudenbotschaft nicht, den Lichtglanz Christi, welcher das Ebenbild Gottes ist. Wir verkünden ja nicht uns selbst, sondern dass Jesus Christus der Herr ist, in dessen Dienst wir stehen.“
Aus diesen Worten trifft mich ein Lichtstrahl nun gar nicht mehr weihnachtsschimmernd, sondern scharf und schmerzhaft. Von Verlorenen ist die Rede, denen das helle Licht des Evangeliums verdunkelt ist, und ich frage mich, wen Paulus hier in den Blick nimmt.
Ich erinnere mich an manche schönen Missionsfeste, die ich in meiner Kindheit am Erscheinungsfest miterlebt habe. Da erzählten Männer und Frauen, wie sie in fernen Ländern den Menschen die frohe Botschaft von Jesus verkündeten, und mir war ganz klar: Im Dunkel stehen alle die Menschen, die nicht an Jesus glauben, sei es, weil sie einer anderen Religion angehören, sei es, weil sie noch nie etwas von Jesus gehört haben, sei es, weil sie die Botschaft von ihm bewusst ablehnen. Die taten mir alle schrecklich leid, aber ich selber gehörte Gott sei Dank nicht zu ihnen, ich durfte fröhlich singen: “Weil ich Jesu Schäflein bin, freu ich mich nun immer hin über meinen guten Hirten...“ Heute frage ich mich, ob ich die Grenze zwischen den verlorenen Ungläubigen im Dunkel und den geretteten Gläubigen im Licht noch so scharf ziehen kann wie damals als Kind, und ich muss sagen, nein, ich kann es nicht. Ich habe als Pfarrerin zu viele Gesichter gesehen, die aus dem Licht ins Dunkel abgestürzt sind: Die Frau aus der Bibelstunde in meiner ersten Gemeinde zum Beispiel, die ich damals an Heiligabend im Krankenhaus besuchte; sie sah mich mit großen Augen an: „So sehr habe ich den Heiland gebeten, mich zu sich zu nehmen und von diesen Schmerzen zu erlösen, hat sie geflüstert, aber er hat mich nicht gehört, vielleicht will er mich nicht, oder es gibt ihn nicht...“ Oder der Mann, der mir mit versteinertem Gesicht den plötzlichen Kindstod seines halbjährigen Sohnes anzeigte. „Wie lange haben wir auf diese Kind gewartet“, sagte er, „und wie haben wir uns gefreut über seine Geburt – und jetzt das. Reden Sie mir bloß nicht von der Liebe Gottes, die uns trotzdem gilt; ich könnte es nicht ertragen!“
Auch in meinem Leben gibt es Stunden, in denen ich mir verloren vorkomme und nur Dunkel um mich sehe – verdeckt ist da auch mir das helle Licht des Evangeliums.
Liegt das, so frage ich mich, an der „Gottheit dieses Zeitalters“ bzw. dem “Gott dieser Welt“ (ein Begriff übrigens, den Paulus nur an dieser Stelle verwendet) – und was kann ich mir überhaupt vorstellen unter dieser Gottheit? Viele Ausleger sehen hier den Teufel am Werk, den großen Durcheinanderbringer, der uns mit all seinen Schatten auch Gottes Licht verdunkeln kann. Aber so einfach ist das nicht. Denn Paulus kennt nur einen Gott, der mächtiger ist als alles und alle: den Schöpfer Himmels und der Erden, der uns in Jesus Christus so nahe gekommen ist, dass nichts und niemand mehr uns von seiner Liebe trennen kann. Nein, ich sehe hier andere, menschengemachte Gottheiten, die unsere Sicht verdunkeln. Gottheiten, die Luther einmal so beschrieben hat: „Woran du vor allem andern dein Herz hängst, das ist dein Gott.“ Ganz verschiedene Namen können sie haben: „Gesundheit“ bei den einen, „Erfolg“ bei den andern, „Glück“ bei den dritten (da ist dann alles, was von diesen Idealen auch nur etwas abweicht, pure Gottesferne) oder auch die Welt des Fernsehens mit ihren Leitbildern, oder die faszinierenden neuen Kommunikationsmöglichkeiten mit all den Namen, die ich schon nicht mehr verstehe.
Ich bin überzeugt, Ihnen fallen noch andere Gottheiten dieses Zeitalters ein, wenn Sie einmal für sich darüber nachdenken. Gemeinsam ist ihnen allen, dass sie unseren Blick festhalten und nicht mehr loslassen können. Dann verdunkeln sie das helle Licht des Evangeliums: Viel zu armselig erscheint uns dann der Versuch, Gott selber zu entdecken im Angesicht Jesu, Gott selber zu entdecken in Jesu Geschichte vom Stall bis zu seinem „Warum, mein Gott?“ am Kreuz, Gott selber zu entdecken in dieser Geschichte , in der wir auch uns mit unseren Fragen und Dunkelheiten wiederfinden können, Gott selber zu entdecken in seinem Ja zum Gekreuzigten am Ostermorgen.
Da ermüden wir dann viel zu schnell bei dem Versuch, die Klarheit Gottes im Gesicht Jesu zu sehen; da wünschen wir uns wie die Gemeinde in Korinth Jesus als triumphierenden göttlichen Helden statt als Kind in der Krippe oder gar als gekreuzigten Schmerzensmann – und werden gerade so zu verblendeten Ungläubigen.
Darum brauchen wir immer wieder solche Seh-Helfer und Seh-Helferinnen wie den Apostel Paulus mit seiner klaren Aussage: „Wir verkünden ja nicht uns selber, sondern dass Jesus Christus Herr ist“ – auch über alle Gottheiten dieses Zeitalters, auch über alle Gegensätze und alle Dunkelheiten unseres Lebens.

Das Lebenslicht: Gott hat einen hellen Schein in unsere Herzen gegeben

„Denn“, fährt Paulus fort, und er schenkt mir damit wieder ein ganz anderes Licht – wärmend, wohltuend, belebend: „Denn Gott, der sprach Licht soll aus der Dunkelheit aufstrahlen, der hat einen hellen Schein in unsere Herzen gegeben, um ans Licht zu bringen die Erkenntnis der Klarheit Gottes im Angesicht Jesu Christi.“
„In welchen Herzen sieht Paulus denn jetzt den hellen Schein?“, hat Tilman mich bei unserem Predigtvorbereitungsgespräch gefragt, „ nur in denen von ihm und seinen Anhängern, oder auch in denen seiner Gegner?“
In den Herzen aller Menschen, denen Jesus nicht zu armselig vorkommt als Licht für ihr Leben, da bin ich mir sicher. Also sieht Paulus auch uns, die wir heute hier versammelt sind, mit diesem hellen Schein beschenkt: Theologinnen und Laien, Frauen und Männer, Junge und Alte. Und auch dazu leuchten verschiedene Gesichter wieder auf vor meinen Augen als Beispiele für diesen hellen Schein, der auch nach außen ausstrahlt und anderen das Licht Gottes im Angesicht Jesu Christi aufscheinen lässt:
Ich sehe wieder den Pfarrer vor mir, der in seiner Predigt am ersten Advent genüsslich aus der Zeitschrift „Psychologie heute“ zitiert hat, dass nicht nur unser christlicher Glaube, sondern auch unsere so oft als „altmodisch“ geschmähten Gottesdienste und unsere anderen Gemeindeversammlungen heilende und gesundheitsfördernde Wirkungen auf unseren ganzen Menschen haben. „Schön, dass auch eine wissenschaftliche Zeitung das erkennt, was Christen zu allen Zeiten immer wieder erfahren haben und neu erfahren: Glaube hilft. Denn Gott ist treu!“, hat er gesagt und hinzugefügt: „Vielleicht können wir einmal heute, zum Beginn des Kirchenjahrs, Ja dazu sagen, ohne gleich unser gewohnt kritisches Aber anzuhängen: Ja, unser Glaube tut uns gut, ja, unsere Hoffnung auf Gott tut uns gut, ja, unser Zusammenkommen tut uns gut – denn Gott ist treu!“ Und also habe ich als gehorsame Predigthörerin rasch die „Ja, aber“-Stimme in mir zum Schweigen gebracht, und das große uneingeschränkte Ja genossen und mich an der adventlich geschmückten Kirche gefreut und an dem schönen Orgelspiel und an meinem Advents-Lieblingslied „Die Nacht ist vorgedrungen...“ Und beim Hinausgehen aus der Kirche war „der helle Schein in unseren Herzen“ nicht zu übersehen: Ich hatte den Eindruck, dass nicht nur ich um mindestens 5 cm gewachsen bin in diesem Gottesdienst...
Oder unser zweijähriger Enkel Laurens, der an einem trüben Novembertag in unsere Wohnung stürmt mit den Worten:“Halleluja Oma!“, und als ich ihn verwundert anschaue, wiederholt er „Halleluja Oma!“ und kräht schließlich ganz laut zum dritten Mal „Halleluja Oma!“ Und dann kommt seine Mutter dazu und erklärt mir, dass Laurens das Weihnachtshalleluja von „Freuet euch, ihr Christen alle!“ so liebt, dass er es jetzt gleich von mir hören will. Und also haben wir natürlich das ganze Lied zusammen gesungen mit dem Halleluja am Anfang und am Schluss, und Laurens hat bei jedem Halleluja besonders laut das „ -ja“ mitgesungen. Und dieses Halleluja mit dem betonten Ja am Schluss hat mich durch die ganze Advents- und Weihnachtszeit begleitet bis heute – vielleicht kann es uns alle auch weiter begleiten, wenn wir es nachher miteinander singen.
Also lassen Sie es uns machen wie der Apostel Paulus und den Worten der Dichterin Hilde Domin nachspüren: „Nicht müde werden, sondern dem Wunder leise wie einem Vogel die Hand hinhalten“, wenn nun der Alltag im Jahr 2014 wieder beginnt. Nicht auf das starren, was immer wieder unseren Blick verdunkelt, sondern uns freuen an dem, was Gott getan hat: uns einen hellen Schein in unsere Herzen gegeben.
Amen.

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