Letzter Sonntag nach Epiphanias (09. Februar 2014)

Autorin / Autor:
Pfarrerin Monika Renninger, Stuttgart [monika.renninger@hospitalhof.de]

2. Petrus 1, 16-19

Bis der Tag anbreche

Es ist noch Weihnachten. Ob das noch einer spürt und weiß? Der Alltag ist sicherlich schon eine Weile von ganz anderen Themen bestimmt. Das neue Jahr ist längst in voller Fahrt. Und wir in der Kirche sind mal wieder hinterher: Wir sind jetzt, mit diesem Sonntag erst, am Ende der Weihnachtszeit. Jetzt nochmals vom „Morgenstern“ reden, den wir in den Gottesdiensten der letzten Wochen so viel besungen haben? Der Predigttext für den heutigen Sonntag tut es und lässt den Morgenstern über Weihnachten hinaus scheinen.
Doch das wird kein sentimentaler Rückblick auf Weihnachten. Mit dem 2. Petrusbrief geht der Blick nach vorne: Er wendet sich an die zweite und auch schon an die dritte Generation der ersten Christengemeinden, und viele, viele Generationen später an die Hörenden heute. Er erinnert sie daran: Es ist kein Märchen, es ist keine sagenhafte Geschichte, vielmehr ist es Wahrheit und Wirklichkeit: Jesus hat mit uns gelebt, ist für uns gestorben und wieder auferstanden und ist beim Vater im Himmel. Nach dem Ende unserer Zeit wird Gottes Zeit auf Erden anbrechen, sichtbar und alles verändernd. Er, der Briefschreiber, kann Zeuge und Bürge dafür sein, denn er hat das alles „selbst gesehen“, gehört und miterlebt. Er erinnert sich an die Vision auf dem Berg, den man später den Berg der Verklärung nannte. Damals sah und spürte er, wie es ist, wenn sich der Himmel öffnet und auf der Erde ausbreitet.

Der Verfasser lässt seinen Brief so klingen, als sei er das Testament des Apostels Petrus. Damit verleiht er seinen Überlegungen ein großes Gewicht. Entstanden ist der Brief aber erst lange nachdem die Augenzeugen des Lebens Jesu gestorben waren. Trotzdem wird sein Schreiben im Namen des Petrus so ernst genommen, dass es als die wohl jüngste Schrift des Neuen Testaments gerade noch in den Kanon der Briefe an die Gemeinden aufgenommen wurde. Er schreibt:

„Darum will ich’s nicht lassen, euch allezeit daran zu erinnern, obwohl ihr’s wisst und gestärkt seid in der Wahrheit, die unter euch ist.
Ich halte es aber für richtig, solange ich in diesem irdischen Zelt bin, euch wach zu halten und zu erinnern: Denn ich weiß, dass ich mein Zelt bald verlassen muss, weil es mir unser Herr Jesus Christus offenbart hat. Ich will mich aber bemühen, dass ihr dies allezeit auch nach meinem Tod im Gedächtnis behalten könnt.
Denn wir sind nicht ausgeklügelten Fabeln gefolgt, als wir euch kundgetan haben die Kraft und das Kommen unseres Herrn Jesus Christus, sondern wir haben seine Herrlichkeit selbst gesehen“ (2. Petrus 1,12-16).

Im Gedächtnis behalten

Der Brief versucht, eine Brücke zu schlagen: eine Brücke zwischen der ersten Generation der Christen, die voller Hoffnung auf die Wiederkunft Christi noch zu ihren Lebzeiten gewartet hatten und dem Beginn der nun zweitausendjährigen Geschichte der Kirche, die das Warten darauf lernen musste. Denn das ist das Problem für die Adressaten dieses Briefes: Jesus lässt auf sich warten. Auch der Verfasser des Briefes sehnt sich danach, mit Jesus nicht nur im Himmel, sondern auch schon auf Erden zu sein. Dabei weiß er, und das will er denen, die ihn fragen, sagen: Auch das Warten jetzt und hier ist Gottes Zeit, und die misst sich in anderem Maß als unsere Zeit.
Er erinnert in seinem Brief an die Erzählung von der Verklärung Jesu. Vielleicht hören die Menschen in den ersten Christengemeinden – und nicht nur diese - dabei ihre eigene Situation heraus? Vielleicht geht es ihnen genauso wie Petrus, der im Glück der Gotteserscheinung, an der er teilhatte, am liebsten Hütten aufgeschlagen hätte, damit alles und alle so hätten bleiben können, wie es gerade war: Moses und Elija, die Freunde und Boten Gottes, und Jesus mitten unter ihnen, bestätigt in seiner göttlichen Sendung und Kraft. Und dazu hin noch die Gottesstimme, die Jesus als den Sohn Gottes auswies, die ihn sozusagen adoptierte und sich zu ihm bekannte.
Könnte man diesen Moment festhalten und festschreiben, dann käme der Glaube gewiss nicht mehr ins Wanken und ins Grübeln ob der dunklen Erfahrungen und finsteren Aussichten. Könnte man diesen Moment halten, dann wäre alles lauter Licht und kein Schatten fiele mehr auf das Leben.
Solche Momente festhalten zu können, Momente des absoluten Wissens, Empfindens, Verstehenkönnens, das ist eine große Sehnsucht des Glaubens. Auch heute. Doch schon in der Erfahrung des Petrus und der anderen Augen- und Lebenszeugen Jesu wird deutlich: Solche Momente sind nicht zum Festhalten, für sie kann man keine Hütten auf dem Berg bauen. Vielmehr: Wir Menschen leben, so nennt es der 2. Petrusbrief, in einem irdischen Zelt, mit dem man weiterziehen kann und muss.

Gott hat den Himmelsthron verlassen und muss reisen auf der Straßen

Zelte, nicht Hütten und Paläste: Im irdischen Gewand muss man weiterziehen. Auch Gott selbst. In einem volkstümlichen Weihnachtslied heißt es: „Gott hat den Himmelsthron verlassen / Und muss reisen auf der Straßen.“ (aus: „Still, still, still, weil’s Kindlein schlafen will“). Und so geht auch die Geschichte Jesu weiter. Sie hört nicht auf bei der Erzählung von der großen Gottesstunde an der Krippe und dem Glück, das arme Hirten und sternenkundige Weise erfüllte. Sie geht weiter, hin zu den Menschen, in ihre Sorgen und Hoffnungen hinein. Es wird erzählt: Jesus begleitet, heilt und tröstet. Er eröffnet Menschen Gottesbegegnungen, mit denen sie nicht gerechnet haben. Die Gottesreise im irdischen Gewand setzt sich fort in der Erfahrung der tiefsten Menschlichkeit, im Sterben, und sie überwindet die Macht des Todes in der Gottesstunde der Auferstehung. Und noch immer geht sie weiter und schickt uns auf den Weg des Glaubens mit dieser Geschichte, seit zweitausend Jahren. Doch nicht ziellos: Am Ende steht die Erwartung der neuen Schöpfung, des neuen Himmels und der neuen Erde, in der wir, so die biblische Verheißung, von Angesicht zu Angesicht das Fest der Gottesbegegnung feiern sollen. Das Fest, das jetzt schon unser Leben erhellen und mit Licht erfüllen will.

Dein Reich komme!

Die Gegner der Christengemeinde des 2. Petrusbriefes spielten Gedanken über das Ende der Zeiten gegen das Glaubensbekenntnis der Christen aus, in dem sie die Hoffnung auf die Wiederkunft Christi und den Anbruch des Reiches Gottes bekannten. Sie höhnten: „Dein Reich komme!“ Wann es denn käme? Wo es denn bliebe? Was es denn mit sich bringe? So fragten die Spötter damals, so fragen sie heute.

Garant der Hoffnung auf das Reich Gottes sind für den Briefschreiber die Zeugnisse der Väter und Mütter im Glauben. Diese scheinen durch alle Schatten und Dunkelheiten hindurch auf. Biblische Worte, Erinnerungen an Gottes Geschichte mit den Menschen, prophetische Verheißungen, Begegnungen mit Menschen, die ihre Glaubenshoffnung mit ihrem Leben bezeugen und dafür einstehen.
Habt Acht darauf! So ermutigt der Briefschreiber. Vergesst nicht, was euch bezeugt ist! Auch wenn deine Lebenserfahrungen jetzt gerade eine andere Sprache sprechen: Was uns von Gott bezeugt und verheißen ist, ist wie der Morgenstern, der in der Nacht am Himmel steht, um den Tag anzukündigen.

Achtet auf das Licht

Er sagt das denen, die zögern und skeptisch sind, und auch denen, die schon nichts mehr erhoffen wollen. Er kämpft gegen diejenigen, die die Hoffnung auf Christi Vollendung mit einem neuen Himmel und einer neuen Erde für nichtig erklären und wieder so leben, als hätten sie nichts mehr zu erwarten. Gegen sie hält er das aufrecht, was Jesus bekräftigt hat: das Zeugnis der Schrift, die Verheißungen der Propheten. Er verschafft sich Gehör als Stimme des Apostels Petrus und macht sich damit zum gewichtigen Zeugen, der sehr wohl weiß, wovon er redet: Als Petrus hat er genau das schon erlebt: eine Gottesbegegnung, die ihn so mit Licht erfüllt hat, und die er doch nicht festhalten durfte, sondern aus der er zurück musste in seinen Alltag mit Licht, aber auch mit Schatten:

„Ihr tut gut daran, dass ihr auf die Verheißungen Gottes achtet als auf ein Licht, das scheint an einem dunklen Ort, bis der Tag anbreche und der Morgenstern aufgehe in euren Herzen.“

Das kleine Licht des Morgensterns am Nachthimmel kündigt das Ende der Nacht und den anbrechenden Tag an. Jeden Tag neu. Für uns Christen, so der biblische Verfasser, ist Jesus Christus dieser Morgenstern. Jeden Tag neu kündigt er das Ende der Dunkelheit an, begleitet uns in allen Erfahrungen, wirft sein Licht auf das, was uns finster und düster erscheint und erhellt es. Er bringt der Welt die Versöhnung. Es kommt der Tag, an dem sein Licht in den Herzen der Menschen aufgehen wird.

Sind wir noch unterwegs?

Diese Botschaft ist das Testament, das Zeugnis und Vermächtnis des Verfassers des 2. Petrusbriefes für eine Kirche, die das Warten auf die Vollendung lernen musste.

Sind wir noch unterwegs in diesem Warten?
Ein kritischer Blick in unsere Kirchengeschichte zeigt jede Menge Hütten und Paläste, in denen es sich gut leben ließe mit der unvollendeten Hoffnung, weit weg von aller Unruhe, die es in uns auslöst, dass die Welt noch nicht versöhnt, noch nicht im Frieden, noch nicht gesättigt ist mit Gerechtigkeit.

Sind wir noch unterwegs in diesem Warten?
Eine selbstkritische Frage an die eigene Wahrnehmung könnte heißen: Erkenne ich noch die Momente, die wie der Morgenstern täglich aufleuchten, auf dem Weg durch den Alltag des Glaubens und das Warten auf Vollendung?

Bin ich noch unterwegs?
Ich hoffe es. Ich spüre es, wenn mir Unerwartetes aufleuchtet, wie der Morgenstern am Nachthimmel:
ein Bibelwort, das doch gar nicht an mich gerichtet war und das ganz unmittelbar in meine Situation spricht;
eine Begegnung, ein Gespräch, vor dem ich Angst hatte und in dem ich unerwartet erlebt habe: Es gibt doch eine gemeinsame Sprache;
eine Entscheidung, mit der ich mich schwer getan habe, und die sich irgendwann als die richtige erweist, die ich schließlich und endlich annehmen kann und zur Ruhe komme;
einen Moment der Klarheit, der mir neue Kraft gibt für alle Fragen und alle Unsicherheiten, die danach wieder folgen;
einen Augenblick der Gewissheit, die mich tröstet in der ungetrösteten Wirklichkeit um mich herum;
eine Ahnung vom Himmel auf der Erde.

Dann merke ich, dass das auch mir gilt, was in dem alten Brief steht:
„Ihr tut gut daran, dass ihr auf die Verheißungen Gottes achtet als auf ein Licht, das scheint an einem dunklen Ort, bis der Tag anbreche und der Morgenstern aufgehe in euren Herzen.“
Amen.

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