Okuli / 3. Sonntag der Passionszeit (23. März 2014)

Autorin / Autor:
Dekan Michael Werner, Ludwigsburg [Dekanatamt.Ludwigsburg@elkw.de]

1. Könige 19, 1-8

Liebe Gemeinde,

Propheten, erst recht biblische Propheten, können anstrengend sein. Das macht sie sozusagen aus. Propheten strengen an. Sie sind unbequem, wo andere es sich vielleicht zu schnell bequem machen. Sie fordern die Verehrung des einen Gottes mit allen sozialen und politischen Konsequenzen, wo andere aus ganz praktischen und naheliegenden Gründen Brücken zu anderen Religionen und Göttern bauen und sich auf die nicht zu übersehende Vielfalt einstellen, die es nun einmal gibt. Propheten können anstrengend sein. Elia ist so ein anstrengender Prophet. Jedenfalls war er es gerade eben noch.

Elia – der anstrengende Prophet Gottes

Als es auf dem Berg Karmel darum gegangen ist, den einen wahren Gottes Israels für alle sichtbar zu machen, da hat Elia die Propheten Baals ganz schön alt aussehen lassen. Lächerlich gemacht und bloßgestellt hat er sie als Priester eines Gottes, der nichts ausrichtet. Und zum Schwert gegriffen hat er auch, der anstrengende und kämpferische Elia. Noch heute steht auf dem Karmel ein Denkmal, das den Propheten mit dem Schwert in der Hand zeigt. Als müsste man uns das bis heute zeigen: Elia, der anstrengende Prophet eines Gottes, der manchmal selbst fordernd und anstrengend sein kann.
Aber jetzt ist Elia selbst ein angestrengter und gestresster Prophet. Gerade noch schien alles gut. Der lange ausgebliebene Regen war wiedergekommen. Und zwar von dem Gott, der nicht nur fordert, sondern von dem auch alles kommt („Er sendet Tau und Regen und Sonn- und Mondenschein…“ singen wir an Erntedank). Die fremden Propheten schienen ein für allemal beseitigt. Das Volk hatte zurückgefunden zu seinem Gott, dem es nicht nur den Regen, sondern auch seine Freiheit verdankt – „Ich bin der Herr, dein Gott, der dich aus Ägyptenland geführt hat“. Und nun kippt alles.

… und der angestrengte Prophet unter der Rache Isebels

Plötzlich geht es um sein eigenes Leben, nachdem die fremde Königin Isebel Vergeltung für das Leben ihrer Priester und Propheten angekündigt hat. Plötzlich wird aus dem anstrengenden Propheten selbst ein angestrengter und gestresster Prophet.
Was tut ein gestresster Prophet? Er tut zunächst einmal nichts anderes als wir. Er läuft weg. Elia läuft um sein Leben. Er läuft in die Wüste. Weit weg von denen, die ihn verfolgen. Weit weg von allem. So lange, bis er selbst nicht mehr kann und auch nicht mehr will. So lange, bis er nur noch müde ist. Mehr als müde. "Es ist genug, so nimm nun, HERR, meine Seele; ich bin nicht besser als meine Väter."

Spätestens da wird diese Geschichte selbst zu einer anstrengenden Geschichte.
Denn wenn ein Prophet wie Elia müde und am Ende ist, heißt das wohl auch, dass er sich von seinem Gott angestrengt und verlassen fühlt. Von Gott und Menschen verlassen. Lebens- und wahrscheinlich auch gottesmüde. Eine Erschöpfung ganz eigener Art. Was macht diesen Propheten müde, liebe Gemeinde? Hat er wie wir gelegentlich über seine Verhältnisse, über seine Kraft gelebt? Hat er keine Rücksicht auf sich selbst genommen – die eigene Seele, den eigenen Körper zu wenig geschont; und jetzt rächen sich beide: der müde Leib und die erschöpfte Seele? Oder hat es am Ende mit der Gewalt zu tun, zu der Elia am Karmel gegriffen hat. So möchten wir es ja sehen: Dass es nicht ohne Folgen bleibt, wenn einer die schmale und unsichtbare Grenze überschreitet, hinter der die wichtige Frage nach der Wahrheit unseres Lebens umschlägt ins Eifernde, Fanatische und dann schließlich auch in Gewalt.

Gott – nur im Sieg des Propheten?

Der anstrengende kämpferische Elia vom Berg Karmel kostet viel Kraft. Immer stark sein. Immer den stärkeren, gewisseren Glauben an den stärkeren Gott haben – ohne Schwäche und ohne sichtbaren Zweifel. Was wäre das für ein Bild von uns und vom Gott der Bibel, wenn das alles wäre? Wenn es nur um den besseren Regen, das bessere Feuer, den größeren Erntedank und den sichtbareren Erfolg gehen würde? Wer Gott dort sucht, wer Gott nur dort sucht, wo es etwas zu gewinnen gibt, kann am Ende auch als Sieger nur verlieren – und müde werden.
Aber die Geschichte Elias geht ja weiter. Gerade darum geht sie weiter. Weil da noch etwas wartet. Weil Gott sich finden lässt am Ende der Welt in der Wüste. Weil er auch mit dem müden und angestrengten Elia noch nicht fertig ist. Weil er auch mit müden und erschöpften Propheten noch etwas vor hat. So wie mit uns. Gott kann einem nahe kommen. In der Wüste. Und nicht nur dort.

Gott – auch in der Wüste – nicht nur für Elia

Es muss kein Engel sein, wenn wir uns plötzlich wie Elia in einer wie auch immer gearteten Wüste wiederfinden. Es muss auch kein frisch geröstetes Brot sein, wie es Nomaden auf einem heißen Stein backen. Und kein Krug Wasser, der uns in der Hitze eines Wüstentages wahrscheinlich so gut wie nirgendwo sonst schmeckt. Aber dass uns einer anspricht und anrührt, wenn wir uns verrannt haben und nicht mehr weiter wissen. Dass einer einen Blick hat für das, was wir brauchen, wenn wir nicht mehr weiter wissen. Dass uns einer etwas zu essen und zu trinken hinstellt, wenn wir Durst und Hunger haben. Das, liebe Gemeinde tut uns allen allemal gut. Wie immer unsere Lebenskrisen, in denen wir müde werden, im Einzelnen aussehen.

"Steh auf und iss!" Gleich zweimal muss er ihn ansprechen. Gleich zweimal muss der Engel mit einem Glass Wasser und einem Stück Brot kommen, damit Elia wieder zu Kräften kommt. Dass einer wieder auf die Beine kommt, kann sich ziehen. Der erschöpfte Elia macht es seinem Gott nicht leicht, so wie wir es einander nicht leicht machen, wenn wir wirklich mit unseren Kräften am Ende sind. Ganz einfach geht es dann ja nicht. Ganz einfach lässt sich auch Elia nicht aus seiner Erschöpfung holen. Erschöpfte Menschen brauchen Zeit. Manchmal viel Zeit. Und Geduld. Aber der Engel in dieser Geschichte hält das ja aus. Er hat Zeit. Und Geduld. Und wenn er uns beim ersten Mal nicht gleich wieder auf die Beine bringt, dann kommt er eben noch ein zweites Mal und sagt: "Steh auf und iss! Denn du hast einen weiten Weg vor dir."

"Steh auf und iss!" Liebe Gemeinde, das gehört für mich zum ganz Besonderen dieser Geschichte. Wenn einer in der Wüste und am Ende ist, dann fängt der geduldige Gott mit dem Einfachsten an: Mit Wasser und Brot. Mit einer Hand, die uns anrührt und mit einer Stimme, die uns anspricht und uns den Weg zeigt. Das Nötigste eben. Das, was Elia braucht und was wir brauchen. Gott kann ganz einfach sein. Und zugleich verlangt er etwas. Und bleibt nüchtern. Denn weitergehen muss Elia allein. "Du hast noch einen weiten Weg vor dir."
Lieben und geduldig bleiben. Mir gefällt diese Geschichte und, was Gott da für Elia tut. Mir gefällt die Mischung aus Fürsorge und einfach Dasein mit dem, was jetzt nötig ist. Nicht reden, wenn einer Wasser und Brot braucht; aber dafür Geduld haben, wenn er nochmal schlafen muss. Gott weiß offensichtlich, wie man mit erschöpften und müden Menschen umgeht. Was für ein Glück!

Der Weg aus der Wüste ins Leben

Aber weitergehen muss der Prophet selbst. Auch das nehme ich aus dieser Geschichte mit. Den Weg zurück muss Elia selbst gehen. Das kann ihm keiner abnehmen. So wie wir es einander nicht abnehmen können, aus unseren wie auch immer gearteten Krisen wieder selbst ins Leben zurückzukehren. Manchmal fällt das schwer und dauert lang: Wir können einander beistehen, füreinander da sein. Aber ganz füreinander da sein, ganz einander das Leben und alle Lasten abnehmen, das können wir nicht. Ganz für uns da sein, ganz bei uns sein – selbst dann, wenn wir alles andere hinter uns gelassen haben – das kann höchstens ein anderer. Der, der Elia in der Wüste sucht und auch findet. Der seinen Engel schickt. Mit Wasser und Brot. Und mit einer Aufforderung: "Steh auf und iss! Denn du hast einen weiten Weg vor dir."

Wenn wir die Geschichte von Elia weiterlesen – vielleicht lesen Sie ja einmal weiter – dann hat der Prophet tatsächlich einen weiten Weg vor sich. Vierzig Tage und Nächte wird er unterwegs sein, bis er noch einmal seinem Gott ganz nahe kommt. Wie schon in der Wüste. Und doch anders: Nicht im Sturm oder im Erdbeben oder im Feuer wie auf dem Karmel. Nicht im Großen und Besonderen. Und auch nicht im lebensrettenden Wasser und Brot. Gott – so heißt es – erscheint Elia in einem stillen Schweigen. Er ist da. Elia sieht Gott nicht. Er hört Gott nicht. Aber er weiß und erfährt: Gott ist da. Er braucht mich noch. Gott hat noch etwas mit mir vor. Wer so viel weiß, weiß viel.

„Selbstfindling“ nennt der Philosoph Peter Sloterdijk Menschen, die plötzlich auf sich stoßen ohne sich gesucht zu haben: „Man ist dreiundzwanzig Jahre alt, oder älter, und entdeckt beim Überqueren der Straße oder während ein Schlüsselbund zu Boden fällt, dass man wirklich existiert. Davor gibt es keinen sicheren Schutz … Auch wer regelmäßig Waldläufe macht und ab dreißig regelmäßig zur Vorsorgeuntersuchung geht, kann nicht ausschließen, dass bei ihm der Existenzfall eintritt…“ (P.Sloterdijk, Weltfremdheit, Frankfurt/M 1993).

Ähnlich harmlos lässt sich der „Existenzfall“ des Propheten Elia nicht beschreiben. Aber die Geschichte Elias lässt sich ja doch als Geschichte erzählen, in der einer plötzlich und unverhofft noch einmal ganz anders auf sich und an seine Grenzen stößt. Biblische Geschichten von Menschen, die auf sich stoßen, sind aber noch mehr. Es sind zugleich Gottesgeschichten. Sie handeln davon, wie einer sich plötzlich wiedergefunden und aufgerichtet erfährt, wo er sich in der Wüste verloren geglaubt hat. Der anstrengende Elia vom Karmelgebirge hat die Erfahrung, dass wir auch schwach und müde werden können, noch vor sich. Er hat aber auch die Begegnung mit dem Gott noch vor sich, der uns dort nahe kommt, wo wir schwach und müde sind und uns nicht mehr auf unsere eigene Kraft verlassen können. Der starke Elia ist insofern der schwache. Der schwache Elia aber erfährt beides: Gottes Nähe und insofern im eigenen Ende einen neuen Anfang. Denn „… bloß fürn stück brot / bloß fürn schluck wasser / wär elija nicht aufgestanden“ (W.Willms, Elija, in: ders., Ausgewählte Texte, 1991). Amen.

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