Ostermontag (21. April 2014)

Autorin / Autor:
Pfarrer Markus Lautenschlager, Nürtingen [MarkusLautenschlager@gmx.de]

Apostelgeschichte 10, 34ab.36-42

Liebe Gemeinde,
wir feiern Ostern. Wir singen „Christ ist erstanden von der Marter alle“. Wir bekennen mit der ganzen Christenheit auf Erden: Gott hat Jesus am dritten Tag auferweckt von den Toten.

Ein Glaubensbekenntnis aus den Anfängen der christlichen Kirche

Wir reihen uns damit ein in eine lange Tradition, deren Anfänge uns im heutigen Abschnitt aus der Apostelgeschichte begegnen. Petrus formuliert eines der ältesten christlichen Glaubensbekenntnisse. Es ist in mehrerer Hinsicht bemerkenswert. So verweilt es, anders als das uns vertraute apostolische Glaubensbekenntnis, beim irdischen Jesus: Johannes hat ihn im Jordan getauft. Dabei hat Jesus Gottes Geist empfangen und in der Kraft dieses Geistes Gutes getan. Er hat Kranke geheilt. Er hat damit dem Teufel die Herrschaft über die Menschen bestritten. Gott war mit ihm. Wir erfahren auch die Stationen des Lebens Jesu: Galiläa, Judäa und Jerusalem, die Hauptstadt, für Lukas der Nabel der Heilsgeschichte, wo alles beginnt und alles sich vollendet. Der Tod Jesu wird, anders etwa als in Mel Gibsons Film „Passion“, nur ganz knapp berichtet „den haben sie getötet“; seine Tiefendimension wird nur angedeutet. „Den haben sie ans Holz gehängt“ ist Anspielung an 5. Mose 21, 22-23: Wer eine todeswürdige Sünde begangen hat, soll getötet und eben „ans Holz gehängt“ werden und noch am selben Tag begraben werden, „denn ein Aufgehängter ist verflucht bei Gott“. Wie kann einer, der in der Kraft des Gottesgeistes Wohltaten vollbringt, von eben dem Gott verflucht werden, der ihm seinen Geist schenkt? Das wäre eine eigene Predigt wert und würde uns in die Tiefe des stellvertretenden Leidens Christi führen.
Heute aber gilt unser Augenmerk dem Osterbekenntnis: „Den hat Gott auferweckt am dritten Tag und hat ihn erscheinen lassen.“

Die Zeugen

Offenbar gehören Auferweckung und Erscheinung untrennbar zusammen. Wäre Christus nicht erschienen, wüssten wir nichts von seiner Auferstehung. Noch pointierter: Würde er nicht erscheinen, wäre er nicht auferstanden. Freilich, nicht allen, nicht dem ganzen Volk, ist er erschienen, sondern nur wenigen Auserwählten. Lukas nennt sie die von Gott vorher erwählten Zeugen. Zwei Dinge zeichnen sie aus: Sie waren bei allem dabei, was der irdische Jesus getan hat. Sie sind Ohrenzeugen seiner Worte, Augenzeugen seiner Heilungen. Und sie haben mit ihm gegessen und getrunken nach seiner Auferstehung. Nur wer beides erlebt hat, ist nach Lukas Apostel und im ursprünglichen Sinn Osterzeuge.
Im weiteren Sinn sind wir allerdings auch dabei: Mahlgemeinschaft mit dem auferstandenen Jesus feiern wir in jedem Abendmahlsgottesdienst. Und in der Lektüre des Neuen Testaments und dem gemeinschaftlichen Austausch darüber begegnet uns Jesus. Auch uns erscheint er. Es ist kein Zufall, dass dieses Verb „erscheinen“ (griechisch: emphanizein), das Lukas für das Erlebnis der Osterzeugen verwendet, im Johannesevangelium für die Erleuchtung des Glaubens begegnet. Wir haben diese Worte Jesu als Schriftlesung gehört: „Wer mich liebt, wird von meinem Vater geliebt werden, und ich werde ihn lieben und mich ihm offenbaren (griechisch: emphaniso; Joh 14,21). Ostern ist die Erfahrung, dass von der Begegnung mit Jesus eine eigentümliche Kraft ausgeht. Die Leistungssportlerin Teresa Zukic, atheistisch aufgewachsen im damaligen Jugoslawien, berichtet von der Nacht, die alles in ihrem Leben änderte. Vor einem wichtigen Basketballspiel konnte sie in ihrem Zimmer in einem Sportinstitut nicht einschlafen. Gegen zwei Uhr früh griff sie zu einem Stapel Bücher, blätterte in das erstbeste hinein. „Dieses Buch sollte mein Leben verändern. Ich griff zur Bibel, in die ich vorher noch nie geschaut hatte, und schlug eine Seite willkürlich darin auf. Ich las die ‚Bergpredigt‘ und vertiefte mich darin. Und nun fehlen mir die Worte. Ich wurde existentiell getroffen, konnte meinen Augen nicht trauen, spürte Glauben in mir und las die ganze Nacht bis zum Morgengrauen. Ich erfuhr von Jesus, von einem Gott, den er Vater nannte. Ich war davon betroffen, dass man auch die andere Wange hinhalten sollte, wenn man geschlagen wurde, und ich dachte, so verrückt kann doch keiner sein. Ich las, wie Jesus Menschen heilte, wie er brutal ermordet wurde und wie seine Freunde behaupteten, er sei auferstanden. Ich war fasziniert von dem Gedanken, man solle sich freuen, wenn man verfolgt wird. Bis zu diesem Zeitpunkt dachte ich, ein gelungenes Leben bestünde darin, geliebt und nicht verfolgt zu werden. Gott hatte mich gefunden“ (Aus: Schwester Teresa Zukic, Das Skateboard Gottes, Augsburg 1999, S. 14).
Teresa Zukic war zur Zeugin Jesu geworden. Und sie hat gleich am nächsten Tag erlebt, was das mit einschließt. „Beim Basketballspiel am folgenden Morgen wurde ich schwer verletzt. Eine Gegnerin schlug mir in den Magen, und ich fiel zu Boden. Alles schrie schon, und als ich mich wieder aufraffte, stand sie vor mir. Mir fiel die Sache mit der ‚anderen Wange‘ ein, und ich beschloss, ihr etwas Nettes zu sagen. Früher hätte ich ihr beim nächsten Angriff auch gezeigt, wo es langgeht. Jetzt spürte ich Licht und Frieden, und ich dachte mir: Es stimmt!“ (A.a.O., S. 15). Stimmig wird das Osterzeugnis da, wo die Zeugen mit ihrer eigenen Person dafür einstehen. Auch hier ist es kein Zufall, dass das griechische Wort für Zeuge „martys“ als Märtyrer ins Deutsche gekommen ist. Und dass Petrus, aus dessen Mund wir heute das Osterzeugnis hören, schon im übernächsten Kapitel der Apostelgeschichte dafür ins Gefängnis geworfen wird. Die Tradition weiß von ihm, dass er unter Kaiser Nero den Märtyrertod in Rom gestorben ist, gekreuzigt wie sein Herr, jedoch auf seine eigene Bitte hin mit dem Kopf nach unten.

Kirche: die egalitäre Gemeinschaft

Eine - wie mir scheint geradezu revolutionäre - Konsequenz der Auferstehung Jesu begegnet uns gleich am Anfang unseres Predigttextes. Selbst Petrus hat sie in einer eigenen Lektion erst lernen müssen. Genauer: Er musste sogar zweimal „nachsitzen“. Denn gleich dreimal hatte er dieselbe Vision, in der ihm eine Himmelsstimme klar machte, dass auch der römische Hauptmann Kornelius, für den Juden Petrus ein gräulicher Heide, zur christlichen Gemeinde dazugehört. Ja, dass Gott seinen Geist auf alle ausgießt, die das Wort hören, die Heiden eingeschlossen. Was von denen, die bisher den Geistbesitz als ihr Privileg ansahen, mit Entsetzen zur Kenntnis genommen wird (Apg 10,45). Doch haben sie dann die Größe, sich diesem Handeln Gottes zu öffnen: „Kann auch jemand denen das Wasser zur Taufe verwehren, die den Heiligen Geist empfangen haben ebenso wie wir?“ (V. 46). Und so empfängt der römische Zenturio Kornelius die Taufe auf den Namen Jesu Christi. Und gehört von da an als Vollmitglied zur christlichen Gemeinde dazu. Hätte Petrus ihm die Taufe verweigert, hätte er die Kraft der Auferstehung Christi geleugnet. Als rechter Osterzeuge spricht Petrus aus, was er gelernt hat: „Nun erfahre ich in Wahrheit, dass Gott die Person nicht ansieht; sondern in jedem Volk, wer ihn fürchtet und recht tut, der ist ihm angenehm.“
Damit sind Herkunft, Nationalität, Stand, Geschlecht und Religion für vor Gott bedeutungslos erklärt. Genauer: zur bloßen Äußerlichkeit, zur Larve, zur Maskerade, zur Fassade erklärt, von der wir Menschen uns vielleicht beeindrucken lassen. Gott aber sieht hinter diese Verkleidungen. Er sieht das Herz an. Von ihrem Ursprung, von der Auferstehung Jesu her, ist die christliche Kirche eine egalitäre Gemeinschaft. Vor Gott sind alle Menschen gleich. Und in unserer Kirche? In unserer Gemeinde, die sich heute zum Gottesdienst versammelt hat? Die stadtrömische Gemeinde hat es 217 n. Chr. immerhin bewerkstelligt, den Sklaven eines Christen, der zur kaiserlichen Hofhaltung gehörte, zum Bischof zu wählen. Genauer: Die Mehrheit hat Kallist gewählt, die einflussreiche und gebildete Minderheit alsbald den Gegenpapst Hippolyt. Und am 13. März 2013 ist mit Jorge Mario Bergoglio der erste Lateinamerikaner Papst geworden. Wenngleich auch Papst Franziskus italienische Wurzeln hat. Könnten wir uns einen Asylbewerber als Bischof der württembergischen Landeskirche vorstellen? Ostern ist uns wohl immer noch voraus. Gott sei Dank! Amen.

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