2. Sonntag nach Weihnachten (04. Januar 2015)

Autorin / Autor:
Pfarrerin und Studienrätin Stephanie Kscheschinski, Lörrach [stephanieloeffler@t-online.de]

Lukas 2, 41-52

Liebe Gemeinde,
da heißt es: „Und seine Mutter behielt alle diese Worte in ihrem Herzen“ (Lk 2,51). Dem möchte ich ein wenig nachfühlen. Was hat sie nicht alles erlebt, Jesu Mutter Maria? Das Alltägliche war das ja nicht gerade. Geplant war, dass sie mit ihrem Verlobten, dem Josef, eine Familie gründet und dass sie als Mann und Frau zusammen leben wollen. Doch dann erscheint ihr ein Engel und kündigt ihr die Geburt eines Sohnes an. Und nicht nur das, sondern es wird ihr der Name des Sohnes quasi diktiert, und es wird ihr mitgeteilt, dass Gott ihrem Sohn den Thron Davids geben wird und er König über das Haus Jakob in Ewigkeit sein wird. Er wird also ein besonderer Sohn sein, dessen Reich kein Ende haben wird.
Und als Maria fragt: Wie soll das zugehen, da ich doch von keinem Mann weiß? (Lk 1,34), erfährt sie, dass der Heilige Geist über sie kommen wird und die Kraft des Höchsten sie überschatten wird. Maria fügt sich, nennt sich selbst die Magd des Herrn. Und sie begreift, dass bei Gott kein Ding unmöglich ist. Und sie bewegt das alles in ihrem Herzen.

Das Herz des Menschen – ein besonderer OrtDas Herz wird in der Bibel sehr oft genannt, als Ort des Gefühls und des Verstandes. Das Herz ist auch der Sitz für das Geistliche, das Spirituelle. Und das zeigt, dass das „Bewegen im Herzen“ etwas Ganzheitliches ist. Maria ist voll und ganz erfüllt und bewegt von dem, was ihr da widerfährt.
Und so erhebt sie ihre Stimme zum Lobgesang und preist Gott, der sie auserwählt hat in ihrer Einfachheit, in ihrer Niedrigkeit. Sie nimmt die Rolle der Gottesgebärerin an. Sie wird quasi zum Gefäß für Gottes Menschwerdung.

Sie bringt einen Sohn zur WeltÜber die Geburt an sich erfahren wir wenig. Mehr erfahren wir über die Umstände der Herbergssuche. Und wir erfahren viel von den Hirten, den Engeln und allen Zeugen, die in dem Jesuskind den Heiland erkennen. Und damit hat eine neue Ära begonnen. Der Messias ist erschienen. Tausendfach wird dieses Geschehen in unseren Christvespern dargestellt in Krippenspielen, die immer wieder viele Menschen anziehen und berühren.
Maria wirkt in diesem ganzen Geschehen sehr ruhig und gefasst. Voller Hingabe erfüllt sie ihren Dienst, der ihr von Gott selbst anvertraut wurde. Und Josef, ihr Mann, trägt das alles mit.
Und Maria bewegt all diese Worte in ihrem Herzen.

Jesus – er ist verschwundenDas Jesuskind reift heran, und als Zwölfjähriger zieht er mit seinen jüdischen Eltern zum Passafest nach Jerusalem. So schreibt es das Gesetz vor. Und Vater Josef hat die religiöse Pflicht, seine Kinder so zu begleiten, dass sie die Tora und ihre Weisungen einhalten. Mit der Geschlechtsreife ist die Kindheit vorbei und der Jugendliche ist zum Halten der Gebote und aller Vorschriften verpflichtet. An dieser Schwelle begegnet uns hier der zwölfjährige Jesus. Als Maria und Josef nach der Festwoche in Jerusalem zurück nach Hause aufbrechen, gehen sie davon aus, dass sich ihr Sohn Jesus irgendwo in der Wallfahrtskarawane befindet. Als sie aber nach einem Tag ihren Sohn nicht in den Gruppen ihrer Verwandten und Bekannten wiederfinden, kehren sie um. Zurück nach Jerusalem, um dort nach ihrem Sohn zu suchen.
Wie mag es den Eltern ergangen sein? Ihr geliebtes Kind ist einfach weg. Keiner weiß, wo er steckt, der Jesus. Da ergreift einen doch die Angst und man malt sich in der Fantasie alles Mögliche aus, was da passiert sein könnte.
Erst nach drei Tagen finden Maria und Josef ihren Sohn wieder. Für uns heute ist das fast unvorstellbar, denn wir sind es gewohnt, ständig erreichbar zu sein und auch unsere Kinder erreichen zu können, per Mail, per Handy, per WhatsApp. Deswegen spricht man von den heutigen Eltern auch als „Helikoptereltern“, die ständig ihre Kinder überwachen.
Getröstet und gleichzeitig verwundert waren Maria und Josef sicher dadurch, dass sie ihren Sohn im Tempel in Jerusalem gefunden haben. Dort diskutierte er mit den Tora-Lehrern. Er stellt Fragen, er hört ihnen zu und gibt auf ihre Fragen Antworten. Und die Szene mutet uns seltsam an, denn es handelt sich hier um einen Zwölfjährigen, der aber offensichtlich hochbegabt ist. Ausgestattet mit einer speziellen Begabung, die irgendwie nicht von dieser Welt zu sein scheint.

Die Eltern begegnen ihrem pubertierenden SohnAls die Eltern ihren Sohn dort im Tempel finden, sind sie entsetzt. Denn der Ort ist ungewöhnlich und die ganze Gelehrtenszene mutet die Eltern sicherlich auch seltsam an. Denn das ist doch ihr liebes, kleines Jesulein, ihr Schätzchen. Ihr Kind, das sie über alles liebhaben.
Was Maria und Josef hier schmerzlich erfahren, ist das, was wir als Eltern alle lernen müssen. Unsere Kinder werden erwachsen. Sie lösen sich los von uns. Sie treffen ihre eigenen Entscheidungen. Sie entwickeln ihre eigenen Stärken und probieren diese auch aus. Sie gehen durchaus auf Distanz zu uns. Sie entscheiden auch in Glaubensfragen selbst. Sie entscheiden, wie sie ihren Glauben leben wollen und wie nah oder fern sie der Kirchengemeinde und der Kirche insgesamt sein wollen. Sie suchen sich ihre Vorbilder und eifern diesen nach. Und Vorbilder sind dann nicht mehr unbedingt Mama und Papa.
Maria findet zuerst wieder zur Sprachfähigkeit und holt ihren Sohn da ab, wo sie selbst gefühlsmäßig steht: „Mein Sohn“, sagt sie zu ihm. Damit gibt sie ihrem Sohn den Platz in ihrer Familie, auf den er ihrer Meinung nach gehört. Und dann fügt sie einen kleinen Vorwurf an: „Mein Sohn, warum hast du uns das getan?“ (Lk 2,48). Warum bist du einfach verschwunden? Warum hast du nicht Bescheid gesagt, oder besser: für deine Alleingänge um Erlaubnis gebeten? Was fällt dir ein, uns so in Angst und Schrecken zu versetzen? Womit haben wir das verdient? Wir sind doch deine Eltern! Und nun schlägt Maria den Bogen zu Vater Josef und fügt noch hinzu: „Siehe, dein Vater und ich haben dich mit Schmerzen gesucht.“
Und Jesus gibt die typisch pubertäre Antwort: „Warum habt ihr mich gesucht?“ (Lk2,49). Er reagiert nach dem Motto: Hättet ihr doch nicht machen müssen. Nur cool bleiben, mir passiert schon nichts. Ich bin schließlich kein Kleinkind mehr und kann auf mich selbst aufpassen.

Die Loslösung Jesu von seinen Eltern – eine neue RichtungUnd dann gibt Jesus dem Dialog noch eine ganz andere Wendung und fügt hinzu: „Wisst ihr nicht, dass ich sein muss in dem, was meines Vaters ist?“
Das sagt Jesus in Anwesenheit seines Vaters Josef, der zwar nicht sein biologischer Vater ist, aber sein sozialer Vater. Dem Josef muss diese Aussage Jesu wie eine Keule vorgekommen sein. Denn schließlich hat er die schwangere Maria nicht verstoßen, sondern zu ihr gestanden. Und er hat alles gemacht, um ein guter Familienvater zu sein, auch für Jesus, den er als seinen Sohn angenommen hat.
Maria und Josef verstehen deshalb auch nicht die Dimension dessen, was Jesus zu ihnen hier spricht. Sie sind ganz gefangen in ihrer Elternrolle. Und sie verstehen nicht, dass Jesus hier von seiner Zugehörigkeit zu Gott, dem Vater im Himmel spricht. Sie verstehen nicht, dass sich Jesus auf seinen Dienst für Gott den Vater vorbereitet. Sie verstehen nicht, was es heißt, diesen besonderen Sohn loszulassen und seine Erfüllung erreichen zu lassen.
Maria behielt alle diese Worte in ihrem Herzen. Und wahrscheinlich spürte sie die Veränderungen an ihrem Sohn. Es wird ausdrücklich erwähnt, dass Jesus mit seinen Eltern zurückkehrt nach Nazareth und ihnen „untertan“ war (Lk 2,51). Ich verstehe das so, dass Jesus sich hinfort nicht rebellisch aufgeführt hat seinen Eltern gegenüber, sondern sich in die Rolle in der Familie eingefügt hat. So wie Maria das ja auch von ihm verlangt hat.
Und doch ist auch nicht zu übersehen, dass dieses Jesukindelein ein stattlicher junger Mann wird, der zunimmt an „Weisheit“ und an Gnade bei Gott und den Menschen, wie es in dem Predigttext heißt (Lk2,52).

Was Maria als Mutter noch alles ertragen mussMaria, die Mutter Jesu wird noch oft in den folgenden Jahren entsetzt gewesen sein. Vielleicht hat sie sich das Wirken des Heilandes, den sie geboren hat, anders vorgestellt. Vielleicht hat sie mehr in Spuren wie Ruhm und Ehre gedacht, königliche Attribute. Sicher hat sie nicht mit der Schmach am Kreuz gerechnet, der ihr Kind, ihr Sohn, ausgesetzt sein würde.
Ist es nicht furchtbar für Eltern, ein Kind zu verlieren? Wenn ein Kind stirbt, dann ist das einer der größten Verluste, den Eltern erleiden. Wenn das Kind aber noch gefoltert wird, um dann wie ein Verbrecher am Kreuz zu sterben, dann wird der Schmerz der Eltern ins Unermessliche getrieben.
Selbst wenn die Eltern, wie viele damals, begreifen, dass hier Gott selbst für uns stirbt, dann muss dieses Erlebnis für die Mutter und den Vater, für Maria und Josef, herzzerreißend gewesen sein. Denn sie haben den Jesus von klein an geliebt und gepflegt, betreut und aufgezogen.

Wir gehen den Weg mitUnser Weg geht von der Krippe zum Kreuz. Und wir wissen als Christenheit, dass nach dem schönen Weihnachtsfest, von dem wir herkommen, die Passionszeit schon in Sicht ist. Und diese Zeit müssen wir durchleiden, gemeinsam mit unserem Heiland. Das Kreuz behält aber nicht das letzte Wort, denn wir feiern miteinander Ostern, das Fest der Auferstehung.
All dies dürfen wir in unserem Herzen behalten und bewegen, wie einst Maria. Und dann werden wir spüren, wie diese Geschichte uns bewegt, hin zu Gott.
Und der Friede Gottes, welcher höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

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