21. Sonntag nach Trinitatis (05. November 2017)

Autorin / Autor:
Pfarrer Friedmar Probst, Alfdorf [friedmar.probst@elkw.de ]

Matthäus 10, 34-39

Liebe Gemeinde!
„Ich krieg die Krise“ – so sagen manche von uns, wenn etwas schiefläuft. Da ist ein Problem, schon zum wiederholten Mal. Und ich sehe nicht: Wie finde ich da zu einer Lösung?
Von einer Krise des Glaubens spricht Jesus in unserem heutigen Evangelium. „Krise“, das hat bei uns den Klang von „Problem“.
In der griechischen Sprache bedeutet Krise „Entscheidung“. Das heißt, ein Problem ist in der Krise so groß, so mächtig geworden, dass es mit Schönreden, mit Beschwichtigen oder mit Ignorieren nicht mehr getan ist. Jetzt braucht es die Entscheidung.
Auch zum Glauben, zur Nachfolge Jesu, gehören Krisen, also Entscheidungen. Der Glaube ist nicht unsere „Wohlfühloase“. Sondern der Glaube ist zu einem guten Teil Kampf und Leidenschaft. Es ist der Kampf um das, was Gott will. Und der Kampf gegen das, was Gott hasst.
Jesus nimmt uns heute hinein in ein Wort voller Kampf und Leidenschaft um die Wahrheit.

Eine Provokation„Ihr sollt nicht meinen, dass ich gekommen bin, Frieden zu bringen auf Erden. Ich bin nicht gekommen, Frieden zu bringen, sondern das Schwert.“
Dies ist eine Provokation. Nicht den Frieden, sondern das Schwert. Ist das tatsächlich Jesus, der „Friedefürst“, von dem wir singen? Ist das tatsächlich der Friedenskönig, der Messias, den Jesaja und Micha für das Volk Israel erhofft haben? Ist das der Bergprediger, der wenige Kapitel vorher noch sagt: „Selig sind, die Frieden stiften, denn sie sollen Kinder Gottes heißen?“
Nicht den Frieden, sondern das Schwert. Oberflächlich betrachtet, hört sich das nach „christlichen Taliban“ an, nach Kreuzzügen oder Gotteskriegern. Oha, also die Bibel ruft auch dazu auf, den Glauben mit dem Schwert zu verbreiten!?
Nein. Jesus sagt damit: ich bringe euch, die ihr mir nachfolgen wollt, nicht die sanfte Ruhe. Ich bringe euch in ungemütliche Situationen. Es wird bei euch zu scharfen Auseinandersetzungen kommen. Wenn ihr von der Gottesherrschaft predigt, werden welche sagen: „Ihr seid Phantasten!“ Wenn ihr das Werk der Barmherzigkeit übt, werden welche euch auslachen und spotten: „Ihr seid Gutmenschen!“ Ihr müsst euch entscheiden: Zu wem wollt ihr gehören?

Ja oder NeinBist du dafür oder dagegen? Immer wieder stellen sich solche Fragen. Immer da, wo leidenschaftlich um etwas gestritten wird. Was ist die beste Lösung?
Was ist die beste Lösung für den Bahnverkehr in Stuttgart und im Land? Ein Bahnhof unter der Erde mit ganz neuer Trassenführung oder der renovierte Kopfbahnhof mit der ganzen intelligenten Baukunst, die darin steckt? Der Streit ging mitten durch Familien und Freundeskreise. Er war ein Ausdruck von leidenschaftlichem Engagement. Es wurde kämpferisch gestritten und gerungen.
Jesus spricht von einer Gemeinschaft, die leidenschaftlich kämpft. Unser Predigttext stellt uns die unbequeme Frage: Wo ist bei euch Christen das Feuer? Reicht es uns, wenn die Dinge in unseren Kirchengemeinden, in unserer Landeskirche ruhig und friedlich verlaufen, in Harmonie und Eintracht? Ist Christentum Ruhe und Frieden?
Martin Luther meint: „Die Kirche verfehlt sich nirgends mehr als da, wo sie Ruhe und Frieden hat.“ Denn das sei das beste Zeichen, dass sie den Kampf mit den widergöttlichen Mächten (Luther sagt „Teufel“) aufgegeben hat.
Dietrich Bonhoeffer hat in einem Vortrag im Jahr 1928 gesagt: „Ob Christus in unseren Tagen noch an einer Stelle stehen kann, an der die Entscheidungen über das Tiefste, das wir kennen … fallen, das ist die Frage … Die Religion spielt für die Psyche des 19. und 20. Jahrhunderts die Rolle des sogenannten guten Zimmers, in das man sich gern auf ein paar Stunden zurückzieht, um dann aber wieder gleich darauf in seine Arbeitsstube zu treten. Eins aber ist klar, dass wir Christus nur verstehen, wenn wir uns zu ihm in einem schroffen Entweder-Oder entscheiden. Zur Verzierung und Verschönerung unseres Lebens ist er nicht ans Kreuz gegangen.“

Nichts geht über die Familie!?„Ich bin gekommen, zu entzweien einen Menschen mit seinem Vater…“
Hallo? Geht’s noch? Wegen Gott soll ich die Beziehungen zu den Menschen abbrechen, die mir viel bedeuten? Ist das nicht zu viel verlangt?
Für Jesus, den jüdischen Lehrer, hat das Elterngebot einen hohen Rang. Die alten Eltern zu ehren und für sie da zu sein, ist Verpflichtung. Zugleich lebt Jesus aus der Erwartung des Gottesreiches. Petrus hat er zugemutet, seine Frau, seine Schwiegermutter und vermutlich seine Kinder zu verlassen. Den Söhnen des Zebedäus hat er zugemutet, den Vater allein mit dem Fischereibetrieb zurückzulassen.
„Ich bin gekommen, zu entzweien die Tochter mit ihrer Mutter…“ Für viele ist dieses Wort ein Stolperstein, auch für mich. Ich bin ein Familienmensch. Ich habe es gern, wenn in der Familie Eintracht und Friede herrscht. Ja klar, Konflikte gehören zum Leben, Probleme müssen angesprochen werden und notwendige Fragen sind zu stellen. Das ist alles o.k. und gehört zum kleinen Einmaleins der Familienpsychologie. Doch schließlich ist man wieder gut miteinander und oft kommt man dann sogar noch besser miteinander aus als vorher.
„Ich bin gekommen, zu entzweien …“ Von diesem Wort Jesu trennen uns 2000 Jahre. Wir leben in einer anderen Zeit. Und dennoch: Auch bei uns kann es sein, dass Gottes Anruf so mächtig im Raum steht, dass väterliche und mütterliche Wünsche und Ansprüche dahinter zurücktreten müssen.
Das Sich-Einfügen in Familienstrukturen kann nicht das Letzte und Allerhöchste sein. Martin Luther ist als Student auf einem Weg über Land in ein starkes Gewitter geraten. Bei dem kleinen Ort Stotternheim in der Nähe von Erfurt schlug der Blitz neben ihm ein. In seiner Todesangst und der Angst vor dem ewigen Verderben rief er: „Hilf, heilige Anna, ich will ein Mönch werden!“ – Dieses Versprechen war ihm ernst. Er hat sich nicht mehr davon abbringen lassen. Sein Vater hatte anderes mit ihm vorgehabt: Eine glänzende Karriere als Jurist sollte sein Sohn einschlagen. Nein, seinem Vater Hans hat die Entscheidung seines Sohnes ganz und gar nicht gefallen. Er hatte viel Geld in dessen Studium investiert. Und jetzt will der Junge Bettelmönch werden? Deshalb hat er seinen Martin doch nicht studieren lassen!
Martin Luther hat den Wunsch seines Vaters gehört. Aber er hat den Wunsch nicht erfüllt. Der Gehorsam gegenüber Gott war ihm wichtiger. Das Wort Jesu hatte er sicherlich im Ohr: „Wer Vater oder Mutter mehr liebt als mich, der passt nicht zu mir.“

Das Kreuz tragenZu Jesus gehören, zu Jesus ‚passen‘, heißt: bereit sein, mit dem eigenen Leben für diese Zugehörigkeit einzustehen. „Sein Kreuz tragen“, das meint nicht, ein schweres Schicksal ertragen zu müssen. Es bedeutet auch nicht, den Leidensweg Jesu nachzuahmen. Menschen, die sich selbst kasteien, um so Jesus ähnlicher zu werden, die hatte unser Herr nicht im Blick.
Jesus wusste: Der Weg geht nach Jerusalem, ins Leiden. In unserem gesellschaftlichen Umfeld bedeutet Kreuzesnachfolge nicht den Weg in den Tod. Dennoch: Wer Jesus nachfolgt, der wird auch heute noch sein eigenes Kreuz auf sich nehmen. Christsein gibt es nicht zum Nulltarif. Ich habe die Konsequenzen zu tragen, die sich für mein Leben in der Nachfolge ergeben.
Ein 16-jähriger Schüler in der ehemaligen DDR hatte auf seinen Moped-Helm die Worte geschrieben: „Jesus lebt!“ Diesen Helm hing er provokativ an die Garderobe auf dem Flur seiner Schule. Bald musste er zum Rektor kommen: „Das meinst du doch nicht ernst. Du meinst sicher, Jesus lebt in deinen Gedanken, aber doch nicht wirklich.“ Der junge Christ ließ sich nicht von seiner Überzeugung abbringen, auch nicht vom Rektor. Dass er seinen Traum – Medizin zu studieren – nicht mehr erreichen würde, damit hatte er sich zu jener Zeit bereits abgefunden. „Das Kreuz auf sich nehmen“, das hat für ihn bedeutet: auf gesellschaftliche Vorteile verzichten, um der Treue zu Jesu willen.

Das Leben findenJesus macht denen, die ihm nachfolgen, eine Verheißung: „Wer sein Leben verliert um meinetwillen, der wird’s finden.“ Geheimnis des Glaubens: im Tod ist das Leben. Im Zerbrechen ist Heilung. Unser Leben machen wir nicht selber heil und ganz. Wir schaffen es nicht selber, das so genannte „gelingende Leben“. Aber in allen Brüchen, in allem Verlieren und Loslassen-Müssen vertrauen wir auf den, der Leben heil machen kann - jetzt und allezeit.
Amen.

Anmerkung: Das Zitat von Bonhoeffer ist entnommen aus: Dietrich Bonhoeffer, Gesammelte Schriften V, München 1972, S. 134f.

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