22. Sonntag nach Trinitatis (28. Oktober 2018)

Autorin / Autor:
Pfarrer i.R. Dr. Gerhard Schäberle-Koenigs, Bad Teinach-Zavelstein [gerhard.schaeberle-koenigs@web.de]

Römer 7, 14-25; 8, 2

Liebe Gemeinde,
dem Paulus ist in diesem Abschnitt ein Satz gelungen, der Flügel bekommen hat. Ja, ein geflügeltes Wort: „Wollen habe ich wohl, aber das Gute vollbringen kann ich nicht.“ Manchmal klingt es wie eine Entschuldigung: ‚Tut mir leid, aber es war mir nicht möglich, das zu tun, was ich dir versprochen habe. Es kam so viel dazwischen.‘
Paulus geht der Sache auf den Grund. Wie kommt es, dass wir – obwohl wir wissen, was zu tun wäre – es doch nicht tun? Nämlich, das, was gut wäre. Er fragt sich, was die Wurzel des Übels ist. Er tut es in der Ich-Form. Das bedeutet in diesem Fall: Es betrifft alle Menschen, diese merkwürdige Kluft zwischen dem Wissen, was gut ist, und es dann doch nicht tun.

KatharinaIch will Ihnen ein wenig von Katharina erzählen.
Katharina ist eine rechtschaffene Frau. Eine treue Kirchgängerin. Eine tüchtige Mutter. Nächstenliebe ist ihr ein besonderes Anliegen. Sie hat die praktische Nächstenliebe zu ihrem Beruf gemacht. Sie geht zu Familien, in denen die Mutter krank ist. Sie kocht, macht die Wäsche, putzt. Sie achtet darauf, dass die Kinder ihre Hausaufgaben machen. Sie sorgt dafür, dass sie was Anständiges zum Anziehen haben. Familienhelferin ist sie. Und das macht sie mit Hingabe. Weit über das hinaus, was sie bezahlt bekommt.
In ihrem persönlichen Leben hat sie ein Problem. Ihre Schwester. Wenn die Sprache auf sie kommt, dann wird Katharina gehässig. Richtig wüst, muss man sagen. Sie lässt kein gutes Haar an ihr. Alles, was die tut und sagt und denkt, macht sie nieder. Nie erzählt sie was Gutes von ihr. Immer nur die schlechten Sachen – oder das, was Katharina für schlecht hält am Leben ihrer Schwester. Was sie jetzt wieder für eine verrückte Idee hat. Was sie damals, vor Jahren, Dummes gesagt hat. Und dass es mit ihr mal böse enden wird.
Und wenn sie dann fertig ist mit ihrer Schimpf- und Hassrede, dann schaut sie in die Runde und sagt: Ich weiß, ich bin wüst. Eigentlich sollte man so nicht über Andere herziehen. Aber ich kann nicht anders.

Der Mensch: Von Natur aus böse?Warum kann sie nicht anders? Warum passiert es so vielen Menschen, dass sie etwas tun, von dem sie sofort wissen oder in ihrem Innersten fühlen: Es ist nicht recht?
Ist es unsere Natur, dass wir aggressiv sein müssen? Oder sind wir gesteuert von Gier und Habsucht? Erliegen wir den Verlockungen der Bequemlichkeit und nehmen und gebrauchen alles, was der Markt dafür anbietet? Auch dann, wenn wir wissen, dass wir damit Schaden anrichten an Menschen, die wir nicht kennen, an Tieren und Pflanzen, an der ganzen Schöpfung? Und manche Menschen sind in ihrer Seele tief verletzt durch Böses, was sie in ihrer Kindheit erleben mussten. Immer wieder geschieht es, dass sie nichts Anderes als Böses tun können, obwohl sie es abgrundtief verabscheuen. Sie haben es ja am eigenen Leib erlebt.
Trotz besserem Wissen und Einsicht tun Menschen Böses. Das lässt sich nicht auf einen einzigen Grund zurückführen. Da kommt viel Unterschiedliches zusammen.

Es ist dir gesagt, was gut istPaulus redet etwas rätselhaft vom „Gesetz der Sünde, das in meinen Gliedern ist“. Und dieses „Gesetz“ widerstreitet konsequent dem Gesetz, das er als Gottes gute Weisung gelernt hat. All die Gebote, die Gott dem Mose offenbart hat, sind in ihm, in seinem Herzen und in seinem Verstand. Er kennt sie alle. Er weiß, was er tun soll, wie er sich seinen Mitmenschen gegenüber verhalten soll. Und er weiß auch, was er nicht tun soll.
Katharina kennt sie auch. Zumindest die 10 Gebote. Und sie weiß auch, dass es nicht recht ist, wie sie immer wieder über ihre Schwester herzieht. Und wenn man sie fragen würde, dann könnte sie auch noch auswendig sagen, was Martin Luther zum 8. Gebot erläutert hat: „Wir sollen Gott fürchten und lieben, dass wir unseren Nächsten nicht belügen, verraten, verleumden oder seinen Ruf verderben, sondern sollen ihn entschuldigen, Gutes von ihm reden und alles zum besten kehren.“
So praktisch formuliert wird es noch deutlicher und drängender, in welchem Zwiespalt Menschen leben. Denn „Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist und was der HERR von dir fordert“, nämlich Gottes Wort halten und Liebe üben und demütig sein vor deinem Gott.

Gottes Gebote sind gutPaulus hat kein Patentrezept, um aus dem „Gesetz der Sünde“ herauszukommen. Er schreibt keine Ratgeber für ein anständiges Leben. Er weiß, Gottes Gebote sind gut. Und er sieht an sich und Anderen, dass immer wieder bei allem guten Willen doch das Gegenteil herauskommt.
Doch er kann, rückblickend auch auf sein eigenes Leben, Danke sagen. „Dank sei Gott durch Jesus Christus, unseren Herrn.“ Jesus Christus hat sich ihm bekanntgemacht. Ihm, der gerade mal wieder dabei war, andere Menschen in Not und Angst zu bringen. Da hat Jesus sich ihm in den Weg gestellt.
Seither hat er eine Antwort auf seine verzweifelte Frage: „Ich elender Mensch! Wer wird mich erlösen von diesem todverfallenen Leib?“
Wir alle leben mit je unserer Geschichte. Sie ist uns eingeschrieben in unseren Körper und in unsere Seele. Sie lässt uns Dinge tun, die wir eigentlich nicht wollen.
Wir alle leben auch in unserer Zeit. Wir genießen die Segnungen des technischen Fortschritts. Und sollen folgerichtig auch zusehen, wie wieder ein großes Stück Wald abgeholzt wird, damit wir weiter die Annehmlichkeiten des Fortschrittes genießen können, für die immer noch mehr Strom nötig sei.
Wir alle haben auch unsere Grenzen. Manchmal sind wir überfordert, weil alles zu viel wird, was uns aufgeladen wird oder was wir uns selbst aufladen. Und dann kann es dazu kommen, dass wir Sachen machen oder Worte sagen, die besser unterblieben wären.

Durch Christus befreit von der Sklaverei der SündeWie gut wäre es, wenn wir jemanden hätten, der sich uns im rechten Moment in den Weg stellt! Und der sagt: Du kannst ganz ruhig sein. Du bist nicht auf Teufel komm raus gezwungen, diese Dummheit zu begehen. Du bist nicht gezwungen, so wüst zu sein zu deinen Nächsten. Du bist auch nicht gezwungen, allem nachzurennen, was verspricht, dir das Leben leichter zu machen.
Warum sind wir nicht gezwungen? Weil Ungeheuerliches passiert ist. Und darauf läuft das ganze Nachdenken des Paulus über die Sünde und das Böse hinaus. Jesus Christus hat mit seinem Leben und Leiden die Sklaventreiber in uns und um uns, die uns immer wieder auf törichte und böse Wege zwingen, bloßgestellt und der Lächerlichkeit preisgegeben. Nachdem Paulus das begriffen hatte, konnte er auf wunderbare Weise seine – neue – Überzeugung in Worte fassen: „Ich bin gewiss, dass nichts uns scheiden kann von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserem Herrn.“
Ob das mal jemand Katharina sagen könnte? So sagen, dass sie merkt: Es ist gar nicht nötig, dass ich meinen alten Groll gegen meine Schwester immer wieder neu aufwärme. Es hilft mir nicht und ihr auch nicht. Ich bin schon gut angesehen – bei den Menschen, denen ich helfe und bei Gott. Mehr geht nicht. Mehr brauche ich gar nicht. Gott sei Dank.
Amen.

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