3. Advent (16. Dezember 2018)

Autorin / Autor:
Pfarrer Dr. Wolfgang Schöllkopf, Ulm [Wolfgang.Schoellkopf@elkw.de]

Römer 15, 4-13

Vorbemerkungen:
Zum Kasus: Der 3. Advent hat mit dem Bußruf Johannes des Täufers die innere Vorbereitung auf das Kommen Gottes zum Thema (siehe Wochenspruch aus Jesaja 40). Diese „frohe Erwartung“ kann an der Erwartung eines Kindes konkretisiert werden, besonders, wenn im Gottesdienst die Heilige Taufe gefeiert wird.
Zur Predigt-Form: Dies ist eine Lese-Predigt, die ihre Gedanken stark konzentriert und beim freien Vortrag mit eingefügten Konkretionen ihre erzählende Lebendigkeit gewinnt.

Liebe Gemeinde!
Ein junges Paar erwartet ein Kind – und ihr ganzes Leben verändert sich! In „froher Erwartung“ – so sagte man früher sinnreich – wird dem neuen Erdenbürger Platz gemacht in Herz und Haus. Sein kommender Einzug stellt vieles auf den Kopf, bringt Bewegung ins Leben, verändert manche bisherigen Gewohnheiten. Zimmer einrichten, Babyausstattung anschaffen, das alles geschieht in großer Vorfreude: neues Leben zieht bei uns ein, neues Leben als Zeichen unserer Liebe! Diese Stimmung lässt das junge Paar auch manche Aufregungen und Turbulenzen aushalten. Ihre Vorfreude auf das Kind steckt andere aus Familie und Freundeskreis an, die sich mit ihnen freuen. Kaum eine Freude ist größer als diese!

„In froher Erwartung“ ist auch die christliche Gemeinde in Rom, an die die Worte des Apostels Paulus gerichtet sind. „In froher Erwartung“ sind auch wir im Advent, in dem wir uns auf die Ankunft eines Kindes freuen. An Weihnachten feiern wir die Geburt Jesu. Die vielen Vorbereitungen auf das Fest haben vielleicht manche schon müde gemacht. Und doch steckt eigentlich die tiefe Sehnsucht nach dem darin, was Paulus beschreibt: Angenommen-Sein, Zusammen-Gehören, Hoffnungsvoll-Leben – das wünschen wir uns. Die Gemeinde zu Rom war keine „heilige Familie“ und wir sind es auch nicht; zu groß die unterschiedlichen Einstellungen zum Leben und auch zum Glauben. Was hält uns zusammen? Die frohe Erwartung! Hören wir genauer hin:


1. Gott ist es, der gibt und erfüllt

Die Worte aus dem Römerbrief sind kunstvoll komponiert. Es tut gut, mitten in der Flut von Wörtern unserer Tage so ein edles Wort zu hören. Seine Schönheit steht für das, was es inhaltlich bezeugt: die Majestät des kommenden Gottes. Vielleicht aber stehen uns beim Hören die „dicken“ Hauptwörter „Geduld, Trost, Freude, Frieden, Hoffnung“ eher im Wege. Sind sie nicht als Teil unserer Kirchen-Sprache schon zu oft gebraucht und dabei abgenutzt worden? Da gilt es in der deutschen Sprache auf die Tun-Wörter zu achten, die das beschreiben, was mit den großen Haupt-Wörtern geschieht. Und da gilt das erste und das letzte Tun-Wort unseres Abschnitts Gott selbst: Gott gibt, so heißt es am Anfang, und Gott erfüllt, so steht es am Schluss. Wie gut, dass Gott das erste und das letzte Tun-Wort hat! Er wirkt, lange bevor wir etwas „tun“. Gott ist am Werk, sagten die Alten, längst bevor wir werkeln, um uns bei ihm oder vor einander beliebt zu machen. Das ist der Grund für das, was die großen Worte hier beschreiben: Freude und Hoffnung, die bei uns wirken, weil Gott selbst wirkt. So leben wir „in froher Erwartung“!
Dieses Wirken Gottes hat hier ein Ziel:

2. Christus nimmt uns an und vereint uns im Lob

„Dass ihr einträchtig gesinnt seid“, ist das nicht eine Illusion, dazu noch eine fromme, die den Druck erzeugt, als müssten wir alle in allem einig sein? Richtet ein falsches Harmoniebedürfnis gerade zum bevorstehenden Weihnachtsfest nicht schon zu viel Schaden an, als müssten wir da einen auf „heilige Familie“ machen? Aber auch hier geht Paulus dem auf den Grund: „Nehmt einander an, wie Christus euch angenommen hat, zu Gottes Lob.“ So, wie das erste Tun-Wort immer Gott gilt, so ist auch hier Christus längst wirksam: In ihm sind wir eins und können uns so in unserer Verschiedenheit annehmen. Je näher wir an Christus sind, desto besser vermögen wir einander anzunehmen, die Alten und die Jungen, die Fremden und die Freunde. Deshalb heißt es zum Christfest für Kirche und uns als Glaubende: Näher zu Christus! Und das am besten im Loben! Da ist die Mitte, da werden wir eins, indem wir zusammen loben, dass Gott uns in Christus abgenommen hat. So leben wir „in froher Erwartung“, dass das auch unser Miteinander trägt.

3. Gott überwindet Grenzen

Auf den ersten Blick mag das Stichwort „Grenzen“ verwundern, denn davon ist in diesem wundervollen und geradezu überschwänglichen Briefabschnitt nicht die Rede. Und wie wohltuend ist das, wenn einmal nicht nur Probleme gewälzt werden und Fehlendes eingeklagt und überhaupt vor allem geklagt wird! Aber die hier gelobte Einigkeit ist keineswegs harmlos. Und vor allem: Diese Einigkeit wirkt sich ganz konkret im Alltag aus. Paulus kommt auf einen Punkt zu sprechen, der schon damals das Miteinander schwer gemacht hat. Und auch heute noch tun manche sich schwer damit. Es geht um das Miteinander von Christen und Juden. Da erinnert Paulus: Das Evangelium kommt mit seiner einigenden Kraft von den Juden zu den Heiden. Die einen: das Volk der Verheißungen und des Bundes Gottes, zu Hause in seinem Wort, geprägt von den heiligen Riten – und die anderen: ohne diese religiöse Tradition aufgewachsen, geprägt von freiem Denken – kennen wir das nicht auch? Es kommt zu gegenseitigen Vorwürfen. Beide Gruppen meinen, allein die Wahrheit zu haben. Aber Gott überwindet alle menschlichen Grenzen, bis alle „einmütig“ sind – mit einem Munde, aus dem Lob erklingt! Diese Ausbreitung des Evangeliums als Lebenskraft über die ganze Welt belegt der Apostel mit drei Stellen aus der hebräischen Bibel, die den Skeptikern bedeuten: Ja, die ganz anderen gehören auch dazu! Die guten Worte vereinen die, die sich auf sie verlassen, im Lob. Und Gottes Mut, in seinem Wort und seinem Kommen alle Grenzen zu überwinden, steckt auch uns an, Grenzen zu überwinden, statt neue Zäune zu bauen. Von Toleranz ist heute viel die Rede, oft aber zu harmlos. Wer Toleranz sagt, meint oft: Ist mir doch egal, was die anderen denken und tun. Aber eigentlich heißt Toleranz, was uns fremd ist, was ganz anders ist als wir, mit zu tragen. Kraft braucht es dazu und Mut. Aber wir sind „in froher Erwartung“ und schöpfen aus Gottes Fülle: „Der Gott der Hoffnung aber erfülle euch mit aller Freude und Frieden im Glauben, dass ihr immer reicher werdet an Hoffnung durch die Kraft des Heiligen Geistes!“ Wir wollen ihn bitten, dass er bei uns damit anfängt.
Amen.


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