3. Advent (17. Dezember 2023)

Autorin / Autor:
Prälatin Gabriele Wulz, Ulm [praelatur.ulm@elk-wue.de]

Matthäus 11, 2-10

IntentionDer 3. Advent ist Johannes dem Täufer gewidmet. Der kantige, schroffe Rufer in der Wüste und seine Frage bringen in hermetisch abgeschlossene Verhältnisse messianischen Geist!

Der dritte AdventWer in und mit dem Kirchenjahr lebt, liebe Gemeinde, ist in mehreren Welten zuhause.
Das macht das Leben reicher und schöner. Auf jeden Fall intensiver. Aber auch anstrengender.
Wenn ich meine Ruhe haben möchte und am liebsten alles ausblenden würde, was um mich herum ist, dann brennen drei Kerzen am Adventskranz und erinnern mich an den Rufer in der Wüste. An den Propheten, der kompromisslos sein Leben riskiert. Der Herodes die Wahrheit ins Gesicht schleudert und der dafür mit dem Leben bezahlt.
Der 3. Advent gehört Johannes dem Täufer. Er ist der Vorläufer Jesu, so zeichnen ihn die Evangelien. Und es gibt im Neuen Testament genügend Spuren, die auf eine enge Beziehung, aber auch auf die Konkurrenz zwischen den beiden hinweisen.
Verbunden fühlt sich Johannes Jesus in der Sehnsucht nach Gottes Reich und Gottes Welt.
Davon erzählt der Predigttext für den 3. Advent. Ich lese aus dem 11. Kapitel des Matthäusevangeliums die Verse 2 bis 10:

„Da aber Johannes im Gefängnis von den Werken Christi hörte, sandte er seine Jünger und ließ ihn fragen: Bist du, der da kommen soll, oder sollen wir auf einen andern warten? Jesus antwortete und sprach zu ihnen: Geht hin und sagt Johannes wieder, was ihr hört und seht: Blinde sehen und Lahme gehen, Aussätzige werden rein und Taube hören, Tote stehen auf und Armen wird das Evangelium gepredigt; und selig ist, wer sich nicht an mir ärgert.
Als sie fortgingen, fing Jesus an, zum dem Volk über Johannes zu reden: Was zu sehen seid ihr hinausgegangen in die Wüste? Ein Schilfrohr, das vom Wind bewegt wird? Oder was zu sehen, seid ihr hinausgegangen? Einen Menschen in weichen Kleidern? Siehe, die weiche Kleider tragen, sind in den Häusern der Könige. Oder was zu sehen seid hinausgegangen? Einen Propheten? Ja, ich sage euch: Er ist mehr als ein Prophet. Dieser ist's, von dem geschrieben steht: ‚Siehe, ich sende meinen Boten vor der her, der deinen Weg vor dir bereiten soll.‘“

Die FrageBist du, der da kommen soll, oder sollen wir auf einen anderen warten?
Diese Frage treibt den Täufer im Gefängnis um.
Ist Jesus der von ihm angekündigte Retter und Messias oder nur einer von den vielen, die damals die Menschen mit ihren Heils- und Unheilankündigungen verrückt gemacht haben.
Bist du, der da kommen soll?
Das ist auch die Frage, ob Jesus der ist, der diese mit Riegeln und Schlössern versehene Welt aufsprengen kann. Der vielleicht sogar ihn, Johannes, retten kann.
Der Täufer fragt. Die Antwort, die er bekommt, geht zurück an die Boten. Entscheidet selbst. Geht hin, sagt Jesus, und sagt Johannes, was ihr hört und seht.

Hören und sehenHören und sehen.
Sich selbst ein Urteil bilden. Selbst die Antwort finden. Jesus macht es den Seinen nicht leicht. Sie müssen entscheiden. Sie fällen das Urteil. Auf sie kommt es an.
Entscheidend ist dabei zuerst das Hören.
Für die Jünger des Johannes, aber auch für die Jesusjünger war klar: Auf die Schrift ist zu hören. Auf die Verheißungen der Propheten. Auf alles, was unseren Horizont und unser Leben so heilsam übersteigt.
Auf alles, was aus uns hoffnungslosen und erwartungslosen Fällen zu wirklichen Menschen macht.
Beim Propheten Jesaja finden wir's, wenn wir es nachlesen wollen: Blinde sehen. Lahme gehen. Aussätzige werden rein. Taube hören. Tote stehen auf und Armen wird das Evangelium gepredigt.
Das geschieht. Hier und jetzt, sagt Jesus den Fragestellern. Im Mangel, in der Leere, in der öden Wirklichkeit, im beschädigten Leben strahlt der Reichtum Gottes, die Fülle seiner Herrlichkeit auf.
Deshalb sollen auch wir uns nicht mit dem Elend arrangieren und abfinden. Sondern sollen hören und wahrnehmen, dass Gott mit uns anderes im Sinn hat. Dass er Gutes im Sinn hat. Dass er unsere Rettung im Sinn hat.
Das ist nun tatsächlich auch zu sehen!
Das, was verheißen ist, geschieht. Mit eigenen Augen können die Johannesjünger sehen, was geschieht, wenn Jesus ins Spiel kommt. Die Wahrnehmung geschärft durch das Wort der Schrift, können sie begreifen, was von Jesus zu halten ist.
Was in der Bibel als zukünftige Welt erwartet wird, ist ein gutes Stück näher gerückt, wenn sie, wenn wir den Worten Jesu trauen. Ja, sogar ganz nah an unsere geschundene und geplagte Welt herangekommen. Die neue Welt ist zum Greifen nah!
Wie mag das in den Ohren eines Menschen klingen, der gefangen liegt?
Und: Wie klingt das in unseren Ohren, die wir heute die dritte Kerze am Adventskranz angezündet haben?

Messianisches Leben – oder: die Utopie zum Greifen nahJesus, liebe Gemeinde, lebt ein Leben in Liebe mit den Menschen und für die Menschen. Und was damit in Bewegung kommt, sprengt jede Erwartung, jede Vorstellung.
Jesus hält ein Leben in Liebe für menschenmöglich – für durch Gott möglich, aber eben auch für menschenmöglich. Er hält ein Leben ohne Hass für möglich. Ein Leben, in dem Krankheit überwunden werden kann. Ein Leben, in dem der Tod nicht mehr als letzter Feind des Menschen wirksam ist.
Jesus lässt uns die Worte der Schrift neu hören – und erinnert uns an eine Welt, in der es anders ist und in der es anders kommt.

Johannes der Täufer und seine FrageJohannes der Täufer, liebe Gemeinde, ist kein Rohr im Wind.
Er ist keiner, der sich auf Kompromisse einlässt. Weiche Kleider sucht man an ihm vergeblich. Er schmeichelt nicht und sagt nicht, was die Leute hören wollen.
Er wartet. Ja. Aber er ist nicht vorschnell im Urteil.
Johannes der Täufer steht auf der Schwelle – und wird darin von Jesus gewürdigt.
Johannes wartet. Und hofft. Er lebt und er stirbt für diese Hoffnung. Und er fragt.
Ob er je ein Christusbekenntnis gesprochen hat, wissen wir nicht. Das ist nicht überliefert.
Es kann sein, dass ihn die Nachrichten seiner Jünger im Gefängnis überzeugt und überwältigt haben. Aber davon erzählen die Evangelien nichts.

Nur Jesus kommt noch einmal zu Wort.
Er sagt: Johannes ist der Bote. Der Verheißene. Er ist der Engel, den der Prophet Maleachi angekündigt hat, der vor Gott hergeht, um den Weg zu bereiten.

Liebe Gemeinde, die Frage des Johannes des Täufers ist eine kritische Frage. Sie prüft. Sie will wissen. Und es beeindruckt mich, dass Jesus nicht sagt: Ich bin's, und das war's.
Und nur weil Jesus das nicht sagt, geht die Geschichte weiter.
Nur deshalb hört die Geschichte nicht auf. Und nur deshalb bleibt die Frage in der Welt.
Sie wartet auf Antwort.
Auch auf unsere Antwort.
Wir sollen hören. Wir sollen sehen.
Und wenn wir von der Frage zum Bekenntnis kommen, vom Zweifel zur Gewissheit gelangen: Ja, du bist der Christus, der verheißene Messias. Wir müssen auf keinen anderen warten. Dann, ja dann wird es hell und licht.
Denn dann spüren wir, wie sich die Hoffnung in unserem Herz einwurzelt. Und mit der Hoffnung auch die Gewissheit.
Und mit der Gewissheit auch die Geduld, die Durststrecken übersteht und Wüstenzeiten überdauert.

So warten wir. Miteinander. Geduldig in der Hoffnung, dass Gott die Frage des Täufers so beantworten wird, dass es alle hören und alle sehen. Und dass dann auch endlich alle unsere Antworten überflüssig sind.
Denn dann werden wir sein wie Träumenden und unsere Zunge wird voll Lachens sein. Denn dann werden Blinde sehen und Lahme gehen. Dann werden Taube hören und Tote auferstehen. Dann werden Aussätzige rein und Armen wird das Evangelium verkündigt. Auch davon erzählt die 3. Kerze am Adventskranz. Amen

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