3. Sonntag nach Epiphanias (23. Januar 2022)

Autorin / Autor:
Pfarrer i.R. Günter Knoll, Herrenberg [pfarrer-knoll@t-online.de ]

Matthäus 8, 5-13

IntentionDie Predigt möchte das Vertrauen zu Jesus stärken, der als Heiland nicht nur die Vollmacht des göttlichen Wortes, sondern auch die Vollmacht des göttlichen Heilens hat. Seine Sendung gilt der ganzen Welt über die Grenzen des Gottesvolkes Israel hinaus. In der Geschichte vom Hauptmann von Kapernaum erstrahlt diese Erkenntnis besonders anschaulich, besonders anrührend und besonders hell.

Liebe Gemeinde!
Kennen Sie dieses Gebet, in dem Jesus so angesprochen wird:
„Jesus Christus,
Du bist der Heiland,
Du bist mein Heiland,
Du bist der Heiland der Welt“?

Ich habe es schon manchmal gesprochen in der gottesdienstlichen Liturgie ebenso wie im persönlichen Gebet, und jedes Mal hat mich das ein wenig außer Gebrauch gekommene Wort „Heiland“ sehr berührt. Es entfaltet seine Wirkung nicht zuletzt wegen seiner dreifachen Wiederholung.
Heiland – da schwingt so vieles mit: die Innigkeit der Beziehung zu Jesus, das Vertrauen und die Hoffnung, die man ihm entgegenbringt; besonders aber ist es die Heilkraft, die man Jesus zuschreibt, wenn man ihn als Heiland anspricht. Jesus heilt, er hat die Vollmacht, Kranke gesund zu machen, Blinde sehend, Stumme sprechend, Besessene frei von der Fessel ihrer Wahnvorstellungen. So überliefern es uns jedenfalls die Evangelisten der Bibel, und wir haben keinen Grund, daran zu zweifeln. Die Faszination Jesu ging nicht nur von seiner Verkündigung aus, sondern offensichtlich ebenso – wenn nicht noch mehr – von seiner Kraft zu heilen.
Unser heutiger Predigttext erzählt uns die Geschichte von einem Heilungswunder Jesu ganz zu Beginn seiner Wirksamkeit, und zwar in seiner Heimatprovinz Galiläa in der Stadt Kapernaum am See Genezareth. Wir kennen diese Geschichte unter der Überschrift „Der Hauptmann von Kapernaum“. Ich lese sie in der Übersetzung der Lutherbibel von 2017:

„Als aber Jesus nach Kapernaum hineinging, trat ein Hauptmann zu ihm; der bat ihn und sprach: Herr, mein Kind liegt zu Hause und ist gelähmt und leidet große Qualen. Jesus sprach zu ihm: Ich soll kommen und ihn gesund machen? Der Hauptmann antwortete und sprach: Herr, ich bin nicht wert, dass du unter mein Dach gehst, sondern sprich nur ein Wort, so wird mein Kind gesund. Denn auch ich bin ein Mensch, der seiner Obrigkeit untersteht, und habe Soldaten unter mir; und wenn ich zu einem sage: Geh hin!, so geht er; und zu einem andern: Komm her!, so kommt er; und zu meinem Knecht: Tu das!, so tut er’s. Als das Jesus hörte, wunderte er sich und sprach zu denen, die ihm nachfolgten: Wahrlich, ich sage euch: Solchen Glauben habe ich in Israel bei keinem gefunden! Aber ich sage euch: Viele werden kommen von Osten und von Westen und mit Abraham und Isaak und Jakob im Himmelreich zu Tisch sitzen; aber die Kinder des Reichs werden hinausgestoßen in die äußerste Finsternis; da wird sein Heulen und Zähneklappern. Und Jesus sprach zu dem Hauptmann: Geh hin; dir geschehe, wie du geglaubt hast. Und sein Kind wurde gesund zu derselben Stunde.“ (Matthäus 8, 5-13)

Jesus ist der Heiland – aber was für einer! Da tritt ihm – kurz nach seiner großen Bergpredigt, wo er seine Botschaft von der Nähe des Himmelreichs und was daraus folgt, entfaltet hat – ein römischer Hauptmann in den Weg. Kein jüdischer Mitgläubiger also, sondern ein Heide. Schon das ist eine Überraschung. Aber dann sein Anliegen. Er spricht es nicht einmal aus, sondern schildert nur seine große Not und die Verzweiflung darüber: Mein geliebtes Kind ist krank und leidet große Qualen. Diese Schilderung soll Jesu Mitleid wecken und sein Erbarmen. Bemerkenswert ist: Der Hauptmann spricht Jesus mit „Kyrie“ an, mit „Herr“ und wir dürfen in dieser Anrede schon das „Kyrie eleison“ mithören, den Bittruf um das Erbarmen Gottes. Aber Jesus geht auf diese Bitte keineswegs gleich ein, sondern weist sie zu-nächst von sich weg mit der irritierten Frage: „Ich soll kommen und ihn heilen?“ Bist Du Dir sicher, dass Du bei mir an der richtigen Adresse bist? Der Hauptmann lässt sich nicht beirren, im Gegenteil, er spricht es nur noch deutlicher aus, was ihn im Blick auf Jesus gewiss macht. Er gibt zu erkennen, dass seine Bitte um Erbarmen sich für einen Heiden wie ihn in keiner Weise schickt. Einem frommen Juden wie Jesus ist es gar nicht erlaubt, das Haus eines Heiden zu betreten, wenn er sich nicht verunreinigen will. Diese Gesetzesübertretung will der Hauptmann seinem Gegenüber keinesfalls zumuten; aber das ist aus seiner Sicht auch gar nicht nötig. Jesu Wort genügt. Wenn er nur spricht, so geschieht es. Jesus wirkt in der Kraft Gottes, da ist sich dieser „Ungläubige“ nach jüdischem Verständnis gewiss.

Jesus als der Herr hat Anteil am Erbarmen Gottes, ebenso wie er Anteil hat an dessen Kraft zu heilen. Der Hauptmann begründet diese Gewissheit mit einem kühnen Vergleich: So wie ich als militärischer Befehlshaber in einer irdischen Hierarchie stehe und meine Befehle ausgeführt werden, so stehst auch Du, Jesus, in einer himmlischen Hierarchie, und was du gebietest, geschieht.
Da ist Jesus überwältigt; er gibt seinen hinhaltenden Widerstand gegen das Begehren des Hauptmanns auf und kann sich nur wundern: Dieser „Ungläubige“ hat mehr Glauben als alle sogenannten „Gläubigen“ zusammen. Wo gibt es denn so was? Muss ich da womöglich meinen ganzen Sendungsauftrag revidieren?, fragt sich Jesus. Wo ich mich doch bislang zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel gesandt fühlte. Und jetzt erkennt mich einer von außerhalb in meiner wahren Bedeutung und Identität als Sohn Gottes, als seinen Heiland, ja als den Heiland der ganzen Welt, nicht nur der Juden, sondern auch der Heiden Heiland.
Da stürzt eine Welt ein, nämlich die Welt, die das Heilshandeln Gottes auf sein erwähltes Volk Israel beschränkt gesehen hat und sehen wollte. Der Hauptmann von Kapernaum bringt dieses Weltbild zum Einsturz, und Jesus selber lässt es sich zum Einsturz bringen. Der Glaube dieses demütigen Heiden-Menschen überwältigt ihn.

Ist da der Heilige Geist am Werk, der Dritte im Bunde der göttlichen Dreieinigkeit? Ja, so darf man es wohl sehen und kann sich dabei auf den Reformator Calvin berufen, der im Blick auf unsere Geschichte den Heiligen Geist am Werk gesehen hat, und zwar weniger im Vorgang der Fernheilung des kranken Kindes, mit der die Geschichte glücklich endet, sondern vielmehr in der Erleuchtung des Hauptmanns, der Jesus als Heiland erkennt, als seinen und seines Kindes Heiland und als Heiland der ganzen Welt. Ein Wunder ist das, das Wunder in dieser wunderbaren Heilungsgeschichte.
Lassen wir uns als Hörer dieser Geschichte ebenso erleuchten wie der Hauptmann damals? Setzen wir unser Vertrauen – wie er – ganz auf diesen Jesus von Nazareth. Er ist ja nicht tot, sondern er lebt und wartet gleichsam auf unser „Kyrie eleison, Herr, erbarme dich“. Bringen wir ihm unsere Nöte, klagen wir ihm, dass wir uns sorgen um unsere kranken Partner und Kinder, dass wir so allein sind und Gemeinschaft suchen! Klopfen wir unbeirrt bei ihm an, wenn uns alles über den Kopf wächst und wir unsere persönliche Zukunft nur noch in düsteren Farben sehen! Er hilft doch so gern, wir müssen ihn nur bitten. Machen wir uns auf den Weg zu Jesus – und gehen die richtigen Schritte. Gott kommt uns entgegen!

Bleibt noch das Prophetenwort Jesu, das er im Zusammenhang seiner Selbsterkenntnis über seinen Sendungsauftrag an diejenigen richtet, die ihm nachfolgen: Das Reich Gottes, dessen Nähe ich verkündige, ist universal, es umfasst die ganze Welt. Dort, wo die Erzväter Israels Abraham, Isaak und Jakob nach Gottes Verheißung einst zu Tisch sitzen werden, im Himmelreich, dorthin werden Menschen aus allen Himmelsrichtungen kommen, um am großen Abendmahl teilzunehmen. Täuscht euch nicht und vor allem: Seid nicht borniert! Man kann sich da auf keine Privilegien der Herkunft oder sonstiger Zugehörigkeiten berufen. Das Himmelreich ist allen verheißen, allen, die in ihrer Not mit der Bitte um Erbarmen zu Gott kommen. Für sie alle ist Christus der Heiland. Wer das nicht wahrhaben möchte, dem ist das Himmelreich verschlossen.
Aber – noch ist ja Zeit zur Umkehr. Alle Prophetenworte sind nämlich keine Beschreibungen eines Endzustands, sondern Buß-Rufe, Rufe zur Umkehr. Hat nicht Jesus von Anfang an sein Evangelium vom Gottesreich mit dem Buß-Ruf begonnen: „Tut Buße, denn das Himmelreich ist nahe herbeigekommen.“ (Matthäus 4,17)? Er will das Himmelreich aufschließen und nicht zu-schließen. Und seinen Nachfolgern gibt er denselben Auftrag: Schließt das Himmelreich auf in meinem Auftrag und mit meinem Evangelium. Macht deutlich, dass das eine große Chance ist. Ruft zur Umkehr, es könnte einmal zu spät sein.

„Jesus Christus,
Du bist der Heiland,
Du bist mein Heiland,
Du bist der Heiland der Welt.“
Amen.

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