3. Sonntag nach Epiphanias (21. Januar 2024)

Autorin / Autor:
Prälatin Gabriele Wulz, Ulm [praelatur.ulm@elk-wue.de]

2. Könige 5, 1-19a

IntentionIn dieser spannenden, höchst komplex und mit einer gehörigen Portion Ironie erzählten Geschichte ist die Frage nach Macht und Ohnmacht, Heil und Heilung aufs engste ineinander verwoben. Es lohnt sich, den handelnden Personen nachzugehen und sich dabei die Frage zu stellen, auf welche Stimme ich hören will und wem ich Macht über mein Leben gebe.
Das Große bleibt groß nicht, und klein nicht das Kleine…

Rolle und MachtDas Leben an sich ist ja schon nicht leicht. Aber richtig schwierig wird es, wenn Menschen dazu gebracht werden sollen, etwas zu tun, was sie eigentlich nicht tun wollen. Aus welchen Gründen auch immer.
Macht ist ja bekanntlich das Vermögen, einen anderen zu etwas zu bringen, was der freiwillig nicht machen würde.
Zu jeder Form von Machtausübung gehören deshalb Reibereien, Machtproben, Revolten und alle möglichen Spielarten des Austestens von Grenzen.
Was aber geschieht, wenn die vorgeschriebenen Dienst- und Befehlswege ausgehebelt werden? Im heutigen Predigttext wird davon erzählt, dass eben nicht das Chaos ausbricht, wie man befürchten könnte, sondern etwas ganz Neues, nie Dagewesenes „erscheint“. Gottes Herrlichkeit strahlt diesseits und jenseits des Jordans!
Was diese Episode so besonders anrührend macht, ist, dass alle ihre Rolle haben, diese auch spielen, aber irgendwann aus dieser Rolle aussteigen: Die großen Könige genauso wie die kleinen Leute. Zurecht erzählt man sich davon bis heute in allen Landen, im Osten, im Westen, im Norden und im Süden.
Ich lese aus dem 5. Kapitel des 2. Buches der Könige die Verse 1-19:

„Naaman, der Feldhauptmann des Königs von Aram, war ein trefflicher Mann vor seinem Herrn und wert gehalten; denn durch ihn gab der Herr den Aramäern Sieg. Und er war ein gewaltiger Mann, jedoch aussätzig. Aber die Kriegsleute der Aramäer waren ausgezogen und hatten ein junges Mädchen weggeführt aus dem Lande Israel; die war im Dienst der Frau des Naaman. Die sprach zu ihrer Herrin: Ach dass mein Herr wäre bei dem Propheten in Samaria! Der könnte ihn von seinem Aussatz befreien.
Da ging Naaman hinein zu seinem Herrn und sagte es ihm an und sprach: So und so hat das Mädchen aus dem Lande Israel geredet. Der König von Aram sprach: So zieh hin, ich will dem König von Israel einen Brief schreiben. Und er zog hin und nahm mit sich zehn Zentner Silber und sechstausend Schekel Gold und zehn Feierkleider und brachte den Brief dem König von Israel; der lautete: Wenn dieser Brief zu dir kommt, siehe, so wisse, ich habe meinen Knecht Naaman zu dir gesandt, damit du ihn vom Aussatz befreist. Und als der König von Israel den Brief las, zerriss er seine Kleider und sprach: Bin ich denn ein Gott, dass ich töten und lebendig machen könnte, dass er zu mir schickt, ich solle den Mann von seinem Aussatz befreien? Merkt und seht, wie er Streit mit mir sucht!
Als Elisa, der Mann Gottes, hörte, dass der König von Israel seine Kleider zerrissen hatte, sandte er zu ihm und ließ ihm sagen: Warum hast du deine Kleider zerrissen? Lass ihn zu mir kommen, damit er innewerde, dass ein Prophet in Israel ist. So kam Naaman mit Rossen und Wagen und hielt vor der Tür am Hause Elisas. Da sandte Elisa einen Boten zu ihm und ließ ihm sagen: Geh hin und wasche dich siebenmal im Jordan, so wird dir dein Fleisch wieder heil und du wirst rein werden.
Da wurde Naaman zornig und zog weg und sprach: Ich meinte, er selbst sollte zu mir herauskommen und hertreten und den Namen des Herrn, seines Gottes, anrufen und seine Hand über der Stelle bewegen und mich so von dem Aussatz befreien. Sind nicht die Flüsse von Damaskus, Abana und Parpar, besser als alle Wasser in Israel, sodass ich mich in ihnen waschen und wieder rein werden könnte? Und er wandte sich und zog weg im Zorn. Da machten sich seine Diener an ihn heran, redeten mit ihm und sprachen: Lieber Vater, wenn dir der Prophet etwas Großes geboten hätte, würdest du es nicht tun? Wie viel mehr, wenn er zu dir sagt: Wasche dich, so wirst du rein. Da stieg er ab und tauchte unter im Jordan siebenmal, wie der Mann Gottes geboten hatte.
Und sein Fleisch wurde wieder heil wie das Fleisch eines jungen Knaben, und er wurde rein. Und er kehrte zurück zu dem Mann Gottes samt seinem ganzen Gefolge. Und als er hinkam, trat er vor ihn und sprach: Siehe, nun weiß ich, dass kein Gott ist in allen Landen außer in Israel; so nimm nun eine Segensgabe von deinem Knecht. Elisa aber sprach: So wahr der Herr lebt, vor dem ich stehe: Ich nehme es nicht. Und er nötigte ihn, dass er es nehme, aber er wollte nicht. Da sprach Naaman: Wenn nicht, so könnte doch deinem Knecht gegeben werden von dieser Erde eine Last, so viel zwei Maultiere tragen! Denn dein Knecht will nicht mehr andern Göttern Brandopfer und Schlachtopfer darbringen, sondern allein dem Herrn. Nur darin wolle der Herr deinem Knecht gnädig sein: Wenn mein Herr in den Tempel Rimmons geht, um dort anzubeten, und er sich auf meinen Arm lehnt und ich auch anbeten muss, wenn er anbetet, im Tempel Rimmons, dann möge der Herr deinem Knecht vergeben. Er sprach zu ihm: Zieh hin mit Frieden.“

Macht und OhnmachtWer hat in dieser Geschichte Macht?
Naaman? Der syrische Feldhauptmann? Klar. Der ist gewohnt zu befehlen und zu gehorchen. Sein Name verbreitet in Israel Angst und Schrecken. Aber zugleich ist Naaman auch ein kranker Mensch. Verletzt und verletzbar… Seine Krankheit bringt ihn an den Rand seiner Kräfte und lässt ihn buchstäblich aus der Haut fahren.

Hat der König von Israel Macht? Nicht wirklich. Er hat vor allem Angst. Vor den Syrern. Aber noch mehr vor dem Mann Gottes, dem Prophet Elisa. Der lässt sich nämlich nichts sagen. Weil der König von Israel unlösbare Probleme auf sich zukommen sieht, gerät er in völlige Auflösung und zerreißt seine Kleider.

Hat der Prophet Elisa Macht? Auf jeden Fall. Er lässt sich von niemandem etwas befehlen. Bleibt völlig souverän. Weder Geld noch Gold können ihn beeindrucken. Und den Syrer lässt er durch einen Boten an der Haustüre abfertigen. Nicht sehr freundlich, aber eindrucksvoll.

Daneben gibt es noch einige Menschen, die in der großen Geschichte der Könige und ihrer Feldherren keine Rolle spielen, hier aber handlungsentscheidend, ja „mächtig“ werden. Da ist das „junge Mädchen“. Die „Kleine“, wie sie genannt wird. Sie bringt die ganze Geschichte in Gang.
Da sind die Diener, die den aufgebrachten Naaman wieder beruhigen können und ihn dazu bringen, etwas zu tun, was ihm nicht im Traum eingefallen wäre.

Krankheit wird zum Tor der VeränderungLiebe Gemeinde, in dieser Geschichte von Elisa und Naaman begegnen wir einem Geflecht von Macht und Ohnmacht, von Befehlen und Gehorchen, von Angewiesensein und neuer Erkenntnis.
Die Krankheit wird dabei buchstäblich zum Tor der Veränderung. Sie ist der kleine Spalt, der in diese Geschichte der zementierten und erwartbaren Machtverhältnisse Bewegung bringt.
Sie zeigt, wie verletzlich Menschen sind. Auch die größten und stärksten. Und sie erzählt, was geschieht, wenn man auf die hört, die sonst überhört werden.
Die Stimme des Mädchens, der Kleinen, die Stimme des Propheten, die Stimme der Diener – hier werden diese Stimmen handlungsentscheidend, auch wenn sie normalerweise nicht gehört werden.
Und beinahe wäre das ganze Unternehmen komplett gescheitert. Naaman – erzürnt über die Arroganz Elisas – will sich auf die Zumutung nicht einlassen. Er fühlt sich blamiert und bloßgestellt.
Es ist also schon ein kleines Wunder, dass Naaman über seinen Schatten springt und tatsächlich in das Wasser des Jordans untertaucht.

Einmal einem anderen gehorchenJüdische Ausleger sagen, für Naaman sei es entscheidend gewesen, einmal einem anderen zu gehorchen. Also sich einem zu beugen, der größer ist als er. Nämlich dem Gott Israels, der zu ihm im Wort des Propheten spricht.

Naaman steigt hinunter. Zunächst ganz äußerlich vom hohen Ross. Geht hinunter in den Jordan. Taucht sieben Mal unter. Geht ganz in die Tiefe. An die Grenze zum Tod. Um wiederaufzuerstehen zu einem neuen Leben.
Wie ein Kind wird der große Mann. Seine Haut wird wie die eines Neugeborenen. Zart, verletzlich, heil. Sein Fleisch wie das Fleisch eines jungen Mannes. Und am Ende steht das Bekenntnis Naamans: Siehe, nun weiß ich, dass kein Gott ist in allen Landen außer in Israel.

Grenze der MachtLiebe Gemeinde, es gibt viele Perspektiven in dieser Geschichte von Naaman und Elisa.
Eine ist, dass Heil und Heilung zusammengehören.
Aber auch, dass es sich für die „hohen Herren“ lohnt, auf die „kleine Leute“ zu hören.
Dazu ist es eine Geschichte, in der Grenzen überschritten werden. Und schließlich ist es eine Verwandlungsgeschichte. Eine, die im Angesicht des Feindes auch den verletzten und verwundeten Menschen entdeckt.

Versöhnung und Frieden brauchen keine großen Worte. Es reicht am Ende zu sagen „Zieh hin mit Frieden.“
Naaman muss keine Freundschaft mit Elisa schließen und auch keine religiösen Sonderwelten in Damaskus errichten. Es reicht, wenn er in sein altes Leben zurückkehrt.
Worauf es ankommt? Dass er das Wissen und die Erinnerung an seine Entmachtung mitnimmt.
So schwingt im Abschiedsgruß des Elisa auch der Wunsch mit: Geh mit dem Wissen, dass deine Welt nicht alles ist und dass deine Macht endlich ist und begrenzt.

Weg über die GrenzenLiebe Gemeinde, wer an eine Grenze kommt, hat mindestens zwei Möglichkeiten. Die eine ist: innerhalb der Grenzen zu bleiben. Man gewöhnt sich dann an das Unbehagen, an die Enge. Man arrangiert sich mit den Schmerzen.
Oder – und das wäre die Alternative: Man geht das Wagnis ein, geht über die Grenzen hinweg, hört auf andere, „fremdelt“ gehörig und lässt sich überraschen, was dann kommt.
Das ist nicht leicht. Das braucht unter Umständen lange Zeit. Vor allem aber auch Mut.
Trotzdem birgt dieser Weg über die Grenzen hinweg die Chance, den Gott Israels zu entdecken. Den Gott des Auszugs aus dem Sklavenhaus. Den Gott der Befreiung. Den Gott, der die ganze Welt in Händen hält.
Den Gott, dessen Stimme die Bibel durchzieht und die sagt: Ich werde da sein als der ich da sein werde.

Hat diese Stimme etwas zu sagen?
Ja. Aber nicht im Sinne der Dienstaufsicht oder der Befehlserteilung.
Sondern als Einladung zur Freiheit. Als Ruf, „runterzukommen“. Als Wort, das uns versammelt. Alle. Aus Norden, Süden, Westen und Osten.

Es ist an uns, ob wir auf diese Stimme hören.
Amen.

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