3. Sonntag nach Trinitatis (06. Juli 2025)
1. Timotheus 1,12–17
IntentionDas Sonntagsthema „Sich verlieren und zurückfinden“ möchte ich als ein „Gefunden-Werden“ akzentuieren. Paulus hat dies als überraschende Lebenswende erfahren. Darin zeigt sich Gott in seiner rettenden Barmherzigkeit.
PredigttextIch danke unserm Herrn Christus Jesus, der mich stark gemacht und für treu erachtet hat und in das Amt eingesetzt, mich, der ich früher ein Lästerer und ein Verfolger und ein Frevler war; aber mir ist Barmherzigkeit widerfahren, denn ich habe es unwissend getan, im Unglauben. Es ist aber desto reicher geworden die Gnade unseres Herrn samt dem Glauben und der Liebe, die in Christus Jesus ist.
Das ist gewisslich wahr und ein teuer wertes Wort: Christus Jesus ist in die Welt gekommen, die Sünder selig zu machen, unter denen ich der erste bin. Aber darum ist mir Barmherzigkeit widerfahren, dass Christus Jesus an mir als Erstem alle Geduld erweise, zum Vorbild denen, die an ihn glauben sollten zum ewigen Leben. Aber Gott, dem ewigen König, dem Unvergänglichen und Unsichtbaren, der allein Gott ist, sei Ehre und Preis in Ewigkeit! Amen.
1. Timotheus 1,12–17
Liebe Gemeinde,
Paulus schreibt von sich selbst. Ganz persönlich, in Ich-Form, erzählt er von seinem Glauben, und darüber, wie er zum Glauben an Jesus Christus gekommen ist. Das war ihm nicht in die Wiege gelegt. Im Gegenteil. In seinem Leben hat sich etwas Unerwartetes ereignet, das ihn eine ganz neue Richtung einschlagen ließ. Für ihn bedeutete das eine Lebenswende.
Dass ein Leben an einer bestimmten Scharnierstelle einen anderen Verlauf nimmt, kommt auch heute vor.
Eine BefreiungKürzlich las ich in einem Zeitungsartikel von einer Frau um die 30. Mit 18 hatte sie einen Freund gehabt, der der rechten Szene angehörte. Weil es alle in ihrem Freundeskreis taten und weil ihr Freund sie dazu drängte, ließ sie sich ebenfalls rechte Tattoos mit verbotenen Symbolen der Nazizeit stechen.
Nach Jahren trennte sich ihr Freund von ihr. Und zunehmend konnte sie sich mit den Symbolen auf ihrem Körper nicht mehr identifizieren. Im Sommer ging sie nur mit langen Hosen und bedeckten Armen unter die Leute. Schließlich weigerte sich ihre Tochter, mit ihr ins Freibad zu gehen. Doch wie bekommt man die Tattoos wieder los? Wegoperieren geht nicht. Und überstechen mit anderen Motiven kostet Geld. Geld, das sie nicht hatte.
Da erfuhr sie von einem Tätowierstudio: Wenn Menschen ihre rechtsradikalen Tattoos entfernen lassen möchten und dafür kein Geld haben, dann machen wir das kostenfrei. Du musst nichts bezahlen. Die Frau ging gerne darauf ein. Die Tattoo-Künstler fingen an zu arbeiten. Aus dem Reichsadler wurde eine Eule, aus dem Hakenkreuz eine Rose. Die Leute aus dem Studio haben ihr ein Stück neues Leben geschenkt. Das, wofür sie sich geschämt hatte, war jetzt weg. Sie konnte aufatmen und mit ihrer Tochter wieder ins Freibad gehen. Die Frau hat ihren Dank nicht in religiöser Sprache ausgedrückt. Doch ich spüre: Das ist ein Wendepunkt in ihrem Leben.
Bedingungslose Annahme erfahrenIn unserem heutigen Predigttext beschreibt der Apostel Paulus seine Lebenswende. Ganz persönlich erzählt er. Da redet ein Mensch, der sich nicht aus eigenem Antrieb um Jesus bemüht hat, sondern von ihm ergriffen wurde.
„Ich danke unserem Herrn Christus Jesus, der mich stark gemacht und für treu erachtet hat…“ Auch der Apostel Paulus ist für die Wende in seinem Leben dankbar.
Paulus blickt selbstkritisch auf sein früheres Leben zurück und stellt fest: „Ich hätte keinerlei Recht auf Zugehörigkeit zu Jesus gehabt. Denn ich habe Menschen verfolgt, gar ins Gefängnis gebracht, die anders über Jesus dachten als ich selbst damals. Ich habe ihren Glauben verachtet, sie gekränkt, sie geschmäht.“
Und dann, immer noch in der Ich-Form, spricht Paulus von der Barmherzigkeit, die er erfahren hat. Er erwähnt nicht das Damaskus-Erlebnis mit dem blendenden Licht, nicht, dass Jesus ihn angesprochen hat und nicht, dass er einige Tage nicht sehen konnte.
Paulus spricht von der Barmherzigkeit, die er, ganz unverdient, empfangen hat. Und er redet vom Ergebnis dieser Barmherzigkeit, nämlich, dass er – völlig unverdient – einen Auftrag von Christus bekommen hat: Als Apostel, als Gesandter, soll er die gute Nachricht der Geschichte Gottes mit seinem Volk und mit seinem auserwählten Sohn Jesus von Nazareth weitertragen. Auch zu den Menschen, die ursprünglich nicht jüdisch waren.
Sein neues Amt hat er nicht durch Leistungen und nachweisbare Erfolge bekommen. Es wurde ihm unverdient geschenkt, und er erfährt: Gott ist barmherzig! An anderer Stelle sagt er: „Denn ich bin der geringste unter den Aposteln, der ich nicht wert bin, dass ich ein Apostel heiße, weil ich die Gemeinde Gottes verfolgt habe. Aber durch Gottes Gnade bin ich, was ich bin“ (1. Kor 15,9.10a). All das erlebt Paulus als eine tiefe, bedingungslose Annahme seines Lebens durch Gott.
RettungPaulus staunt, was aus diesem Auftrag geworden ist. Er verwendet Superlative: überreich ist die Gnade geworden, Glaube und Liebe sind daraus als Früchte gewachsen.
Vor seiner Lebenswende hatte Paulus die Botschaft des Kreuzes als ein Ärgernis abgelehnt. Dass Gott sich hineingibt in das menschliche Leben Jesu in seiner Zerbrechlichkeit, schien ihm nicht denkbar. Jetzt ist er Botschafter der Versöhnung Gottes und bittet: Lasst euch versöhnen mit Gott!
Ich stelle mir vor, Paulus war ein Typ, der alles hinbekommt, ganz viel weiß und in seiner Gewissenhaftigkeit sich nicht gerne von jemand übertreffen ließ.
Nein, um einen Besuch hatte er Jesus nicht gebeten. Hilfe, Rettung, hat er nicht gebraucht und nicht begehrt. Wer will sich schon gerne als Sünder bezeichnen lassen? Doch er, Paulus, wurde besucht, gesucht und gefunden und gerettet.
Er fasst das zusammen in der Formulierung: „Christus Jesus ist in die Welt gekommen, die Sünder selig zu machen, unter denen ich der erste bin.“ Er ist das Urbild des begnadigten Sünders. Nicht aus eigenem Willen hat er sich für den Glauben entschieden, sondern er wurde von Christus gesucht und gefunden.
Paulus ist von diesem rettenden Erbarmen immer wieder von neuem überwältigt.
ZachäusDer Apostel Paulus und der Zöllner Zachäus werden selten in einem Atemzug genannt. Und doch gibt es eine Verwandtschaft zwischen den beiden.
Zachäus hatte es ebenfalls nicht verdient, dass Jesus sich ihm zuwendet. Er war korrupt. Zollgebühren setzte er stets zu seinen Gunsten fest. Auch bei ihm ereignete sich eine Lebenswende.
Wenn Jesus beim Durchzug durch die Stadt Jericho am Maulbeerbaum für die Ohren des Zachäus eine Kurzpredigt gehalten hätte über die Rechtfertigung des Sünders, hätte ihn dieses wohl kaum berührt.
Doch Jesus predigt nicht. Ihm liegt es am persönlichen Kontakt zu Zachäus. Er kommt in sein Haus. Er liegt mit ihm am Tisch, und sie essen zusammen. Vielleicht hat Jesus auch einen Lobpsalm gesprochen: „Lobe den Herrn, meine Seele, … der dir alle deine Sünden vergibt und heilet alle deine Gebrechen – der dich krönet mit Gnade und Barmherzigkeit.“ Deshalb ist das Herz des Zachäus bewegt worden, und auch bei ihm setzt eine Lebenswende ein. Sie wirkt sich auf seinen Geldbeutel aus: „Die Hälfte von meinem Besitz gebe ich den Armen, und wenn ich jemand betrogen habe, so gebe ich es vierfach zurück.“ Eine Wiedergutmachung ist das, aber auch der Beginn eines anderen Umgangs mit seinem Vermögen.
Barmherzigkeit empfangen und weitergebenDie Lebenswende von Zachäus und von Paulus zeigen: Wer selbst Barmherzigkeit erfahren hat, der oder die kann auch anderen gegenüber barmherzig sein.
Eine Pfarrerin erzählt von einem Erlebnis im Jahr 2015:
„Eine alte Dame sitzt bei mir im Amtszimmer. Fast zehn Jahre ist das her. Auf ihren Knien liegt ein großes Paket mit Lebensmitteln, das ich weitergeben soll. Sie hat das für die jungen Männer aus Syrien gepackt, die in einen Container bei uns auf dem Schützenplatz eingezogen sind. Wie vielen im Dorf sind ihr die Flüchtlinge suspekt. Direkt zu ihnen hingehen möchte sie nicht. Aber trotzdem helfen. Sie sagt: ‚Ich komme aus Schlesien und war auch auf der Flucht. Obwohl wir Deutsche waren, waren wir nicht willkommen. Aber an einem Abend wurden meine Mutter und ich von fremden Menschen eingeladen, einfach so. Die Menschen hatten etwas Gutes gekocht und gute Worte gesagt; auf dem Nachhauseweg habe ich an der Hand meiner Mutter seit langem wieder getanzt, gejubelt und gelacht.‘“
Getanzt, gejubelt und gelacht. Erfahrene Barmherzigkeit macht froh, führt ins Loben und Danken. Mit Jubel endet auch unser Briefabschnitt, mit einem Lob des Ewigen, der Menschen barmherzig aufsucht und rettet. Kennen wir diese Erfahrung? Amen.
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