4. Advent (24. Dezember 2017)

Autorin / Autor:
Pfarrerin Dr. Antje Fetzer, Waiblingen [antje.fetzer@ev-michaelskirche.de]

2. Korinther 1, 18-22

Liebe Gemeinde,
Paulus hat ein Problem: Seine Glaubwürdigkeit ist angekratzt. Das ist schlimm für jemanden, dessen wichtigstes Kapital das Vertrauen ist. Wie kam es dazu?
Paulus ist Missionar, und das nicht im modernen Sinne, dass er eine Bibelschule besucht und die Gepflogenheiten des Landes kennengelernte hätte. Er hat zwar eine theologische Ausbildung, aber die hatte er schon, bevor er Missionar wurde.
Was seine Berufung so besonders macht, ist, dass Gott selbst ihn berufen hat. „Saulus, warum verfolgst du mich?“ So hörte er damals in Damaskus die Stimme aus dem Licht, und er hatte darin Christus erkannt. Diese Erfahrung hatte sein Leben von Grund auf verändert. Seither war er nicht mehr der Verteidiger jüdischer Rechtgläubigkeit, sondern lebte ganz für den Glauben an Christus.
Seine Mission hatte bereits einige schöne Erfolge vorzuweisen: Die sogenannten Stammapostel in Jerusalem, Petrus und Jakobus, konnte er davon überzeugen, dass die Beschneidung nicht heilsnotwendig war. Beschnitten zu sein, war nicht die Voraussetzung dafür, zu Jesus zu gehören.

Die Grenzen des Alten überschreitenDieser Durchbruch beim Apostelkonzil ermöglichte es Paulus, die Grenzen Israels zu überschreiten und sich in weiter entfernte Länder vorzuwagen. Zunächst machte er sich daran, die alten Hafenstädte zu besuchen, wo er eine große Zahl an Menschen aus aller Herren Länder vermuten durfte. Eine davon war Korinth, gelegen an der Meerenge, dem Isthmus von Korinth. Hier gelang es ihm, nicht wenige Menschen für die Botschaft von der Freiheit und der bedingungslosen Liebe Gottes zu begeistern. Bald war eine kleine Gemeinde zusammen, die miteinander den Glauben und auch das Leben teilte.

Unerträgliche ErfahrungenPaulus reiste ab und wandte sich neuen Aufgaben zu. Da geschah das Unerträgliche. Kaum war er aus Korinth aufgebrochen, nutzten andere Männer die Situation aus und verbreiteten abweichende Lehren. Sie verleumdeten Paulus, säten Zweifel und Zwietracht, indem sie verbreiteten, Paulus habe wohl Dreck am Stecken. Warum sonst wolle er kein Geld für seine Tätigkeit als Apostel der Gemeinde annehmen?
Auch machten sich diese Gegner über Paulus lustig, weil er kein Redner sei. Sie selbst dagegen nahmen den Mund recht voll und setzten alles daran, die korinthische Gemeinde Paulus wieder abspenstig zu machen. Dabei scheuten sie vor keinem Mittel zurück, gingen ihm an die Ehre: Habe er, Paulus, nicht versprochen, wieder zu ihnen zu kommen? Und wo war er nun?
Paulus hat sich wohl in einem „Tränenbrief“ bitter bei der Gemeinde darüber beklagt, wie schnell sie umgefallen und den neuen Missionaren hinterhergelaufen sei. Das können wir zwar nur vermuten, denn der Brief ist nicht erhalten. Lediglich Hinweise im 2. Korintherbrief sprechen dafür.
Eines jedoch ist klar: Paulus hat gerade eine sehr harte Zeit hinter sich, als er unseren Predigttext schreibt. Er hat erlebt, wie missgünstige Menschen seine Arbeit zunichtemachen wollten. Er hat erlebt, wie diese Gegner sich ihr eigenes Evangelium zusammenschusterten, ohne danach zu fragen, ob es den Leuten guttat oder nicht. Er hat begreifen müssen, dass viele junge Christen sich blenden ließen von seinen ebenso redegewandten wie selbstsüchtigen Konkurrenten.

Wieder glaubwürdig werden – wie?Paulus ist zutiefst verletzt und enttäuscht worden. Die Auseinandersetzung um den „Tränenbrief“ hat einiges wieder zurechtgerückt, doch Zweifel bleiben. Wie kann Paulus die Gemeinde ganz zurückgewinnen, wie seine Glaubwürdigkeit unter Beweis stellen?
So große Dinge stehen im Raum, als Paulus die folgenden Worte an die Gemeinde in Korinth richtet:
„Bei der Treue Gottes, unser Wort an euch ist nicht Ja und Nein zugleich.
Denn der Sohn Gottes, Jesus Christus, der unter euch durch uns gepredigt worden ist, durch mich und Silvanus und Timotheus, der war nicht Ja und Nein, sondern das Ja war in ihm.
Denn auf alle Gottesverheißungen ist in ihm das Ja; darum sprechen wir auch durch ihn das Amen, Gott zur Ehre.
Gott ist's aber, der uns fest macht samt euch in Christus und uns gesalbt hat und versiegelt und in unsre Herzen als Unterpfand den Geist gegeben hat.“

Kein sehr populistischer Versuch, seine Ehre wiederherzustellen, das kann man sagen. Diese Passage ist so dicht, dass wir uns in kleinen Schritten daranmachen müssen, sie zu verstehen. Im ersten Abschnitt begründet Paulus in drei Schritten seinen Hauptgedanken:
Schritt 1: Paulus sagt den Korinthern: „Ich rede eindeutig und ermutigend zu euch.“
Schritt 2: „Das hat seinen guten Grund, denn ich rede von Jesus. Jesus ist pure Ermutigung.“
Schritt 3: „Jesus bestätigt alles, was uns je von Gott versprochen wurde: Segen, Sündenvergebung, Ewiges Leben. Jesus ist das ‚Ja‘ auf Gottes Verheißungen.“

Nachdem Paulus so erläutert hat, wieso er sich seiner Botschaft so unglaublich gewiss ist, legt er im zweiten Abschnitt dar, was das für uns Menschen bedeutet:
In Vers 21f. heißt es: „Gott ist's aber, der uns fest macht samt euch in Christus und uns gesalbt hat und versiegelt und in unsre Herzen als Unterpfand den Geist gegeben hat.“

Gottes ungetrübtes Ja zu unserem LebenKurz zusammengefasst könnte man sagen: Gott ist das ungetrübte „Ja“ zu unserem Leben. Und er sorgt dafür, dass wir seine Kinder bleiben, indem er uns behandelt wie Königskinder:
1. Er salbt uns, wie ein König für seine Aufgaben gesalbt wird.
2. Er versiegelt uns, d.h. er bezeichnet uns eindeutig als seine eigenen Kinder, die zu ihm gehören, und achtet darauf, dass niemand anders einen falschen Anspruch auf uns erheben kann.
3. Und er schenkt uns seinen Geist, sozusagen als Appetithappen, als Vorankündigung auf alles, was in seinem ewigen Reich auf uns wartet.

Und wir?Soweit der Text. Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht. Mir erscheint das alles nicht falsch, aber es bleibt abstrakt und blutleer. Das will ich nicht so stehenlassen.
Heute Abend feiern wir die Geburt Jesu. Wir feiern, dass Gott selbst Mensch wird, sich zu uns in die Niederungen und Schwierigkeiten des Daseins begibt, damit wir leben dürfen.

Was hat unser Text damit zu tun? Auf seine ganz eigene, philosophische Weise berichtet Paulus davon, was Gottes „Ja“, das er in Jesus Christus ein für alle Mal zu uns gesprochen hat, bedeutet.
Es bedeutet, dass unser Leben sich unter dem positiven Himmel von Gottes „Ja“ ereignet. Existenzängste mögen uns umtreiben; die Natur können wir nicht kontrollieren, wie müssen ihre Wirkungen hinnehmen; und außerdem wissen wir nicht, in welchen Höhen und Tiefen unser Leben noch verlaufen wird. Doch eines wissen wir: dass Gott uns liebt, und zwar so tief und wahr, dass er sein Wertvollstes gegeben hat, um auch uns ins Licht seines „Ja“ zu stellen: seinen Sohn Jesus Christus.

Paulus beschreibt uns diese Erkenntnis im Predigttext als eine Art „Gruppen-Initiation“. Durch Gottes Zuwendung werden wir alle mit einem Mal Königskinder: gesalbt, unverwechselbar versiegelt und ausgerüstet mit dem Versprechen, einmal das Königreich zu erben.

Was Paulus damit sagen will, ist: „Wenn ihr mit Gott in Berührung gekommen seid, dann könnt ihr an der Wirkung sehen, ob wirklich Gott gesprochen hat. Schaut euch an: Seid ihr überzeugt und durchdrungen von Gottes ‚Ja‘? Ist die Tür in die Zukunft für euch aufgegangen, ist der schwarze Vorhang weggezogen, der euch den Blick nach vorne versperrt hatte? Spürt ihr schon, wie Gottes kommende Welt zu uns hereinwirkt?“

Weihnachten – offen werden für die Botschaft des Zarten, SchwachenAn Weihnachten öffnen wir Menschen uns so stark für Gottes liebevolles Wirken wie wohl sonst selten: Wir geben unserer Sehnsucht nach unverfälschter Zuneigung nach. Wir erlauben uns, in dem kleinen Kind in der Krippe das Versprechen zu lesen, dass noch einmal alles von vorne beginnen kann. Etwas in uns denkt: Frieden, ja, Frieden ist möglich.

Der Vorhang des Realismus ist für einen Augenblick weggezogen. Dieser Blick dahinter lässt uns nicht unverändert zurück. Wir wissen nun, worauf hin wir uns ausstrecken. Da hinten wartet keine schwarze Wand, kein undurchdringliches Nichts am Ende des irdischen Lebens.
Da hinten, da, wo das Kind in der Krippe herkommt, wartet das Versprechen des Ewigen.
Dort regiert Liebe statt Machtkalkül.
Dort bekommen die Ärmsten den Engelsgesang zu hören statt die, die sich Karten für die Elbphilharmonie leisten können.
Dort spricht das Zarte, Schwache – und wird gehört.

„Das ist es“, hören wir Paulus sagen, „was meine Glaubwürdigkeit bedeutet. Nicht ich bin es, nichts, was ich sage, kann sie beweisen oder wiederherstellen. Einzig der, von dem ich erzähle, kann euch überzeugen und euer Leben verwandeln. So wie er es bei mir getan hat.“

Möge Gott uns den Blick hinter den Vorhang wagen lassen. Frohe Weihnachten!

Amen.

Lied: „Es ist ein Ros entsprungen aus einer Wurzel zart…“
Anmerkung:
Exegetische Anregungen sind entnommen aus: Johannes Wischmeyer, „Vierter Advent
(24. Dezember): 2. Korinther 1, 18-22“, in: a&b 22 (16. November 2017), S. 9-14.

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