4. Advent (23. Dezember 2018)

Autorin / Autor:
Pfarrerin Andrea Aippersbach, Stuttgart [andrea.aippersbach@elkw.de]

Lukas 1, 39-56

Zur Intention: Gerade die einfachen Leute sind mit Gottes Hilfe zu Großem fähig. Sie ermutigt und bestärkt das Loblied der Maria.

Die teure LastMaria, die Mutter Jesu, hat in unserer evangelischen Tradition keinen besonderen Platz. In unseren Kirchen finden wir selten eine Mariendarstellung. Das überlassen wir lieber unseren katholischen oder orthodoxen Geschwistern. Es sei denn, wir stellen die Krippe auf. So wie bei uns hier zu Weihnachten in der Kirche und vielleicht auch bei Ihnen zu Hause. Da gehört neben Schafen und Hirten, Engeln und dem Jesuskind, natürlich Maria dazu. Und dann steht sie ganz im Zentrum. Gerne auch einmal in einen blauen Mantel gehüllt und mit einem Heiligenschein über dem Kopf.
Aber dass wir zum Beispiel gerade ein spätmittelalterliches Marienlied gesungen haben, fällt einem ja nicht sofort ins Auge. „Es kommt ein Schiff geladen bis an sein höchsten Bord. Trägt Gottes Sohn voll Gnaden.“ Die hochschwangere Maria trägt im Advent eine teure Last: Ihren Sohn, unseren Herrn, der zur Welt kommt als „des Vaters ewigs Wort“.

Freude in GottSchwanger ist Maria auch, als sie ihren Lobgesang anstimmt „Meine Seele preist die Größe des Herrn, und mein Geist jubelt über Gott, meinen Retter.“ Wir haben diese Worte vorhin gemeinsam gebetet.
Dieser Lobgesang der Maria, auf Lateinisch das Magnifikat, wurde von Christen aller Zeiten geliebt. „Magnificare“ heißt: erheben. Mit dem Magnifikat erhebt sich die Seele und freut sich in Gott.
Ganz selbstverständlich ist diese Freude ja nicht. Auch nicht für Maria damals. Sie war ja eine sehr junge Frau, vielleicht sogar noch ein Mädchen von zwölf oder vierzehn Jahren. Sie war verlobt, aber ihr Verlobter war nicht der Vater ihres Kindes. Ein Engel hatte ihr einen Sohn von Gott verheißen. Und sie war erstaunlicherweise bereit zu dieser merkwürdigen Mutterschaft. Um sich jemandem anzuvertrauen, hat Maria ihre Verwandte Elisabeth besucht. Und erfährt dort: Elisabeth, die im Grunde schon zu alt ist für ein Kind, ist ebenfalls schwanger.

Zwei Schwangere am Rande der gesellschaftlichen Norm. Nicht wenige Frauen halten sich dann ja verborgen, aus Angst, dass sich die Nachbarn das Maul über sie zerreißen. Magnificat anima mea. Kopf hoch und eine erhobene Seele waren nicht selbstverständlich für Maria und Elisabeth. Aber ihr Treffen bewirkt genau das.
Maria singt. Und dabei erscheint Maria nicht so lieblich, wie wir sie beim Krippenspiel gerne darstellen. In ihrem Lied, ist Maria kämpferisch. Sie besingt Gott als einen, der alles auf den Kopf stellen kann. „Er stößt die Gewaltigen vom Thron und erhebt die Niedrigen. Die Hungrigen füllt er mit Gütern und lässt die Reichen leer ausgehen.“

Widerstand gegen HoffnungslosigkeitSchon erstaunlich, dass diese junge Frau so singt! – Gott bringt die gesellschaftlichen Gepflogenheiten durcheinander. Er verkehrt die menschlichen Ordnungen. Es ist ein Lied, das Marias Trotz ausdrückt gegenüber dem, was wir „normal“ nennen. Gott fegt die Hochmütigen weg und bringt unser Herrschaftsdenken ins Wanken.
Darin steckt viel Kraft – und Erfahrung! Maria erlebt ja genau das am eigenen Leib: Gott hat sie, die einfache junge Frau, angesehen und gewürdigt mit dem Schönsten und Größten, das es gibt. Deshalb kann sie singen: „Siehe, von nun an werden mich selig preisen alle Kindeskinder. Denn er hat große Dinge an mir getan, der da mächtig ist und dessen Name heilig ist.“
Gepriesen wird nicht Maria, sondern gepriesen werden die großen Taten Gottes an ihr. Dass sie als ganz junge, einfache Frau, Gottes Sohn zur Welt bringen wird. Und dass vor diesem Neugeborenen – in einem erbärmlichen Stall mitten zwischen Schafen, Ochs und Esel – drei reiche, weise Männer aus dem Morgenland niederknien werden. Diese radikale Veränderung der Verhältnisse hat immer schon auch anderen Menschen Mut gemacht.

Aber Marias Lied kann auch bedrohlich wirken. In ihm geht es um Herrschaftskritik, um Veränderungen der Gesellschaft, um Politik. Das Magnifikat galt schon manchem politischen Herrscher als gefährlich. Ich habe gehört, dass es in Guatemala und in Indien Christen im Land zeitweise verboten war, dieses Lied anzustimmen.
Mit dem Magnifikat berufen sich Arme und Unterdrückte auf Gott an ihrer Seite. Auf Gott, der die sozialen und politischen Ungerechtigkeiten radikal verändern kann. Marias Lied ruft dabei nicht zur Gewalt auf. Aber zu einer Widerstandsbewegung gegen die Hoffnungslosigkeit. Dietrich Bonhoeffer nannte das Magnifikat deshalb auch einmal das leidenschaftlichste, wildeste, revolutionärste Adventslied, das je gesungen wurde.
Hinzu kommt Marias Glaube, ihr großes Vertrauen in Gott, ihre Echtheit. Martin Luther hat darüber in seiner Auslegung zum Magnifikat nachgedacht. Das Beispiel von Maria ist für ihn das Gegenteil von der geistlichen Überheblichkeit, die er in seiner Zeit beobachtet hatte. Luther hat geschrieben:

„Es ist kein reicher Mann, kein mächtiger Herr so aufgeblasen wie ein solcher Besserwisser, der sich fühlet, dass er recht habe, dass er sich zu rühmen wagt, er könne nicht irren, Gott sei bei ihm, die andern seien des Teufels. Er wagt es, sich auf Gottes Gericht zu berufen, und verfolget, verurteilt, lästert, zerstöret alle, die ihm widerstehen, und sagt danach, er hab’s Gott zu Dienst und Ehren getan.“

Luther war, als er diese Zeilen schrieb, selber politisch verfolgt und mit dem Bann bedroht. Er hat seine Gedanken dem achtzehnjährigen Herzog Johann Friedrich gewidmet, der später einmal die Regierung übernehmen sollte. So als wollte er ihm sagen: „Pass auf, dass du deine Macht nicht mit persönlicher Eitelkeit füllst, sondern sie verstehst als Auftrag von Gott und als Dienst an den Menschen.“ Luther scheint den jungen Fürsten zu fragen, auf welcher Seite er stehen möchte – bei den Wohlsituierten, Besserwissern und Superreichen, oder da, wo Jesus geboren wurde: bei den Armen und denen am Rande der Gesellschaft.

Solidarität gefragtUnd wir? Wir sollten aufpassen, dass wir nicht zu stolz oder ignorant werden gegenüber Menschen wie Maria. Nur wenn wir uns mit denen eins machen, die unten stehen in der üblichen Hierarchie, nur dann stehen wir auf der Seite Gottes. Und er auf unserer.

Wer von Armen und Flüchtlingen als Bedrohung spricht. Wer mobil macht gegen Menschen, die nicht ins eigene Weltbild passen und das auch noch mit Bibelzitaten untermauert. Wer Kritik einfach nur abperlen lässt. Auf den passt wirklich das Urteil von Luther vom „Besserwisser, der sich fühlet, dass er recht habe […] und […] zerstöret alle, die ihm widerstehen, und sagt danach, er hab’s Gott zu Dienst und Ehren getan.“

Viel lieber war Luther da Maria, die eben nicht zu den Mächtigen, den Besserwissern, den Eitlen und Privilegierten gehört. Und als solche hat Maria auch in unserer evangelischen Tradition ihren festen Platz. Maria rühmt in ihrem Lied die verändernde Kraft Gottes, die immer mal wieder alles auf den Kopf stellt, die uns weiter führt, die aus Kleinem und Unscheinbarem etwas Großes und Gutes entstehen lassen kann. Die uns mutig und barmherzig und froh und im besten Sinne demütig macht. Möge diese Kraft und diese Zuversicht uns geleiten in das Weihnachtsfest. Amen.

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