4. Sonntag nach Trinitatis (24. Juni 2018)

Autorin / Autor:
Pfarrerin Ursula Pelkner, Göppingen [Ursula.Pelkner@elkw.de]

1. Petrus 3, 8-15; 3, 15-17

Liebe Gemeinde,

eigentlich möchte ich ein guter Mensch sein. Als Christin kann ich doch nichts anderes wollen, oder?
Das Gutmenschentum ist zwar in Verruf geraten. Mit dem Begriff „Gutmensch“ verbinden sich negative Bilder von dogmatischen Leuten, die andere dazu bekehren wollen, ein genauso politisch und ökologisch und überhaupt korrektes Leben zu führen wie sie selbst. Meistens wird den Gutmenschen dabei Humorlosigkeit und fehlende Lockerheit nachgesagt. Oder sie sind so übertrieben hilfsbereit, dass sie anderen damit auf den Wecker gehen.

So will natürlich keiner sein. Und doch: müsste es nicht heute, hier und jetzt, darum gehen, sich als Gutmensch zu bekennen. Wäre es nicht mehr als angesagt, politisch korrekt zu sein, nicht einfach alles hinauszuposaunen, zu twittern oder zu posten, was einem gerade so an unsachlichen und beleidigenden Äußerungen in den Sinn kommt? Wäre es nicht das Beste, ein guter Mensch zu sein? Und zwar „gut“ im Sinne von „gut“, nicht mit sarkastischen Untertönen, nicht im Sinne von „gut gemeint“, sondern schlicht und einfach „gut“ im Gegensatz zu „böse“.

Der heutige Predigttext hat jedenfalls gar kein Problem damit, von der christlichen Gemeinschaft gutes Handeln zu verlangen.
Predigttext (1. Petrus 3, 8-15a)

8 Endlich aber seid allesamt gleich gesinnt, mitleidig, brüderlich, barmherzig, demütig.
9 Vergeltet nicht Böses mit Bösem oder Scheltwort mit Scheltwort, sondern segnet vielmehr, weil ihr dazu berufen seid, auf dass ihr Segen erbt.
10 Denn »wer das Leben lieben und gute Tage sehen will, der hüte seine Zunge, dass sie nichts Böses rede, und seine Lippen, dass sie nicht betrügen.
11 Er wende sich ab vom Bösen und tue Gutes; er suche Frieden und jage ihm nach.
12 Denn die Augen des Herrn sehen auf die Gerechten, und seine Ohren hören auf ihr Gebet; das Angesicht des Herrn aber sieht auf die, die Böses tun« (Psalm 34,13-17).
13 Und wer ist's, der euch schaden könnte, wenn ihr dem Guten nacheifert?
14 Und wenn ihr auch leidet um der Gerechtigkeit willen, so seid ihr doch selig. Fürchtet euch nicht vor ihrem Drohen und erschreckt nicht;
15 heiligt aber den Herrn Christus in euren Herzen.
(Seid allezeit bereit zur Verantwortung vor jedermann, der von euch Rechenschaft fordert über die Hoffnung, die in euch ist,
16 und das mit Sanftmut und Ehrfurcht, und habt ein gutes Gewissen, damit die, die euch verleumden, zuschanden werden, wenn sie euren guten Wandel in Christus schmähen.
17 Denn es ist besser, wenn es Gottes Wille ist, dass ihr um guter Taten willen leidet als um böser Taten willen.)

Das Leben lieben und gute Tage sehen...„Wer das Leben lieben und gute Tage sehen will…“ – das spricht mich an, das bin ich, das sind wir. Ansonsten spricht der Text viel vom Leiden, auch in den darauffolgenden Versen. Das bin eher nicht ich, das sind eher nicht wir. Das sind die ersten Christen, die für ihr Bekenntnis zu Jesus Christus üble Verfolgungen zu erleiden hatten. Scheltworte waren da noch die harmlosere Sache.

Aber „wer das Leben lieben und gute Tage sehen will“, das bin ich, da bin ich dabei. Ich denke, das spricht viele von uns an, das passt in unsere Zeit: Wir lieben das Leben, wir wollen gute Tage sehen, und wir erleben doch tatsächlich auch viele gute Tage. Die meisten können sich ein gutes Leben leisten, wir können es uns schön machen, gerade jetzt im Sommer: Wir feiern bei der Weltmeisterschaft, wir treffen Freunde, sitzen abends schön draußen und lassen es uns gut gehen. Und warum auch nicht? Ich möchte auch behaupten, dass es vielen durchaus bewusst ist, dass das alles nicht selbstverständlich ist. In meinem Umfeld höre ich immer wieder die Äußerung, dass man dankbar sei für den Wohlstand und das Wohlergehen, für den Frieden in unserem Land, für die Gesundheit (so vorhanden) und für das Leben insgesamt.

… und die Wahl zwischen Gut und BöseAber so einfach lässt uns der 1. Petrusbrief nicht davonkommen. Hier geht es nicht um Dankbarkeit, hier geht es um aktives Handeln, um Einsatz. Wer das Leben lieben und gute Tage sehen will, der muss etwas dafür tun: „der hüte seine Zunge, dass sie nichts Böses rede, und seine Lippen, dass sie nicht betrügen. Er wende sich ab vom Bösen und tue das Gute; er suche Frieden und jage ihm nach.“ Die Rechnung ist ganz einfach: Wer ein gutes Leben ernten will, der muss Güte säen. Wer dagegen üble Nachrede übt, andere verleumdet und beschimpft, der kann nicht erwarten, dass ihm dafür Liebe und Freundlichkeit entgegengebracht werden. – Außer, er trifft auf jemanden, der sich an die Mahnungen aus der Bibel hält und das Böse nicht mit Bösem beantwortet, sondern mit Segen.

Der 1. Petrusbrief geht ganz klar davon aus, dass wir die Wahl haben zwischen Gut und Böse. Die Möglichkeiten liegen vor uns:

Frieden oder Unfrieden
Hochmut oder Demut
Unbarmherzigkeit oder Mitleid
Fluch oder Segen.

Wir haben die Wahl, wir sind nicht dazu gezwungen, unseren Impulsen zu folgen oder unseren Instinkten zu gehorchen. „Christsein bedeutet das Recht, ein anderer zu werden“, hat die Theologin Dorothee Sölle geschrieben. Der 1. Petrusbrief fordert uns dazu auf, von unserem Wahlrecht für das Gute Gebrauch zu machen. Und zwar – das ist eigentlich die Spitze dieses Textes –, auch wenn die Situation es uns schwer macht, auch wenn wir schlecht behandelt werden und Pöbeleien ausgesetzt sind, auch wenn wir die Schwächeren sind.

Denn genau das waren die frühen Christen, an die sich der Briefeschreiber wendet. Gerade rollte eine neue Welle der Christenverfolgung über das Römische Reich hinweg. Manche Mitglieder der Gemeinde waren Sklaven und litten auch noch unter der ungerechten Behandlung durch ihre Herren. Und gerade da stellt sich die Frage besonders drängend: Wie soll man als einzelner Christ/als einzelne Christin oder auch als christliche Gemeinschaft darauf reagieren?
„Vergeltet nicht Scheltwort mit Scheltwort und Böses mit Bösem, sondern segnet vielmehr, weil ihr dazu berufen seid, auf dass ihr Segen erbt.“ (V.9)

Das Beispiel von AbigailIn der Bibel wird erzählt: Ein Mann bleibt hart. Er ist ein mächtiger Mann, ein reicher Mann, ein harter Mann. Nur mit Härte ist er so reich geworden, nur so kommt man zu was, das ist doch klar. Er ist es gewohnt, dass alle um ihn herum spuren, dass der Laden läuft, und zwar so, wie er es will. Und nun kommen da diese Leute und wollen, dass er sie für Leistungen bezahlt, die er nie bestellt hat. Eine Art Schutzgeld wollen sie. – Wofür nochmal? – Sie hätten seine Hirten und seine Herden in der Wüste beschützt, behaupten sie, er könne gerne seine Leute fragen. Die würden das sicher bestätigen. Den Teufel wird er tun und diesen dahergelaufenen, heruntergekommenen Halbwilden irgendetwas von seinem sauren Verdienst abgeben. – Wer war nochmal ihr Auftraggeber? David? Wer soll das sein, nie gehört, interessiert ihn nicht, dieser Sohn Isais, muss ihn auch nicht interessieren. Mit bösen Worten jagt er die Leute vom Hof. Ein Mann bleibt hart.

Ein Mann wird wütend. David. Er ist stolz und ein Anführertyp. Seine Leute haben die Hirten des harten Mannes beschützt. Nun werden sie von dem davongejagt wie räudige Hunde. Damit wurde seine Ehre verletzt. Diese Beleidigung kann er nicht auf sich sitzen lassen. Ohne zu zögern stellt er einen Trupp Bewaffneter zusammen und zieht los, um Rache zu üben.

Eine Frau gibt alles in dieser Geschichte. Klug ist sie und schön, sie ist die Frau des harten und reichen Mannes. Als ihr zugetragen wird, was vorgefallen ist, realisiert sie sofort, wie gefährlich das Verhalten ihres Mannes ist. Eine Provokation, die der andere nicht auf sich sitzen lassen wird. Sie befürchtet eine Eskalation des Konflikts bis hin zur Gewalt. Ohne zu zögern, stellt sie eine Karawane mit Naturalgeschenken zusammen: Brot und Wein, Fleisch und Kuchen. Und zieht mit einigen Unbewaffneten los. Und tatsächlich kommt ihr bald schon Davids gewaltbereite Truppe entgegen. Die kluge Frau wirft sich nieder. Sie entschuldigt sich für das, was sie nicht getan hat. Für das, was ihr Mann angerichtet hat, bittet sie um Vergebung. Sie bietet die Naturalien als Wiedergutmachung an und – sie segnet den Mann, der drauf und dran war, ihren ganzen Hof mit Mann und Maus zu vernichten. Was passiert? Der wütende Mann nimmt die Segensgaben an. Er lässt sich besänftigen und bedankt sich bei der klugen Frau dafür, dass sie ihn mit ihrem beherzten Eingreifen davor bewahrt hat, Blutschuld auf sich zu laden, eine Schuld, die er niemals mehr von sich hätte abwaschen können.

Liebe Gemeinde, dies ist die Geschichte vom reichen und dummen Nabal, der klugen und schönen Abigail und vom wütenden und doch gesegneten David. Am Ende trifft Nabal der Schlag, Abigail wird Davids Frau und David wird König. Die Geschichte steht in 1. Samuel 25 und ist ca. 3000 Jahre alt.
Oder ist Ihnen die Sache mit dem reichen und mächtigen, aber in seiner unbedachten Härte gefährlichen Mann irgendwie bekannt vorgekommen? Heute gibt es Twitter und Co., um Häme und Provokationen in die Welt zu setzen. Die Gefahr der Eskalation aber ist mindestens so groß wie damals. Und damals wie heute stellt sich die Frage, wie man darauf antworten soll.

„Vergeltet nicht Böses mit Bösem oder Scheltwort mit Scheltwort, sondern segnet vielmehr, auf dass ihr Segen erbt“ (V.9). Die alte Geschichte von Nabal, David und Abigail steht beispielhaft für die Überwindung von Hass durch Segen. Am Horizont scheint auf, was passiert, wenn Böses mit Bösem vergolten wird, nämlich der unendliche Kreislauf von Gewalt und Gegengewalt, von Blutschuld und Blutrache. Die einzige Möglichkeit, um da herauszukommen, ist auszusteigen, nicht mitzumachen.

„Die Liebe ist der einzige Weg“Es ist im Grunde die zentrale jüdisch-christliche Botschaft: „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst.“ Und noch einen Schritt weiter: „Bittet für die, die euch verfolgen“ (Matthäus 5). Und warum? – Der 1. Petrusbrief greift den 34. Psalm auf und argumentiert ganz pragmatisch: Damit es dir selbst gut geht, damit der Segen, den du gibst, auch auf dich zurückfällt, oder einfach, damit du lebst. Hier geht es nicht um blinden Idealismus, sondern ums Überleben. Der Verfasser des 1. Petrusbriefes weiß, dass die kleine christliche Gemeinde nicht überleben kann, wenn sie es auf eine Eskalation ankommen lassen würde. Sie wird nur überleben, wenn sie durch ihre guten Taten überzeugt, wenn sie den Weg des Friedens wählt.

Liebe Gemeinde, das gilt doch heute auch. Der Frieden in unserem Land, in Europa und auf der Welt kann nur erhalten werden, wenn Menschen ihre Zunge im Zaum halten, wenn sie so klug sind wie Abigail und ihren Stolz hinunterschlucken, um den Schmähungen den Segen entgegenzuhalten. „Wende dich ab vom Bösen und tue Gutes; suche den Frieden und jage ihm nach“ (V.11). Funktioniert es so, „ein guter Mensch sein“? – Ja, so einfach ist das. So einfach und so schwer. Kompliziert ist es nicht, es ist nicht schwer zu verstehen. Aber es ist manchmal sehr schwer, es umzusetzen. Warum ist das so schwer? Weil wir erst uns selbst überwinden müssen, um den Hass zu überwinden. Das fällt uns Menschen schwer. Und doch wird es uns als Christenmenschen zugetraut.

„Die Liebe ist der einzige Weg. Die Liebe ist machtvoll. Unterschätzt die Macht der Liebe nicht! Aber überladet sie auch nicht mit Sentimentalitäten! Wo die Liebe ist, da ist Gott. Es liegt eine große Kraft in der Liebe. Liebe kann heilen, wo nichts anderes heilt. Liebe ist nicht selbstsüchtig, Liebe opfert sich auf und erlöst auf diese Weise. Stellt euch eine Welt vor, in der die Liebe der Weg ist! Stellt euch Familien vor, in denen die Liebe der Weg ist! Stellt euch Regierungen vor, in denen die Liebe der Weg ist! Dann wäre die Erde ein Heiligtum. Dann gäbe es Raum für alle Kinder Gottes. Dann würde eine neue Menschenfamilie entstehen.“

Diese Sätze stammen aus der Predigt, die Bischof Michael Curry bei der Hochzeit von Prinz Harry und Meghan Markle vor wenigen Wochen gehalten hat. Es war ein flammendes Plädoyer für die Macht der Liebe. Und diese Predigt hat viele Menschen beeindruckt. Und das, obwohl Bischof Curry keineswegs etwas Neues gesagt hat. Er hat die visionären Sätze von Dr. Martin Luther King wiederaufleben lassen, er hat auf die überwindende Kraft der Spirituals zurückgegriffen, und er hat ganz schlicht das Liebesgebot aus der Bibel sprechen lassen. Der Bischof hat mit seiner leidenschaftlichen Rede das steife Zeremoniell des britischen Königshauses durchbrochen und seine Zuhörer regelrecht eingeschworen auf die Macht der Liebe.

„Die Liebe ist der einzige Weg!“ – Das könnte auch die Quintessenz des heutigen Predigttextes sein. Es tut gut, sich diese einfache Botschaft einmal wieder sagen zu lassen. Lassen wir uns einschwören auf den Weg der Liebe und der Güte: „Liebe Gott, deinen Herrn, von ganzem Herzen, von ganzer Seele und von ganzem Gemüt und deinen Nächsten wie dich selbst.“
Amen.


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