6. Sonntag nach Trinitatis (12. Juli 2015)

Autorin / Autor:
Pfarrerin Christina Jeremias-Hofius, Oberndorf am Neckar [christina.jeremias-hofius@elkw.de]

Matthäus 28, 16-20

„Jesus Christus spricht: Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden.
Darum gehet hin und machet zu Jüngern alle Völker: Taufet sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes und lehret sie halten alles, was ich euch befohlen habe. Und siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende.“

Begegnung mit einem alten BekanntenNicht wahr, das sind vertraute Worte, der Tauf- und Missionsbefehl. Lernstoff im Konfirmandenunterricht. Fester Bestandteil der Taufliturgie und also Schriftlesungstext bei Taufen. Alle sechs Jahre Predigttext am 6. Sonntag nach Trinitatis.
Es ist wie ein Wiedersehen mit einem alten Bekannten. Aber einem lieben alten Bekannten?

Auf die Frage, was sie denn spontan mit dem Tauf- und Missionsbefehl assoziieren, antworteten Studierende: ‚Bei mir macht sich Unbehagen breit. Wer bin ich denn, dass ich meinen Glauben anderen aufoktroyiere? Mit welchem Recht soll ich andere dazu bringen, meinen Glauben zu übernehmen?‘

Also: Stell dir vor, es ist Krieg und keiner geht hin.
Stell dir vor, Jesus – oder Christus? – befiehlt – und keiner kommt seinem Befehl nach. Befehlsverweigerung.
Geht hin und machet zu Jüngern alle Völker – ein überholtes Konzept für viele.
Definitiv empfinden die Befragten den Text nicht als einen lieben alten Bekannten.
Und Sie?

Wobei: Wo liegt eigentlich das Problem? Ist der alte Bekannte nicht lieb genug – also entspricht meinen Vorstellungen nicht hinreichend? Oder ist der Bekannte zu altbekannt, so dass man gar nicht mehr genau hinsieht, hinhört, was er zu erzählen hat, weil man ja eh weiß, was er sagt?

Den alten Bekannten erneut offen in den Blick genommenWissen Sie zum Beispiel, wo unser alter Bekannter eigentlich herkommt? Aus welchen Zusammenhängen? Denn das macht ja einen Unterschied, ob einer aus Ostpreußen oder Schwaben stammt. Es macht einen Unterschied, ob diese Worte Jesu am Anfang seines Auftretens oder am Schluss stehen.
Also hören Sie den ganzen Predigttext – ich lese aus Matthäus 28 die Verse 16 bis 20 – auch genannt: ‚Matthäi am letzten‘ – sprich die letzten Verse des Matthäusevangeliums :

„Aber die elf Jünger gingen nach Galiläa auf den Berg, wohin Jesus sie beschieden hatte.
Und als sie ihn sahen, fielen sie vor ihm nieder; einige aber zweifelten.
Und Jesus trat herzu und sprach zu ihnen: Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden.
Darum gehet hin und machet zu Jüngern alle Völker: Taufet sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes und lehret sie halten alles, was ich euch befohlen habe. Und siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende.“

Die letzten Worte; die Worte also, mit denen der Evangelist Matthäus sein Evangelium schließt.
Worte, die Kreuz und Auferstehung schon hinter sich haben.
Teil einer Ostererzählung.

Da waren die Frauen zum Grab gegangen und hatten vom Engel gehört: ‚Geht eilends hin und sagt seinen Jüngern, dass er, Jesus der Gekreuzigte, auferstanden ist von den Toten. Und siehe, er wird vor euch hingehen nach Galiläa; dort werdet ihr ihn sehen. Siehe, ich habe es euch gesagt.‘
Da waren die Frauen losgegangen und auf dem Weg war ihnen Jesus begegnet und der gibt ihnen den Aufragt: ‚Geht hin und verkündigt es meinen Brüdern, dass sie nach Galiläa gehen: Dort werden sie mich sehen.‘
Und offensichtlich kamen die Frauen dem zweifachen Auftrag nach, denn jetzt befinden sich die elf Jünger in Galiläa. Mit der Zusage, den Auferstandenen zu sehen. Und dann sehen sie ihn.

Im Blick behalten!Und was passiert? Sie fallen nieder. Gesicht nach unten. Sie stürzen ihm nicht in die Arme, sie fallen ihm nicht um den Hals – sie fallen nieder. Anbetend. Ehrfurchtsvoll. Aber mit einem grandiosen Nachteil. Mit einer sie behindernden Folge: Sie zweifeln. Ich weiß. Luther lässt nur etliche zweifeln. Aber wie viele sind etliche von elf? Und Matthäus selbst formuliert so, dass man auch lesen kann: Sie aber zweifelten.

Sie zweifelten. So wie Petrus gezweifelt hat, damals, nachts, als er auf dem See Genezareth auf dem Wasser ging. Mutig war er aus dem Boot geklettert, auf Jesus zu gegangen und es ging gut, nein Petrus ging gut, solange er Jesus im Blick hatte. Aber dann – dann verlor er Jesus aus dem Blick, sah nur Dunkel, Wasser, Sturm – und drohte unterzugehen. Er schreit nach Jesus, der greift nach ihm – und steigt mit Petrus in das sichere Boot. „Warum zweifelst du?“, fragt Jesus den begossenen Petrus.
Und die Antwort ist klar, muss gar nicht ausgesprochen werden: Weil Petrus Jesus aus dem Blick verloren hatte.

So auch hier: Die elf Jünger fallen nieder – und zweifeln. Sie sehen – aber behalten ihn nicht im Blick.
Mit heftigen Folgen.
Im Aufsehen zu Jesus Christus – so geloben Kirchengemeinderäte und -rätinnen, Pfarrer und Pfarrerinnen bei ihrer Einsetzung, ihren Dienst zu tun. Auf dem Hintergrund dieses Textes bekommen diese Worte „Im Aufsehen auf Jesus Christus“, so finde ich zumindest, noch einmal einen ganz anderen Klang.

Und wenn nicht – dann doch gehaltenAber wie schon dem sinkenden Petrus, so kommt Jesus jetzt auch den Jüngern entgegen. Er tritt hinzu, tritt näher. Und redet sie an. Wenn der Augenkontakt fehlt, helfen immer noch Worte, um Beziehung herzustellen.
Wir, sowohl die Älteren, mit dem Telefon aufgewachsen, wie auch die Jüngeren, mit Handys und Smartphones unterwegs, wissen nur zu gut um die Bedeutung von Worten, wo oder wenn die Face-to-face-Begegnung, die Begegnung von Angesicht zu Angesicht nicht möglich ist. Jesus kommt und spricht sie an. Aus nächster Nähe. Um zu helfen. Um ihnen wieder Halt zu geben.

Und nun – jetzt kommt’s – jetzt kommen die uns so vertrauten Worte.
Aber was sagt Jesus den Zweifelnden damit?
Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf der Erde.

Mir ist gegeben alle Vollmacht. Zu sehen ist nicht nur einer, bei dem alles Nein, sowohl das von Menschen als auch das vom Tod gesprochene, sich letzten Endes als machtlos erwies, sondern auch einer, der dann auch noch eine Generalvollmacht erhalten hat. Eine Generalvollmacht fürs Leben. Denn es ist eine Generalvollmacht, von Gott ausgestellt. Und damit an Gottes Willen gebunden. Generalvollmacht fürs Leben. Im Himmel und auf der Erde. Ums Leben geht‘s. Leben für Himmel und Erde.
Die Jünger haben ihn gesehen. Bevollmächtigt. Und Leben ist angesagt. Jetzt können sie wieder gehen.

Wenn ihr schon geht, könnt ihr dann auch noch …Also gehet hin und machet zu Jüngern alle Völker. Heißt es in unserer Lutherbibel. Luther selbst hat jedoch 1534 übersetzt: Geht hin und lehrt alle Völker. Lehrt! Und der Fachmann staunt und der Laie wundert sich. Das ist doch nicht dasselbe, „zu Jünger machen“ und „lehren“! Und auf Nachfrage hin, was denn Matthäus eigentlich geschrieben hat, wird man erfahren. Da steht: Wenn ihr jetzt geht, dann gebt doch Wissen weiter an alle Völker. Also vermittelt, was ihr wisst, was euch bewusst geworden ist. So ein bisschen nach dem Motto: Wenn ihr schon unterwegs seid, dann tut das doch bitte auch gleich noch mit. Vermittelt das, was euch bewusst geworden ist.

Damit sie klug werden – oder: Wissensvermittlung Christus gemäßUnd wie? Eben nicht, indem ihr verkündigt. Davon steht hier kein Wort. Eben nicht, indem ihr die Bibel verbreitet. Davon steht hier auch kein Wort. Sondern eben so: Indem ihr sie tauft – nicht in die Kirche hinein. Indem ihr sie tauft – in den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes hinein. Indem ihr sie hineinnehmt in den Raum, in dem Vater, Sohn und Heiliger Geist den Ton angeben, den Ton des Lebens. Indem ihr sie hineinwickelt wie in eine Decke, einen Mantel, in die Liebe des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Einhüllt in die Wärme, den Schutz, die Geborgenheit.
Und indem ihr unterrichtet. Nicht, was man zu glauben hat. Sondern was ihr für euch als verbindlich anseht. Verbindlich nicht deshalb, weil es in eurer Kultur als moralisch integer angesehen wird, sondern weil es für euch ein Gebot Jesu ist. Unterrichtet sie, das einzuhalten.

Und jetzt, liebe Gemeinde, jetzt wird es erst richtig spannend. Denn wenn man das Matthäusevangelium darauf durchsieht, wo Jesus seinen Jüngern etwas gebietet – dann gibt es nur eine einzige Stelle: Da gebietet er den vier Jüngern, die mit ihm bei der Verklärung dabei waren, das Gesehene und Geschehene zu verschweigen, bis Jesus verherrlicht ist (Mt 17, 9). Sonst gebietet Jesus nichts. Den Jüngern wird also weder ein Lehr – noch ein Bildungsplan mitgegeben. Unterrichtet sie, was ich euch geboten habe. Der Lehrinhalt ist jeweils neu festzulegen. Situationsbedingt und Adressatenabhängig.

Wenn ihr geht, dann vermittelt den anderen doch, was euch hält: die Liebe Gottes und das, was Leben fördert. Klärt sie auf. Klärt ihr Leben auf. Klart ihr Leben auf. Erhellt es. Ihr, die ihr Licht der Welt seid.
Wenn ihr geht.

Geht ihr?Stell dir vor, der Krieg ist gar kein Krieg, sondern vielmehr eine Einladung, deinen Lebensraum zu betreten, kennenzulernen, von seinem Reichtum zu profitieren.
Stell dir vor, der Krieg ist gar kein Krieg, sondern die Beheimatung von Heimatsuchenden
Stell dir vor, Jesus gibt gar keinen Befehl, sondern nur eine Empfehlung, fordert auf. Fordert auf zu teilen, anderen die Möglichkeit zu geben, teilzuhaben an dem, was dein Leben reich macht.

Stell dir vor. Würdest du gehen? Gehst du? Nein. Falsche Frage: Würdet ihr gehen. Geht ihr?
Wenn, dann dürft ihr jedenfalls wissen: Der Gott mit uns, hebräisch: der Immanuel, ist bei euch.
Er hat es versprochen. Siehe ich bin bei euch. Alle Tage. Bis ans Ende - bis an euer Ende? Als würde er euch dann verlassen, wenn seine Wegbegleitung besonders nötig ist. Denn wer, wenn nicht er, kennt den Weg aus dem Tod ins Leben?
Er ist bei euch. Alle Tage. Bis zur Vollendung. Bis zur Vollendung von Zeit und Raum. Wenn die Zeit in die Ewigkeit aufgeht und der Raum, diese Welt, in die Gestalt der neuen Erde übergegangen ist.
Das sagt Jesus. Der Immanuel. Ich bin bei euch. Darum geht nur – in Frieden. Amen.


Hinführende Bemerkung:
Der 6.Sonntag nach Trinitatis lädt ein, die Taufe und deren Bedeutung zu thematisieren. Deswegen finden an diesem Sonntag auch in vielen Gemeinden Taufen statt. Ausgehend von meinem Arbeitsfeld mit Studierenden und einer Gemeinde, in der Taufen mittlerweile eine Rarität sind, ist dieser Predigtvorschlag eher für Gottesdienste ohne Taufen gedacht.


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