6. Sonntag nach Trinitatis (28. Juli 2019)

Autorin / Autor:
Pfarrerin Petra Schautt, Bretzfeld-Waldbach [petra.schautt@elkw.de]

1. Petrus 2, 2-10

IntentionVon Gott genährte Menschen bauen Gottes Gasthaus und verkünden dadurch die Wohltaten Gottes.

1. Petr 2,2-10 Und seid begierig nach der vernünftigen lauteren Milch wie die neugeborenen Kindlein, auf dass ihr durch sie wachset zum Heil,
3 da ihr schon geschmeckt habt, dass der Herr freundlich ist.
4 Zu ihm kommt als zu dem lebendigen Stein, der von den Menschen verworfen ist, aber bei Gott auserwählt und kostbar.
5 Und auch ihr als lebendige Steine erbaut euch zum geistlichen Hause und zur heiligen Priesterschaft, zu opfern geistliche Opfer, die Gott wohlgefällig sind durch Jesus Christus.
6 Darum steht in der Schrift (Jesaja 28,16): »Siehe, ich lege in Zion einen auserwählten, kostbaren Eckstein; und wer an ihn glaubt, der soll nicht zuschanden werden.«
7 Für euch nun, die ihr glaubt, ist er kostbar. Für die aber, die nicht glauben, ist er »der Stein, den die Bauleute verworfen haben; der ist zum Eckstein geworden« (Psalm 118,22)
8 und »ein Stein des Anstoßes und ein Fels des Ärgernisses« (Jesaja 8,14). Sie stoßen sich an ihm, weil sie nicht an das Wort glauben, wozu sie auch bestimmt sind.
9 Ihr aber seid ein auserwähltes Geschlecht, ein königliches Priestertum, ein heiliges Volk, ein Volk zum Eigentum, dass ihr verkündigen sollt die Wohltaten dessen, der euch berufen hat aus der Finsternis in sein wunderbares Licht;
10 die ihr einst nicht sein Volk wart, nun aber Gottes Volk seid, und einst nicht in Gnaden wart, nun aber in Gnaden seid (Hosea 2,25).

Ein neugeborenes Kind findet NahrungErschöpft von den Strapazen der Geburt liegt das Neugeborene auf dem Bauch seiner Mutter. Es spürt ihren warmen Körper, hört das vertraute Pochen des Herzens, kommt ganz gemächlich in der neuen Welt an.
Und macht sich behutsam auf den Weg. Ganz langsam fängt das Kleine an, sich mit winzigen Füßen nach oben zu schieben. Dann ruht es erneut, zwischen den nährenden Brüsten.
Die Mutter lockt, drückt etwas Milch aus der Brust. Das Kind riecht die Milch, riecht die Brust, hebt das Köpfchen, öffnet den kleinen Mund, sucht, sucht weiter und findet schließlich aus eigener Kraft und mit sicherem Instinkt die nährende Quelle.
Das Neugeborene legt die Lippen um die Brustwarze und fängt an zu saugen. Tiefe Stille. Eine sichere und selbstverständliche Beziehung zwischen Mutter und Kind.
Ein Wunder, vor dem wir angerührt und staunend stehen: Ein Kind, das von Geburt an weiß, was es braucht und sich zu dieser Quelle auf den Weg macht. Eine Mutter, die ihrem Kind alles Lebensnotwendige schenkt.(1)

Gott nährt uns MenschenLiebe Gemeinde, was Neugeborene brauchen, das ist ihnen instinktiv klar: Milch, Zuwendung, Liebe, Wärme.
Bei Erwachsenen geht dieser sichere Instinkt manchmal verloren.
Vielfältig sind die Angebote für eine oberflächliche Befriedigung der Bedürfnisse.
Vielfältig sind die Versuche, das Leben aus eigener Kraft zu stemmen und zu optimieren.
Vielfältig sind die Betäubungsmöglichkeiten, die sie zudecken: die Sehnsucht nach dem Grundnahrungsmittel eines erfüllten Lebens.

Manchmal aber, da spüren wir genau, was wir brauchen und was unser Leben glücklich macht.
Manchmal fällt uns ein Wort ins Herz und wir wissen: So möchte ich weitergehen.
Manchmal fühlen wir uns so geliebt, dass uns selbstverständlich ist, dass wir gewollt, getragen und eingeladen sind.

„Schmecket und sehet, wie freundlich Gott ist“, so sind wir eingeladen. Schmecket und sehet, wie Gott unser Verlangen stillt, wie Gott uns nährt mit dem, was wir zum Leben brauchen.
Gott nährt mich mit der süßen Milch der Menschenfreundlichkeit und nimmt mich liebevoll in den Arm.
Gott speist mich mit dem würzigen Bier der Zugewandtheit, er sieht mich an, wirbt um mich und hebt sanft den Schleier meiner Angst.

Gott stillt meine Verletzungen und heilt meine Bruchstücke mit dem lindernden Tee der Barmherzigkeit. Er sagt in all meinem Bemühen: Ich bin dir gut.
Gott schenkt mir den stärkenden Saft der Gnade. Ich fühle mich frei, gehe aufrecht und singe.

Gott nährt mich mit dem Kelch des Heils. Wie schön ist ein Leben mit ihm.
Gott kräftigt mich mit dem Brot des Lebens. Ich bekomme, was ich brauche.
Gott erquickt mich mit dem Wasser der Taufe. Ich gehöre zu ihm.

Diese Nahrung bietet Gott uns an, geschenkt, weil Gott uns gern hat, weil wir seine geliebten Kinder sind, Söhne und Töchter gleichermaßen.
Uns hat Gott erwählt und gewollt.

Da gehören alle dazu: die Kinder, die oft mühsam ihren Platz im Leben finden müssen; die überbehütete Prinzessin, deren Karriere schon vorgeplant wird und die nicht Mittelmaß sein darf und der Junge aus der Hartz IV-Familie, der kaum Chancen hat, das Mittelmaß zu erreichen. Da gehört die von ihrem Mann verlassene Frau dazu, die sich vor der Zukunft sorgt und der Sterbende, der in seinem Leben nicht viel von Kirche wissen wollte, aber jetzt dankbar für den Reisesegen ist.
Da gehöre ich dazu, mit meinem oft zaghaften Glauben, mit meiner Überforderung, mit meiner Halbheit, mit meinen Ecken und Kanten und mit meiner Freude am Leben.
Ich gehöre dazu, denn Gott hat es mir bei meiner Taufe versprochen. Und das gilt ein für allemal.

Selbstverständlich ist das nicht, dass wir alle dazugehören dürfen.
Selbstverständlich ist es nicht, dass Gott diesen bedingungslosen Weg hin zu den Menschen geht und uns diese Nahrung anbietet.
Das haben damals schon die meisten nicht verstanden, als Jesus so geradlinig in seiner Liebe blieb und ans Kreuz ging.
„Torheit“, konnte die Welt das nur nennen, „Ärgernis“.
Das entsprach nicht der Logik der Welt.
Nicht der Welt des römischen Imperiums, nicht der Welt der ersten Christinnen, an die unsere Worte geschrieben wurden und die unter Bedrängnis und Verfolgung leiden mussten wegen ihres Glaubens an einen solch großzügigen Gott.

Jesus wurde mit seinem Weg zum Stein des Anstoßes, von den Menschen verworfen, ein Fels des Ärgernisses.
Aber Gott bleibt dabei:
Jesus ist der auserwählte und kostbare Stein.
Gott setzt Jesus an Ostern ins Recht.
Setzt uns heute in sein Recht.
Nicht wie die Welt gibt und denkt, eine ganz andere Logik vielmehr.
Wo Gott die Kleinen groß macht und die Schwachen erwählt, wo Gott die Verhältnisse umkehrt, wo Gott den Menschen göttliche Nahrung in Fülle verspricht.

So genährte Menschen bilden ein geistliches HausAls wir vor einigen Jahren die Kirche renovieren mussten, wurde der Putz der Wand im Chorraum innen abgeschlagen. Darunter kamen ganz verschiedene Sandsteine hervor. Nicht schön behauene gleichförmige Steine, wie es sich große Kathedralen leisten konnten.
Bei einer Dorfkirche wurden lauter verschiedene Steine verwendet, teilweise wiederverwertet.
Keine geraden Linien. Es sah eher wie ein Puzzle aus: Kleine und große Steine wurden harmonisch zusammengefügt. In eine Lücke hinein kam noch ein Ziegelstein. Ein Sammelsurium individueller Steine.
Aber die Mauern halten seit mehr als 700 Jahren und tragen die Kirche aus Stein und bieten Schutz und Zufluchtsort und bergen die Beterinnen und die Sänger, die Suchenden und die Unverzagten, die Traurigen und die Jubelnden.

Wenn wir, liebe Gemeinde, als Einzelne, als einzelne Bau-Steine der Gemeinde, als ganz Verschiedene gemeinsam ein solches Haus aus lebendigen Steinen bil-den könnten? Gebaut auf den Grund, den Christus gelegt hat.
Wir miteinander ein Haus aus lebendigen Steinen. Also Menschen, die fest gegründet sind auf dem Felsen des Heils und die Liebe und Glaubenszuversicht ausstrahlen, wie die Natursteine einer Gartenmauer. Durch ihre Wärme blüht im Frühjahr die Magnolie schneller.
Wir als Gemeinschaft der Bau-Steine, die winzig kleinen und die großen, die aus Granit, die aus Sandstein, die Ziegelsteine und die Edelsteine, wir mit unseren Ecken und Kanten, mit unseren abgeschliffenen Stellen und den verwitterten Seiten, wir miteinander.

Miteinander als Gemeinschaft der Heiligen, als auserwähltes Geschlecht, königliches Priestertum, als heiliges Volk, als Volk zum Eigentum.
Unglaublich diese Ehrentitel.
Wir! Royals mit königlicher Freiheit.

Das traut Gott uns zu: Menschen zu sein, die sich als Christen und Christinnen verbunden wissen mit dem ersterwählten Volk Gottes, den Menschen jüdischen Glaubens in aller Welt.
Wir versuchen – wie sie – anders zu leben als nach der Weltlogik des Wachstums und der Leistung. Wir bauen auf Gnade und Barmherzigkeit. Wir setzen auf ein Leben nach den Geboten Gottes und tun, was in unserer Macht steht, alle Kreatur zu achten und zu schützen und zu erhalten.
Das traut Gott uns zu. Eine noble Gesellschaft zu sein. Als lebendige Steine mit Ecken, Bruchstellen und Kanten.

Dadurch verkündigen wir die Wohltaten GottesWir können zusammen ein Haus bauen, ein Haus für all die, die Gott nähren will.
Ein Gasthaus Gottes.
Mit alten Dielen, die bei jedem Schritt knarzen, mit windschiefen Fensterläden und blankgescheuerten Tischen, mit einladenden Türen und offenen Fenstern, durch die ein frischer Wind weht.
Müde Wanderer dürfen ausruhen und übernachten.
Im Gasthaus Gottes bekommen Hungrige eine kräftige Suppe und Schwarzbrot und Genießerinnen ein feines Menü.
Das Angebot der Speisen ist international.
Radfahrer können auf ein kurzes Apfelschorle vorbeikommen und im Biergarten Platz nehmen.
Zaungäste liegen für eine Weile auf einer Decke im Garten und träumen in den Himmel.
Wer sich mehr Zeit nehmen möchte, nimmt im Gastraum Platz.
Fröhliche kommen zu Festen zusammen.
Die Trauergesellschaft wird mit Kaffee gestärkt.
„Fridays for future“ trifft sich nach der Demo zum Kleidertausch und die „Solidarische Landwirtschaft“ tagt am Stammtisch.
Die auf der Flucht sind, bekommen Herberge und dürfen sich niederlassen.
Die Unbehausten sind geborgen.
Im Gasthaus Gottes gibt es keinen Katzentisch. Niemand wird abgewiesen. Alle sind willkommen. Bezahlung geht auf Spendenbasis.

Manchen passt das nicht. Sie wollen manchen Gruppen Hausverbot erteilen und fordern einen reservierten Platz für sich selber.
Das Team des Hauses macht ihnen aber freundlich und bestimmt die Hausordnung klar.

Ein paar Nebenzimmer des Gasthauses sind vorübergehend wegen Umbaus geschlossen.
Aber die Stube und der Ruheraum sind durchgehend geöffnet. Und die Kapelle natürlich auch.

Das Gasthausteam hat Freude an der Zusammenarbeit. Einige Mitarbeiterinnen stellen in der Küche kreative Mahlzeiten zusammen.
Andere wenden sich im Service aufmerksam den Gästen zu. Manche richten die Zimmer der Erschöpften liebevoll her.
Und wieder andere machen Pause, haben frei, legen sich in den Liegestuhl und lassen sich selbst bewirten.

Liebe Gemeinde! Gott stillt unser Verlangen. Gott nährt uns Menschen mit der Schönheit des Lebens und mit der Köstlichkeit seiner Zuwendung.
Im Gasthaus Gottes, im Gasthaus der lebendigen Steine, können wir es sehen und schmecken.
Amen.

Anmerkung
1 Wer es nicht aus eigener Erfahrung kennt: Vgl. diverse Videos bei Youtube: Breast Crawl.

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