7. Sonntag nach Trinitatis (30. Juli 2017)

Autorin / Autor:
Pfarrer Martin Kaschler, Aspach [martin.kaschler@elkw.de]

Johannes 6, 30-35

Liebe Gemeinde!

„Herr, gib uns allezeit solches Brot!“, bitten sie Jesus und erinnern mich dabei sogleich an jene Frau am Jakobsbrunnen, die Jesus antwortet: „Herr, gib mir solches Wasser, damit mich nicht dürstet und ich nicht herkommen muss, um zu schöpfen!“ (Joh 4,15). Während sie die Vorstellung begeistert, den täglichen und beschwerlichen Weg hierher nicht mehr machen zu müssen, um unter Mühen zu schöpfen und das lebensspendende Gut nach Hause zu schleppen, denken die Erstgenannten an das Speisungswunder, das sie am Ufer des Sees Genezareth tags zuvor erlebt hatten. „Wie wunderbar wäre es, wenn sich das jeden Tag ereignen würde: Satt werden bei Jesus, genug haben und nicht mehr sorgen und ringen müssen um s tägliche Brot!“ „Wunder“bare Aussichten.

Wen wundert’s, dass sie dabei an das Ur-Wunder ihres Volkes erinnern – die Errettung aus der Sklaverei Ägyptens, die Führung in der Wüste und die tägliche Speisung mit dem Himmelsbrot Manna?
Wen wundert’s, dass sie nun den mit Namen nennen – Mose – und zum Prüfstein machen, ob er – Jesus – würdig ist, als der erwartete neue Mose von ihnen anerkannt zu werden: „Was tust du für ein Zeichen, dass wir sehen und dir glauben?“

Aneinander vorbei reden?Ob Menschen hier geradezu klassisch aneinander vorbei reden, frage ich mich? Denn als sie ihn am Tag nach dem Speisungswunder gesucht und in Kapernaum wiedergefunden hatten, empfing sie Jesus mit den Worten (V 26): „Ihr sucht mich nicht, weil ihr Zeichen gesehen habt, sondern weil ihr von dem Brot gegessen habt und satt geworden seid.“ Um „Zeichen“ geht es beiden, aber offenbar ist der Begriff unterschiedlich gefüllt. „Zeichen und Wunder sahen wir gescheh’ n wie einst unsere Väter und Mütter in der Wüste – nun zeige mehr davon!“ sagen die Einen, und der ungefragt und ungebeten als neuer Mose taxiert werden soll antwortet: „Nicht Mose hat euch das Brot vom Himmel gegeben, sondern mein Vater gibt euch das wahre Brot vom Himmel. (...) Ich bin das Brot des Lebens!“ Den Geber hinter der Gabe sollt ihr entdecken und nicht die Gabe vergötzen.

Aber der Mensch verlangt halt offenbar auch hier „nicht so sehr nach Gott als nach dem materiellen Wunder“ (Dostojewski, Die Brüder Karamasow), dessen sich der „Glaube“ am liebsten bedienen können möchte: „Herr, gib uns ALLEZEIT solches Brot!“ Allezeit musst du geben nach unserem Maß und unseren Vorstellungen, auf dass wir sehen und dir glauben!

Problem WunderLiebe Gemeinde. "Das Brot“ kontra „das wahre Brot“ – im Spiritualisieren des Wunderbaren sind wir geübt und im Erklären biblischer Wunder theologisch geschult. Für das dafür nötige exegetische Handwerkszeug bin ich nach wie vor sehr dankbar, für Historisch-Kritisches, das davon ausgeht, dass die Geschichten der Bibel tatsächlich in unserer realen Welt spielen, und sich die erzählten Wunder auch im Leben von uns allen und auch heute noch zutragen können müssen.
Ich erwarte von Gott tatsächlich Wunder; denn wie sollte ich, der ich Ostern traue, auch anders können, als vom Größeren auf das viel Kleinere schließen zu dürfen?

Überzeugend und hellwach, geistreich und mit dem Gespür eines guten Seelsorgers fand ich, wie der Leiter eines großen Diakoniewerks reagierte, als ein Mitarbeiter Unruhe in die Bewohnerschaft brachte, weil er Wunder-Heilung offenbar ähnlich ins Gespräch brachte, wie die Jesus damals Herausfordernden: „Dass wir sehen und (dir) glauben!“
„Wenn Sie die Gabe der Heilung haben und nicht nur davon reden“, so beschied er ihn, „dann heilen Sie, soviel Sie können. Um das hierbei beschäftigungslos werdende Pflegepersonal werde ich mich dann sehr gerne persönlich kümmern. Wenn Sie aber nur davon reden können, stellen Sie es besser ein!“

„...kommen nur, um sich den Magen zu füllen!“Liebe Gemeinde. „Ich bin das Brot des Lebens“, sagt Jesus; „wer zu mir kommt, den wird nicht hungern; und wer an mich glaubt, den wird nimmermehr dürsten.“ Die Stimme eines Diakons kommt mir in den Sinn, der mit Elan und Idealismus einst in den Osten Deutschland zog, um dort in einem weitgehend kirchenfernen und sozial schwierigen Umfeld das Evangelium zu verkünden und eine Gemeinde von ganz unten aufzubauen.
Dass die mit großen Hoffnungen verbundenen gottesdienstlichen An-gebote zunächst auf ganz wenig Resonanz stießen, führte zu ersten Enttäuschungen, aber auch zu einem neuen Konzept. Dem Gottesdienst sollte fortan ein kräftiges Frühstück vorausgehen.
Und siehe da, mehr Menschen kamen, einzeln und als ganze Familien – nicht wenige davon betroffen von langer Arbeitslosigkeit und echter, nicht selten sichtbarer materieller Not. Froh waren sie, hier kostenlos essen zu dürfen; und viele, aber längst nicht alle, blieben auch zum anschließenden Gottesdienst, gelangten quasi vom „Brot“ zum „wahren Brot“.

Aber auch jetzt entwickelte sich das Gemeindeleben nicht wirklich im Sinne der ursprünglichen Erwartung, denn alle materiellen Angebote – Fahrdienste zu Arztbesuchen etc. eingeschlossen – waren stets gefragt, während die geistlichen Angebote eher das Dasein einer Beikost zu fristen schienen. Seiner Enttäuschung gab der tapfere Diakon eines Tages Ausdruck, indem er äußerte: „Ich fürchte, die kommen überhaupt nur, weil sie ihren Magen hier umsonst füllen können.“

„Ich bin das Brot des Lebens“, sagt Jesus; „wer zu mir kommt, den wird nicht hungern; und wer an mich glaubt, den wird nimmermehr dürsten.“ Dass der geistliche Hunger scheinbar ausblieb, so sehr man über den leiblichen auf ihn hinweisen wollte, frustrierte den Diakon und die ganze Gemeindeleitung. Vielleicht aber spürten die, die sich zum sonntäglichen Doppel-Programm einladen ließen, mit feinen Sinnen, dass das Brot selber womöglich nur Lockmittel sein könnte, der Köder am Haken des eigentlichen und dahinter liegenden Interesses? Und ihre von Armut und dem Gefühl der Benachteiligung ohnehin schon verletzten Seelen mögen feinfühlig gemeldet haben: „Ich“ bin womöglich gar nicht wirklich gemeint mit meinem realen Hunger, sondern allenfalls Objekt einer Strategie, bei der Menschen instrumentalisiert oder gar gefangen werden sollen?

„Was tust du für ein Zeichen, dass wir sehen und dir glauben?“ halten die Menschen damals in Kapernaum Jesus prüfend, fordernd und vielleicht sogar misstrauisch entgegen; und jene in Vorpommern würden, ganz anders und doch seelenverwandt, womöglich formulieren: Wie sollen wir glauben, dass wir als „Menschen“ gemeint sind – als materiell Notleidende, vom Arbeitsmarkt Getrennte und von guten Perspektiven Abgehängte, und nicht vor allem als Objekte der Mission gesehen werden, in die eine Zeit lang materiell „investiert“ werden soll, um sie dem eigenen Glaubensstand und Frömmigkeitsstil möglichst gleich zu gestalten?

Klug Ordnung schaffenSolche Strategien waren Jesus zweifellos fremd, als er – nicht im Vorlauf, sondern im Nachgang seiner Verkündigung – die Vielen sich in Gruppen zu Fünfzig und zu Hundert lagern ließ.
Ob es die Gruppe braucht, ein Speisungswunder zu erleben?
Die von Jesus in Gang gesetzte sorgfältige, Menschen aufeinander zuordnende „Vorarbeit“, die vom Evangelisten Markus kaum zufällig akribisch berichtet wird, lässt womöglich darauf schließen. Eine eben noch amorphe Masse von Menschen gewinnt eine Ordnungsgestalt und dabei bekommt der/die Einzelne plötzlich ein Gesicht – nicht selten das Gesicht eines Menschen in mancherlei Nöten, und sei es die des knur-renden Magens. Beginnen Wunder nicht häufig gerade damit, dass der Andere ein Gesicht bekommt?

Vom Brot über das „wahre Brot“ zum WunderLiebe Gemeinde, was sich damals auf der grünen Wiese am See Genezareth Wunderbares zugetragen hat, so dass am Ende alle satt waren und weit mehr übrig blieb, als anfangs da zu sein schien, will ich (zumindest) auch unserer von Gott geschenkten Fähigkeit zu vernünftigem Denken anempfehlen – gestützt auf Eigenerfahrungen in viel kleineren Dimensionen.

Satt geworden sind die Hungrigen damals:
Der Bauch gefüllt mit Kalorienhaltigem
und darüber hinaus erfüllt auch Herz und Sinn
und um eine entscheidende Erfahrung reicher, die über die reine „Materie Brot“ hinausführt. Miteinander haben sie erlebt: Die sich von ihm, der so großzügig von seinem himmlischen Vater redete und dann sein eigenes Brot nicht weniger großzügig austeilte, haben anstecken lassen, in ihren Bedürfnissen nicht nur sich selber, sondern auch die Anderen zu sehen und wahrzunehmen, werden zum Wunderbaren bereit. Sie teilen.
Sie öffnen ihre Taschen und Vorräte, weil ihr Herz zuvor geöffnet wurde. Das „wahre Brot“ hat die Kraft, das „Brot“ in Bewegung zu setzen – hin zu allen, die es brauchen. Das „wahre Brot“ wird dabei zur Quelle, aus der sie miteinander leben, zur Quelle, aus der Hoffnung fließt, indem diese ganze materielle Welt rückgebunden wird an ihren Schöpfer und HERRN – die Gabe Verantwortung stiftend rückgebunden an den großen und so großzügigen Geber.

„Ich bin das Brot des Lebens“, sagt Jesus; „wer zu mir kommt, den wird nicht hungern; und wer an mich glaubt, den wird nimmermehr dürsten.“ Kein Wundermann in der Gestalt eines göttlichen Füllhorns verkündet sich hier, sondern Gottes Sohn, dessen Großzügigkeit ansteckend ist und die Kraft hat, Lebensangst zu mindern und die stete Angst vor dem Zu-kurz-Kommen einzudämmen – ja zu heilen.
Nimmermehr muss hungern, wer in der Gemeinschaft mit dem „Brot des Lebens“ die Angst vor zu wenig Brot ablegen kann. Unsere Welt erlebt wahre Wunder, wo Menschen vom einen Brot zum anderen finden. Amen.

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