8. Sonntag nach Trinitatis (10. August 2025)
Jesaja 2,1–5
IntentionSeit Beginn des Kriegs in der Ukraine wird die Frage um Waffenlieferungen debattiert. Seit nun das Sondervermögen der schwarz-roten Bundesregierung beschlossen wurde, wird die Frage nach der Aufrüstung und Wehrhaftigkeit der Bundesrepublik diskutiert. Mit diesen Debatten im Hintergrund lese ich den Predigttext und spüre eine innere Zerrissenheit in mir: zwischen der Sehnsucht nach einer Welt, in der keine Waffen mehr produziert werden müssen, einerseits und meinem Blick auf die Realität andererseits. Dieser Blick sagt mir, dass äußere Sicherheit nicht ohne militärische Mittel erhalten werden kann. Zunächst möchte ich dieser Zerrissenheit Raum geben.
Zugleich lässt die im Predigttext gezeichnete Vision von einem universalen Frieden diese Welt nicht unverändert. Die Vision zeigt uns, was Gott mit dieser Welt, in der Krieg und Gewalt Wirklichkeit sind, vorhat. Mit dieser Vision vor Augen deute ich den Appell, der den Abschluss des Predigttextes bildet, als Aufforderung, unsere Mitmenschen im Lichte dieser Vision zu sehen – und das heißt für mich, einen liebevollen, versöhnlichen Blick auf sie zu wagen.
Das Ende des Zweiten WeltkriegsLiebe Gemeinde, vor 80 Jahren endete der Zweite Weltkrieg. Am 8. Mai dieses Jahres erinnerte Deutschland an dieses denkwürdige Jubiläum. Lange Zeit war für mich dieser Tag ein Gedenktag neben vielen, die an ein Ereignis in der Vergangenheit erinnern. Selbstverständlich war mir bewusst, dass dieser Tag für einen Epochenwandel steht: Befreiung, Eingestehen von Schuld, Wiederaufbau – die Dokus, Bücher und Lehrstunden sind zahlreich. Ja, ich hatte verstanden, dass da etwas Schreckliches geendet hatte und ich von diesem Wandel in meinem Leben profitiere. Ich darf ein Leben in Freiheit, Gleichheit, Wohlstand und Demokratie führen. Ein Privileg – das ist mir klar. Doch als Millennial kenne ich auch nichts anderes. Bisher war der 8. Mai für mich also ein Gedenktag, dessen Bedeutung mir durchaus bewusst war, – der mich emotional jedoch nicht weiter tangierte… Bis jetzt. Dieses Mal ist das anders.
In diesem Jahr klingen mir die Nachrichten von Kriegsbedrohung, hybrider Kriegsführung und Aufrüstung in den Ohren. Ich merke, dass mich der Anblick uniformierter Soldatinnen und Soldaten nicht mehr mit Irritation erfüllt, sondern mein sorgenvolles Gemüt beruhigt und mir ein Gedanke durch den Kopf jagt: „Sieh dir diese tapfere Frau an! Sie würde dein Land, deine Freiheit – ja dein Leben – beschützen.“ Mit Verwunderung registriere ich diesen Gedanken, denn er ist mir neu. 80 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs lerne ich: Krieg ist nichts, was es nur in fernen Ländern und Geschichtsdokus gibt. Krieg ist nichts, wovon Großeltern zu unpassenden Gelegenheiten erzählen. Krieg ist eine Realität, die schon immer Teil dieser Welt ist. Krieg ist eine Menschheitserfahrung.
Predigttext Jesaja 2,1–5Und es ist diese Menschheitserfahrung, die den Hintergrund des Predigttextes bildet. Verfasst wurde er von einem Menschen, der die katastrophalen Auswirkungen von Krieg und Gewalt kannte. Vielleicht musste er selbst mit ansehen, wie sein Land von Armeen heimgesucht wurde: wie Häuser niedergebrannt, Menschen getötet und die Heiligtümer seines Volkes geplündert wurden. Sicher kannte er Geschichten, die von grausamen Kriegsereignissen erzählen. Und mit diesem Wissen im Kopf schreibt er einen Text. Ich lese aus dem Buch des Propheten Jesaja im 2. Kapitel:
"Dies ist das Wort, das Jesaja, der Sohn des Amoz, schaute über Juda und Jerusalem. Es wird zur letzten Zeit der Berg, da des Herrn Haus ist, fest stehen, höher als alle Berge und über alle Hügel erhaben, und alle Heiden werden herzulaufen, und viele Völker werden hingehen und sagen: Kommt, lasst uns hinaufgehen zum Berg des Herrn, zum Hause des Gottes Jakobs, dass er uns lehre seine Wege und wir wandeln auf seinen Steigen! Denn von Zion wird Weisung ausgehen und des Herrn Wort von Jerusalem. Und er wird richten unter den Nationen und zurechtweisen viele Völker. Da werden sie ihre Schwerter zu Pflugscharen machen und ihre Spieße zu Sicheln. Denn es wird kein Volk wider das andere das Schwert erheben, und sie werden hinfort nicht mehr lernen, Krieg zu führen. Kommt nun, ihr vom Hause Jakob, lasst uns wandeln im Licht des Herrn!"
Eine FriedensvisionDer Autor schreibt eine Vision nieder. Bildgewaltig erzählt er von umwälzenden Ereignissen: Eine neue Epoche ist angebrochen. Die Menschheit hat eingesehen, dass alles Morden, Rächen und Vergelten sinnlos ist. Sie erkennt, dass das Leben doch viel zu wertvoll ist, um es im heroischen Kampf um Vorherrschaft zu verlieren. Und dieser Erkenntnis folgen Taten: „Da werden sie ihre Schwerter zu Pflugscharen machen und ihre Spieße zu Sicheln. Denn es wird kein Volk wider das andere das Schwert erheben, und sie werden hinfort nicht mehr lernen, Krieg zu führen.“
Unweigerlich denke ich an die Panzer, die dank milliardenschwerer Investitionen vom Band laufen. Wie viele Kitas, Schulen oder High-Tech-Erntemaschinen man aus ihnen bauen könnte! Bilder von tonnenschweren Raketen erscheinen vor meinem inneren Auge. Wie viele Tonnen Saatgut könnte man von diesem Geld kaufen. Ich verwerfe all diese Gedanken, denn ich besinne mich: Der Predigttext malt ein visionäres Bild, das den Beginn einer neuen Epoche beschreibt – eine Epoche, die nicht durch Diplomatie, Abschreckung oder Investitionen herbeigeführt wurde. Es ist ein Neubeginn, der nicht durch Menschenhand anbricht. Der Autor beschreibt eine Zukunft jenseits unserer Geschichte, und diese Zukunft liegt allein bei Gott.
Ernüchterung durch RealitätFür mich ist diese Erkenntnis ernüchternd. Allzu nahe liegt mir der Gedanke: Wenn doch nur alle Menschen dieses oder jedes täten, dann würde der Frieden schon von alleine kommen. Aber dieser Gedanke ist dem Text fremd. Denn nur Gott kann für stabilen und allumfassenden Frieden sorgen. Eine weitere erstaunliche Überzeugung ist dem Text zu entnehmen, und diese Überzeugung droht in der Bildgewalt des Textes beinahe unterzugehen.
Liest man den Text einmal ganz genau, dann stellt man fest: Für die Errichtung des ewigen Friedens lässt Gott die Menschheit unverändert. Gott erhebt den Berg, auf dem er thront, über alle anderen Berge der Welt. Gott setzt sein Wort und seine Weisungen als Gesetze durch, die das menschliche Zusammenleben regeln. Gott wird zum Richter der Menschen. Aber die Menschen selbst bleiben unangetastet von Gottes Neugestaltung. Der Mensch bleibt gleich.
Menschenliebe und VielfaltGroße Menschenliebe spricht aus diesem Gedanken – eine Liebe, die die Individualität der Menschen hochachtet. Wir sind verschieden – und ja, diese Verschiedenheit zieht Konflikte nach sich. Paare, die sich in die Haare kriegen, weil sie Sauberkeit unterschiedlich interpretieren. Politische Gegenspieler, die geöffnete oder geschlossene Grenzen jeweils als Ausdruck von Gerechtigkeit verstehen. Nationen, die sich unter dem Label Freiheit für offene Gesellschaften einsetzen – andere führen dafür Krieg. Prallen diese kleinen und großen Unterschiedlichkeiten aufeinander, dann besteht die Gefahr einer Eskalationsspirale. Wird diese nicht unterbrochen, dann kann das Konsequenzen haben – vom alltäglichen Streit bis zum Krieg.
Wären alle Menschen gleich, dann hätten alle die gleichen Bedürfnisse, Wünsche und verfolgten dieselben Ziele. Dann wäre Frieden einfach zu erreichen. Die Verschiedenheit von Menschen, Völkern, Nationen birgt Konfliktpotenzial – und Krieg ist häufig ein völlig aus dem Ruder gelaufener Konflikt.
Umso erstaunlicher: Gott macht uns gerade nicht gleich. Gott schätzt die Unterschiedlichkeit hoch. Dieser Gedanke tut gut in Zeiten, in denen politische Bestrebungen gesellschaftliche Vereinheitlichungen vorantreiben wollen.
Im Licht des Herrn wandelnSo schön dieser Gedanke ist, er befriedigt mich nicht gänzlich. Ich möchte mich nicht damit zufriedengeben – und mich nicht angesichts der Einsicht, dass Gott allein für Frieden sorgen kann, in eine bequeme Passivität verabschieden.
Bequeme Passivität liegt auch Jesaja fern, und so schließt er den Text mit einem besonderen Appell: „Lasst uns wandeln im Licht des Herrn!“ Eine Erläuterung bleibt er leider schuldig, so dass es an uns liegt, diesen Appell zu deuten.
Perspektiven im Licht des Herrn„Lasst uns wandeln im Licht des Herrn“ ist eine Aufforderung, uns an diesen Gott zu binden, unser Leben in seinen Dienst zu stellen. Es ist ein Appell, diesem Gott zu vertrauen und an ihn und seine Vision für diese Welt zu glauben. „Lasst uns wandeln im Licht des Herrn!“
Dieses Licht verschleiert nicht die harte Realität unserer Welt: Unrecht bleibt Unrecht. Krieg bleibt Krieg. Schrecken bleibt Schrecken.
Aber vielleicht öffnet uns dieser Appell hin und wieder eine neue Perspektive. Vielleicht öffnet er uns einen Spalt, sodass ein Strahl dieses Lichtes in unser Leben fällt und auch durch uns andere Menschen mit diesem Licht bescheint. Dann werden die Menschen nicht zum Ort der hoffnungslosen Gegensätze, sondern erhalten Raum für farbenfrohe Unterschiede. „Im Licht des Herrn“ wird der politische Gegner zum einzigartigen Menschen mit Bedürfnissen, Wünschen und Zielen: zu einem Bild Gottes, dessen Ideale mir zwar fremd sind und mit dem man über Themen streiten kann; dessen Andersartigkeit jedoch keiner Bekämpfung bedarf. Und vielleicht treten wir zusammen für eine gerechtere Welt ein.
Im Licht des Herrn erkenne ich im Andersgläubigen einen Menschen auf ernsthafter Suche nach Sinn. Seine Sicht auf die Welt mag anders sein, aber den Impuls seiner Sinnsuche verstehe ich. In Gottes Licht wird mir der Fremde zum Nächsten – nicht trotz seiner Unterschiede, sondern gerade wegen dieser Unterschiede.
„Lasst uns wandeln im Licht des Herrn“ bedeutet, den Dialog zu suchen, Versöhnung zu wagen und Gottes Friedensvision als eine Möglichkeit zu sehen – selbst dann, wenn die Realität etwas anderes zu sagen scheint. Amen.
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