9. Sonntag nach Trinitatis (01. August 2021)

Autorin / Autor:
Dekanin Dr. Juliane Baur, Schorndorf [juliane.baur@elkw.de ]

Matthäus 7, 24-27

IntentionJesu Worte in der Bergpredigt sind auch heute Zuspruch und Anspruch für christliches Leben und Handeln. Hören und Tun gehören zusammen.

Liebe Gemeinde,
an vielen Stellen im Matthäusevangelium zeigt sich Jesus als Lehrer. Er spricht von der Liebe und der Barmherzigkeit Gottes und welch verpflichtender Anspruch an uns daraus folgt. Besonders wichtig ist die berühmte Bergpredigt in Matthäus 5-7. In ihr ist zusammengefasst, was Jesus als Lehrer der jüdischen Tradition vermittelt. Er zeigt, was Gottes- und Nächstenliebe meinen. Am Ende der Bergpredigt steht ein einprägsames Gleichnis. Es ist uns heute als Bibeltext für die Predigt aufgegeben. In Matthäus 7, 24-27 heißt es:
„Jesus sprach: Wer diese meine Rede hört und tut sie, der gleicht einem klugen Mann, der sein Haus auf Fels baute. Als nun ein Platzregen fiel und die Wasser kamen und die Winde wehten und stießen an das Haus, fiel es doch nicht ein; denn es war auf Fels gegründet. Und wer diese meine Rede hört und tut sie nicht, der gleicht einem törichten Mann, der sein Haus auf Sand baute. Als nun ein Platzregen fiel und die Wasser kamen und die Winde wehten und stießen an das Haus, da fiel es ein und sein Fall war groß.“

Erwartungen an die AuslegungEindeutige, leicht verständliche Worte. Aber wenn sie so leicht verständlich sind, worüber kann ich dann eigentlich noch predigen? Über nachhaltige Baustoffe der Zukunft wohl nicht – so interessant das wäre für den Klimaschutz.
Vielleicht darüber, welche Stürme es im Leben geben kann? Unerwartet wie ein Platzregen, der aus einem trockenen Tal einen reißenden Fluss macht? Manch einer wird sich da an erlebte Hochwasserkatastrophen auch hier bei uns erinnern. Oder wir sprechen – wie oft in den letzten Monaten – über den Sturm der Pandemiefolgen auf unser aller Leben und wie vielen Menschen dadurch der Boden unter den Füßen weggezogen wurde. Weil fast alle Freizeitaktivitäten nicht erlaubt waren oder weil es finanziell immer enger wurde.
Natürlich käme dabei die Frage hoch, was Sicherheit gibt im Leben. Jede Bank fragt nach Sicherheiten, bevor sie einen Kredit gibt. Viele kennen das. Und auch Menschen, die ganz viel Freiheit brauchen, dürften spüren, dass z.B. eine Krankenversicherung als Sicherheit wichtig ist oder Freunde, auf die man sich wirklich verlassen kann; auch wenn man sich lange nicht sehen durfte.
Und hier geht es ja wohl um eine besondere Sicherheit, um ein besonderes Fundament: dasjenige, auf dem das Leben ruht. Also spreche ich über den Unterschied von Fels und Sand? Welches Fundament ist auf Dauer stabil und welches nur scheinbar? Leider ist das längst nicht so eindeutig, wie es auf den ersten Blick scheint. Gut geplant und betreut steht in Lübeck die Marienkirche, eine riesige Backsteinkirche, seit Jahrhunderten auf Sand – und hält. Auf der anderen Seite habe ich vor einiger Zeit im Württembergischen Gemeindeblatt von den Sorgen einer Kirchengemeinde bei Herrenberg gelesen. Ihre Kirche wurde zwar auf Fels gebaut, doch unter dem Fels ist der Grund löchrig. Der dort vorhandene Gipskeuper wird nach und nach ausgewaschen und dadurch entstehen große Hohlräume. Wird nicht gegengesteuert und stabilisiert, könnte der Kirchturm umkippen. Wann kann ich also wissen, ob ein Fundament wirklich stabil ist? In jedem Fall ist es nötig, immer wieder zu prüfen und flexibel zu bleiben und bereit, weiter und neu zu denken, was für die Zukunft nötig ist.
Womöglich ist das Problem ja sogar dies, dass wir viel zu selten überlegen, worin unser Lebens-Fundament überhaupt besteht und was die Kriterien für das eigene Handeln sind, stattdessen ungeprüft einfach das Nächstliegende tun? Haben wir vielleicht schlicht genug zu tun mit der Alltagsbewältigung, die aufreibend ist, und vergessen darüber, was im Leben wirklich trägt? Wäre es so, dann wären wir im Sinne des Gleichnisses wohl töricht.
Schieben wir das Gleichnis also nicht zu schnell als eindeutig und leicht verständlich zur Seite, und fangen wir nochmals an: „Wer diese meine Rede hört und tut sie, der gleicht einem klugen Menschen. Und wer diese meine Rede hört und tut sie nicht, der gleicht einem törichten Menschen.“

Hören und Tun. HörenLiebe Gemeinde, es geht gar nicht ums Bauen oder um Stürme oder um Fundamente. All das sind nur Aspekte des von Jesus benutzten Bildes. Sie sollen gar nicht für sich betrachtet werden. Wer hört und tut, ist klug. Wer hört und tut nicht, ist töricht. Das ist die einfache Wahrheit.
Beide hören gleichermaßen. Sie hören: Selig sind die geistlich Armen, denn das Himmelreich ist ihr. – Ihr seid das Salz der Erde. – Wenn ihr betet, sollt ihr nicht plappern. Betet vielmehr so: Vater unser im Himmel. – Sorget nicht. Seht die Vögel. Sie säen nicht, sie ernten nicht, und euer himmlischer Vater ernährt sie doch. – Wo dein Schatz ist, da ist auch dein Herz. – Alles, was ihr wollt, dass euch die Leute tun, das tut ihnen auch. – Wenn dich jemand eine Meile nötigt, so geh mit ihm zwei. – Eure Rede sei ja, ja; nein, nein. Was darüber ist, das ist vom Bösen. – Liebet eure Feinde und bittet für die, die euch verfolgen.
Das klingt eindringlich. Und zugleich schwierig. Kein Wunder, dass immer wieder versucht wurde, das Gehörte nicht zu dicht an sich heranzulassen. Zum Beispiel durch Fragen wie diese: Das soll alles getan werden? Ist das nicht nur an bestimmte, besondere Christinnen und Christen gerichtet? Ist es nur für die damalige Zeit gesagt? Was machen wir mit dem Vielen, das nicht mehr so richtig in unsere Zeit passt? Und wo bleiben die Themen, die hier nicht auftauchen, die aber heute dran wären, z.B. die Frage nach der Generationengerechtigkeit?
Machen wir uns nichts vor: Solche Fragen sind Ausreden. Wir sind aber aufgefordert, klug zu leben. Aufgefordert zu hören – und zu tun.
Liebe Gemeinde, Hören erschöpft sich nicht darin, die gesprochenen Worte aufzunehmen und ihren Sinn zu verstehen. Hören bedeutet auch, den Zuspruch und die Ermöglichung zu spüren, die in den Worten liegen. „Selig sind die geistlich Armen.“ „Selig sind die Sanftmütigen.“ Ich höre da: Selig sind die Schwachen, die Suchenden, diejenigen, die gegen alle entmutigenden Erfahrungen ein Dennoch setzen, diejenigen, die nicht alles können und die um ihre Grenzen wissen. Selig seid – ihr.
Das ist die Überschrift der Bergpredigt und steht über all den steilen Forderungen. Es ist ein Raum, der zur Verfügung gestellt wird, ein Raum, in dem alle Wertschätzung erhalten, alle willkommen sind und gebraucht werden.
Das steht über allem anderen. Das ermöglicht alles andere.

Hören und Tun. TunErst dann kommen in verschiedenen Bildern all die Problemstellungen im Zusammenleben von Menschen, und wir hören von Lösungsansätzen. Natürlich wird nicht jedes mögliche Problem benannt, aber die verwendeten Bilder und Aufforderungen sind doch Beispiele, die vor Augen führen, wie ganz allgemein ungerechte Strukturen überwunden werden können. Oder fake news durchschaut werden können. Bilder, die Kriterien andeuten auch für Probleme unserer Zeit. Ansätze, die ermöglichen zu lernen, auch für anderes.
Ein Beispiel möchte ich benennen. Eines, das zeigt, wie eine Zwangssituation verändert werden kann in eine Chance für alle. „Wenn dich jemand eine Meile nötigt, so geh mit ihm zwei.“ Matthäus 5, 41. Oder – in der Übersetzung der Basisbibel, weil da noch deutlicher wird, worum es geht – „Wenn dich jemand dazu zwingt, seine Sachen eine Meile zu tragen, dann geh zwei Meilen mit ihm.“
Das kann sicher nicht die Aufforderung sein, sich einfach duldsam unterdrücken zu lassen – sonst wäre es ja genau das Gegenteil von dem, was die Seligpreisungen als Überschrift der Bergpredigt zum Ausdruck bringen. Sonst wäre der eröffnete Raum wieder verloren.
Was aber dann? Offenbar gab es das Recht der Machthabenden, wen auch immer zu jeder Zeit von der Straße weg zu verpflichten, ihm eine Last eine Meile weit zu tragen. Natürlich ohne einen Lohn. Willkürliche Herrschaft, sicher oft benutzt, um herablassend mit der Bevölkerung umzugehen. Wer nun freiwillig statt der erzwungenen einen Meile zwei Meilen mitgeht, bringt zum Ausdruck: „Ich lasse mich nicht unterdrücken. Ich sehe, dass Sie offenbar gerade Hilfe benötigen, ich helfe Ihnen gerne und scheue dabei keine Mühe.“ Spüren Sie das? Das ist eine selbstbewusste, starke Reaktion, die zudem ermöglicht, den anderen lernen zu lassen, wie man besser miteinander umgehen kann – ohne ihn bloßzustellen.
Ja, Jesus mutet uns in den Worten der Bergpredigt, diesen Worten der uns verpflichtenden Gottesliebe, vieles zu. Und er traut es uns auch zu – als Fundament des Lebens und Maßstab unseres Handelns. Um seinem Reich des Friedens den Weg zu bereiten. Und übrigens: Der ganzen Gemeinde, seiner Kirche weltweit traut und mutet er das zu: den Mut zu selbstbewusstem Handeln in seinem Reich des Friedens. Ich bin sicher: In der gemeinsamen Solidarität wächst die Kraft des Einzelnen. Packen wir es an – und bauen wir unser Lebenshaus auf Fels. Amen.

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