Altjahresabend (31. Dezember 2017)

Autorin / Autor:
Dekanin Dr. Edda Weise, Würzburg [edda.weise@elkb.de]

2. Mose 13, 20-22

Auf der SchwelleAm letzten Abend des alten Jahres mag man sich wie ein Mensch vor einer großen Tür fühlen. Einer steht vor einer großen hohen, geschnitzten Holztür. Die Klinke ist kunstvoll gearbeitet und liegt gut in der Hand. Noch ist die Tür versperrt. Aber sie wird in wenigen Stunden geöffnet werden. Dann wird es möglich sein, hindurchzuschreiten.
Auf der Schwelle kann man noch einmal zurückblicken auf den Weg, der hinter einem liegt, auf alles, was sich bisher ereignet hat. Vielleicht mit Gleichmut, weil das Vergangene gut und in Ordnung war, vielleicht mit gemischten Gefühlen, weil Schweres zu tragen war oder voller Glück und Erleichterung, weil Schwieriges überstanden ist.
So geht es den Israeliten. Hinter ihnen liegen bewegte Zeiten. Über viele Generationen lebten sie nun in Ägypten. Es war ihnen nach einer Hungersnot Heimat geworden. Jetzt waren sie ein großes Volk und hatten in den vergangenen Jahren schwere Zeiten durchlebt. Die Ägypter hatten sie an den Rand gedrängt und für Sklavendienste eingesetzt. Sie mussten Ziegel treten und Baumaterial herstellen. Aufseher wachten über ihre langen Arbeitstage. In den Augen der Ägypter gab es viel zu viele israelitische Kinder. Angst vor dem wachsenden fremden Volk machte sich breit. Deshalb sollten die männlichen Säuglinge der Israeliten gleich nach der Geburt umgebracht werden.
Das Volk schrie zum Herrn und er hörte ihr Schreien. Das Adoptivkind einer ägyptischen Prinzessin begann seinen schwierigen Weg. Mose, der Angehörige des pharaonischen Hofstaats erschlug einen der grausamen Aufseher über die israelitischen Sklaven und musste in die Wüste fliehen. Dort wurde er von Gott im brennenden Dornbusch zum Befreier und Anführer beim Auszug aus der Knechtschaft berufen.
Mose und Aaron rechten mit dem Pharao, ein langes Hin und Her beginnt. Plagen überziehen die Ägypter, trotzdem lassen sie das fremde Sklavenvolk nicht ziehen! Der Kampf eskaliert. Schließlich kommt es zur Katastrophe, zum Umsturz. Alle erstgeborenen Söhne der Ägypter sterben, Chaos bricht aus, die Israeliten können das Land verlassen. Sie taumeln geradezu in die Freiheit nach dieser Nacht.

Der Weg ins UnbekanntePlötzlich stehen sie in der Wüste, frei, überrascht und erschrocken. Noch ist es nicht vorbei, aber sie haben schon einmal einen Ausweg gefunden. Der Pharao wird nicht kampflos aufgeben. Jetzt müssen sie sich orientieren und sehen, wie es weitergehen kann.
So wie ein Mensch an der Schwelle des neuen Jahres. Es liegt verheißungsvoll vor einem. Ganz neu und frisch. Morgen ist der 1.1.2018, noch kein einziger Tag des neuen Jahres ist verbraucht, viele Möglichkeiten können sich im neuen Jahr eröffnen. Deswegen fasst der eine oder andere ja auch gute Vorsätze. Man könnte etwas neu und anders machen. Chancen ergreifen, neue Wege gehen, manche Zwänge hinter sich lassen.
Den Israeliten jagt der Pharao hinterher, so ganz unbelastet ist ihr Zug in die Freiheit nicht. Es ist ja kein ganz neuer Mensch, der neu geboren in die Wüste wandert. Wie auch kein Mensch ohne seine Vergangenheit über die Schwelle eines neuen Jahres geht.
So – eingespannt zwischen alt und neu – wenden sich die Israeliten der Zukunft zu. Eigentlich eine verwirrende Situation. Orientierung finden sie an einer Wolken- und Feuersäule, die ihnen vor Augen steht. Der Herr selbst stellt sich so an ihre Seite und zieht vor ihnen her, weist ihnen den Weg.
Eine lange Wanderung liegt vor dem Volk Israel. Es wird nicht einfach werden und sie werden es sich und Gott nicht einfach machen. Sie murren und sehnen sich zurück nach den Fleischtöpfen und der Bequemlichkeit Ägyptens, vergessen Knechtschaft, Feindschaft und Mühsal. Sie werden mit Gott hadern. Sie werden Angst haben vor dem Einzug in das Gelobte Land und vierzig lange Jahre in der Wüste bleiben müssen.
Trotzdem wird der Herr sie nicht verlassen. Er ist beständig. Am Tage zieht er in der Wolkensäule vor ihnen her und in der Nacht ist er als Feuersäule da. Sie haben immer Orientierung und sie müssen auch nachts nicht in die Irre gehen. Gott ist treu und das schafft Vertrauen.
Vielleicht wäre das auch für das Jahr 2018 gut zu haben: eine Wolkensäule bei Tag und eine Feuersäule bei Nacht. Wenn einer nachts nicht schlafen könnte, weil die Gedanken keine Ruhe finden, dann könnte er oder sie aus dem Fenster schauen und die Feuersäule sehen, die wie ein Wegweiser vor dem Hause steht. Morgens, wenn einer zur Arbeit gehen müsste, so würde eine Wolkensäule vor dem Fahrradständer stehen und einen vielleicht gerade nicht zur Arbeit, sondern an neue, spannende Orte geleiten.

Wegweiser brauchen VertrauenSo war es wohl bei den Israeliten damals in der Wüste. Aber obwohl sie doch die Wolken- und die Feuersäule hatten, war ihr Weg durch die Wüste kompliziert und von vielen Konflikten und Anfechtungen geprägt. Ein rein äußerliches Zeichen ist nicht eindeutig. Sogar von einer Wolkensäule kann man sich abwenden und in die andere Richtung marschieren.
Die Bibel erzählt davon. Am bekanntesten ist die Geschichte vom Goldenen Kalb. Mose ist auf dem Berg bei Gott, um die Gesetzestafeln zu empfangen. Da werden die Israeliten unruhig und unzufrieden. Schließlich macht ihnen Aaron das Goldene Kalb, das sie wie einen Gott verehren können. Auch das ist eine sehr menschliche Erfahrung. Manche Entscheidungen werden gefällt, obwohl man es eigentlich besser weiß oder wissen müsste. Gaffer behindern nach einem Unfall auf der Autobahn Rettungsfahrzeuge und Hilfskräfte, regen sich sogar noch auf, wenn sie auf ihr Fehlverhalten aufmerksam gemacht werden. Junge Männer lassen ihre Hemmungen fahren wie in der Silvesternacht 2015 in Köln und belästigen Frauen, obwohl sie wissen, dass das gegen die Gesetze und Regeln ihres Gastlandes wie ihres Herkunftslandes verstößt.
Die Wegweiser alleine machen es nicht. Es kommt darauf an, ob das Volk Israel oder eben ein Mensch auf der Schwelle zu einem neuen Jahr davon überzeugt ist, dass die angebotene Orientierung die richtige ist und Vertrauen verdient. Den Wegweisern zu vertrauen, innerlich im Herzen von der Richtung überzeugt zu sein, das ist im unbekannten Land notwendig.
Gott ist treu, er sucht sein Volk, auch wenn es sich von ihm abgewendet hat, und verheißt gerade die innere Orientierung, die Vertrauen möglich macht. „Denn der Herr, dein Gott, ist ein barmherziger Gott; er wird dich nicht verlassen noch verderben, wird auch den Bund nicht vergessen, den er deinen Vätern geschworen hat“ (Deuteronomium 4,31). Besonders die Propheten wissen davon, dass Gott selbst das Herz der Menschen berühren und verändern muss, damit sie sich immer wieder neu an seinem Willen orientieren können. So spricht Jeremia davon, dass Gott einen neuen Bund schließen will und sein Gesetz in das Herz geben und in den Sinn der Menschen schreiben will (Jeremia 31,31ff).
In Jesus Christus geht Gott noch einen Schritt weiter. Er wird selbst Mensch und kommt uns ganz nahe, damit unser Herz von seiner Liebe berührt wird. In vielen Kirchen steht jetzt die weihnachtlich geschmückte Krippe. Dort sehen wir den menschgewordenen Gott, der in unserer Mitte sein und bleiben will. Heute am Altjahrsabend und an jedem Tag des neuen Jahres. Er ist sozusagen der menschgewordene Wegweiser, denn er ist der Bruder an unserer Seite und Gott selbst in unserer Mitte. Er ist Kraftquelle und Orientierung zugleich, weil er seine Liebe und seinen Geist in unser Leben geben will. Das kann uns innerlich aufrichten und ermutigen gerade an der Schwelle zu einem neuen Jahr. Wohl ist ein jeder von uns eingespannt zwischen Vergangenheit und Zukunft, aber mit Christus als unserem Bruder und Erlöser werden wir zwischen den Zeiten nicht verloren gehen und im unbekannten Land immer neu miteinander Orientierung finden. Mit ihm werden wir dazu befreit, Neues zu wagen und neue Ziele zu finden, wie die Israeliten nach ihrem Auszug aus Ägypten. Da wird es auch im neuen Jahr genügend zu tun geben für jeden persönlich und für das Miteinander insgesamt.
Als Christinnen und Christen dürfen wir beherzt für diesen Wegweiser Zeugnis geben. Mit ihm als Orientierung können wir uns mutig für ein gutes und friedliches Miteinander aller Gruppen in unserer Gesellschaft einsetzen, für Respekt gegenüber den Schwachen und Hilfebedürftigen, für lebensförderliche Spielregeln. Gott, der an Weihnachten in der Krippe liegt und in der Mitte der Menschen wohnen will, gibt Orientierung und Ermutigung für dieses Tun.
Amen.

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