Christnacht (24. Dezember 2016)

Autorin / Autor:
Pfarrer i.R. Ulrich Wildermuth, Balingen [ulrich@wildermuth.de]

2. Samuel 7, 4-6; 7, 12-14

Liebe Gemeinde,
„das ist ein schlimmer Abend für Berlin und unser Land“, erklärte Bundespräsident Joachim Gauck am Montag, nachdem ein Attentäter bei der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche auf einem Weihnachtsmarkt mit einem LKW viele Menschen in den Tod gerissen oder schwer verletzt hatte.
Können wir heute Abend – an Heiligabend – Weihnachten feiern wie gewohnt? Gibt es bei uns wieder „business as usual“? Können wir noch unbeschwert miteinander singen von der fröhlichen, seligen und gnadenbringenden Weihnachtszeit?
Zu Weihnachten soll ja die rechte Weihnachtsstimmung gehören. Der Christbaum in der Kirche. Die schönen Lieder. Die altvertraute Geschichte.
Das alles soll zur Einstimmung helfen.
Aber ist das alles so einfach machbar?
Weihnachten gibt es doch nicht auf Knopfdruck!
Viel eher geht es heute Abend um ein Geheimnis, dem wir uns vorsichtig nähern sollen. Heute aus einer ganz anderen Richtung.
Wir hören jetzt nicht auf die altvertraute Geschichte des Evangelisten Lukas. Wir greifen weiter zurück und wenden uns dem Alten Testament zu.
Dort wird auch erzählt von einer besonderen Nacht.
Es erzählt von einer vergeblichen und fehlgeschlagenen Bemühung und davon, wie Gott uns dennoch entgegenkommt. Es steht im Alten Testament, im 2. Samuelbuch und handelt von einer Botschaft, die der Prophet Nathan an König David ausrichten soll:

„In der Nacht aber kam das Wort des HERRN zu Nathan:
Geh hin und sage zu meinem Knecht David: So spricht der HERR: Solltest du mir ein Haus bauen, dass ich darin wohne?
Habe ich doch in keinem Hause gewohnt seit dem Tag, da ich die Israeliten aus Ägypten führte, bis auf diesen Tag, sondern ich bin umhergezogen in einem Zelt als Wohnung.
Wenn nun deine Zeit um ist und du dich zu deinen Vätern schlafen legst, will ich dir einen Nachkommen erwecken, der von deinem Leibe kommen wird; dem will ich sein Königtum bestätigen.
Der soll meinem Namen ein Haus bauen, und ich will seinen Königsthron bestätigen ewiglich.
Ich will sein Vater sein, und er soll mein Sohn sein.“

Gott sagt Nein zu Davids PlänenDavid, der junge König, hat sich viel vorgenommen und er hat viel erreicht.
Er war erfolgreich im Kampf gegen die Philister. Und er machte die Jebusitersiedlung Jerusalem zur Hauptstadt seines Reiches. Dorthin hat er auch die Bundeslade überführt – das mobile Heiligtum der Israeliten – mit den Tafeln des Gesetzes. Und nun will er sein Werk krönen mit dem Bau eines Tempels. Einer Stätte, in der Gott wohnen soll. Einer Stätte, in der man Gott begegnen kann mit Opfern und Lobgesängen.

Das klingt gut. Und es sieht aus nach einem frommen und gottgefälligen Werk.
Und doch gebietet Gott hier Einhalt. Gott sagt Nein zu Davids Plänen.
Gott hat diesen Pomp nicht nötig. Er war es gewohnt, in der Wüste mit seinem Volk in einem Zelt unterwegs zu sein.
Vielleicht wäre der Tempel eher die Krönung von Davids Lebenswerk gewesen und hätte diesem Ruhm und Glanz verliehen, anstatt Gott allein die Ehre zu geben. Golden glänzen ja auch in New York der Trump-Tower, in Moskau der große Saal im Kreml oder in Ankara der Regierungspalast.
Wer oder was soll hier groß sein und groß herauskommen?
Jedenfalls gebietet Gott dem David Einhalt. Er sagt Nein zu dessen Plänen:
„Solltest du mir ein Haus bauen?“ Gott braucht und will den Tempel nicht – jedenfalls nicht von David. So lautet die nächtliche Botschaft.

Das umso größere Ja GottesDoch die Mitte der Nacht wird zum Anfang des Tages.
Im Nein Gottes verbirgt sich ein umso größeres Ja.
Dem David wird die Krönung seines Lebenswerkes versagt –
und zugleich fängt Gott mit ihm etwas ganz Neues und Anderes an.
Nicht, was David tun will oder kann, sondern was Gott will und tut, ist nun entscheidend. Man kann Gottes Antwort so zusammenfassen:
Nicht du sollst mir ein Haus bauen. Sondern ich will dir ein Haus bauen.
Gemeint ist ein Herrscherhaus, eine Dynastie, eine Erbfolge von Königen, die Bestand haben soll. Und am Ende dieses Geschlechtes Davids soll Einer kommen, von dem Gott sagt: „Ich will sein Vater sein, und er wird mein Sohn sein.“

Dieses Versprechen an David ist eine ganz und gar unerwartete Initiative Gottes. David wollte sich selbst überhöhen. Dem wird hier Einhalt geboten und zugleich eine neue Verheißung entgegengestellt.
Nicht, was David von sich aus vollbringt, verleiht ihm Glanz.
Sondern, dass Gott an ihm und durch ihn handelt, macht sein Leuchten aus.
Aus dem Geschlecht Davids, soll eines Tages der Messias geboren werden,
der Retter Israels, der Immanuel, der „Gott-mit-Uns“.

Und weil der Vater Davids Isai hieß und auch Jesse genannt wird, nennt man den Stammbaum Jesu auch die „Wurzel Jesse“.
Hierher gehört das Lied „Es ist ein Ros entsprungen aus einer Wurzel zart, wie uns die Alten sungen, von Jesse kam die Art und hat ein Blümlein bracht, mitten im kalten Winter, wohl zu der halben Nacht“ (EG 30).
Dieses Lied verbindet jenes nächtliche Wort an David mit der heutigen Feier des Heiligen Abends. Es holt die alte Verheißung herüber in die Christnacht.

Weihnachtliche Züge in der ErzählungHat aber die Erzählung von Nathan und David außer diesem Bezug auf den Stammbaum Jesu noch weitere weihnachtliche Züge?

Dazu drei Gedanken:
Erstens: Es geht schon hier um das Geheimnis von Weihnachten.
Der Schweizer Pfarrer und Dichter Kurt Marti hat dieses Geheimnis einmal knapp und präzise mit einem Zweizeiler ausgedrückt.
Der lautet: „MENSCH GERNE GROSS – gott gerne klein.“
Dabei ist die erste Hälfte in Großbuchstaben, die zweite in Kleinbuchstaben geschrieben.
Er sagt damit, dass wir Menschen immer höher hinauswollen und dass wir uns maßlos überschätzen, oft ohne Rücksicht auf andere uns mit Ellenbogengewalt durchsetzen.
Dass aber Gott sich kleingemacht hat und in die Nacht und Dunkelheit dieser Welt hineingegangen ist, dass Gott das Leiden der Kreatur vernommen hat und sich hinabbegeben hat zu den Armen, Elenden und Verlorenen.
„Gott will im Dunkel wohnen / und hat es doch erhellt. / Als wollte er belohnen / so richtet er die Welt. / Der sich den Erdkreis baute, / der lässt den Sünder nicht. / Wer hier dem Sohn vertraute, / kommt dort aus dem Gericht“ (EG 16,5).
Dieses Geheimnis ist als Verheißung in dieser nächtlichen Botschaft an David enthalten.

Zweitens: Es geht hier um eine wohltuende Gegenbewegung.
David hat seine Macht vor allem seinen militärischen Erfolgen verdankt.
An seinen Händen war Blut.
Wir Menschen versuchen oft, uns Geltung zu verschaffen, indem wir Feinde benennen, Feinde verfolgen, Feinde zu vernichten versuchen.
Das Destruktive erscheint oft als der schnellste Weg, voranzukommen.
In der nächtlichen Botschaft an David erscheint von Gott her ein anderer Weg: die wohltuende Gegenbewegung des Konstruktiven.
Mit David soll eine Dynastie beginnen: Aus einem kleinen Anfang soll etwas reifen und wachsen, das Dauer hat.
Bis hin zur Vollendung im Kommen des Messias.
Auch Jesus selbst kommt klein und unscheinbar in diese Welt: in einem Stall und in einer Krippe. Und sein Weg führt hinab bis zum Tiefpunkt, zum Tod am Kreuz. Warum diese Gegenbewegung?
Weil nur auf diesem Weg alle Verlorenen, Leidenden und Ausgegrenzten mitgenommen werden können.
Weil die Rettung nicht auf Kosten von Menschen, sondern für alle Menschen geschehen soll.

Drittens: Weil wir selbst diese Korrektur nötig haben.
Weihnachten hat es ja immer auch mit einer gewissen Betriebsamkeit zu tun. Wir sind voller Erwartungen und Sehnsüchte. Und wir lassen uns davon zu immer mehr Hektik und Aktionismus verführen. Alle Kassen müssen klingeln. Und keine Gelegenheit zum Feiern wird ausgelassen.
Da haben auch wir es nötig, dass zu uns gesagt wird: „Solltest du mir ein Haus bauen, dass ich darin wohne?“ – Meinst du, dass deine Betriebsamkeit Weihnachten schöner und sinnvoller macht?
Ist es nicht umgekehrt: Weil dieses Wunder in die Welt gekommen ist, brauchst du dich nicht zu verrenken.
Bleibe auf dem Boden. Du bist Mensch und nicht Gott.
Lass es einfach geschehen und gönne es dir und auch den anderen, dass Gott sich dieser Welt erbarmt.
Und nimm das Kleine wahr, das an Weihnachten in die Welt hineingekommen ist, das Unscheinbare und Schwache.
Und gib ihm Raum und Zeit zu wachsen.
Du bist Mensch und nicht Gott.

Schluss: Das Tor der Demut in BethlehemEin Bild dafür kann auch die Geburtskirche in Bethlehem sein.
Das mittlere Eingangstor zu dieser Kirche wurde nämlich zweimal verkleinert. Einmal verkleinerten es die Kreuzfahrer zu einem mit einem Spitzbogen gerahmten Portal. Und im Jahr 1500 wurde es noch weiter zugemauert und hat nun eine Durchgangshöhe von nur 1,29m.
Wenn ein erwachsener Mensch die Geburtskirche in Bethlehem betreten will, muss er sich darum tief bücken. Man nennt dieses Portal auch „Tor der Demut“.
Gleichsam klein machen sollen wir uns, wenn wir dem Geheimnis von Weihnachten nahekommen wollen.
Und Acht haben auf das Kleine, das in dieser Nacht emporkommt und wachsen will:

„Das Blümelein so kleine, / das duftet uns so süß; / mit seinem hellen Scheine / vertreibt’s die Finsternis. / Wahr‘ Mensch und wahrer Gott / hilft uns aus allem Leide, / rettet von Sünd‘ und Tod“ (EG 30,3).
Amen.

Hinweis: Ein Foto des Eingangstors findet sich unter https://de.wikipedia.org/wiki/Geburtskirche



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