Christnacht (24. Dezember 2021)

Autorin / Autor:
Professor Dr. Bernhard Mutschler, Reutlingen [Theologie@MutschlerMetzingen.de ]

Titus 2,11-14

IntentionDurch die Christnacht kommen Helligkeit und ein neues, anderes Licht ins Leben. Denn „Gottes heilsame Gnade“ ist erschienen! Dies hat erfreuliche Konsequenzen: ein gutes Leben, Hoffnung, Eifer zu guten Werken.

2,11Denn es ist erschienen die heilsame Gnade Gottes allen Menschen 12und erzieht uns, dass wir absagen dem gottlosen Wesen und den weltlichen Begierden und besonnen, gerecht und fromm in dieser Welt leben 13und warten auf die selige Hoffnung und Erscheinung der Herrlichkeit des großen Gottes und unseres Heilands, Jesus Christus, 14der sich selbst für uns gegeben hat, damit er uns erlöste von aller Ungerechtigkeit und reinigte sich selbst ein Volk
zum Eigentum, das eifrig wäre zu guten Werken.

Liebe Gemeinde,
warum treffen wir uns gerade heute hier im Gottesdienst? Eine Antwort aus dem neutestamentlichen Brief an Titus (2,11): „Denn es ist erschienen die heilsame Gnade Gottes allen Menschen.“
Das Besondere dieser Nacht ist das Kommen Gottes in diese Welt. In Gestalt des Kindes Jesus. Im Stall von Betlehem. So erzählt es die „Weihnachtsgeschichte“ in Lukas 2.
Deutlich anders akzentuiert der Titusbrief: „Es ist erschienen die heilsame Gnade Gottes allen Menschen.“ Mit „erschienen“ ist die Ankunft Jesu von Nazareth gemeint, so wie in der griechischen Denk- und Sprachwelt nur ein Gott oder zumindest der vergöttlichte Kaiser selbst „erscheint“. Er „kommt“ nicht, sondern er „erscheint“. Den Zeitpunkt dafür wählt er selbst, die Art und Weise seines „Erscheinens“ ebenso, und mit seinem „Erscheinen“ steht die Welt in einem anderen, ganz neuen Licht.
Vielleicht erleben wir das auch in dieser Nacht. Das „Erscheinen“ Jesu rückt unser Leben in ein neues, anderes Licht. Durch die Ereignisse dieser Nacht wissen wir: Gott kommt zu uns. Seine Gegenwart im Kind von Betlehem ist heilsam für mein Leben und für das des Nächsten. Wo Gott in ein Herz einzieht, werden Menschen glücklich und froh. Erinnern Sie sich, als Sie einmal ein neugeborenes Kind im Arm hielten? Wie war das? Ich finde: Aus jedem Kind strahlt eine neue Welt! Ähnlich ist es mit Gott: Gnädig und barmherzig sieht er jedes Menschenleben an. Heilsam ist sein Wort. Was bedeutet dies?
Vielleicht bedeutet es, dass wir Menschen nicht mehr an das Viele denken, was „falsch“ lief in unserem Leben, sondern einen neuen Anfang wagen und mutige Schritte gehen. Vielleicht bedeutet es, dass wir aufhören, einander vorzurechnen und lieber anfangen, einander zu verzeihen und gut füreinander zu sein. Dass wir aufeinander zugehen, um sich besser kennen zu lernen und sich zu beschenken. Vielleicht bedeutet es, dass Menschen Verantwortung füreinander übernehmen und wohlwollend füreinander sorgen. Dann finden wir „Liebe und Wärme in der kalten Welt, Hoffnung, die wir fast vergaßen“ (EG 656.Wü). Wo Gottes Licht leuchtet, beginnen seelische Wunden zu heilen. Sein Licht strahlt hell in unsere Welt und in das Leben jedes Menschen.
Lassen Sie uns Verschlossenheit überwinden, uns gleichsam „nach oben hin“ öffnen und den hellen Schein Gottes in dieser Nacht tief in uns aufnehmen. Dann ziehen Freude und Wärme in unser Herz. Dann wird diese „Heilige Nacht“ heilsam für das eigene Leben. „Denn es ist erschienen die heilsame Gnade Gottes allen Menschen.“ Gott ist voller Barmherzigkeit und Gnade! Lassen wir uns anstecken von diesem hellen Schein und einen gnädigen Umgang miteinander, eine barmherzige Praxis, einüben.

Gottes pädagogische Gnade führt zum guten LebenGottes heilsame Gnade, lese ich im Titusbrief, „erzieht uns, dass wir – nach Absage an Gottvergessenheit und weltliche Begierden – besonnen, gerecht und fromm in dieser Welt leben.“ Was für eine Änderung, wenn Gottes heilsame Gnade Menschen „erzieht“, sie begleitet, bildet und stetig erneuert in ihrem Leben.
Ich stelle mir vor: Gottes Gnade wirkt, als ob sie unserem Leben tödliches Gift entzieht. Sie vertreibt Gottvergessenheit und Gottlosigkeit. Sie erinnert uns immer wieder an Gottes offene Tür. Der Zugang zu Gott ist offen für alle. Der Himmel ist nicht verschlossen, sondern von Gott her geöffnet. Kein Lockdown von Seiten Gottes, sondern ein Kommunikations- und Liebesangebot!
Es lebt sich anders aus Gott. Es lebt sich tiefer und voller und runder aus dem Strom des Lebens, der Versöhnung und des Vertrauens Gottes. Wenn Menschen „besonnen, gerecht und fromm in dieser Welt leben“, dann führt dies – davon bin ich überzeugt – zu einer hohen Lebensqualität für alle Menschen und für die gesamte Schöpfung. Es führt zu jenem guten Leben, nach dem sich alle Menschen sehnen. Wie sieht dieses Leben aus? „Besonnen“ – im Umgang mit sich selbst; „gerecht“, d.h. solidarisch, fair, barmherzig – gegenüber anderen und der Schöpfung; „fromm“ und dankbar – im Blick auf Gott. Das ist die Richtung, in die Gottes heilsame Gnade Menschen erzieht, entwickelt und entfesselt. Wäre das eigentlich schlimm, wenn Menschen sich von Gottes heilsamer Gnade anleiten, inspirieren, anstecken ließen? Wenn sie Besonnenheit, Solidarität und Dankbarkeit als Tugenden hoch halten und immer wieder daraus schöpfen wie aus einer Quelle? Wenn nicht, dann lassen Sie uns diesen Weg gehen, jede und jeder für sich und alle miteinander. Gottes heilsame Gnade erneuert, befreit und ermutigt uns. Dieser Weg führt zu einem wahrhaftigen und guten Leben.

Auf die Erscheinung Gottes und Jesu Christi hoffenIch gebe zu: Das Himmelreich wird nicht überall anbrechen, wenn sich einige Menschen auf den Weg machen. Darum heißt es im Predigttext weiter: „Wir warten auf die selige Hoffnung und Erscheinung der Herrlichkeit des großen Gottes und unseres Heilands, Jesus Christus.“
Christin- und Christsein heißt: in Hoffnung leben, in „seliger“, d.h. beglückender Hoffnung. Vielleicht geht es so: das eine tun und das andere nicht lassen. Soll heißen: sich von Gottes Gnade durch und durch heilen und anstecken lassen und doch wissen, dass erst der wiederkommende Christus vollkommen heile Verhältnisse schafft. Es wird auch in Zukunft wieder Pandemien geben und leider auch Selbstsucht, Krieg, Flucht und Vertreibung von Menschen. Erst am „Ende der Zeit“, wenn Christus wiederkommt, werden Krankheit, Krieg und Pandemie, Not, Leid und Tod ein definitives Ende haben. Auf diese Hoffnung hin leben wir. Aus dieser Hoffnungsperspektive schöpfen wir Kraft für unseren Alltag. Mit Worten von Oscar Wilde: „Am Ende wird alles gut. Und wenn es noch nicht gut ist, ist es nicht das Ende.“ Wir leben gewissermaßen im Wartestand. „Wir warten auf die selige Hoffnung und Erscheinung der Herrlichkeit des großen Gottes und unseres Heilands, Jesus Christus.“

Befreit und gereinigt: als Christi Eigentum eifrig zu guten WerkenChristus hat bereits jetzt sehr viel für uns getan. Noch einmal der Predigttext: Christus hat „sich selbst für uns gegeben, damit er uns erlöste von aller Ungerechtigkeit und reinigte sich selbst ein Volk zum Eigentum, das eifrig ist zu guten Werken.“
Durch das stellvertretende Sterben Jesu am Kreuz führt Gott Menschen bereits jetzt in die Freiheit so wie seinerzeit Mose die Israeliten aus Ägypten heraus in die Freiheit führte. Dadurch werden wir frei und innerlich rein von aller Last, z.B. von Hochmut, von Lüge und von Trägheit. Freiheit und Reinheit als „Eigentumsvolk“ Jesu Christi machen unsere Hände frei zu „guten Werken“.
Ich erlebe das so: Wenn sich Christus und damit Gott selbst für mich hergibt, dann erfüllt mich dies mit innerer Dankbarkeit. Diese Dankbarkeit macht mein Leben voll und reich. Dann fließen meine Energien über wie bei einer Schale, die von oben her gefüllt ist bis an den Rand, sodass das Gute überfließt. Wenn Gutes bei uns überfließt, dann sind wir Menschen „eifrig zu guten Werken“. Dann sehen wir die Not des Nächsten und kümmern uns. Dann handeln wir diakonisch. Dann sind wir innerlich frei und „eifrig zu guten Werken“.

Christinnen und Christen sind besser dran und eifrig zu guten WerkenSeit dieser Christnacht ist wahrlich einiges anders in unserem Leben. Gottes heilsames Erscheinen rückt Ihr Leben und mein Leben in ein neues Licht. Gottes heilsames Erscheinen macht uns neu sichtbar. Seit dieser Nacht ist aufrechtes, gutes Leben möglich! Seit dieser Nacht sind wir durch Gottes heilsame Gnade viel besser dran – und dadurch eifrig zu guten Werken. Gelobt sei Gott für seine heilsame Gnade in Jesus Christus!
Amen.

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