Christnacht (24. Dezember 2022)

Autorin / Autor:
Pfarrer Malte Jericke, Stuttgart [Malte.Jericke@elkw.de]

Ezechiel 34,23-31

IntentionZeitenwende, sicher Geglaubtes steht infrage oder ist zerbrochen. Im Jahr 2022 hat sich ein Unsicherheitsgefühl breitgemacht. Wo finden wir Sicherheit in unsicheren Zeiten? Schon der Prophet Ezechiel hat darüber nachgedacht und beschreibt eine Sicherheit, die auch von der Krippe ausstrahlt. Ich meine, auch dort hat sich eine Zeitenwende ereignet.

Dann haben sie also doch noch einen sicheren Ort gefunden. Maria und Josef müssen wahrscheinlich schon ziemlich verzweifelt gewesen sein. Alles voll, kein Platz mehr in den Gasthäusern und Herbergen in Bethlehem. Aber sie brauchten dringen eine Unterkunft, denn die Geburt ihres Kindes stand kurz bevor. So erzählt es Lukas in der Weihnachtsgeschichte. Schlussendlich sind sie bekanntermaßen in einem, nein DEM Stall gelandet. Keine Luxusunterkunft, aber immerhin ein Dach über dem Kopf. Ein bisschen Sicherheit für diese eine Nacht – für Maria und Josef und das neugeborene Jesus-Kind, das in diesem Stall zur Welt kommt.
Auf der Suche nach ein bisschen Sicherheit – ich denke, das wäre auch eine ganz gute Überschrift für das Jahr 2022. Zeitenwende, es ist nichts mehr, wie es war, keiner hätte sich vorstellen können, was in diesem Jahr passiert ist – Worte und Sätze, die in den vergangenen Monaten durch Münder und Medien geisterten. Die Welt ist unsicherer geworden, hieß es immer wieder. Wo finden wir Sicherheit in unsicheren Zeiten?
Gedanken darüber hat sich vor vielen vielen Jahren auch der Prophet Ezechiel gemacht. Seine Worte sind in der Bibel überliefert (34,23-31) :

„Und ich will ihnen einen einzigen Hirten erwecken, der sie weiden soll, nämlich meinen Knecht David. Der wird sie weiden und soll ihr Hirte sein,
und ich, der Herr, will ihr Gott sein. Und mein Knecht David soll der Fürst unter ihnen sein; das sage ich, der Herr.
Und ich will einen Bund des Friedens mit ihnen schließen und alle bösen Tiere aus dem Lande ausrotten, dass sie sicher in der Steppe wohnen und in den Wäldern schlafen können.
Ich will sie und alles, was um meinen Hügel her ist, segnen und auf sie regnen lassen zu rechter Zeit. Das sollen gnädige Regen sein,
dass die Bäume auf dem Felde ihre Früchte bringen und das Land seinen Ertrag gibt, und sie sollen sicher auf ihrem Lande wohnen und sollen erfahren, dass ich der Herr bin, wenn ich ihr Joch zerbrochen und sie errettet habe aus der Hand derer, denen sie dienen mussten.
Und sie sollen nicht mehr den Völkern zum Raub werden, und kein wildes Tier im Lande soll sie mehr fressen, sondern sie sollen sicher wohnen, und niemand soll sie schrecken.
Und ich will ihnen eine Pflanzung aufgehen lassen zum Ruhm, dass sie nicht mehr Hunger leiden sollen im Lande und die Schmähungen der Völker nicht mehr ertragen müssen.
Und sie sollen erfahren, dass ich, der Herr, ihr Gott, bei ihnen bin und dass die vom Hause Israel mein Volk sind, spricht Gott der Herr.
Ja, ihr sollt meine Herde sein, die Herde meiner Weide, und ich will euer Gott sein, spricht Gott der Herr.“

Ezechiels Antwort ist eigentlich einfach: Sicherheit finden wir bei Gott bzw. sie wird von Gott hergestellt. Denn es sind Versprechungen Gottes, die Ezechiel hier wiedergibt:
„Und ich will einen Bund des Friedens mit ihnen schließen und alle bösen Tiere aus dem Lande ausrotten, dass sie sicher in der Steppe wohnen und in den Wäldern schlafen können.
und sie sollen sicher auf ihrem Lande wohnen und sollen erfahren, dass ich der Herr bin
sie sollen sicher wohnen, und niemand soll sie schrecken.“
In einer anderen Bibelübersetzung heißt es da einfach immer wieder: Sie werden in Ruhe und Frieden leben. Das ist das Mantra, der Refrain dieses Textes. Eine Sicherheitsgarantie, die Gott an sein Volk gibt: Sie werden in Ruhe und Frieden leben.
Das war für das Volk Israel damals mehr Verheißung als Realität. Die Israeliten haben lange Zeit im Exil gelebt, fern der Heimat. Immer wieder wurden sie angegriffen, getötet und verschleppt von fremden Königen und Herrschern. Das zieht sich ja leider durch die Geschichte. Einige wenige verrückte Despoten befehlen anzugreifen, zu morden, fremde Länder zu besetzen und darunter leiden Millionen von Menschen. Die Israeliten haben das erlebt. Und das erleben zum Beispiel auch die Menschen heute in der Ukraine. Wer schenkt ihnen Sicherheit?

Tja… Wenn ich das einfach mal so beantworten könnte! Es war für mich vielleicht die bitterste Erkenntnis der vergangenen Monate, dass es nur einen braucht, dem Frieden nichts wert ist, um ein ganzen Volk in Krieg, in Unsicherheit zu stürzen. Und vielleicht berührt dieser Krieg auch uns so sehr, weil sich die Frage aufdrängt: Sind wir die Nächsten?
Wenn der menschliche Friede, die menschliche Sicherheit versagt hat, dann bleibt „nur“ noch Gott als Sicherheitsgarant. Und der begegnet uns ja auch heute Nacht. Wir Menschen sind nicht auf uns allein gestellt. Gott ist bei uns, er ist Mensch geworden, näher kann er uns nicht kommen, enger kann die Verbindung nicht sein. Und ich will meinen Bund des Friedens schließen…
Wo Gott Menschen verbindet, da können sie einander Frieden und Sicherheit geben, wenigstens für Weile. Wie damals im Stall in Bethlehem.
Klar, die Welt da draußen, der Unfrieden, die Unsicherheit, die Angst ist heute nicht einfach weg. Auch heute Nacht ist nicht überall Ruhe und Frieden eingekehrt, trotz der Verheißung, die wir in den Worten Ezechiels gehört haben. Aber da ist ein Halt, etwas worauf ich vertrauen, hoffen und handeln kann.
Denn ich finde in diesen Worten Ezechiels auch eine Art Anleitung oder Bausteine, wie Frieden gelingen, wie Sicherheit hergestellt werden kann. Was der Prophet Ezechiel da verheißt, sind eigentlich keine Wunderdinge.

Gott verspricht, genug Ernte, Nahrung, körperliche Unversehrtheit, Regen, der gedeihen lässt und nicht zerstört. Gnädiger Regen – eine sehr schöne Formulierung finde ich. Gott verspricht, dass die Menschen auf ihrem Land leben können, territoriale Integrität nennen wir das heute. Das sind die Grundlagen, die ein sicheres Leben ermöglichen. Grundlegende Dinge, die man für ein sicheres Leben braucht und für die ich mich einsetzen kann. So könnte es gehen mit dem Frieden auf Erden.
Stattdessen ist aber heute Abschottung das Mittel der Wahl. Die Geburtsstadt Jesu, Bethlehem, durchzieht eine meterhohe Betonmauer. Die Europäische Union tut Vieles dafür, dass Menschen auf der Flucht nicht nach Europa kommen, obwohl von humanitärer Hilfe die Rede ist. Schließlich sollen auch diejenigen zufrieden sein, die in Zuwanderung eine Gefahr für die eigene Sicherheit sehen. In den vergangenen Wochen gab es Berichte, dass an Grenzen auf Flüchtende geschossen wurde. Vermeintliche Sicherheit für die ---Einheimischen, tödliche Gefahr für die Menschen auf der Flucht.
Wenn man aber in die Regionen schaut, aus denen viele Menschen fliehen, sieht man: Vieles von dem, was Ezechiel als Sicherheitsgrundlagen beschreibt, ist dort nicht vorhanden. Deshalb begeben sich Menschen auf die Flucht, weil sie ein sichereres Leben suchen. Weil ihr Land genommen wurde, ihre Ernte durch das Klima zerstört wurde oder ihr Leben durch Krieg bedroht ist. Sie fernzuhalten bringt höchstens vermeintliche Sicherheit, für diejenigen, die sich hinter, Mauern, Grenzen und Soldaten verschanzen.

Aber Weihnachten ist ein Fest für alle. Der Heiland aller Welt wird geboren - ein Kind für die ganze Welt. Dann gilt doch auch Gottes Verheißung für alle. Alle sollen ein sicheres Leben führen können. Oder zumindest ein sichereres Leben.
Denn die Erfahrung zeigt auch: eine hundertprozentige Sicherheit im menschlichen Leben gibt es nicht. Das haben wir ja in diesem Jahr eindrücklich erlebt. Ezechiel hat das offensichtlich auch erfahren. Ihm war klar, wir brauchen Gott, wir brauchen seine Unterstützung, damit wir die Unsicherheit aushalten und trotz allem für Frieden und Sicherheit arbeiten können.
Und deshalb – gerade, weil ich unsicher bin, was die Zukunft bringt, weil ich um sicher Geglaubtes fürchte, bin ich froh, dass Weihnachten ist. Da finde ich Sicherheit: in diesem Stall, in der Krippe, in dem neugeborenen Baby. Gott zeigt, ich lasse diese Welt nicht alleine, auch in unsicheren Zeiten. Und das ist für mich am Ende auch nicht nur eine Abstraktion oder ferne Verheißung. Ich erlebe und spüre das gerade jetzt und hier. Hier in der Kirche, mit den freundlichen Menschen, der schönen Beleuchtung, dieser ganzen weihnachtlichen Stimmung – da fühle ich mich sicher, da bin ich ganz friedlich. Da fühle ich mich geborgen in Gottes Sicherheit, die in dieser Nacht von der Krippe ausstrahlt und die ich mitnehmen kann in alle Tage und Nächte.
Amen.

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