Heiligabend/Christvesper (24. Dezember 2018)

Autorin / Autor:
Pfarrer Markus Eckert, Fellbach [markus.eckert@elkw.de]

Jesaja 9, 1-6

Intention: Wir haben unsere Bilder von Weihnachten im Kopf. Die biblischen Texte in Lukas 2 und der Predigttext in Jesaja 9 korrigieren und verändern unser Bild von Weihnachten.

Bilder im Kopf und in der SchriftWenn ich mir Weihnachten vor Augen male, dann ist da eine dunkle Nacht und eine Krippe. Oft wird die Krippe beleuchtet – oder leuchtet es aus der Krippe heraus? Maria und Joseph sitzen drum herum, und draußen in der dunklen Nacht sind die Hirten vor dem Stall und die Engel im Himmel, die singen. Und obwohl die Nacht dunkel ist, kommt von den Engeln ein Licht her.
So steht Weihnachten mir vor Augen. Ein Bild, das mir Lukas geschenkt hat. Der Evangelist Lukas, der diese Geschichte so aufgeschrieben hat. Ein Bild mit einer überschaubaren Anzahl an Figuren. In der Mitte eine Familie und drum herum zwei Gruppen: Die Engel bereiten den golden leuchtenden Himmel über den Hirten auf der dunklen Erde. Und der Himmel singt der Erde das Gloria zu und: Frieden auf Erden bei den Menschen seines Wohlgefallens.
Als Lukas dieses Bild malte für seinen Bericht über das Leben und die Geschichte Jesu, hatte er auch schon Vorbilder. Unter anderem den Propheten Jesaja. Der lebte Generationen vor Lukas und vor Jesus. Und er hatte schon damals die Farben und teilweise die Personen, die das Bild bevölkern parat. Da ist Hell und Dunkel, Himmel und Erde, und ein Kind ist auch mit dabei.
Ich lese, was Jesaja im neunten Kapitel geschrieben hat:
„Das Volk, das im Finstern wandelt, sieht ein großes Licht, und über denen, die da wohnen im finstern Lande, scheint es hell.
Du weckst lauten Jubel, du machst groß die Freude. Vor dir freut man sich, wie man sich freut in der Ernte, wie man fröhlich ist, wenn man Beute austeilt. Denn du hast ihr drückendes Joch, die Jochstange auf ihrer Schulter und den Stecken ihres Treibers zerbrochen wie am Tage Midians. Denn jeder Stiefel, der mit Gedröhn dahergeht, und jeder Mantel, durch Blut geschleift, wird verbrannt und vom Feuer verzehrt.
Denn uns ist ein Kind geboren, ein Sohn ist uns gegeben, und die Herrschaft ist auf seiner Schulter; und er heißt Wunder-Rat, Gott-Held, Ewig-Vater, Friede-Fürst; auf dass seine Herrschaft groß werde und des Friedens kein Ende auf dem Thron Davids und in seinem Königreich, dass er's stärke und stütze durch Recht und Gerechtigkeit von nun an bis in Ewigkeit. Solches wird tun der Eifer des Herrn Zebaoth.“

Licht und Dunkel – Frieden und KriegDas Volk wandelt in der Finsternis. Jesaja redet vom Volk Israel, aber Lukas macht es noch genauer: Er erzählt von den Hirten, die ja auch zu Israel gehören. Draußen vor der Stadt, sozusagen im Abseits, gehen sie ihrer Arbeit nach. Sie sehen ein Licht. Was bisher im Dunkeln lag, das wird erhellt und sichtbar gemacht. Gut, für die, die im Dunkeln und im Abseits standen. Schlecht für die, die von diesem Kontrast, von diesem Hell und Dunkel bisher profitiert haben. Frieden auf Erden, da gibt es auch Verlieren, die nicht wollen, dass sich etwas ändert. Wer Waffen verkauft, freut sich über Krieg. Wer Angst hat, zu sterben, freut sich über Frieden.
Und leider muss man sagen: Es ist Krieg, auch an Weihnachten, auch heute. Nicht hier in Deutschland, aber in Syrien, in Nigeria, im Irak, in Afghanistan, im Jemen, in der Türkei, in Libyen oder um Südsudan und in relativer Nähe in der Ukraine. Gerade werden da offensichtlich die Grenzen des Machbaren wieder ausgetestet.
Es herrscht Krieg auch unter deutschen Dächern. Wenn dann doch Onkel Günter über die Feiertage ins Haus kommt und er tatsächlich wieder irgendwelche politischen Diskussionen vom Zaun bricht, die einen zur Weißglut bringen nach dem dritten Glas Wein.
Und es herrscht Krieg in manchen Kommentarspalten der Sozialen Medien. Wenn sich die Kontrahenten nicht mehr mit Argumenten beschäftigen, sondern sich nur gegenseitig in übelster Weise beschimpfen. Und wer nicht für mich ist, der ist gegen mich.
Es herrscht Krieg. Ja, auch jetzt, obwohl gerade Weihnachten ist. Und manchmal herrscht gerade Krieg, weil Weihnachten ist. Schwer auszuhalten in der Heiligen Nacht, in der wir diese wunderbare Heilige Familie vor Augen haben.
Aber bei Lichte betrachtet, ist das ja eigentlich auch kein schönes Bild, das uns Lukas da malt. Ein junges Paar, das ein uneheliches Kind in einem Stall zur Welt bringt, weil es sonst keinen Platz als Unterschlupf gefunden hat. Alles andere als gemütlich und vorstellbar, in unserem Teil der Welt in dem saubere Kreißsäle mit integrierter Entspannungswanne zum Standard gehören.
Ach, wenn da doch ein Licht aufgehen würde. Aber nicht nur so ein goldenes gemütliches Licht, sondern ein klares, helles, das mich und ein ganzes Volk, das im Finstern wandelt, erhellt, damit auch die Wege klar werden, die zum Frieden führen.

Der Wunder-Rat in WindelnEinen Wunder-Rat, einen Gott-Held, einen Ewig-Vater und einen Friede-Fürst, verspricht Jesaja. Eben einen starken Mann! Der wird kommen. Und, ach ja, wie wäre das schön, wenn wirklich einer kommen und dann alles gut machen würde. So ein Wunder-Rat und Gott-Held! Das wünschen sich viele. Damals bei Jesaja und damals in Deutschland, als z.B. nach dem Ersten Weltkrieg alles verloren schien. Da sollte doch ein starker Mann kommen. Und heute in den kaputten Familien auch. Das ist auch mehr als verständlich. Einer, der Ordnung schafft. Der sagt: Basta! Schluss jetzt! Vertragt euch endlich. Die einfache Lösung, die wäre das schönste. Allerdings: Was später Wunder-Rat und Gott-Held genannt wird, fängt als Kind und Sohn an.
Lukas, der Evangelist, der nimmt für sein Bild den feinen Pinsel und macht es ganz klar: Es ist ein Kind in Windeln! Es ist kein junger Mann, es ist ein Baby, das abhängig ist von Vater und Mutter, die dieses Kind umhegen und es versorgen.
Und schon ist es nichts mehr mit der einfachen Lösung! Das kann doch überhaupt kein Wunder-Rat, Gott-Held, Ewig-Vater, Friede-Fürst sein, so ein Baby in Windeln! Sein, vielleicht nicht, aber werden!
Mein Bild von Weihnachten verändert sich, wenn ich das Bild des Jesaja dazu lege. Ich sehe Licht, dass das Dunkel vertreibt. Und ich sehe nicht nur eine Familie, die gemütlich zusammensitzt, sondern dazu ein Volk, das im Dunkeln verloren ist. Ich sehe die Hirten. Ich sehe diejenigen, die ich vorher nicht gesehen habe, die am Rande stehen. Und ich sehe darüber hinaus die Völker, ja die Menschheit. Ich sehe, was ich am Heiligen Abend gar nicht sehen will: den Krieg und das Leid.

Ein neues WeihnachtsbildUnd dann sehe ich auf meinem Weihnachtsbild eben dieses Kind mit Windeln in einer Krippe. Weit davon entfernt ein starker Mann zu werden. Ein Kind, das umsorgt werden will. Und es liegt im gleichen Licht, wie die anderen, die auch Hilfe brauchen. Ein Kind in Windeln und doch ein Zeichen der Hoffnung. Ein Kind in Windeln und doch mit den Möglichkeiten alles zu werden: Wunder-Rat, Gott-Held, Ewig-Vater und ja, Friede-Fürst. Mein Bild von Weihnachten verändert sich.
Ich möchte Gott nicht zu klein denken: Kriege und Leid liegen in dem Licht, das vom Himmel kommt. Frieden auf Erden, der Wunsch, dass die Waffen schweigen, dass es friedlich zugeht in meiner Familie und alle zu ihrem Recht kommen, all das gehört auch zu dieser Heiligen Nacht und zu meinem neuen Bild von Weihnachten.
Aber als starken Mann, kann ich mir Gott auch nicht denken: Er fängt an, klein wie ich. In Windeln. Vielleicht doch damit ich mit ihm mitwachsen kann. Zu einem Menschen, der das Licht aus dem Himmel schätzt und dem Jubel der Engel zustimmen kann. Doch! Frieden auf Erden, fängt natürlich auch bei mir an. Und womöglich so, wie beim Jesuskind: Indem ich anfange zu sagen und zu zeigen, wo und wie ich bedürftig bin. Zu sagen und zu zeigen, dass ich hungrig nach Zuneigung, Liebe und Frieden bin. Und dass ich nichts weiter dafür tun kann als meine eigenes wundes Herz zu öffnen.
So stehe ich in einem neuen Weihnachtsbild – zusammen mit Jesaja und Lukas. Das Dunkel wird vom Licht vertrieben. Weil Gott es so will. Und weil das Kind in der Krippe Mut macht und zeigt, wie es gehen kann. Dem Kind jedenfalls mag ich mich gerne zeigen, wie ich bin.
Amen.

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