Drittletzter Sonntag des Kirchenjahrs (10. November 2019)

Autorin / Autor:
Pfarrerin Jennifer Berger, Stuttgart [jennifer.Berger@elkw.de]

Lukas 6, 27-38

IntentionJesu Gebot zur Feindesliebe macht Zusammenleben erst richtig möglich. Seine Forderungen sind mit seiner Hilfe tatsächlich umsetzbar.

Liebe Gemeinde!
„Es gibt ja auch Vorbilder außerhalb von Religionen – Menschen, die sich beispielhaft verhalten.“ So ähnlich hat in meiner Gemeinde vor kurzem jemand seinen Kirchenaustritt begründet.
Natürlich gibt es die. Das muss auch ich als Pfarrerin anerkennen. Und mit Bedauern vielleicht hinzufügen, dass wir als Christinnen und Christen nicht immer so sind, wie wir sein sollten. So oft bleiben wir hinter dem zurück, was eigentlich von uns gefordert ist. Und die Forderungen, die sind ganz eindeutig. So stehen sie auch im heutigen Predigttext (Lukas 6,27-38):

„Aber ich sage euch, die ihr zuhört: Liebt eure Feinde; tut wohl denen, die euch hassen; segnet, die euch verfluchen; bittet für die, die euch beleidigen. Und wer dich auf die eine Backe schlägt, dem biete die andere auch dar; und wer dir den Mantel nimmt, dem verweigere auch den Rock nicht. Wer dich bittet, dem gib; und wer dir das Deine nimmt, von dem fordere es nicht zurück. Und wie ihr wollt, dass euch die Leute tun sollen, so tut ihnen auch! Und wenn ihr liebt, die euch lieben, welchen Dank habt ihr davon? Denn auch die Sünder lieben, die ihnen Liebe erweisen. Und wenn ihr euren Wohltätern wohltut, welchen Dank habt ihr davon? Das tun die Sünder auch. Und wenn ihr denen leiht, von denen ihr etwas zu bekommen hofft, welchen Dank habt ihr davon? Auch Sünder leihen Sündern, damit sie das Gleiche zurückbekommen. Vielmehr liebt eure Feinde und tut Gutes und leiht, ohne etwas dafür zu erhoffen. So wird euer Lohn groß sein, und ihr werdet Kinder des Höchsten sein; denn er ist gütig gegen die Undankbaren und Bösen. Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist. Und richtet nicht, so werdet ihr auch nicht gerichtet. Verdammt nicht, so werdet ihr nicht verdammt. Vergebt, so wird euch vergeben. Gebt, so wird euch gegeben. Ein volles, gedrücktes, gerütteltes und überfließendes Maß wird man in euren Schoß geben; denn eben mit dem Maß, mit dem ihr messt, wird man euch zumessen.“

Eine Zumutung?Es sind berühmte und viel zitierte Worte, die wir da lesen. So schlicht sie sind, so schwer sind sie doch umzusetzen. Und irgendwie klingen sie nach Zumutung.
Feinde lieben. Segnen, trotz Hass. Bitten für jemanden, der mich beleidigt hat. Die andere Backe hinhalten, wenn man sich schon eine gefangen hat. Kleidung herschenken, wenn man beklaut wurde und ausleihen ohne zurückfordern.
Sicher. Eine Zumutung. Aber nicht nur heute. Das war schon damals eine Zumutung. Und trotzdem setzt Jesus das als Maßstab. So sollten sich Christinnen und Christen verhalten. Warum ist ganz einfach: Weil wir das und vielmehr auch von unserem Vater im Himmel zu erwarten haben.
Es geht nicht um „wie du mir, so ich dir“, sondern es geht darum, dass ich mich so verhalte, wie es sich mir nahelegt. Nicht kleinlich und engstirnig, sondern großherzig und großzügig. Und das, weil mir so viel geschenkt ist von Gott, dass ich aus dieser Dankbarkeit heraus auch anderen gegenüber anders auftreten kann.
In unserer Gesellschaft heute gibt es das kaum. Da werden eher Ellbogen ausgefahren und es werden die belächelt, die versuchen ehrlich und aufrichtig durchs Leben zu gehen. Die Rücksicht nehmen und sich nicht nur nach vorn drängeln. Das gilt als „normal“. Und so verhalten sich nicht nur Menschen, die nicht religiös sind, sondern das findet sich durch alle religiösen Prägungen.

Die goldene RegelAber wir Christinnen und Christen sind aufgerufen, uns zu verhalten, wie Jesus es fordert. Es ist die goldene Regel, die dies alles prägnant zusammenfasst und die im Christentum eben positiv formuliert ist. In anderen Religionen und Philosophien ist das oft anders. Im Hinduismus zum Beispiel wird sie negativ formuliert, so wie wir das Sprichwort kennen: Was du nicht willst, das man dir tu, das füg auch keinem andern zu. Also: niemanden beklauen, niemanden betrügen, andere nicht belügen… eigentlich sollte das selbstverständlich sein.
Jesus dagegen ermutigt uns, mit gutem Beispiel den ersten Schritt zu machen. Nicht nachtragen, sondern vergeben. Nicht hassen, sondern lieben. Nicht zurückschimpfen, sondern freundlich sein. Das ist keine abgrenzende und ausgrenzende Regel, sondern eine, die aufbaut und stärkt: „Wie ihr wollt, dass euch die Leute tun sollen, so tut ihnen auch!“

Ein Perspektivwechsel hilftVielleicht hilft ein Perspektivwechsel, um die Konsequenz aus diesem Verhalten zu erfassen. Ich denke ja immer, dass ich etwas tun soll. Aber es gilt ja auch andersrum und dann kann ich davon profitieren:
Da ist also jemand, der mich nicht leiden kann. Der sich so sehr über mich ärgert, dass er Gründe hat mich zu hassen. Nun geht er nicht her und zerkratzt mein Auto, schwärzt mich beim Chef an, oder mobbt mich solange, bis ich nicht mehr kann, sondern fängt an für mich zu beten. Für mich bei Gott einzustehen und für mich Gutes zu erbitten.
Ganz bestimmt: Es wird etwas verändern. Bei ihm oder ihr und bei mir.

Ich bin gefragtUnd ich selbst kann das genauso wie der, der mich nicht leiden kann. Ich kann für die Kollegin beten, die den Posten bekommen hat, den ich eigentlich wollte. Ich kann für ihren Erfolg beten und es wird sich auch in mir etwas ändern. Ich kann für den Klassenkameraden bitten, der sich dauernd beim Lehrer einschleimt und immer alles besser weiß. Ich kann den Bäckereiverkäufer segnen, der mich jeden Morgen so unfreundlich anraunzt, wenn ich bei ihm meine Brezel bestelle. Ich bin sicher, so verändert sich etwas in unserem Verhältnis.
Und so lässt sich Altgedachtes und Wohlbekanntes auf den Kopf stellen. Jesus stellt die Welt mit seinen Forderungen auf den Kopf, und das tut gut. Gerade diese leistungs- und gewinnorientierte Welt, in der wir leben.

Wir geben weiter, was Gott schenktUnd ich bin nicht auf mich allein gestellt. Gott lässt mich nicht allein damit. Er schenkt mir Kraft, als Vorbild zum Guten zu leben, weil er so viel im Voraus schenkt. Ein Vorschuss an Liebe und Segen. Mit diesem Vorschuss kann ich gut anfangen umzusetzen, was Jesus mir zumutet.
Hergehen und tatsächlich für die Nachbarin beten, die mich nervt. Für den Kollegen bitten, dessen Arbeit ich immer mit erledigen muss. Um Segen bitten für die, die in meinen Augen ständig falsche Entscheidungen trifft.
Wenn wir als Christinnen und Christen damit anfangen, dann können wir damit die Welt verändern, glaube ich. Und dann lässt sich der Satz vom Anfang mit Freude sprechen. Ja, es gibt auch Vorbilder außerhalb von Religionen. Aber wir Christen haben damit angefangen die Welt zu verändern. Mit Gottes Hilfe.
Dass uns das gelingt, das schenke uns Gott, der Vater, der Sohn und der Heilige Geist, der uns so gute Regeln gegeben hat. Er schenke uns, dass wir tun, was die Leute uns auch tun sollen. Amen.


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