Epiphanias (06. Januar 2017)

Autorin / Autor:
Dekan i.R. Dr. Jochen Tolk, Weingarten [Jochen.Tolk@t-online.de]

Johannes 1, 14-18

Das Zeugnis des TäufersJohannes gibt Zeugnis von dem, dessen Geburt wir an Weihnachten feiern. Er ruft uns zu: Dieser ist unendlich viel größer als ich. Er war vor mir, ja er war schon vor aller Zeit bei Gott, er saß in Gottes Schoß. Denn er ist Gottes eingeborener Sohn. Er hat unser Fleisch angenommen, kam in unsere Welt herein und hat uns offenbart, wer Gott ist. Ohne ihn könnten wir Gott nicht kennen, keiner hat Gott je gesehen, kein Mensch kann ihn mit seinem Verstand erreichen. Aber nun ist das Wunder geschehen: Sein Sohn wurde Mensch, und in ihm erschien Gott selbst in der Welt. Durch den Sohn erkennen und erfahren wir, wer und wie Gott ist, und wir sind überwältigt: Da ist nichts als Gnade und Wahrheit.

Ein Denken, das uns fremd istWir begegnen hier einem Denken, das uns sehr fremd ist.
Merkwürdig, dieser Glaube an eine unsichtbare Welt, die uns umgibt und die schon war, ehe unsere irdische Welt erschaffen wurde.
Merkwürdig, dieser Glaube an einen präexistenten Gottessohn, einen Erlöser, der aus der unsichtbaren Welt zu uns kommt und uns die Wahrheit über Gott und die Welt offenbart.
Da wird von Dingen erzählt, die dem menschlichen Auge und dem menschlichen Verstand gar nicht zugänglich sind. Johannes sagt selbst: „Niemand hat Gott je gesehen.“ Gott ist unsichtbar, unfassbar, unbegreiflich für uns Menschen mit unserem begrenzten Verstand. Mit all unserem Forschen, Suchen, Fragen und Meditieren können wir ihn nicht erreichen. Nur wenn er selbst zu uns spricht, wenn er selbst in unsere irdische Welt hereinkommt und sich offenbart, können wir ihn erkennen, wer er ist und wie er ist. Und nun ist es geschehen: „Der eingeborene Sohn, der Gott ist und in des Vaters Schoß ist, der hat ihn uns verkündigt.“

Alles nur Mythos?Die Erzählung von der Menschwerdung Gottes erscheint uns als ein Mythos, erzählt in den Denk- und Sprachformen einer vergangenen Zeit und eines überholten Weltbildes. Alle Register werden hier und auch sonst in der Bibel gezogen, um Jesus als den zu erweisen, der „Gottes Sohn“ ist. Bis hin zur Behauptung seiner Präexistenz und seiner wunderbaren Geburt aus der Jungfrau Maria. Bis hin zu der Fülle unbegreiflicher Wunder, die er in seinem Leben getan haben soll. Bis hin zu seiner Auferstehung von den Toten. Ein Mythos, erdacht und erzählt zur Verherrlichung, ja Vergöttlichung des Menschen Jesus. So erscheint es unserem modernen Denken, das nicht mehr an eine unsichtbare Welt, an Offenbarungen und an Gottes Eingreifen in die Geschichte glaubt.

War Jesus der einzige „Sohn“ Gottes?War Jesus wirklich so einzigartig? Wir wissen doch, dass es vor Jesus schon viele vom Geist Gottes bewegte Menschen gab, die Gottes Wahrheit bezeugten. Manche wurden „Knechte“ Gottes, „Propheten“ Gottes oder gar „Söhne“ Gottes genannt, so sehr haben sie die Menschen ihrer Zeit mit der Botschaft beeindruckt, die sie im Auftrag Gottes überbrachten. Wir wissen, dass es noch andere Religionen gibt, die von Gott reden, große Religionen, die Hunderte Millionen Anhänger haben in der Welt. Wir wollen ihnen mit Respekt begegnen, sie nicht provozieren. Wir wünschen uns Frieden zwischen den Religionen, Zusammenarbeit im Dienst an den Menschen. Kann man, darf man da heute noch behaupten, Jesus sei der einzige „Sohn“ Gottes, der Gott in einzigartiger Weise offenbart?

Gott hat noch andere Boten gesandt.Hören wir genau hin, dann erkennen wir, dass Johannes durchaus differenziert von der Einzigartigkeit der Offenbarung Gottes in Jesus redet. Nicht in dem Sinn, dass alles nichts sei, was vor ihm und neben ihm als Gottes Botschaft verkündet wurde. Gott hat auch durch andere Boten geredet. Mose wird ausdrücklich genannt: „Das Gesetz ist durch Mose gegeben.“ Mose war der Mittler des Bundes, den Gott mit dem Volk Israel geschlossen hat. Das Gesetz, die Thora, ist die gute Lebensordnung, die Gott seinem Volk durch ihn gegeben hat. Und darin wird nicht nur festgelegt, was gut ist und was Gott von seinem Volk fordert. In der Thora wird Gottes Treue und Barmherzigkeit bezeugt, die trotz aller Sündenfälle der Menschen kein Ende hat, seine Liebe, die allen seinen Geschöpfen gilt. „Die Thora ist durch Mose gegeben“, und niemand soll behaupten, sie sei nicht Gottes Wort an sein Volk. Niemand soll behaupten, das Volk Israel, das Volk der Juden habe keine Gotteserkenntnis, ihr Glaube, ihr Bund mit Gott sei überholt und abgetan, seit Jesus gekommen ist. Johannes behauptet es nicht.
Und wer will ausschließen, dass Gott sich auch in anderen Völkern und Kulturen Menschen erweckt hat, denen er Worte des Lebens anvertraute? Sind nicht alle Menschen seine Geschöpfe, seine Kinder, die er liebt?

Kein Absolutheitsanspruch, sondern ein BekenntnisHier wird kein Absolutheitsanspruch erhoben, als sei „das Christentum“ (was ist das eigentlich?) die einzige Religion, in der göttliche Wahrheit verkündet wird. So redet Johannes nicht, wenn er die Einzigartigkeit Jesu bezeugt. Seine Botschaft ist vielmehr: Was auch immer bisher von Gott bekannt worden ist, es wird weit überboten durch das, was in Jesus Christus geschah. Denn er bringt nicht nur eine Botschaft von Gott, sondern in ihm begegnet uns Gott selbst. Nicht nur die Worte, auch die Taten, das ganze Leben Jesu bis hin zu seinem Tod und seiner Auferstehung sind Offenbarung Gottes. Viele haben das nicht erkannt, obwohl sie ihn gesehen und seine Worte gehört haben. Sie sahen und hörten nur den Menschen Jesus, mehr nicht. Anderen gingen die Augen auf und die bekennen: „Wir sahen seine Herrlichkeit, eine Herrlichkeit als des eingeborenen Sohnes vom Vater voller Gnade und Wahrheit. Und von seiner Fülle haben wir alle genommen Gnade um Gnade.“

Mehr als ein MenschKein Absolutheitsanspruch, vielmehr ein Bekenntnis, eine Einladung: Bei ihm ist Wahrheit, Gnade, Herrlichkeit, Heil in Fülle. Von ihm empfangen wir Gnade um Gnade. Er ist das Maß aller Dinge, aller Worte, aller Bekenntnisse, aller dogmatischen und ethischen Lehren. Er selbst. Nicht, dass andere Boten Gottes deshalb verächtlich gemacht würden. Doch Jesus ist mehr als ein Mensch, dem eine Botschaft anvertraut wurde, die von Gnade und Wahrheit spricht. Er ist der Sohn, der im Schoß des Vaters sitzt – für Johannes die Beschreibung einer unsichtbaren Wirklichkeit, die unsere Vernunft nicht erfassen kann. Man mag das mythologisches Denken nennen, das nicht in die heutige Zeit passt, doch die Botschaft ist klar: In Jesus kommt Gott selbst mit seiner Gnade und Wahrheit in unsere Welt herein. Und Gnade und Wahrheit, das sind nicht nur Worte, das sind Mächte, die Leben verändern und heilen.

Kommt und seht!Jesus wird uns in den Evangelien gewissermaßen vor Augen gemalt. Wir können sehen, wie das ist, wenn arme, kranke, verachtete, erniedrigte Menschen durch Jesus Gnade empfangen, aus dem Staub gehoben werden und als Kinder Gottes ihre Würde zurückgewinnen, ihren aufrechten Gang. Wir können sehen, wie das ist, wenn suchende, verzweifelte und auch hochmütige Menschen durch Jesus aus Irrtum und Blindheit erlöst werden, wie seine Botschaft von der Liebe Gottes sie dazu befreit, diese Liebe zu empfangen und dann auch weiterzugeben. Wir sehen in Jesus einen Gott, der uns ganz menschlich begegnet und uns gerade so dazu bewegt, unsere eigene, ursprüngliche Menschlichkeit wieder zu entdecken. Wir sehen einen Gott, der im Leiden und Sterben seines Sohnes die Macht des Bösen und des Todes überwindet. Wir sehen es und erkennen: Das ist die Wahrheit über Gott, über uns selbst, über unsere Welt. Wir müssen das einfach weitersagen, was durch Jesus mit uns und der ganzen Welt geschieht, wie krankes, zerrissenes Leben Heilung erfährt und aufblüht durch ihn. Alle Welt soll es erfahren. Darum gehen Menschen hin in alle Welt als Boten des Gottes, der sich in Jesus offenbart. Sie gehen hin und laden ein: Kommt und seht!

Wir werden seine Zeugen.Aber auch für uns gilt: „Niemand hat Gott je gesehen.“ Auch wir sehen und hören nur den Menschen Jesus. Und wir geraten immer wieder in Zweifel, ob das wirklich wahr sein kann, was er verkündet und was die Bibel von ihm bezeugt. Es ist so unerhört, kaum zu glauben angesichts der Wirklichkeit, die uns umgibt, angesichts unserer eigenen Erfahrungen von Schwachheit, Versagen und Schuld. Immer wieder sind wir darauf angewiesen, dass er uns mit seiner Gnade und Wahrheit neu beschenkt. Und gerade so werden wir zu seinen Zeugen. Es geht ja nicht um uns und unseren Glauben. Es geht um Jesus, und was er für uns und für die Welt bedeutet. „Aus seiner Fülle haben wir genommen Gnade um Gnade.“ Wenn wir das mit Jesus erlebt und von ihm empfangen haben, dann werden wir seine Zeugen – nicht nur mit Worten, sondern mit unserem ganzen Leben.

Bemerkung:
Die Perikope vom Zeugnis Johannes des Täufers schließt unmittelbar an den Prolog des Johannesevangeliums an. Ich halte es deshalb für sinnvoll, den Vers 14 einzubeziehen.

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