Erntedank (02. Oktober 2016)

Autorin / Autor:
Pfarrer Karl-Ulrich Gscheidle, Reutlingen [karl-ulrich.gscheidle@ev-akademie-boll.de]

2. Korinther 9, 6-15

Dank für alles, was uns Menschen zum Leben hilftDie Aussage leuchtet doch unmittelbar ein: „Wer kärglich sät, der wird auch kärglich ernten. Wer da sät im Segen, der wird auch ernten im Segen.“ Gottes Segen bewirkt Fülle und Überschwang. Wir staunen und freuen uns über diesen Überschwang Gottes, seine schöpferische und überschwängliche Lust, mit der er seine Geschöpfe mit allen Köstlichkeiten versorgt. Äpfel und Melonen, Trauben und Tomaten und vieles mehr, was des Menschen Herz begehrt. Ein Gabenbild, in dem wir schwelgen können und das Wasser im Munde zusammenläuft.

Paulus weist uns auf Großes hin. Gott versorgt seine Geschöpfe mit allem, was sie brauchen im Übermaß. Und er lässt auch Früchte der Gerechtigkeit wachsen und gedeihen. Deshalb gibt es auch eine Fülle von Gründen, Gott zu danken für seine Großzügigkeit, ihm zu vertrauen und sich von seiner Großzügigkeit anstecken zu lassen. Wir werden ermutigt, selbst mit Überschwang zu geben und unter uns zu teilen, was wir empfangen haben. Paulus weitet unseren Blick von den Nahrungsmitteln hin zu allen Gütern und Gaben, die uns Menschen zum guten und gesegneten Leben führen. Vom täglichen Brot bis hin zum vertrauensvollen Miteinander, das alles gehört zu diesen Früchten unserer Gerechtigkeit, die uns munden und unser Herz mit Dankbarkeit erfüllen.

Gott wird wachsen lassen die Früchte eurer GerechtigkeitAuch das Sammeln von Geld gehört selbstverständlich zu den Früchten christlicher Gerechtigkeit. So selbstverständlich wie der Glaube und jeder gute Gedanke, jedes gute Wort und jede gute Tat zu den Früchten christlicher Gerechtigkeit gehört. Und Paulus spricht durchaus klar und deutlich aus, was er von seinen Gemeinden will. Sie sollen nicht knauserig sein beim Spenden. „Ich meine aber dies“, schreibt er, „wer da kärglich sät, der wird auch kärglich ernten.“ Seine Worte könnte wohl jeder Investor teilen, weil sie für Wirtschaft und Arbeitswelt so alltäglich klingen. In der Sprache der Ökonomie gesagt: Je mehr Geld ich in die Hand nehme, umso wahrscheinlicher wird mein Investment erfolgreich sein. Die Worte des Paulus klingen mehr nach Geschäftsleben als nach Kirche. Soll das unser vernünftiger Gottesdienst in der Welt sein, wie Paulus im Römerbrief schreibt?

Es dürfte eine alte ökonomische Binsenwahrheit sein, dass Aufwand und Ertrag in einem positiven Verhältnis zueinander stehen können. Es bleibt aber immer eine Unsicherheit im Spiel, weil es nicht nur im Wirtschaftsleben, sondern im Leben überhaupt auch nicht kalkulierbare Risiken gibt. Es kann einem Landwirt immer die Ernte verhageln. Unternehmer können nie ganz genau wissen, ob ihre Produkte und Dienstleistungen die erwartete Nachfrage haben und ihre Umsatzziele erreicht werden. Arbeitnehmer können nie ganz sicher sein, bei Umsatzrückgang oder Insolvenz ihren Arbeitsplatz zu verlieren. Wir alle werden täglich mit den verschiedensten Lebensrisiken konfrontiert. Von daher ist eine der wichtigsten Früchte der Gerechtigkeit das Vertrauen ins Gelingen. Dieses Vertrauen darf durchaus überschwänglich sein, weil es alles durchdringt, was wir zum guten Leben brauchen: Lebensmut und Anerkennung, Hoffnung und Güte, Liebe und Klugheit, Freude und Großzügigkeit, und vieles mehr. Alles, was wir für ein gutes Leben außer den materiellen Gütern und Gaben auch noch brauchen.

Deshalb kommt den Worten des Paulus auch ein großes Gewicht zu, so wie er schreibt: „Der aber Samen gibt dem Sämann und Brot zur Speise, der wird auch euch Samen geben und ihn mehren und wachsen lassen die Früchte eurer Gerechtigkeit.“

Sammelt euch aber Schätze im Himmel (Matthäus 6,20)Ich denke: Paulus motiviert Christenmenschen aller Berufe und Lebenslagen und selbstverständlich auch Kirchen und Kirchengemeinden zur Großzügigkeit und Hilfsbereitschaft bei ihren Unternehmungen. Seine Worte verstehe ich weit über die Kollekte für Jerusalem hinaus. Ich verstehe sie als eine apostolische Ermutigung für eine produktive Solidarität aus der Fülle und Motivation des christlichen Glaubens heraus.

Ich verstehe unter Früchten der Gerechtigkeit alle Gaben, die Menschen und soziale Gemeinschaften von Gott im Segen empfangen können. Ich meine Kirchen und Kirchengemeinden, aber auch weit profanere Gemeinschaften wie geschäftliche und berufliche Unternehmungen und andere organisatorische Interessensgemeinschaften bis hin zu Gewerkschaften und Umweltverbänden. Christinnen und Christen prägen überall die politische, soziale und ökonomische Welt mit ihren Ideen und Vorstellungen eines guten Lebens. Vielfach geht ihr Engagement einher mit der Motivation zu einer Verbesserung der Lebensbedingungen.

Ein solcher Gottesdienst im Alltag der Welt kann viele Formen eines solidarischen Zusammenarbeitens annehmen, von der beruflichen Tätigkeit bis hin zur ehrenamtlichen oder familiären Tätigkeit oder dem Verfolgen anderer Ziele und Projekte, die alle mehr oder weniger stark aus den Kräften des christlichen Glaubens herauswachsen. Aus allen diesen Gaben, Aktivitäten und Tätigkeiten, die Gott säen kann, wachsen unablässig Früchte der Gerechtigkeit unter uns. Schätze im Himmel, wie Jesus in der Bergpredigt sagt. Und für alle diese Gaben und Aufgaben gibt es in einem Erntedankgottesdienst Anlass und Gelegenheit Gott zu danken.

Gemeinsam können wir mehr und Gewichtigeres tun als alleinDas Wohlergehen von Mensch und Natur und die Bewahrung von Gottes Schöpfung sind eng miteinander verflochten. Wie groß die Herausforderungen sind, zeigen in besonders deutlicher Weise die Emissionen von Kohlendioxid in den verschiedenen Volkswirtschaften. In Deutschland beträgt die CO2-Emission derzeit pro Kopf und pro Jahr über 10 Tonnen, aber auf Dauer sind nur 2 Tonnen pro Kopf und pro Jahr für unseren Planeten Erde erträglich. Ohne diese Zahlen hier zu vertiefen, wird eines schnell klar: dass es einen gewaltigen politischen Handlungsbedarf gibt. Verantwortung für Mensch und Natur gehören ganz besonders zu einem Erntedankgottesdienst.

Vielleicht ist das Besondere eines Erntedankgottesdienstes, dass er mich aus dem Gefühl der Dankbarkeit heraus, intensiver als sonst, zum Wahrnehmen von Herausforderungen motiviert. Mir ist dabei vor Augen, dass wir gemeinsam mehr und Gewichtigeres tun können als allein. Genauso wie zu Zeiten des Paulus gilt das Prinzip evangelischer Freiheit auch hier: Jede und jeder gibt und macht, was er oder sie geben und machen kann und will. In der Summe addieren sich unsere Gaben und bekommen das gemeinsame Gewicht unserer Möglichkeiten und guten Absichten.

Gott gab uns Atem, damit wir leben (EG 432)Es ist ein Meilenstein auf unseren Wegen, dass wir Erntedank für die Gabe und die Gaben, Aktivitäten und Tätigkeiten unseres Lebens feiern können. „Gott gab uns Atem, damit wir leben, er gab uns Augen, dass wir uns sehn. Gott hat uns diese Erde gegeben, dass wir auf ihr die Zeit bestehn.“ Mir fällt dieses Lied (EG 432) mit seinem eingängigen Text und seiner hübschen Melodie als Erntedanklied ein und ich nehme mir auch einen ermutigenden Vers aus dem Briefabschnitt des Paulus mit in meinen Alltag: „Gott wird auch euch Samen geben und ihn mehren und wachsen lassen die Früchte eurer Gerechtigkeit.“ Und eine nicht unwesentliche Erkenntnis verdanke ich dem Apostel durch seinen heutigen Briefabschnitt auch: Kollekten sind nicht weniger wichtig als andere Dinge, die wir im Gottesdienst und im Glauben tun. Amen.

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