Estomihi (27. Februar 2022)

Autorin / Autor:
Pfarrer Dr. Rolf Sons, Flein [rolf.sons@elkw.de]

Markus 8,31-38

IntentionDie Predigt zielt bei ihren Hörerinnen und Hörern auf die Antwort des Glaubens. Sie sollen sich persönlich, existentiell und ganz auf den Weg der Christusnachfolge einlassen. Denn sie haben verstanden, dass Christusnachfolge nicht in den Verlust, sondern in die Freiheit eines geliebten und von Christus begleiteten Lebens führt.

8,31 Und er fing an, sie zu lehren: Der Menschensohn muss viel leiden und verworfen werden von den Ältesten und den Hohenpriestern und den Schriftgelehrten und getötet werden und nach drei Tagen auferstehen.
32 Und er redete das Wort frei und offen. Und Petrus nahm ihn beiseite und fing an, ihm zu wehren.
33 Er aber wandte sich um, sah seine Jünger an und bedrohte Petrus und sprach: Geh
hinter mich, du Satan! Denn du meinst nicht, was göttlich, sondern was menschlich ist.
34 Und er rief zu sich das Volk samt seinen Jüngern und sprach zu ihnen: Will mir jemand nachfolgen, der verleugne sich selbst und nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach.
35 Denn wer sein Leben behalten will, der wird’s verlieren; und wer sein Leben verliert um meinetwillen und um des Evangeliums willen, der wird’s behalten.
36 Denn was hilft es dem Menschen, die ganze Welt zu gewinnen und Schaden zu nehmen an seiner Seele?
37 Denn was kann der Mensch geben, womit er seine Seele auslöse?
38 Wer sich aber meiner und meiner Worte schämt unter diesem ehebrecherischen und sündigen Geschlecht, dessen wird sich auch der Menschensohn schämen, wenn er kommen wird in der Herrlichkeit seines Vaters mit den heiligen Engeln.

Liebe Gemeinde,
als Student in Tübingen zog es mich immer wieder zur Wurmlinger Kapelle. Von dieser auf einem Hügel gelegenen Kapelle zwischen Tübingen und Rottenburg hat man einen herrlichen Blick auf das Neckartal und die Schwäbische Alb. Der Weg, der zur Kapelle hochführt, ist ein Kreuzweg. An 14 Stationen finden sich in Stein gemeißelte Kunstwerke, die den Weg Jesu beschreiben. Es beginnt an der ersten Station mit der Verurteilung. Weitere Stationen, wie etwa die seiner Verspottung oder als er unter dem Kreuz zusammenbricht, folgen. Die letzte Station dieses Kreuzweges befindet sich in der Gruft der kleinen Kapelle: Jesu Grablegung. Und dann gibt es noch eine weitere, fünfzehnte Station. Sie befindet sich oben in der Kirche und gehört eigentlich nicht mehr so richtig zum Kreuzweg dazu. Dennoch ist sie unverzichtbar. Es ist die Station des leeren Grabes. Wer sich auf den Weg hoch zur Wurmlinger Kapelle macht, kann sich den gesamten Weg Jesu von seiner Verhaftung bis zu seinem Sterben und Auferstehen vergegenwärtigen und verinnerlichen.
Jesus nimmt seine Jünger und auch uns heute auf seinen Kreuzweg mit. Drei Stationen wollen wir uns näher anschauen:

Der Weg Jesu für unsIm kleinen Kreis hat Jesus seine Jünger zusammengezogen. Unverblümt und offen spricht er über die Dinge, die ihm bevorstehen. Er kündigt seinen eigenen Tod an. Er spricht davon, dass die führenden Kreise in Israel ihn ablehnen. Er konfrontiert sie damit, dass er getötet wird. Freilich redet er auch davon, dass er am dritten Tag auferstehen wird. „Der Menschensohn muss viel leiden und verworfen werden von den Ältesten und den Hohenpriestern und den Schriftgelehrten und getötet werden und nach drei Tagen auferstehen.“ Diese Sätze müssen für die Jünger ein Schock gewesen sein. Hielten sie Jesus doch für den Messias, den Heilsbringer in Israel. In ihm sahen sie ihre Sehnsucht nach Befreiung, nach Frieden und Gerechtigkeit erfüllt. Gottes Reich sollte in seiner Person anbrechen. Wie lassen sich da solche Sätze, die sein eigenes Schicksal betreffen, einordnen? Waren ihre Hoffnungen vergeblich? Der Jünger Petrus bringt das ganze Unverständnis der Jünger auf den Punkt. „Jesus, wie kannst du nur so etwas sagen?“ Ganz offen wendet er sich gegen Jesu Worte vom Leiden und vom Sterben. Jesus weist Petrus, der es doch nur gut gemeint hatte, barsch zurück. „Geh hinter mich Satan! Denn du meinst nicht was göttlich ist, sondern was menschlich ist.“ Mehr an Zurückweisung geht nicht. Jesus sieht in den Überlegungen von Petrus einen Totalangriff auf seinen eigenen Weg. Menschlich gesehen war es eine Katastrophe, dass Jesus ans Kreuz ging. Was aber bedeutet es aus Gottes Sicht?
Alles hängt hier an dem Hilfsverb „muss“. Jesu Tod am Kreuz war kein blindes Schicksal und auch kein Justizirrtum. Hier „musste“ etwas geschehen, dem Jesus sich nicht entziehen konnte und es letztlich auch nicht wollte. Wir erinnern uns, wie sehr er um diesen Weg gerungen hatte, und wie schwer es ihm fiel, in die Pläne des Vaters einzuwilligen. Menschlich gesehen, war es ein unzumutbarer Weg. Aus Gottes Perspektive allerdings musste es genauso geschehen. Warum nur?
Am Kreuz zeigt sich die Liebe Gottes zu uns Menschen. Dieser Satz, der sich wie ein christlicher Allgemeinplatz anhört, besitzt allerdings eine Tiefe, über die wir nur immer wieder neu staunen können. Denn in Jesu Leiden, Sterben und Tod zahlt Gott den höchsten Preis für die Menschen. Jesus spricht hier in der dritten Person von sich als dem Menschensohn. Wir verstehen darunter, nicht wie man meinen könnte, den Sohn eines Menschen. Vielmehr handelt es sich hier um einen Titel, der die absolute und unumschränkte Herrschermacht Gottes beschreibt. Der Menschensohn ist zugleich der Weltenherr. Ihm ist am Ende der Zeit das Gericht über die gesamte Menschheitsgeschichte in die Hände gelegt. Und nun das Evangelium: dieser Weltenherr, der alles in den Händen hält, wird in die grausamen Hände der Menschen ausgeliefert. Jede einzelne Station des Kreuzweges Jesus sagt uns genau dies: hier stirbt nicht nur ein Vorbild im Leiden oder ein am Ende hilfloser Mensch. Sondern der Sohn Gottes, der König der Juden gibt sein Leben stellvertretend hin. Der Richter wird zum Gerichteten. Der Herr der Welt wird zum erniedrigten Gottesknecht.
In all den Verwicklungen dieser Geschichte aber geschieht Gottes Plan. Hier wird bewältigt, was wir Menschen nicht zu bewältigen im Stande sind. Hier wird der Tod überwunden. Die Schuld wird entsorgt. Hier wird all das, was diese Welt so kaputt macht, aller Hass, alle Ausgrenzung und aller Spott, auch alle Angst ans Kreuz gebracht und auf diesem Wege überwunden. Tiefer hätte Gott den Menschen nicht zeigen können, dass er ganz auf ihrer Seite steht. Deshalb muss es so geschehen.

Unsere Wege mit JesusJesus lädt seine Jünger und auch uns ein, auf dem Weg der Nachfolge seinen Kreuzweg mitzugehen: „Will mir jemand nachfolgen, der verleugne sich selbst und nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach.“
Jesus sucht Nachfolger. Wir verstehen darunter Menschen, die in seinen Fußstapfen gehen. Die ersten Nachfolger waren seine zwölf Jünger. Unzählige sind im Laufe der Geschichte der Kirche dazugekommen. Sie haben sich diesem Gekreuzigten verschrieben. Sie haben ihm vertraut und sind seine Wege gegangen. Manche von ihnen mussten auf diesem Weg sogar ihr eigenes Leben lassen. Sie alle waren keine Schwärmer und auch keine begeisterungstrunkenen Fans. Schon gar nicht waren sie „Followers“, wie wir sie heute kennen, die ihrem Idol auf digitalem Wege folgen. Nein, diese Leute waren anders. Sie wussten um das Risiko, Jesus nachzufolgen. Sie wussten auch, dass es unter Umständen das eigene Leben, ihre Familie oder ihren Beruf kosten würde. In all dem waren diese Leute Überwältigte von der Liebe Gottes. Sie waren keine Helden. Eher oft sehr kümmerliche Menschen. Schwach und nicht immer am besten gebildet. Jesus hatte nicht nur die großen Geister erwählt. Paulus kann sogar davon sprechen, dass er sich das Schwache und Geringe erwählt hat. Sie alle aber verbindet diese eine und doch für jeden sehr persönliche und individuelle Erfahrung der Liebe Gottes. Dieser sind sie schließlich mit Haut und Haaren gefolgt.
Sie verleugneten sich selbst – nicht ihre eigenen Pläne und Gedanken waren ihnen fortan Ziel und Maßstab des Lebens. Sie nahmen ihr Kreuz auf sich, manche Last und manche Aufgabe, die sie bis an die Grenze forderte, ertrugen sie. Sie schenkten ihm ihr Leben. Denn sie wussten, dass ihr eigenes Leben ohne ihn keinen Wert und keine Perspektive hatte. Sie verzichteten darauf, die ganze Welt zu gewinnen, und zwar um den Preis, Jesus ihren Freund zu nennen, bei dem ihre Seele endlich Frieden fand. Die Nachfolge war für sie das größte Abenteuer, das das Leben jemals versprechen konnte.
Nun ist das lange her, und wir fragen uns, wo stehen wir eigentlich heute? Die Christlichkeit, die wir weithin leben, ist noch keine Nachfolge. Lassen wir uns also neu herausfordern. Nicht selbstquälerisch und auch nicht aus eigener Anstrengung heraus können wir diesen Weg der Nachfolge gehen. Das wäre nichts anderes als ein neues Gesetz. Nachfolge führt in die Freiheit, und daher gehen diesen Weg nur Ergriffene und solche die von der Liebe Gottes überwältigt werden. Sie wissen, dass sie in der Abhängigkeit von Jesus an keinem Tag zu kurz kommen. Sie erfahren, dass er sie auf diesem Weg reich beschenkt und auch durch dunkle Täler führt. Sie wissen sich in seinen Spuren und auf seinen Wegen. Jeder Schritt auf diesem Weg ist von ihm schon bewältigt. Sie gehen daher nicht in eigener Kraft, sondern in seiner Kraft. Jeder Weg, den sie zu gehen haben, ist von ihm schon gesehen. Sie gehen daher nicht ins Ungewisse, sondern auf Wegen, die von ihm begleitet sind. Jedes Kreuz, d.h. jedes Leid und jeder Widerstand, der ihnen begegnet, ist von ihm schon getragen. Sie wissen daher, dass auch das Leiden seiner ewigen Liebe entspringt.
Hier heißt es: „Wer sein Leben verliert um meinetwillen, der wird’s behalten.“ Nachfolger haben das Leben nicht verloren. Im Gegenteil: sie haben es gefunden. Nachfolger und Nachfolgerinnen sind reiche Leute. Hanna Hümmer, die Gründerin der Christusbruderschaft in Selbitz, sagt es so: „Nachfolge ist keine fromme Schwärmerei, sondern urgewaltiges Geschehen der Liebe Gottes und demütige, dankbare Antwort auf den Ruf der Liebe.“ – Gleich einem „urgewaltigem Geschehen“ bricht Gottes Reich in ein Menschenleben ein. So beginnt die Nachfolge.

Jesu Ziel mit seinen NachfolgernAm Ende unseres Predigttextes ist noch einmal vom Menschensohn die Rede. Dieses Mal aber in anderer Tonlage. Nicht der leidende Menschensohn wird uns hier vorgestellt. Sondern der herrliche, diese Welt zu ihrem Ziel bringende Menschensohn. „Wer sich aber meiner und meiner Worte schämt …, dessen wird sich auch der Menschensohn schämen, wenn er kommen wird in der Herrlichkeit seines Vaters.“ Am Ende, wenn das Gericht über diese Welt ergeht, wird sich der Menschensohn zu seinen Nachfolgern stellen. Nachfolger und Nachfolgerinnen von Jesus sind gewürdigte Leute. Schon hier tragen sie seine Liebe in die Welt. Dann aber steht ihnen der Himmel offen. Amen.

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