Ewigkeitssonntag / Totensonntag (23. November 2025)
Pfarrer im Amt für Kirchenmusik Frieder Dehlinger, Tübingen [Frieder.Dehlinger@elkw.de]
Matthäus 25,1–13
Intention
Die Predigt am letzten Sonntag des Kirchenjahrs zum Gleichnis und zum Lied will in die Wachheit im Hier und Jetzt rufen, zum (Weiter-)Lieben ermutigen und Lust auf den Himmel machen.
Zur Liturgie
Der Predigttext (Matthäus 25,1–13) soll als Schriftlesung verwendet werden. Das Wochen- und Predigtlied soll vor der Predigt gesungen, die dritte Strophe nach der Predigt oder als Schlussstrophe evtl. wiederholt werden.
Zu „Wachet auf“ gibt es eine Fülle an Kompositionen. Zur Bachkantate (BWV 140) gibt es in den Schübler-Chorälen zur Choralmelodie eine wunderbare Transkription für die Orgel (BWV 645), die viele (C-)Musiker im Repertoire haben. Nahe verwandt zu EG 147 ist das ein Jahr vorher entstandene „In dir ist Freude“ (EG 398). Die Feier des Abendmahls liegt nahe.
Predigttext
Dann wird das Himmelreich gleichen zehn Jungfrauen, die ihre Lampen nahmen und gingen hinaus, dem Bräutigam entgegen. Aber fünf von ihnen waren töricht und fünf waren klug. Die törichten nahmen ihre Lampen, aber sie nahmen kein Öl mit. Die klugen aber nahmen Öl mit in ihren Gefäßen, samt ihren Lampen.
Als nun der Bräutigam lange ausblieb, wurden sie alle schläfrig und schliefen ein. Um Mitternacht aber erhob sich lautes Rufen: Siehe, der Bräutigam kommt! Geht hinaus, ihm entgegen! Da standen diese Jungfrauen alle auf und machten ihre Lampen fertig.
Die törichten aber sprachen zu den klugen: Gebt uns von eurem Öl, denn unsre Lampen verlöschen. Da antworteten die klugen und sprachen: Nein, sonst würde es für uns und euch nicht genug sein; geht aber zu den Händlern und kauft für euch selbst.
Und als sie hingingen zu kaufen, kam der Bräutigam; und die bereit waren, gingen mit ihm hinein zur Hochzeit, und die Tür wurde verschlossen. Später kamen auch die andern Jungfrauen und sprachen: Herr, Herr, tu uns auf! Er antwortete aber und sprach: Wahrlich, ich sage euch: Ich kenne euch nicht.
Darum wachet! Denn ihr wisst weder Tag noch Stunde.
Predigt
Liebe Schwestern und Brüder,
„Seid wach!“, sagt Jesus [in unserem Predigttext] bei Matthäus, und mit „Wacht auf!“ beginnt bei Philipp Nicolai unser Wochenlied.
Aber was heißt das „Wach-Sein“ jetzt am Ende des Kirchenjahrs?
Was heißt das „Aufwachen!“ heute, wo wir unserer Verstorbenen gedenken?
Glaube, Werke, Liebe
In Jesu Gleichnis von den klugen und den dummen jungen Frauen höre ich eine richtig satte Provokation: Dass da eine Hochzeit ist und ein großes nächtliches Fest, viele Menschen, Lichter und Essen und Musik – und dass manche reindürfen, aber dann die Tür zu ist!
Kann das sein, dass Gott die Tür zumacht? Der gütige, der barmherzige, der die Herzen erforscht und kennt, unser Gott, der Vater Jesu: Kann das sein, dass er die Tür zumacht und die Dummen und Unverständigen, die Trägen und Unbedachten, dass er die im Regen stehen lässt? Draußen, wo die Zähne klappern, weil es kalt ist und dunkel?
Jetzt stehen sie vor der Tür, rufen: „Herr, Herr, tu uns auf!“
„Zu spät“, sagt der Bräutigam, „ihr ohne Öl, ohne Fackel, ohne Licht, ich kenne euch nicht.“ Und zu bleibt die Tür.
Aber wenn das eigene Öl so wichtig ist, unsere Fackel, mein Licht: Wenn das so wichtig ist, um zu Gottes Fest zu kommen, was ist dann damit gemeint? Bei Matthäus ist das klar: Er spielt hier auf die Bergpredigt an. In der Bergpredigt, kurz vor dem Ende, sagt Jesus (Mt 7,21):
„Es werden nicht alle, die zu mir sagen ‚Herr, Herr!‘ in das Himmelreich kommen, sondern die, die den Willen tun meines Vaters im Himmel.“
Das unersetzbare eigene Öl der klugen Jungfrauen: Für Matthäus sind das die Werke der Liebe. Das Gute, das wir tun, weil wir in der Nach-folge Jesu aus dem Glauben heraus den Willen Gottes tun wollen.
Der Glaube innen und das Handeln außen: Beides gehört zusammen!
Kein Glaube ohne Liebe. Und keine Liebe, die nicht in den Glauben hinein sich verwurzelt und verzweigt.
„Wach-Sein“ bei Matthäus heißt also: Liebe üben!
Dass wir in allem – zu unserm Nächsten hin, zur Schöpfung, auf Gott hin, ja, selbst zum Mitmensch, der sich uns gegenüber feindselig gebärdet und nicht zuletzt auch zu uns selbst hin – dass wir in allem uns im Lieben üben. Wach-Sein heißt lieben! Mit dem Herzen und mit den Händen lieben und in diesem Fluss sein, wo einer den andern sieht und ihm gut ist und hilft und Hilfe annimmt. Dieser Fluss der Liebe, wo wir nicht aufrechnen und vergleichen, nicht schachern und nichts verkaufen, sondern uns in ein Größeres hineingeben, unbesorgt, und den Willen unseres himmlischen Vaters tun.
Die kommt durch die Tür, die den Willen ihres himmlischen Vaters tut. Der kommt zum Fest, der die Liebe Gottes in seinem Alltag geübt hat.
Im Gleichnis, die klugen jungen Frauen, sie haben ja auch geschlafen. Sie haben wahrscheinlich sogar gut geschlafen, als der Bräutigam länger und immer länger ausblieb. Und sie durften auch schlafen, denn sie waren ja vorbereitet. Sie hatten Öl, sie hatten Licht, sie leuchteten in der Liebe. Sie waren erkennbar für den großen Gastgeber, wann immer er kommt, waren bereit für Gott und sein großes Fest!
Zu spät? Seid wach!
„Seid wach!“, sagt Jesus bei Matthäus. Und ich höre einerseits die Musik des großen Hochzeitsfests und sehe andererseits die geschlossene Tür.
Wenn ich Bibel lese oder Predigten höre - und dann den Eindruck habe, hier wird mit Angst gearbeitet, hier wird mir Angst gemacht - dann sträuben sich mir alle Haare. „Wer mit der Bibel droht, der kennt sie nicht!“, stand auf einem Plakat zur Kirchenwahl in den 70-er Jahren.
Aber dass es ein „Zuspät!“ gibt, das muss ich mir sagen lassen. „Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben.“ Manche von uns erinnern sich, Michael Gorbatschow sagte dies zu Erich Honecker 1989. Auch wer mit dem Tod in Berührung kommt, spürt das, dass Zeit abläuft und es ein Zuspät gibt.
Darum lehrt uns die Bibel an allen Enden, dass wir unser Haus bestellen sollen und dass wir klug sind, wenn wir nicht die Realität des Todes wegschieben, sondern lernen, dass wir sterben werden.
Nur hier in Jesu Gleichnis: Da liegt die Spitze nicht auf dem „Zuspät!“.
Sie liegt auf dem „Seid wach!“ Und Wachsein heißt lieben.
Das offene Grab – der offene Himmel
„Wacht auf!“ Dieses wunderbare, Lied „Wachet auf! ruft uns die Stimme“. Es ist über 400 Jahre alt. Philipp Nicolai hat es geschrieben. Er war Pfarrer in Unna in Westfalen, wir sind im Jahr 1597 und in Unna wütet die Pest. Nicolai schreibt: : „Es überfiel die Pest mit ihrem Sturm und Wüten die Stadt, wie ein unversöhnlicher Platzregen und Ungewitter, ließ bald kein Haus unbeschädigt, brach endlich auch zu meiner Wohnung hinein, und gingen die Leut meistesteils mit verzagtem Gemüt und erschrockenem Herzen als erstarret und halbtot umher.“ Innerhalb eines Jahres sterben 1.400 seiner Gemeindeglieder, unter ihnen auch seine Schwester. Und ich stelle mir vor, wie Philipp Nicolai als Seelsorger Tag um Tag auf dem Friedhof ist, immer wieder an den offenen Gruben steht und wie immer größere Flächen sich mit einfachsten Holzkreuzen füllen.
Doch Nicolai fällt nicht in Erschöpfung oder Depression. Nein, sein zum Unerträglichen gesteigertes Erleben irdischen Grauens wandelt sich um in eine kaum mehr aussagbare Erfahrung des himmlischen Heils! Nicht die kaum geschlossenen Gräber der Familienglieder, Nachbarn, Gemeindeglieder, sondern der offene Himmel springt Nicolai an. Er erfährt den Himmel offen über seiner Gemeinde, über seiner geplagten Stadt. Er erfährt den Himmel offen, schaut himmlisches Licht, hört des Himmels Musik, spürt, wie im Buch Offenbarung beschrieben, den himmlisch-ewigen Gottesdienst.
Im Himmel ist Liebe. Im Himmel sind Lieder. Im Himmel ist Fest.
Merkt auf! Wacht auf! Ja, es ist finster auf der Erde, in Unna im Jahr 1597. Ja, die Pest wütet, und der Tod geht umher und nimmt die Geliebten mit. Sinkt der Leib auch ins Grab, die Seelen sieht Philipp Nicolai im Himmel. Die Seelen sieht Nicolai aufgehoben in der alles umfassenden Liebe Gottes: Sie feiern mit Christus Abendmahl. Und noch mehr: Sie singen! Im großen Chor der Menschen und der Engel um Gottes Thron singen sie mit, singen dem Heiligen das große Gloria:
„Gloria sei dir gesungen, mit Menschen und mit Engelszungen,
mit Harfen und mit Zimbeln schön.
Kein Aug hat je gespürt,
kein Ohr hat mehr gehört
solche Freude.
Des jauchzen wir und singen dir
das Halleluja für und für.“
Unglaublich, unfassbar,
solche Freude!
Im Himmel solche Freude! Das Singen geht in Jauchzen über, keine Worte mehr, nur noch Jubel und Freude:
Dass Gott Gott ist
und sein Licht wunderbar ist
und Leid und Geschrei und Schmerz vorbei sind
und die Tränen abgewischt sind und Tod und Einsamkeit überwunden.
Dass nur noch Liebe ist,
und Lieder
und alle gemeinsam singen,
die ganz früheren, und die früheren und wir Jetzigen.
Ja, auch wir Jetzigen hier und heute im Gottesdienst singen schon bei den Himmlischen mit.
Sich anfreunden mit dem Himmel
Mein Kollege Philipp Nicolai:
Unten die Füße knietief in den Gräbern,
doch seine Augen schauen den offenen Himmel im Licht,
und seine Ohren hören die Lieder des himmlischen Gottesdienstes.
Wir Heutigen jedoch kommen aus einer Zeit, in der der Himmel nicht interessiert hat. Wozu Himmel? Wir richten uns die Erde gemütlich ein!
Und da ist auch gar nichts dagegen einzuwenden, solange wir zweierlei nicht vergessen:
Zum einen: „Wir haben hier keine bleibende Statt.“
Unser Leib vergeht und wir werden sterben.
Also: Wacht auf!
Zum andern: Wohnlich wird unsere Welt nicht durch Zentralheizung und Liegesessel. Wohnlich wird unsere Welt durch Liebe!
Allein durch Liebe. Konkrete, sinnlich spürbare, wärmende Liebe.
Also: Seid wach!
Und dann ist es gut, wenn wir unser Denken und Sinnen eben nicht nur auf diesen vergehenden Leib und diese vergängliche Erde ausrichten, sondern uns auch mit dem Himmel anfreunden.
Singend, betend, Bibel lesend uns hineinversetzen in das, was da be-zeugt wird:
Dass da Licht ist,
dass da Lieder sind,
dass da Gott alles in allem ist
und seine Liebe uns aus allem erlöst.
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft,
bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus, unserm Herrn.
Amen.
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