Ewigkeitssonntag / Totensonntag (22. November 2015)

Autorin / Autor:
Dekanin Dr. Brigitte Müller, Brackenheim [Brigitte.Mueller@elkw.de]

Matthäus 25, 1-13

Liebe Gemeinde,

„Du kommst hier net rein!“, das ist der typische Spruch des Türstehers Hakan aus der Comedy-Show von Kaya Yanar. „Du kommst hier net rein mit deine Scheiße-Klamotten,“ sagt Hakan zum Weihnachtsmann am Eingang zur Disco.
Was im Fernsehsketch witzig ist, ist im Ernstfall kein Spaß. Wer an der Tür abgefertigt wird, ist frustriert. Im Fall unseres Gleichnisses bedeutet es, ausgeschlossen zu sein vom prallen Leben, frömmer ausgedrückt: vom „ewigen Leben“, denn die Hochzeit ist das Sinnbild dafür.

Die jungen Frauen, die später kommen, wollen mitfeiern. Aber der Bräutigam gebärdet sich wie ein brutaler Türsteher und sagt: „Ich kenne euch nicht … Ihr kommt hier nicht rein.“

Das Weihnachtsspiel der Esslinger Südkirche bis in die 50er JahreEigentlich keine schöne Geschichte. Und doch erfreute sich gerade dieses Gleichnis in der Esslinger Südkirche über viele Jahre einer großen Popularität.
Stadtpfarrer Paul Schmidt, der hier von 1928 an über dreißig Jahre tätig war, hat es Jahr für Jahr als Weihnachtsfeier der Kinderkirche inszeniert.(1) Und die Konfirmandinnen hatten die Rolle der Jungfrauen zu spielen.

Die Esslinger Südkirche teilt sich in eine große Predigt- und eine tiefer gelegene Feierkirche für Taufe und Abendmahl. Zwischen beiden Räumen steht der Altar, der sie zugleich verbindet und trennt. Vom Predigtraum aus gesehen, erscheint die Sakramentskapelle wie eine Höhle. (2)

Zu Weihnachten zogen die Mädchen mit ihren Lichtern durch die Kirche und legten sich vor dem Altar nieder. Bei seiner Ankunft in der nur schwach beleuchteten Kirche zog der „Bräutigam“ – wohl wieder ein Konfirmand – mit den „klugen Mädchen“ in den hell erleuchteten „Saal“, die große Sakristei rechts vom Altar.
Die „törichten“ Mädchen“, die zum Öleinkauf verschwunden waren, kamen nun zurück und klopften an die Tür. Des Festes verwiesen verschwanden sie mit hängenden Köpfen treppabwärts hinter dem Altar im dunklen höhlenartigen Rund.

Den Zuschauern muss dieser Gang wie ein Gang in die Hölle vorgekommen sein. Ältere Gemeindeglieder berichten von diesem Spiel mit leuchtenden Augen und einer Gänsehaut zugleich.

Statt weihnachtlicher „Gemütlichkeit“ mit einem gefälligen Krippenspiel gab es für die Esslinger Südgemeinde jährlich eine andere Herausforderung durch die Menschwerdung Christi.

Stadtpfarrer Schmidt war Mitglied der Evangelischen Bekenntnisgemeinschaft gewesen und hatte zusammen mit seiner Frau während der Nazizeit jüdische Verfolgte im Pfarrhaus versteckt. Es kam ihm sicher darauf an, den Glauben nicht nur zu predigen, sondern auch zur Tat werden zu lassen. Ich vermute, dass er unser Gleichnis auch als Appell verstand: Lebt nicht einfach in den Tag hinein, sondern lebt verantwortlich. Und seid vorbereitet. Steht für eure Überzeugungen ein, wenn es darauf ankommt.

Entscheidung an der Türschwelle – eine GerichtssituationIm Gleichnis fällt die Entscheidung an der Türschwelle. Es ist eine Gerichtssituation: Himmel oder Hölle. Beide Stichworte kommen im Gleichnis nicht vor. Aber die Inszenierung der Kinderkirche legen sie nahe.
So muss es auch nicht verwundern, dass ich nach einer Trauerfeier auf dem dortigen Friedhof von einer älteren Dame auf das alte Weihnachtsspiel angesprochen wurde. Ich hatte am Grab die Worte der früheren Traueragende verwendet: „Gott sei ihr gnädig im Gericht und nehme sie auf in sein ewiges Reich.“(3) – „Das Gericht,“ sagte die Frau, „das haben wir in der Kinderkirche früher immer an Weihnachten gespielt … Das mit den Jungfrauen, wissen Sie, Frau Pfarrer?“

Unser neues Bestattungsbuch spricht nirgends mehr vom „Gericht“. Das finde ich misslich. Denn die Frage nach der Verantwortung für das eigene Leben bleibt ja. Und es muss auch einen Ort geben, an dem erlittenes Leid zur Sprache kommen darf. Nach meiner Überzeugung steckt in der Rede vom „Gericht“ die Hoffnung, dass am Ende alle Dinge zurecht gerückt werden vor Gott.

Angesichts des Todes eines Menschen zieht sein Leben noch einmal an uns vorüber: Kindheit, Jugendjahre, die Umstände damals. Beruf, Familie, Glück und Sorgen, Hoffnungen und Träume …
Unsere Trauer gilt dem Guten, das wir verloren haben. Sie gilt aber auch den unausgeschöpften Möglichkeiten und den versäumten Versöhnungen.

Als junge Pfarrerin hatte ich einmal einen Mann zu bestatten, der seine Frau immer wieder geschlagen und vergewaltigt hatte. Schließlich hatte er auch regelmäßig seine beiden Töchter missbraucht. Die jüngere hatte längst jeden Kontakt zu ihm abgebrochen. Aber die ältere kümmerte sich regelmäßig um den alten Vater im Pflegeheim. „Wie haben Sie das nur gekonnt?“, fragte ich. „Wissen Sie,“ sagte die Frau, „ich hab immer gedacht, er sagt noch was … dass es ihm leid tut … oder so…“ Sie hatte bis zuletzt auf eine Entschuldigung gewartet. Aber die kam nicht. Es hat mich erschüttert, wie sehr diese Frau bei der Trauerfeier weinte. Ich vermute, sie hat vor allem ihren eigenen Kummer beweint und die von ihrem Vater verpasste Chance einer Versöhnung.

Es sind nicht viele Trauerfälle so krass. Aber die Verantwortlichkeit für Tun und Lassen und das Recht der Opfer müssen angesprochen werden, damit Vergebung möglich ist. Darum werde ich auf dem Friedhof auch weiterhin immer wieder sagen: „Gott sei ihm gnädig im Gericht und nehme ihn auf in sein ewiges Reich.“

Verantwortlich leben – Vorbereitet seinDiese Worte malen Bilder; so wie auch die Inszenierung des Gleichnisses von den klugen und den törichten Jungfrauen. Die weihnachtlichen Kirchgänger haben die Botschaft wohl verstanden. Jeder Mensch, ob alt oder jung muss vorbereitet sein. Jeder soll so leben, dass er jederzeit bereit ist zu sterben.

Das hat auch Martin Luther in einer berühmt gewordenen Predigt gesagt: „Ein jeglicher muss für sich selber bereit sein in der Zeit des Todes: Ich werde dann nicht bei dir sein noch du bei mir.“(4)

Das ist der Schlüssel zum Verständnis unseres Gleichnisses. Die klugen Mädchen haben zwar einen Vorrat an Öl; aber sie können nicht teilen. Es geht auch nicht um die Frage, ob ihr Öl nicht doch irgendwie für alle gereicht hätte. Materielle Dinge kann man zur Not immer teilen.
Hier geht es um etwas anderes. Hier geht es um die Einstellung zum Leben. Die ist nicht teilbar.
Fünf der jungen Frauen haben vorausschauend gehandelt, fünf waren gedankenlos. Fünf waren bereit, fünf nicht, als es darauf ankam. Sie waren beschäftigt, mussten noch einkaufen … waren nicht da, als der Bräutigam einzog.

Es nützt den gedankenlosen Mädchen nichts, dass sie nun auch noch sehr fromm daher kommen und rufen: „Herr, Herr, tu uns auf!“ – Der Evangelist lässt darin ganz bewusst die Worte Jesu vom Ende der Bergpredigt anklingen: „Es werden nicht alle, die zu mir sagen: Herr, Herr! in das Himmelreich kommen, sondern die den Willen tun meines Vaters im Himmel“(Mt 7, 21).
Bei Matthäus gibt es das brutale: „Du kommst hier nicht rein.“

Versöhnlicher Schluss?Dieser Schluss hat schon manchen bewogen, dem Bräutigam die größere Gerechtigkeit, nämlich die Barmherzigkeit zuzuschreiben. So zum Beispiel auch den berühmten griechischen Schriftsteller Nikos Kazantzakis in seinem Roman „Die letzte Versuchung“ (1952):

„Was würdest du tun, wenn du der Bräutigam wärst, Nathanael?“, fragte Jesus und richtete seine großen dunklen Augen auf ihn. Nathanael schwieg. Er sah noch nicht ganz klar, was er tun sollte. Teils wollte er sie fortjagen, das Tor war ja verschlossen, so gebot es das Gesetz, teils taten sie ihm leid und er wollte ihnen öffnen... „Ich würde öffnen,“ sagte er leise. (…).
„Recht getan, Nathanael“, sagte Jesus froh und streckte seine Hand aus, als ob er ihn segnete. „In dieser Stunde bist du lebendigen Leibes ins Paradies eingegangen.“
Das gleiche tat auch der Bräutigam. Er rief den Dienern zu: „Öffnet das Tor, dies ist eine Hochzeit. Alle sollen etwas trinken und fröhlich sein! Lasst die gedankenlosen Jungfrauen herein kommen und sich die Füße waschen, denn sie sind weit gelaufen.“(5)

Was würde Matthäus dazu sagen? Vielleicht wäre er altersmilde oder in der Feststimmung des himmlischen Mahles gut gelaunt und einverstanden mit dieser Umdichtung seines Jesusgleichnisses.

Vielleicht aber auch nicht. Vielleicht würde er sagen: Seid euch nicht zu sicher. Sorgt vielmehr dafür, dass der Bräutigam euch kennt, wenn ihr anklopft! Lebt bewusst, lebt verantwortlich, lebt nicht nur in den Tag hinein, sondern gestaltet euer Leben nach dem Willen Gottes und in der Vorfreude, dass ihr dabei sein werdet, wenn das große Fest gefeiert wird.

Liebe Gemeinde, so lange dieses Gleichnis noch erzählt und in Szene gesetzt wird, ist Zeit zur Besinnung.
Noch ist Zeit zur Vorbereitung auf die Begegnung mit Christus. Um uns vorzubereiten, erzählen wir weiterhin diese Geschichte – und zwar mit dem alten Schluss.
Dieses Gleichnis ist erst am Ende, wenn der uns die Tür öffnet, der es zuerst erzählt hat. Dann hören wir hoffentlich die Einladung: „Fürchte dich nicht. Denn ich kenne dich. Ich habe dich bei deinem Namen gerufen. Ich habe dich eingeladen. Komm herein.“(6)
Amen.

Anmerkungen1 Vgl. Albrecht Grözinger, Orte, in: Georg Lämmlin, Stefan Scholpp (Hg.), Praktische Theologie in Selbstdarstellungen, Tübingen–Basel 2001, 258.
2 1925/1926 Architekt: Martin Elsaesser
3 Kirchenbuch für die evangelische Kirche in Württemberg. Zweiter Teil. Handlungen. Sonderausgabe. Die kirchliche Bestattung, 1969, S. 23.
4 Invocavitpredigt vom 9.3.1522 (Wittenberg).
5 Nikos Kazantzakis, Die letzte Versuchung, München 1988,215f., zit. nach: Ulrich Luz: Das Evangelium nach Matthäus (Mt 18-25), Neunkirchen 1997, S.486 und 492.
6 Vgl. Jes. 43, 1. Schlusssatz der Predigt ist angeregt durch den Predigtschluss bei Rudolf Landau, Jetzt kommt Gott, Stuttgart 2006, S. 165.

Weg zu Predigt und GottesdienstDas Matthäusevangelium thematisiert das „Bereit Sein“ für die Begegnung mit Christus mehrfach, z.B. auch im Gleichnis von dem Mann, der ohne hochzeitliches Gewand beim Fest erscheint (Mt 22,11-14). Die Himmelreich-Gleichnisse enden ernst, und man sollte ihnen m.E. nicht mit einem „korrigierten“ barmherzigen Schluss die Spitze ihres Ernstes nehmen.

Sie zielen auf Paränese. Wie eine solche Paränese in der Zeit des „Dritten Reichs“ aussehen konnte, hat Pfarrer Paul Schmidt in Esslingen gezeigt. Ich thematisiere das in unserer Nachbargemeinde an Weihnachten aufgeführte Spiel in der Predigt, weil mir bei Hausbesuchen, Trauerfeiern usw. immer wieder davon erzählt wird. Auch Albrecht Grözinger erwähnt es in seinem knappen theologischen Selbstporträt.

Der gottesdienstliche Rahmen ist das Gedenken und die Fürbitte für die Verstorbenen der Gemeinde im vergangenen Kirchenjahr. Darum wird auch die Thematik Sterben – Friedhof – Gericht explizit aufgegriffen.

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