Exaudi (28. Mai 2017)

Autorin / Autor:
Pfarrerin Dr. Susanne Edel, Kirchentellinsfurt [Susanne.Edel@elkw.de]

Johannes 7, 37-39

DürreSamstagmorgen am Frühstückstisch. Vor mir liegt die Zeitung. Die Dürre in Somalia wird immer schlimmer. Es regnet einfach nicht mehr. So lange schon. Ich schaue hinaus in unseren grünen Garten. Gott sei Dank kam der Regen wieder. Ganz schön lange war es dieses Jahr viel zu trocken. Den ganzen Winter über. Bis in den April hinein. Unsere Grundwasserspiegel sind bedrohlich gesunken. Hoffentlich wird das wieder. Und hoffentlich hat der späte Kälteeinbruch nicht zu viel kaputt gemacht. Meine Vorfahren hätten jetzt befürchten müssen, im nächsten Winter Hunger zu leiden. Und Durst. Ich hoffe, dass das unseren Landwirten und Obstbauern nicht passiert. Wie wird es weitergehen mit unserem Klima? Was bedeutet das bei uns, was bei den Menschen in Somalia? Auch in Syrien war eine Dürre dem fürchterlichen Krieg vorangegangen. Und was hat das alles mit den Menschen zu tun, die übers Mittelmeer zu uns nach Europa wollen? – Eigentlich wollte ich doch einfach nur in Ruhe frühstücken. Doch jetzt höre schon wieder die vorwurfsvollen inneren Stimmen: „Du weißt doch, wie du leben müsstest! Warum tust du es nicht?“

Ein Festtag in JerusalemIn Jerusalem wird Laubhüttenfest gefeiert, zu Anfang der 30er Jahre des ersten Jahrhunderts. Sieben Tage lang. Die Laubhütten erinnern daran, wie vor langer Zeit die Israeliten der Sklaverei in Ägypten entkommen waren. 40 Jahre lang zogen sie durch die Wüste. Nur provisorisch waren ihre Quartiere zwischendurch – doch Gott schützte sie. Und er zeigte ihnen, wie sie leben konnten als die, die an ihn glaubten! Deshalb werden beim Laubhüttenfest die Weisungen Gottes verlesen. Täglich umrunden die Priester den Altar und rufen: „Ach Herr, rette doch. Ach Herr, lass doch gelingen!“ Am letzten Tag der Festwoche ziehen die Priester nicht nur einmal, sondern siebenmal um den Altar. Vorher haben sie bei Tagesanbruch aus dem Teich Schiloach eine goldene Kanne mit Wasser gefüllt. Während die Prozession zur Wasserspende hinaufzieht in den Tempel, wird in die Trompeten gestoßen. Alle sollen erkennen: Jetzt gilt das Wort des Propheten Jesaja (Jes 12,3): „Ihr werdet voller Freude Wasser schöpfen aus den Quellen des Heils.“ Mit hocherhobener Hand gießt der Priester über dem Altar das Wasser in silberne Schalen. Er bittet um Regen.
Doch es geht um mehr als das irdische Wasser. Hieß es nicht bei Jesaja auch (Jes 44,3): „Ich will Wasser auf das Durstige gießen und Ströme auf Trockenes. Ich will meinen Geist auf deine Nachkommenschaft gießen und meinen Segen auf deine Nachfahren!“ Da ging etwas über diese Jetzt-Zeit hinaus in eine andere Zukunft jenseits dieser Welt, in der vom Tempel aus eine Quelle sprudelt, an der sich alle laben können (Hes 47,1). Die Kraft ist schon jetzt spürbar.
Doch was ist das? Mittendrin steht plötzlich einer und ruft: „Wer Durst hat, der komme zu mir und trinke!“ Als wäre er jene sprudelnde Quelle. Ach, der Prophet aus Galiläa, dieser Jesus, ist im Tempel aufgetaucht. „Glaubt an mich, wie die Schrift sagt: ‚von seinem Leibe werden Ströme des lebendigen Wassers ausgehen‘!‘“

Begegnung am Wasser (nach Johannes 4, 1-14)Wir verlassen für einen Moment das Fest in der Stadt und gehen aufs Land. Wir stehen an einem Brunnen mitten in dürrem Land. „Gib mir das Wasser, das meinen Durst ein für allemal löscht!“ Die Frau, die das sagt, steht in der Mittagshitze am Brunnen. Sie weiß, wovon sie spricht. Sie kann nicht zählen, wie oft sie den Wasserkrug auf ihrem Kopf schon über den zerfurchten Weg geschleppt hat. Immer zur Zeit der Siesta. Da war sie sicher, niemanden zu treffen. Keine vielsagenden Blicke ertragen zu müssen. Auch ihre inneren Stimmen kamen in der Hitze zum Schweigen. „Du weißt doch, wie du leben müsstest! Warum tust du es nicht?“
Schon aus der Ferne hatte sie gesehen, dass heute doch einer am Brunnen war. „Kehr um!“ war ihr erster Impuls. Doch was dann? Dann würde die Gedankenmühle im Kopf zu Hause weiter mahlen. Lieber halb-besinnungslos in der Hitze weitergehen. Der Mann am Brunnen ist ohne Schöpfgefäß – so ein Traumtänzer! „Gib mir zu trinken!“ bittet er sie. Wortlos reicht sie ihm Wasser. Eine selbstverständliche Geste. Sie tut ihr gut. Lange hat mich niemand mehr um etwas gebeten, denkt sie. Und dann trinkt sie selbst.
Da sagt der Mann etwas Merkwürdiges: „Wenn du erkennen würdest, was Gott dir schenkt– du würdest mich bitten, dir lebendiges Wasser zu geben. Dann würdest du nie wieder durstig!“
Die Frau hört sich sagen: „Gib mir das Wasser, das meinen Durst ein für allemal löscht!“ So was Verrücktes! Als könnte es das geben. Ein für allemal gelöschter Durst! Der, der da mit ihr am Brunnenrand sitzt, sieht sie aufmerksam an. So gar nicht überheblich oder vorwurfsvoll. Als würde er sie einfach nur fragen: „Spürst du deinen Durst? Merkst du, dass das, wie du dich fühlst, an deinem Durst liegt? Lass die anderen außen vor! Lass dir deinen Durst stillen!“

Todesstoß und Lebensquell„Gib mir das Wasser, das meinen Durst ein für allemal löscht!“. Wer das Wasser des Lebens sucht, dem zeigt Johannes in seinem Evangelium am Ende ein verstörendes Bild. Er führt ihn nach Golgatha. Es ist Karfreitag. Jesus hängt am Kreuz. Er ist tot. Da kommt ein römischer Soldat und sticht ihm in den Leib. Sofort strömen Blut und Wasser heraus (Joh 19,37).

Wilhelm Bruners meditiert:

Die Welt will dem Leben
den Todesstoß geben,
und sie trifft das Leben
mitten im Fluß!
Das lebendige, quellende Leben.
Die Mitte, das Herz,
die Seite dieses Menschen,
des Menschen überhaupt,
ist lebendig,
höchst lebendig.
Sie fließt,
sie strömt-
nun endgültig
und offen.

Im Todesstoß der Welt,
in Blut und Wasser,
wird jener neue Adam,
jener neue Mensch geboren,
den Gott von Anfang an
gemeint hatte,
da er den Menschen als
sein Bild schuf…:
den Menschen aus und
nach seinem Herzen…

Da, wo die Henker dieser Welt nur Tod fabrizieren,
wo sie die Welt in eine
Todeswohnung
verwandeln, da stehen
andere für das Leben
ein, das fließende,
strömende Leben aus Blut
und Wasser…

Noch haben der alte Adam
und die alte Eva
ihre Wohnungen der Finsternis
mitten unter uns.
Aber seit die Bibel
vom neuen Menschen erzählt
-und sie tut es
vom ersten Augenblick an-
gibt es mitten in den
Wohnungen des Todes
Orte des Lebens!

ZwischenzeitZurück an den Esstisch. Da sitze ich mit meinem Hunger und Durst danach, dass es anders werden möge auf der Welt.
Was soll das bedeuten: bei Jesus, von Jesus trinken?
Im Kirchenjahr stehen wir zwischen Himmelfahrt und Pfingsten. „Exaudi“ heißt dieser Sonntag – nach dem Psalmvers: „Gott, höre meine Stimme, wenn ich rufe!“ (Ps 27,7). So ähnlich haben die Priester damals beim Laubhüttenfest gerufen. Wir strecken uns aus nach dem Geist Gottes, indem wir nach ihm rufen.
Wie kommt er zu uns?
Indem wir unseren Durst herausschreien und Jesus uns ansieht.
Die Frau auf ihrem Weg zum Jakobsbrunnen wollte ihren tiefen Lebensdurst am liebsten zudecken. Abstumpfen, Schulterzucken, Ablenken, nicht mehr Wahrnehmen – solche Strategien scheinen zu helfen. Ich kenne sie nur zu gut. Doch da ist Jesus. Er sieht meinen Durst. Er begleitet mich hinein in den Schmerz und die Trauer – und durch sie hindurch an Orte des Lebens.

Ein LebensortEs gibt sie, die Lebensorte. Ich komme gerade her von einer Woche im „Sonnenhof“ bei Basel, einem Einkehrhaus der Schwestern von Grandchamps. Wunderbar, wie dort in den Gebetszeiten die Nöte der benachbarten Bauern ebenso vorkommen wie die Dürre in Somalia. Betend sind wir in unserem Durst nach Gerechtigkeit und Frieden miteinander verbunden und mit den leidenden Menschen. Ich spüre, wie traurig und ohnmächtig ich mich fühle. Miteinander rufen wir: „Höre unsere Stimme – du, der du ‚die Welt in ihren tausend Fragen und großen Jammerlast, die kein Mund kann aussagen, so fest umfangen hast‘!“ (EG 11, 5). Wir singen von der Auferstehung, der „Verherrlichung“ Jesu, dessen Tod ihn nicht auslöschen konnte. Die Liebe, die er verkörperte, hat das letzte Wort. Sie ist nicht kaputt zu kriegen. Die sie zerstören wollten, behalten nicht das Sagen! Halleluja!
Die Schwestern sind erfinderisch darin, Initiativen zu entdecken, die Hungernden beistehen, die Bäume gegen die Dürre pflanzen und Frieden stiften. Auch für diese Lebensorte beten wir miteinander.
Im Schweigen genießen wir das einfache Essen. Gemüse, Salat, Brot, Früchte der Erde.
Wenn ich jetzt wieder an meinem Esstisch sitze – dann ist es, als lese ich die Zeitung im Ostergarten.
Ja, Finsternis bedeckt die Erde und Dunkel die Völker – und gleichzeitig ist da das Osterlicht. Es verbindet mich liebevoll mit dem, was in mir lebendig ist – und mit den Lebensorten dieser Welt. Oh ja, dann spüre ich meinen Durst. Doch in der Luft liegt zugleich der Geist der Seligpreisung: „Selig sind, die da hungert und dürstet nach der Gerechtigkeit – denn sie sollen satt werden!“ (Mt 5, 6). Darum: „Weicht, ihr Trauergeister, denn mein Freudenmeister, Jesus, tritt herein!“ (EG 396, 6). Amen.

Literaturhinweis:
Der Auszug aus der Meditation zu Joh 19, 31-37, ist entnommen aus: Wilhelm Bruners, Und die Toten laufen frei herum. Ein Begleiter durch die österliche Zeit, Düsseldorf 1994, S. 12-14.

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