Exaudi (01. Juni 2025)

Pfarrer im Amt für Kirchenmusik Frieder Dehlinger, Tübingen [Frieder.Dehlinger@elkw.de]
Epheser 3,14–21
IntentionDie Predigt will die Wachheit für unseren inneren Menschen stärken.
Sie wirbt für eine alltägliche Gebetspraxis und staunt, wie der ganze Schöpfungsraum Raum der Liebe und der Begegnung mit Gott ist.
PredigttextDeshalb beuge ich meine Knie vor dem Vater,
von dem jedes Geschlecht im Himmel und auf Erden seinen Namen hat,
dass er euch Kraft gebe nach dem Reichtum seiner Herrlichkeit,
gestärkt zu werden durch seinen Geist an dem inwendigen Menschen,
dass Christus durch den Glauben in euren Herzen wohne.
Und ihr seid in der Liebe eingewurzelt und gegründet,
damit ihr mit allen Heiligen begreifen könnt,
welches die Breite und die Länge und die Höhe und die Tiefe ist,
auch die Liebe Christi erkennen könnt, die alle Erkenntnis übertrifft,
damit ihr erfüllt werdet, bis ihr die ganze Fülle Gottes erlangt habt.
Dem aber, der überschwänglich tun kann über alles hinaus, was wir bitten oder verstehen, nach der Kraft, die in uns wirkt, dem sei Ehre in der Gemeinde und in Christus Jesus durch alle Geschlechter von Ewigkeit zu Ewigkeit! Amen. (Eph 3, 14-21)
Gebet um den Heiligen GeistLiebe Schwestern und Brüder, Exaudi! heißt unser Sonntag, auf Deutsch: Erhöre, höre doch!
„Höre meine Stimme, wenn ich rufe;
sei mir gnädig und erhöre mich!“
Nach diesem Vers aus Psalm 27 hat unser Sonntag seinen Namen.
Nun ist Exaudi im Kirchenjahr ein besonderer Sonntag.
Besonders dadurch,
dass wir an Himmelfahrt den Abschied Jesu von den Jüngern feiern,
seinen Eingang ins himmlische All.
An Pfingsten dann feiern wir Jesu erstes Wiederkommen zu uns
im Heiligen Geist.
Und dazwischen, zwischen Abschied und Wiederkommen Jesu,
dazwischen zehn Tage.
Für die Jünger und die Frauen: zehn Tage ohne Jesus.
Zehn Tage noch ohne den Geist Jesu, den Heiligen Geist.
Ein fast leerer Raum, ein Erwartungsraum,
getragen von Jesu Verheißung des kommenden Geistes.
Lukas in der Apostelgeschichte (1,12ff) schreibt über diese Tage der Erwartung nach Himmelfahrt und vor der Pfingsterfahrung:
„Die Jünger waren zusammen mit den Frauen stets beieinander
einmütig im Gebet.“
Darum gehören im Kirchenjahr diese zehn Tage dem Gebet,
dem Gebet um den Heiligen Geist.
Dem Gebet, das um Jesu Wiederkommen bittet.
Um seinen Einzug in unsere Herzen.
BetenBeten ist ein Reden des Herzens mit Gott, wie Luther sagt.
Wer betet, ist doppelt in Verbindung:
- Wer betet, fühlt und spürt sein eigenes Herz.
- Wer betet, ist in Verbindung mit Gott.
Beides wirkt, beides heilt und verändert uns.
Es tut gut, wenn ich gewahr werde, was in meinem Herzen ist.
Es ist gute Selbstliebe, wenn ich nicht vorübergehe,
sondern wahrnehme, was in meinem Herzen ist:
Die Liebe. Der Hass. Die Sorgen. Die Ängste.
Die Erfahrung. Die Voraussicht.
Das Ziehen und Hungern und Dürsten.
Die Freude und Fülle.
All das in unseren Herzen.
All das der Anfang unseres Gebets.
Und was für eine große Freundlichkeit Gottes,
dass er uns einlädt, alles mit ihm zu teilen,
alles, was in unserem Herzen ist, mit ihm zu teilen!
Da gibt es keine Zensur, da gibt es kein Vorab-Bewerten;
da gibt es kein zu dumm, zu blöd, zu schlecht.
Alles, was in unserm Herzen sich regt,
können, dürfen, sollen wir teilen mit Gott.
Beten ist „ein Reden des Herzens mit Gott“ (Martin Luther).
Und dieses Gespräch soll nicht aufhören,
immer mehr soll unser Gespräch mit Gott
in unseren Alltag hineinwachsen.
Dieses zweifache Hinhören und Bewusst-Sein:
zu meinem Herzen hin
und zu Gott hin.
Dieses Üben, dies Beten-Üben verändert einen Menschen.
Das wissen viele von Ihnen aus eigenem Erleben.
In diesem zweifachen alltäglichen Hinhören und Aussprechen
– hin zu unserem Herzen und hin zu Gott –
da geschieht es, dass Gott an uns wirkt,
dass Gott uns heilt und uns verwandelt,
uns in seinen Dienst nimmt,
uns führt auf dem Weg in sein Reich.
Beten.
Beten ist eine Übung, wir sollen dranbleiben,
auch wie Klavier üben,
auch wie Rückenschule oder wie Walken
alltäglich wie Abwaschen und den Schreibtisch aufräumen.
Wir brauchen die Übung im Alltag,
wir werden selbstverständlicher, gewandter,
gegründeter und erfahrener durch unser alltägliches Üben.
Beten üben führt uns in die Tiefe unseres Herzens
und in die Tiefe der Liebe Gottes.
Es gibt keinen besseren Weg.
Das Gebet unseres heutigen Predigttextes aus dem Epheserbrief
ist ein tiefes Gebet.
Und ein hohes Gebet. Beides:
tief gegründet führt es uns hoch hinauf.
Ein Gebet, das aufs Ganze geht,
aufs Innigste und aufs Ganze unserer christlichen Glaubenswege.
[Option:
Hören Sie nochmals hin
– und lassen Sie das Gebet in sich wirken,
wenn unser/e Organist/in N.N. ein Zwischenspiel spielt.
Predigttext + Zwischenspiel]
Erlauben Sie mir dem Text entlang ein paar Erklärungen.
Drei Teile hat dieses wunderbare Gebet.
Der innere MenschAls erstes die Überschrift:
Auf meinen Knien bitte ich Gott,
dass er euch Kraft gebe, stark zu werden durch seinen Geist
an Eurem inneren Menschen.
Das ist die Bitte auf Pfingsten hin:
Komm, Heiliger Geist!
Der Heilige Geist soll uns Kraft geben von Gott,
damit unser innerer Mensch stark wird.
Damit unsere Seele aufwacht.
Damit unser Herz fest wird.
Damit unser Glauben und Vertrauen an Klarheit gewinnt.
Mir gefällt das, diese Ermutigung zum inneren Menschen.
Neulich wieder ließ ich mich verlocken.
Auf der Theke im Hotel stand eine Schale mit Äpfeln:
wunderbar grün, glänzend und prall, wie frisch aus dem Paradies.
Und mir lief das Wasser im Mund zusammen,
ich nahm und aß –
und schon beim ersten Bissen die große Enttäuschung:
außen glänzend poliert, war mein Apfel innen mehlig und fad.
Wer will schon so einen Apfel essen?
Wer will solch ein Apfel sein?
Lasst uns Gott bitten, „dass er uns Kraft gibt durch seinen Geist,
stark zu werden, an unserem inneren Menschen.“
Das Erstarken des inneren MenschenDoch wie geschieht das, dass unser innerer Mensch stark wird?
Darum geht es im Hauptteil unseres Gebets.
Christus soll in unseren Herzen wohnen!
Wissen Sie das, dass Christus in Ihrem Herzen wohnt?
Dass Gott uns nicht fern ist?
Dass Gott in uns ist, in uns wohnt und in uns lebt?
In der Taufe feiern wir das und sprechen das jedem Taufkind zu:
„Du bist Kind Gottes. Du gehörst zu Christus.
Christi Geist wohnt und atmet in dir.“
Glauben heißt, diese Wirklichkeit suchen.
Glauben heißt, den Christus in uns annehmen.
Egal, wie viel in meinem Leben schlecht gelaufen ist.
Egal, wie beschämt ich mich fühlen mag.
Egal, wie schwach ich mich fühle, wie alt oder wie krank:
Christus wohnt und atmet in mir.
Von ihm kommt meine Würde.
Er stärkt mich von innen her
und richtet meinen inneren Menschen auf.
So ist das! Das lehrt uns die Bibel! Das ist unser Glaube!
Christus wohnt in unseren Herzen.
Glauben heißt, dieser Wahrheit nachzuleben.
Sie festzuhalten, sie einzuüben.
Sie wieder zu kauen und zu meditieren,
bis sie uns in Fleisch und Blut übergegangen ist:
„dass Christus durch den Glauben in unseren Herzen wohnt“
und unseren inneren Menschen stärkt!
Und wenn es der Geist Christi ist,
dem wir nach und nach unsere inneren Räume öffnen,
– auch die dunklen Räume, auch die Chaosräume,
auch die Schmerz- und die Schuldräume –;
wenn es der Geist Christi ist,
dem wir immer weiter und immer tiefer
unseren ganzen Menschen und unser ganzes Leben anvertrauen,
dann geschieht das, was der Apostel sagt:
„Ihr seid eingewurzelt und gegründet in der Liebe.“
Denn Christus ist Liebe und sein Weg ist Lieben.
Christi Geist ist erkennbar daran,
dass er uns in immer tieferes und immer umfassenderes Lieben leitet.
Das ist doch ein gutes Bild für uns:
Der gute tiefe erdige Boden der Liebe Gottes.
Wir sind die Pflanze, die Blume, die Ähre, der Baum.
Immer tiefer verwurzeln und gründen wir uns
im Boden der Liebe Gottes!
Das ist das Wichtige, das geschieht,
wenn der innere Mensch aus dem Geist Gottes stark wird:
dass wir immer tiefere Wurzeln ziehen in Gottes Liebe
und dass wir konkret und alltäglich unser Handeln von der Liebe leiten lassen.
Das All als Begegnungsraum/Tempel GottesDas andere ist:
der Geist Gottes schenkt uns Erkenntnis,
Gottes Geist schenkt uns Weisheit, schenkt uns Einsicht.
In unserem Gebet heißt es:
„Wenn euer innerer Mensch stark wird,
dann werdet ihr fähig zu erfassen,
welches die Breite und die Länge und die Höhe und die Tiefe ist.“
Ein etwas rätselhaftes Wort.
Deutlich ist, hier wird ein Raum beschrieben,
ein breiter und langer Raum,
ein Raum, der hoch hinaufragt und tief gegründet ist.
Die Ausleger sagen:
Hier, dieser Raum, das ist der Tempel Gottes,
das ist der von Gott gefüllte und geheiligte Raum,
der Raum; in dem Gott und Mensch sich begegnen.
Nur dass dieser Tempel hier nicht auf ein Gebäude begrenzt ist,
vielmehr, dass „Breite und Länge und Höhe und Tiefe“ hier
den ganzen gesamten Raum,
alle Welt,
das ganze All, umfassen.
Und dieses ganze, umfassende All ist der Raum Gottes,
ist von Gott erfüllter Raum!
Noch die äußerste Krümmung des Weltraums,
auch der dunkelste Keller, auch das tiefste und kälteste Loch:
Alles ist von Gottes Mitgefühl und Liebe erreichter und gefüllter Raum.
In diese Erkenntnis wachsen wir hinein,
wenn unser innerer Mensch erwacht,
wenn unsere Seele von Tag zu Tag aus Gottes Geist stärker wird:
Dieser ganze unfassbar weite, hohe und tiefe Raum
ist gefüllt mit der Liebe Christi.
Das ist die Erkenntnis, die alle Erkenntnis übertrifft!
Staunen und FreudeDa bleibt unserm inneren Menschen nur Staunen.
Da bleibt nur Freude.
Da bleibt nur Einstimmen in das große Gotteslob
und die überfließende Freude des Apostels:
Gott, der Du aus Deiner Fülle überschwänglich tust,
über alles hinaus, was wir bitten oder verstehen,
nach der Kraft, die in uns wirkt,
Dir sei Ehre in unserer Gemeinschaft, Deinem Leib,
und in Christus Jesus, der in uns lebt,
zu aller Zeit, von Ewigkeit zu Ewigkeit!
Amen.
Predigt zum Herunterladen: Download starten (PDF-Format)