Christi Himmelfahrt (25. Mai 2017)

Autorin / Autor:
Pfarrerin Monika Renninger, Stuttgart [monika.renninger@hospitalhof.de]

1. Könige 8, 22-24; 8, 26-28

Dieses Haus ist zu kleinMan stelle sich vor: Endlich ist es fertig, das Gotteshaus, nach vielen Jahren Bauzeit und improvisierten Lösungen. Nach großen, oft mühsamen Entscheidungen, bei denen über viel Geld beraten wurde. Und manchmal gab es auch Ärger. Und Verzögerungen. Doch nun: Endlich die festliche Einweihung. Und dann die Feststellung: Es ist zu klein, das Gotteshaus. Was für ein Schrecken für die versammelte Gemeinde. Kann schon sein, dass es beim Einweihungsgottesdienst ein bisschen eng zugeht. Aber da sind ja auch alle da. Viel mehr als die Getreuen, die sonst zum Gottesdienst kommen. Ab dem nächsten Gottesdienst wird es doch gewiss ausreichen, das schöne Haus, das für Gott gebaut ist?

Man stelle sich vor: König Salomo weiht in einer großen Zeremonie den Tempel in Jerusalem ein, den sein Vater David schon geplant hatte und nicht vollenden durfte. Über viele Kapitel im 1. Buch der Könige hinweg wird von den aufwändigen Vorbereitungen, der langen Bauphase, den Kostbarkeiten, die dort ihren Platz finden sollen, der schönen Architektur berichtet. Sieben Jahre lang bauen die Handwerker und Künstler am Tempel. Die symbolische Sieben deutet an: Es war eine gefüllte und erfüllte Zeit. Alles wurde für den Tempel neu gemacht. Die Jahre der Wüstenwanderung und des Zeltes mit der Bundeslade verblassen angesichts dieses vollkommenen Bauwerks, so die Chronisten.
Und nun, endlich, die Weihe des Tempels. Ein Moment, den Generationen herbeigesehnt haben. Gott hat sein Wort wahrgemacht. Der Nachkomme Davids, der weise und fromme König Salomo, hat „dem Namen des Herrn ein Haus gebaut“ (1.Kön 8,20f) – dem Gott Israels, der sein Volk aus der Knechtschaft geführt und zu einer Wohnstatt gebracht hat, an der sie leben können, so wie es Gott gefällt. Die Tafeln des Bundes, die nun im Tempel-Allerheiligsten sind, bezeugen den Bund Gottes mit seinem Volk. Und sie bezeugen das Versprechen, das das Volk auf sich nimmt: Es will nach den Geboten Gottes leben.

Ich lese als Predigttext am heutigen Himmelfahrtstag einen Abschnitt aus dem Tempelweihegebet des Salomo:

„Und Salomo trat vor den Altar des Herrn angesichts der ganzen Gemeinde Israel und breitete seine Hände aus gen Himmel und sprach: Herr, Gott Israels, es ist kein Gott weder droben im Himmel noch unten auf Erden dir gleich, der du hältst den Bund und die Barmherzigkeit deinen Knechten, die vor dir wandeln von ganzem Herzen;
der du gehalten hast deinem Knecht, meinem Vater David, was du ihm zugesagt hast. Mit deinem Mund hast du es geredet, und mit deiner Hand hast du es erfüllt, wie es offenbar ist an diesem Tage (…)
Nun, Gott Israels, lass dein Wort wahr werden, das du deinem Knecht, meinem Vater David, zugesagt hast.
Denn sollte Gott wirklich auf Erden wohnen? Siehe, der Himmel und aller Himmel Himmel können dich nicht fassen – wie sollte es dann dies Haus tun, das ich gebaut habe?
Wende dich aber zum Gebet deines Knechts und zu seinem Flehen, Herr, mein Gott, auf dass du hörst das Flehen und Gebet deines Knechts heute vor dir.“


Salomos Sätze sind voll Demut und Erkenntnis: Dieses prächtige und schöne Gotteshaus ist zu klein. Gott ist größer. Gottes Gegenwart ist weiter, höher, tiefer, breiter, länger (Eph 3,18f). Sie umspannt Himmel und Erde – und dieses Haus.

„Denn sollte Gott wirklich auf Erden wohnen? Siehe, der Himmel und aller Himmel Himmel können dich nicht fassen – wie sollte es dann dieses Haus tun, das ich gebaut habe?“

Und doch: Gott wohnt bei den MenschenHatte Gottes Gegenwart sich nicht schon einmal mit einem kleineren Haus begnügt? Ja, nicht einmal ein Haus, ein Zelt war es gewesen in den Jahren der Wüstenwanderung. Die Erzähler lassen Gott sagen: „Habe ich doch in keinem Hause gewohnt seit dem Tag, da ich die Israeliten aus Ägypten führte, bis auf diesen Tag, sondern ich bin umhergezogen in einem Zelt, als ich mit allen Israeliten umherzog …“ (2.Sam 7,6f)

Die Geschichte der Wüstenwanderung Israels erzählt: Gott wohnt bei den Menschen, in einer Wolkensäule, einer Feuersäule (2. Mose 13,17-22), einem Zelt. Wohnt bei ihnen in einem brennenden Dornbusch, in einem Namen. Gott wohnt im Herzen seiner Menschen. Salomo erinnert sich und alle anderen in seinem Gebet daran: Unsere Gotteshäuser sind nicht Häuser für Gott, sondern für Menschen, um an Gott zu denken und Gott zu feiern, um göttliche Räume zu eröffnen. Gottes Gegenwart braucht kein Haus, kein kleines und kein großes. Gottes Gegenwart durchdringt alles und ist überall.

Der Erzähler beschreibt anschaulich die Szene: Der König steht am Altar, öffnet die Arme zum Himmel, betet. So ein wunderbares Gotteshaus – und doch zeigt Salomo nicht voller Stolz und Bewunderung auf die fein gearbeiteten Säulen, die kostbaren Zedernhölzer, das kunstvolle Schmiedewerk, die überaus kostbaren Schalen aus Bronze, die goldenen Leuchter auf dem goldenen Altartisch, die prachtvollen Innenhöfe und Treppenanlagen. Die große Geste gilt nicht dem: Schaut alle einmal her, wie schön das hier ist, dieses mein Werk, unser Werk. Salomo zeigt nicht auf das, was sichtbar ist, sondern er hebt seine Arme zum Himmel, in einer großen Geste des Sich-Öffnens, des demütigen Empfangens.

Diese Demut macht seine Weisheit aus. Die Erzähler deuten es mit dieser wie auch anderen Szenen im Bericht über Salomos Wirken an. Salomo wird erinnert als einer, der weiß: Ich bin von Gott beschenkt und gesegnet. Ich empfange und gebe weiter, was von Gott kommt. So stellte man sich in der Kultur des Alten Orient das Ideal eines weisen Königs vor: Ein Herrscher ist demütig vor Gott, tritt mutig für Recht und Gerechtigkeit ein, ist weit über die Grenzen seines Landes hinaus angesehen und sorgt dafür, dass sein Volk in Frieden und Wohlergehen leben kann. Der Weise trägt dazu bei, dass Schalom ist, ein Leben im Frieden Gottes. Salomo erfleht Gottes Gegenwart im Tempel zu Jeru-Salem, der Stadt des Friedens. Salomo und Schalom: Der Friedenskönig und das Leben im Frieden und Wohlergehen.

Doch noch einmal: Braucht Gott dieses Haus, diesen Tempel? Die Bibel und später die rabbinischen Ausleger diskutieren diese Frage und kommen zu einer einmütigen Antwort: Gott nicht. Der Herr der Welt lässt sich nicht in vier Wänden fassen. Gott wohnt auch nicht nur in seiner Welt. Auch das ist nicht groß genug von Gott gedacht. Vielmehr ist es die Welt, die in Ihm ruht. Deshalb geben ihm die späteren Rabbinen einen Namen, der Gott als „HaMakom“, als „Der Ort“ bezeichnet: „Er ist der Ort der Welt, nicht jedoch ist die Welt Sein Ort“ (Raschi). Sie fügen an: „Womit ist dies zu vergleichen? Mit einer Höhle, die zum Meer hin geöffnet ist. Stürmt das Meer, so wird die Höhle mit Wasser voll, doch im Meer fehlt nichts. Wenn es daher heißt: Und die Herrlichkeit Gottes erfüllte das Haus, fehlte nichts vom Glanz seiner Herrlichkeit, weder in den oberen noch in den unteren Sphären.“

In der jüdischen Tradition findet sich ein Begriff, der auch in späteren Jahrhunderten hilft, sich Gottes Gegenwart in der Welt begreifbar zu machen: nicht Wohnung, sondern Einwohnung Gottes, die Schechina, die Präsenz Gottes in der Welt. So wird Gottes Da-Sein bei den Menschen genannt, wo auch immer sie sind. Sie leben auf Gottes Erde und unter Gottes Himmel, himmelleicht und erdenschwer.

Im Himmel und auf ErdenHimmelleicht und erdenschwer: Gott bei den Menschen. Wir feiern heute die Himmelfahrt Christi. Der Bogen ist nicht zu groß gespannt zwischen dem Bibeltext aus der Zeit, die an den ersten Tempel in Jerusalem erinnert, und dem Festtag Himmelfahrt. Denn die Evangelien geben dem Christus eine Familie: das Haus David, das messianische Königsgeschlecht. Sie stellen so die Verbindung her zur Traditionslinie, aus der König Salomo kommt, der demütige und weise König, der seine Arme zum Himmel öffnet und staunt: „Denn sollte Gott wirklich auf Erden wohnen? Siehe, der Himmel und aller Himmel Himmel können dich nicht fassen.“

Die frühen Christen malen später eigene Bilder von diesem Gedanken. Vom Gedanken, dass Gott im Himmel und auf Erden ist und der Christus auf Erden und im Himmel wirkt.

Am Fest Himmelfahrt Christi treffen Erde und Himmel aufeinander. In der mittelalterlichen Buchmalerei aber auch in Kirchenfresken gibt es dazu zahlreiche Darstellungen. Zumeist ist eine Gruppe Jünger sichtbar, die, je nach Vermögen des Künstlers, ratlos oder erschreckt nach oben schaut, den entschwindenden, gerade noch sichtbar aus einer Wolke herausragenden Füßen Christi nach. In rührend-naivem Verständnis wird gezeigt: Weg ist er, im Himmel. Was uns bleibt, ist sichtbar als Saum seines Gewandes, als seine Füße, denen alles unterworfen ist. Irgendwie bleibt er in der Welt.

Eine Variante findet sich in einer Elfenbein-Miniatur aus dem 11. Jahrhundert: Zu sehen ist eine Hand Gottes, die sich aus den Wolken herabstreckt, um die nach oben ausgestreckte Hand Christi zu ergreifen und ihn so gewissermaßen in die Höhe zu ziehen (z.B. im Katalog zur Ausstellung „Europas Mitte um 1000“, Reiss-Museum, Mannheim). Hier wird die Verbindung zwischen Himmel und Erde an einem Handschlag illustriert. An einem Handschlag, der symbolisiert, dass in Christus Himmel und Erde verbunden sind. In dieser Darstellung ist Christus noch nicht auf den Himmelsthron enthoben. Sie hält den Moment davor fest: Christus ist auf Erden, auch wenn er eigentlich schon in den Himmel aufgenommen ist.

Christus ist im Himmel – und auf Erden: Christus ist die Fülle, die Substanz, die Präsenz Gottes auf Erden, die Einwohnung Gottes, die Schechina. So haben es die frühen Christen gedeutet und an Himmelfahrt erzählt.

Christus ist Gottes Gegenwart. Sie gewinnt Gestalt in der leeren Hülle seines Leibes Kirche. Und diese Gestalt, die Kirche, kann nicht anders sein als vielfältig. Denn sie verkörpert sich in Menschen. Kann man diese große Vielfalt der Gegenwart Christi, verkörpert durch uns so unterschiedliche Menschen, immer aushalten? Oder überfordert und zerreißt uns das manchmal fast, diese vielgestaltige Gegenwart Christi auf Erden?

Ich halte es mit Hanns Dieter Hüsch: „Manchmal atme ich schwer / Und stolpere den Weg entlang / und befürchte: / Du hast die Erde verlassen / Doch ich bin töricht / Denn dein ist die Welt / Dein sind Himmel und Erde / Da ist kein Zwischenraum kein Unterschied / Keine Grenze / Und wenn wir gehen / Gehen wir zum Himmel / Und wenn wir kommen / Kommen wir zur Erde / Und wenn wir auf der Erde straucheln / Hebst du uns auf in den Himmel / Denn Himmel und Erde sind Bruder und Schwester / Ich bin frohgemut dass ich in deinem All zuhause bin / Dein Haus / Deine Welt / Himmel und Erde / Du hältst alle und alles zusammen.“(1)
Amen.

Hinweise zur Liturgie und QuellenangabenSchriftlesung: Eph. 1,15-23
Lied nach der Predigt: Jesus Christus herrscht als König, EG 123

Vorschlag für Eingangsgebet:

Alles durchdringst Du,
die Höhen, die Tiefen, und jeglichen Abgrund.
Du bauest und bindest alles.
Durch Dich träufeln die Wolken, regt ihre Schwingen die Luft.

Durch Dich birgt Wasser das harte Gestein,
rinnen die Bächlein und quillt aus der Erde das frische Grün.
Du auch führest den Geist, der Deine Lehre trinkt,
ins Weite. Wehest Weisheit in ihn, und mit der Weisheit die Freude.
(Hildegard von Bingen, 1098-1179)

Alle rabbinischen Zitate sind aufgeführt bei Roland Gradwohl, Bibelauslegungen aus jüdischen Quellen, Bd. 1, Stuttgart, 1986.
(1) Hanns Dieter Hüsch, Ich habe nichts mehr nachzutragen, Die christlichen Texte
Herausgegeben von Lotz, Helmut; Mitarbeit: Kosack, Joachim, edition diá, Berlin 2017, S. 295.

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