Christi Himmelfahrt (10. Mai 2018)

Autorin / Autor:
Pfarrer Jochen Maier, Kirchheim/Teck [Jochen.Maier@elkw.de]

Kolosser 3, 1-4

Liebe Gemeinde,
wir erinnern uns heute an die „Himmelfahrt Jesu Christi“. Dieser kirchliche Festtag gehört in unserer Zeit sicher zu den schwer verständlichen und fremd anmutenden christlichen Feiertagen – zumal es in der weltlichen Variante, dem Vatertag, in der Regel um ganz handfeste Dinge geht: Gegen die Handfestigkeit feuchtfröhlicher Landpartien am Vatertag nimmt sich so etwas wie die Himmelfahrt Jesu vergleichsweise blass und weltfremd aus.

Für den Himmel bestimmt…An was lohnt es sich, sich zu erinnern, wenn wir heute über die Himmelfahrt Jesu nachdenken? Ist die Botschaft von der Himmelfahrt Jesu wichtig für unseren Glauben oder ist sie eher eine Randnotiz, die wir als überholte mythische Vorstellung eher vernachlässigen können? Was soll uns dieses geheimnisvolle Ereignis der Himmelfahrt Jesu sagen?

Das besser zu verstehen, hilft uns der heutige Predigttext aus dem Kolosserbrief. Dort wird nämlich klar, dass nicht dieser rätselhafte Vorgang der Auffahrt Jesu zum Vater an sich für uns wichtig ist. Es geht nicht um die Frage, wie so etwas vorstellbar oder erklärbar ist – also ob Jesus in der Art eines Superman in die Wolken weggeflogen ist oder ob da eine Art himmlischer Fahrstuhl betätigt worden ist. Es geht vielmehr um die Frage, was dieses ganze Ostergeschehen der Auferstehung Jesu, zu dem die Himmelfahrt ganz dazugehört, für uns bedeutet – ja, noch mehr: für uns in Geltung setzt!

Ich lese Kolosser 3, 1-4:

„Seid ihr nun mit Christus auferweckt, so sucht, was droben ist, wo Christus ist, sitzend zur Rechten Gottes.
Trachtet nach dem, was droben ist, nicht nach dem, was auf Erden ist.
Denn ihr seid gestorben, und euer Leben ist verborgen mit Christus in Gott.
Wenn aber Christus, euer Leben, offenbar wird, dann werdet ihr auch offenbar werden mit ihm in Herrlichkeit.“

Liebe Gemeinde, kurz gesagt stellen diese Worte fest: Als Glaubende sind wir hineingezogen und hineingenommen in die Auferweckung Jesu von den Toten. Wir sind mit der Auferstehung Jesu und mit der Himmelfahrt Jesu für den Himmel bestimmt! Das vollendete Reich Gottes im Himmel ist unsere Verheißung und Bestimmung. Davon sollen wir uns bewegen lassen. Darauf sollen wir uns ausrichten. Und zwar in diesem jetzigen, irdischen Dasein, das manchmal so gar nichts von himmlischer Erlöstheit und so gar nichts von ungetrübter Gottesnähe hat. Was gilt und was uns bestimmen soll, ist:
Wir sind im Glauben für den Himmel bestimmt!

Was ist der Himmel?Vielleicht ist es notwendig, diese im Glauben ziemlich selbstverständlich scheinende Vorstellung vom Himmel einmal genauer zu betrachten: Was ist der Himmel?
Wenn wir dem biblischen Denken folgen, dann ist der Himmel Gottes dort, wo der Mensch von sich aus unmöglich hinkommen kann. Der Himmel ist der für uns unfassbare, unauslotbare Bereich der Wirklichkeit hinter allen Dingen. Und diese unsichtbare Wirklichkeit hinter den Dingen ist ausgefüllt von Gottes Gegenwart und Herrlichkeit.

Im biblischen Denken wurde da eine sehr wichtige Unterscheidung getroffen. Nämlich: Gott selber ist nicht der Himmel. Gott ist ganz und gar unfassbar. „Der Himmel ist mein Thron und die Erde der Schemel meiner Füße!“ lesen wir von Gott bei Jesaja. „Siehe, der Himmel und aller Himmel Himmel können dich nicht fassen“ heißt es in 1. Könige 8,27. Der Himmel ist nicht Gott! Der Himmel ist nur der andere Teil der Schöpfung – der andere Teil, in dem Gottes Herrlichkeit, das Reich Gottes, schon immer, schon jetzt, klar und offenbar ist.

Von drei Wirklichkeiten also ist die Rede: Zum einen von der Erde und uns und den Dingen und Wesen, die wir fassen können. Aber über und hinter den Dingen ist nicht einfach nichts. Über und hinter den Dingen ist der Himmel. Und im Himmel ist Gott schon so gegenwärtig, wie er es mit uns und den Dingen auch vorhat. Denn eigentlich sollen Himmel und Erde einmal ineinander übergehen. Der Himmel auf Erden und die Erde himmlisch sein.

Die Erde muss für den Himmel herhaltenAber daran arbeitet Gott noch! Daran arbeitet er noch, weil sich gerade in unserer Zeit die hartnäckige, die skeptische, die verbissene Überzeugung hält, dass hinter unserem Leben und Dasein und hinter den Dingen dieser Welt einfach – nichts ist. Und dass Menschen sich deshalb hier und jetzt so viel holen müssen, wie es nur geht! Aber trotz allen Versuchen der Erfüllung des Lebens durch uns selbst, bleibt die Sehnsucht nach dem Himmel!

Seltsamerweise gibt es in allen Zeiten und Geisteshaltungen der Menschen immer diese Sehnsucht nach dem Himmel – auch dann, wenn sie die Gestalt der Sehnsucht nach einem „paradiesischen“, „himmlischen“ Glück hat, das man hier auf Erden irgendwie zu erreichen sucht. Diese Sehnsucht nach dem Himmel verschwindet nicht. Sie hält sich hartnäckig. Und weil sie sich so hartnäckig hält, hat sich die Sehnsucht nach dem Himmel immer wieder auf die Erde heruntergebogen. Wenn es nichts gibt als die Welt, wie wir sie sehen und erleiden; wenn es nichts gibt als das „Jetzt“, den Moment, über den ich im Augenblick verfügen kann; wenn es nichts gibt als die materiellen Dinge und nichts dahinter – dann muss man dort den Himmel suchen oder den Himmel daraus machen.

Die Erde muss für den Himmel herhalten. Und das ist gefährlich! Immer wieder in der Geschichte der Menschheit hat sich die Absicht, mit irdischen Mitteln die Erde zum Himmel zu machen, als mörderisch herausgestellt. Immer wieder wurde und wird in Weltreichen, Diktaturen, Revolutionen, Ideologien und fundamentalistischem Fanatismus doch nichts anderes daraus als immer wieder nur die alte Erde mit ihren alten Leiden und Lastern.

Das Gegenteil von Himmel ist der TodHier, wenn die Erde durch Menschenhand statt zum Himmel zur Hölle wird, kann man sehen, wovon die Bibel immer redet: Dass nämlich der eigentliche Gegensatz des Himmels nicht die Erde ist, sondern, der Tod, die Vergänglichkeit, die Verlorenheit. So ist es auch in unserem Predigttext zu verstehen: „Denn ihr seid gestorben, und euer Leben ist verborgen mit Christus in Gott. Wenn aber Christus, euer Leben, offenbar wird, dann werdet ihr auch offenbar werden mit ihm in Herrlichkeit“ (V.3.4). Das Gegenteil von Himmel ist der Tod. Und der Himmel ist das Leben. Ohne Himmel bleibt letztlich nur der Tod und die kurze Lebensspanne, die man davor hat. Das bisschen Zeit wird dann konsequenterweise gefüllt mit möglichst vielen Dingen, die wenigstens kurzfristig eine gewisse Erfüllung versprechen. Diese Sicht des Lebens hat Marianne Gronemeyer einmal treffend so formuliert: „Das Leben als letzte Gelegenheit!“

Die Sache mit dem Himmel ist ernst! Es geht hier nicht nur um ein schönes und beruhigendes altes Bild für die Seele. Es geht um die alte, im tiefsten Sinn lebenswichtige Frage: Gibt es bleibendes Leben jenseits der Beschränktheit unseres irdischen Lebens?

Nicht nur oben, sondern auch untenEs gibt ein wichtiges Detail im Himmelfahrtsbericht des Evangelisten Lukas. Dort wird erzählt, dass sich die Jünger freuten, als Jesus in den Himmel aufgehoben wurde. Wir lesen Lukas 24,51f:
„Und es geschah, als er sie segnete, schied er von ihnen und fuhr auf gen Himmel. Sie aber beteten ihn an und kehrten zurück nach Jerusalem mit großer Freude.“

Warum freuen sich die Jünger? Weil die Himmelfahrt Jesu die Besiegelung der Antwort auf die ernste Frage ist: Gibt es nur den Tod – oder bleibendes Leben? Leben, Sterben, Auferstehung und Himmelfahrt Jesu ist die Mut machende und Horizont aufreißende Botschaft, dass der Himmel nicht mehr nur oben, sondern auch unten auf der Erde ist. Der Himmel ist sogar – eben in Jesus Christus als Gottes Sohn – ganz unten anwesend, am äußersten Gegenpol alles Himmlischen: in Leiden, Schmerz, Tod und Verlassenheit. Auch hinter Leiden, Tod, Schmerz und Verlassenheit ist nicht einfach nichts, sondern Gott.

Und die Himmelfahrt des Auferstandenen ist auch die Besiegelung des Umgekehrten: Im Menschen Jesus ist das menschliche Sein nicht mehr nur unten, in der Beschränktheit des Irdischen, sondern auch schon oben, im Himmel.
Von Jesus Christus bekennen wir im Glaubensbekenntnis: „aufgefahren in den Himmel, er sitzt zur Rechten Gottes“ – das heißt: Die Besiegung des Todes ist schon da, sie ist schon in Geltung gesetzt, sie ist schon vollzogene Sache. Der Mensch ist in und mit der Himmelfahrt Jesu für den Himmel bestimmt.

Und die Dunkelheiten des Lebens? Sie lassen noch nichts Himmlisches erkennen. Aber auch sie sind zur Auferstehung und zur Himmelfahrt bestimmt. So wie der gekreuzigte, gestorbene und begrabene Christus aus dem Grab auferstanden ist in das bleibende Leben bei Gott hinein. Aufgefahren in den Himmel!
„Denn ich will ihr Trauern in Freude verwandeln und sie trösten und sie erfreuen nach ihrer Betrübnis“, sagt Gott bei Jeremia. Ja, um Verwandlung geht es. Der Himmel Gottes ist der Garant der Verwandlungsfähigkeit dieser Welt. Sie muss nicht ewig die alte bleiben, diese Welt.

Der Himmel als Geheimnis der ErdeDer Himmel ist das Geheimnis des Lebens, der Erde, der Menschen. Sie haben ein Geheimnis – nämlich das Geheimnis, für den Himmel bestimmt zu sein!
Und wo genau ist der Himmel? Seine Eingangspforten sind dort, wo aus dem Vertrauen auf Jesus Christus heraus schon jetzt von uns unsere Mitmenschen und das Leben insgesamt gewürdigt und geschätzt und geachtet werden als für den Himmel bestimmt. Ja, wo ich mich selber im Glauben verstehe als für den Himmel bestimmt!

Der Himmel ist noch verborgen hinter den irdischen Dingen.
Aber der Himmel Gottes wartet hinter unserer Sehnsucht, unserem Staunen, unserer Dankbarkeit wie die Berge am Horizont, die man im Dunst mehr erahnen als sehen kann und die doch dort unverrückbar warten. Und manchmal geschieht es in einem heiligen Moment, dass unser Glaube, unsere Hoffnung, unsere Liebe und das bleibende Leben Gottes ineinander fließen wie zwei strahlende Farben und sich mischen und großes Glück erzeugen. Im Glauben – und eben nur im Glauben – begreifen wir das zu Recht als himmlisches Glück.

Also: Der Himmel auf Erden – er ist aus der Blickrichtung unseres Glaubens schon dort, wo Gott in uns Raum bekommt im Vertrauen auf Jesus Christus, unseren Herrn und Bruder im Himmel. Und insofern hat Angelus Silesius Recht, wenn er sagt: „Halt an, wo läufst du hin, der Himmel ist in dir: Suchst du Gott anderswo, du fehlst ihn für und für.“
Amen.

Literaturhinweise:
Marianne Gronemeyer, Das Leben als letzte Gelegenheit, Darmstadt, 3. Aufl., 2009;
Angelus Silesius (Johannes Scheffler): Cherubinischer Wandersmann. Kritische Ausgabe. Hrsg. von Louise Gnädinger. Stuttgart 1985, Der Cherubinische Wandersmann, I, 82.



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