Jubilate (11. Mai 2025)

Autorin / Autor:
Pfarrerin Katja Pfitzer, Bad Urach [Katja.Pfitzer@elkw.de]

Sprüche 8,22-36

IntentionAm Sonntag Jubilate erinnert der Predigttext: Die Weisen und Einsichtigen und freuen sich, dass Gott alles so wunderbar geschaffen hat und erkennen heilsame Grenzen an. Wie wunderbar lässt Gott uns seine Güte und Liebe erfahren: Das ist wirklich Grund zur Freude, Grund zum Jubeln. Das soll die Predigt bewusst machen.

Ich habe meine fünfjährige Nichte beobachtet, wie sie unbeschwert durch den Garten tanzt: „Klingeling“ ruft sie und bewegt behutsam den Blütenstiel einer Schlüsselblume. „Klingeling“, tanzt sie zur nächsten. Vorher ist mir gar nicht aufgefallen, wie viele Schlüsselblumen vor unserer Haustüre blühen. Vielleicht kurz im Vorbeifahren oder -gehen, aber sofort war ich in Gedanken beim nächsten Termin, Gespräch oder Besuch. Erst als meine Nichte angefangen hat, alle Blüten zu berühren und sachte zu schütteln, schaue ich bewusst hin und staune: Wie wunderschön und völlig ohne mein Zutun erschaffen! Das leuchtende Gelb will scheinbar jeden traurigen oder düsteren Gedanken durch seine Leuchtkraft vertreiben. Meisen zwitschern und Schwalben fliegen, als wollten sie mit der Kleinen im Garten tanzen. In der Sicht eines Kindes liegt große Weisheit.
Solche Weisheit beschreibt auch die Bibel. Sie stellt sich im Predigttext für den Sonntag Jubilate aus Sprüche 8, 22-36 vor:

„Der Herr hat mich schon gehabt im Anfang seiner Wege, ehe er etwas schuf, von Anbeginn her. Ich bin eingesetzt von Ewigkeit her, im Anfang, ehe die Erde war. Als die Tiefe noch nicht war, ward ich geboren, als die Quellen noch nicht waren, die von Wasser fließen. Ehe denn die Berge eingesenkt waren, vor den Hügeln ward ich geboren, als er die Erde noch nicht gemacht hatte noch die Fluren darauf noch die Schollen des Erdbodens. Als er die Himmel bereitete, war ich da, als er den Kreis zog über der Tiefe, als er die Wolken droben mächtig machte, als er stark machte die Quellen der Tiefe, als er dem Meer seine Grenze setzte und den Wassern, dass sie nicht überschreiten seinen Befehl; als er die Grundfesten der Erde legte, da war ich beständig bei ihm; ich war seine Lust täglich und spielte vor ihm allezeit; ich spielte auf seinem Erdkreis und hatte meine Lust an den Menschenkindern.
So hört nun auf mich, meine Söhne! Wohl denen, die meine Wege einhalten! Hört die Zucht und werdet weise und schlagt sie nicht in den Wind! Wohl dem Menschen, der mir gehorcht, dass er wache an meiner Tür täglich, dass er hüte die Pfosten meiner Tore! Wer mich findet, der findet das Leben und erlangt Wohlgefallen vom Herrn. Wer aber mich verfehlt, zerstört sein Leben; alle, die mich hassen, lieben den Tod.“

Alles ist in Bewegung in unserem Bibelabschnitt. Die Weisheit ist die unbändige Freude und das erste Gegenüber Gottes, sie ist die Anmut der göttlichen Schöpferkraft und das Spielerische der göttlichen Allmacht. Als „religiös unmusikalisch“ beschrieb sich der Soziologe Max Weber. Er scheint geahnt oder gespürt zu haben, wie Freude über die Schöpfung unserer Seele einen Klangraum für Musik öffnet. Wie die Freude uns zum Lobgesang anregt, zur Bewegung, zur Ausgelassenheit, zum Tanzen.

Warum ist etwas und nicht nichts? Das Wunder des Seins können wir nicht begreifen, aber das Staunen über die Wunderwerke der Schöpfung lassen uns einstimmen in den Jubel der Betenden: “Ich danke dir dafür, dass ich wunderbar gemacht bin; wunderbar sind deine Werke; das erkennt meine Seele.” (Ps 139,14)

Der englische Schriftsteller Terry Pratchett stellt in einem seiner Werke einen geplagten Schöpfer vor, der seine Lebewesen handwerklich konstruiert. Seine Figuren, von denen er schreibt, sehen einen halbfertigen Elefanten und sollen dem werkelnden Schöpfer sagen, ob sich die Ohren oder der Rüssel bewegen. Das erinnert an den Test des Blinkers am Auto, eine ernste und wichtige Sache, man macht einen solchen Test oder eine Reparatur, um im Straßenverkehr Gefahren zu vermeiden. Anders ist es in unserem Bibelabschnitt über die Weisheit. Da prägen Freude und Spiel die Schilderung der Schöpfung: „Ich war beständig bei ihm, ich war seine Lust täglich und spielte vor ihm allezeit.“ Unbändige Lebensfreude und Freude an allem Lebendigen, ja Staunen über die Vielfalt des Lebens selbst, schwingen in diesen Worten der Weisheit mit. Spielerische Freude regt den Schöpfer zu neuem Schaffen an.

Es erscheint uns womöglich als ungewohnter Gedanke, Freude mit Religion oder Glaube zu verbinden. So tadelt ja Michal ihren Ehemann David, als der König den Einzug der Bundeslade in Jerusalem tanzend und singend begleitet. Aber Gott erfreut sich sogar am Spiel mit dem Meeresungeheuer Leviathan, sagt Psalm 104. Dort heißt es in Vers 26: „Dort ziehen Schiffe ihre Bahn, auch das Ungeheuer Leviathan, das du geschaffen hast, um mit ihm zu spielen.“ Die Freude und das Spielerische sind der Schöpfung eingeschrieben als Cantus firmus, auf dem die Melodien alles Lebendigen aufbauen.

„Du bist gewollt, kein Kind des Zufalls, keine Laune der Natur, ganz egal, ob du dein Lebenslied in Moll singst oder Dur“ heißt es im Lied „Vergiss es nie“. Unser Lebenslied ist hoffentlich nie nur Moll, sondern kennt viele Momente des glücklichen, ehrfürchtigen Staunens über das Wunder des Lebens. Die Freude eines Kindes. Das gütige, weise Lächeln älterer Menschen. Die unbändige Freude über einen Neuanfang, ein neues Leben, ganz Potential, alles ist möglich, alles ist Zukunft. „Wie wunderbar sind deine Werke, das erkennt meine Seele.“
Die Welt ist schön, ist harmonisch. Wir staunen über die Ordnung der Natur, den Wechsel der Jahreszeiten, die Schönheit dessen, was erst unter dem Mikroskop zu erkennen ist: Die Geometrie des Facettenauges einer Fliege zum Beispiel: Wie kunstvoll und gleichzeitig zweckmäßig ist es aufgebaut. Nüchterne Forschende geraten ins Schwärmen, wenn sie die Schönheit von geometrischen Figuren in Natur oder Mathematik beschreiben. Einmal habe ich dabei den Begriff „wahre Poesie“ gehört.

Die Schöpfung ist Bewegung, Werden, geordnet durch die Weisheit, aber nicht statisch-streng, sondern wie in einer großen Symphonie. Alles Lebendige bezieht sich aufeinander und klingt miteinander. Der große Schöpfungspsalm 104 beschreibt diese gute Ordnung in den Versen 14 und 15 aus Sicht der Menschen:

„Du lässt Gras wachsen für das Vieh,
auch Pflanzen für den Menschen, die er anbaut,
damit er Brot gewinnt von der Erde
und Wein, der das Herz des Menschen erfreut,
damit sein Gesicht von Öl erglänzt
und Brot das Menschenherz stärkt.“

Freude, Stärke und Schönheit für Mensch, Pflanze und Tier. Gott hat alles unendlich gütig, liebevoll und aufeinander bezogen geordnet. Die Freude über seine Güte, das Staunen und die Ehrfurcht über alles, was uns geschenkt wird und was wir nicht selbst machen können: Wer diese Weisheit erlangt, achtet, schätzt und schützt alles Lebendige. Wer die lebensfördernden Grenzen nicht anerkennt, zerstört Lebendiges und „liebt den Tod“, wie die Weisheit es ausdrückt. Die Weisen und Einsichtigen erkennen heilsame Grenzen an und freuen sich, dass Gott alles so wunderbar geschaffen hat. Wie wunderbar sind deine Werke, das erkennt meine Seele. Wie wunderbar lässt Gott uns seine Güte und Liebe erfahren: Das ist wirklich Grund zur Freude, Grund zum Jubeln.
Amen.

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