Karfreitag (30. März 2018)

Autorin / Autor:
Pfarrerin Barbara Vollmer, Bad Wurzach [barbara.vollmer@elkw.de]

Hebräer 9, 15; 9, 26-28

Das Wort vom Kreuz ist ein Skandal„Das Wort vom Kreuz ist ein Skandal“ schreibt Paulus einmal den Männern und Frauen der christlichen Gemeinde in Korinth. Unsinn, für den, der es hört. Denn wie, ja wie sollte denn einer, der blutüberströmt am Kreuze hängt die Welt retten können? Absurd.
Das Wort vom Kreuz ist ein Skandal – damals schon und heute auch. Dass Gott ein Opfer fordert, dass Gott seinen Sohn opfert, damit er uns Menschen vergeben kann, will vielen von uns nicht in den Kopf. Was ist das denn für ein Gott, fragen wir?
Vielleicht fragen wir auch: Warum hat er denn diesen Weg gewählt? Er hätte auch einen anderen Weg wählen können. Hätte, könnte, sollte…
Es ist eine Tatsache, dass Jesus von Nazareth am Kreuz gestorben ist, geopfert dem Buchstabenglauben der Frommen; dem politischen Kalkül der Mächtigen; der Blutgier der Meute. Der Vergeltungsgerechtigkeit Gottes? Oder vielleicht doch der Menschen?
Egal, ich will mit Ihnen gar nicht tiefer einsteigen in die theologische Debatte um den Sühnetod Jesu.
Lassen Sie uns lieber unserem hoffnungsvollen Glauben nachgehen, dass Jesu von Nazareths Tod am Kreuz nicht umsonst war; unserem Glauben, dass er für uns gestorben ist, aus Liebe; und sich für uns hingegeben hat; und da sind wir dann auch wieder ganz dicht beim Hebräerbrief, aus dem unser Predigttext stammt.

Der wahre HohepriesterEin schwer verständlicher Predigttext, jedenfalls für uns heute. Schwer verständlich auch, weil er aus dem Zusammenhang gerissen ist. Und ich finde, um – wenigstens den Argumentationsgang – zu verstehen, muss man diesen Zusammenhang kennen. Ich will versuchen, ihn für Sie herzustellen:
Der Hebräerbrief beschäftigt sich mit dem Opferkult des Judentums (dem ersten Bund) und vergleicht Jesus mit dem Hohenpriester. Am großen Versöhnungsfest, dem Jom Kippur, opfert der Hohepriester ein Tier, betritt mit dessen Blut das Allerheiligste des Tempels (nur dieses eine Mal im Jahr) und bringt es dort als Opfer für seine eigenen Verfehlungen und für die Verfehlungen des Volkes dar.
Damit ist das Volk gereinigt von aller Schuld. (Daher also die Vorstellung, dass rotes Blut die Seele blütenweiß macht, die mir als Kind immer schon merkwürdig erschienen ist.) Allerdings bezweifelt der Hebräerbrief, dass die Menschen durch solch ein Opfer wirklich in ihrem Gewissen ganz rein dastehen oder gar frei vor Gott treten könnten.
Das gelingt nur durch das Opfer, das Jesus bringt (im neuen Bund). Denn, so der Hebräerbrief nun weiter, Jesus ist der „wahre Hohepriester“. Auch er bringt ein Opfer dar. Allerdings opfert er kein Tier, er opfert sich selbst, „um die Sünde aufzuheben“. Sein Opfer ist das endgültige Opfer. Und – so die Überzeugung des Hebräerbriefes – durch dieses endgültige Opfer kann der Mensch wirklich reinen Gewissens und von Sünde befreit vor Gott treten.
Soweit nun also der Kontext, der Zusammenhang, in dem wir unseren Predigttext vielleicht ein wenig besser verstehen können. Und nun noch einmal den Predigttext aus Hebräer 9:
„Und darum ist Jesus auch der Mittler des neuen Bundes, auf dass durch seinen Tod, der geschehen ist zur Erlösung von den Übertretungen unter dem ersten Bund, die Berufenen das verheißene ewige Erbe empfangen.
Nun aber, am Ende der Zeiten, ist er ein für alle Mal erschienen, um durch sein eigenes Opfer die Sünde aufzuheben.
Und wie den Menschen bestimmt ist, einmal zu sterben, danach aber das Gericht: so ist auch Christus einmal geopfert worden, die Sünden vieler wegzunehmen; zum zweiten Mal erscheint er nicht der Sünde wegen, sondern zur Rettung derer, die ihn erwarten.“

Gott fordert ein Opfer – verstehen wir das?Was aber verstehen wir denn nun wirklich?
Begreifen wir nun, warum Gott ein Opfer fordert, um uns mit sich zu versöhnen? „Uns mit sich“ (wie Paulus nach Korinth schreibt), nicht sich mit uns. Macht es uns versöhnlicher, dass dieser Gott ein Opfer braucht? Wir, die wir heute in ganz anderen Kategorien denken, in ganz anderen Vorstellungen leben, können darin schwer eine Gnade erkennen, sehen eher eine grausame Vorstellung von Gerechtigkeit.
Ja, Karfreitag ist ein grausiges Geschehen, der Tod am Kreuz ein elender Tod – ich kann mir nicht vorstellen, dass Gott das gewollt haben könnte.

Gott opfert sich – der Weg zur RettungIch kann mir aber vorstellen, dass Gott sich geopfert hat. Uns zugute. Und mich rührt die Hingabe dieses Mannes aus Nazareth ganz tief. Diese unsägliche Liebe, die sich dahinter verbirgt. Seine ohnmächtige Hoheit, die uns in den Evangelien nahegebracht wird. Seine gewaltlose Konsequenz, die mir wie ein Anker in einer gewalttätigen Welt vorkommt. Seine selbstlose Hingabe in einer Welt, wo doch erst einmal jede/r sich selbst der Nächste ist.
Ob Gott das Opfer brauchte – ich weiß es nicht. Aber dass Gott sich geopfert hat – das ist doch der Weg! Und wie er diesen Weg gegangen ist:
Einstehen für seine Überzeugungen;
sich hüten vor Rache und Vergeltung und
ein Opfer bringen, für die, die man liebt.
Das ist doch der Weg zur Erlösung, die Rettung für diese Welt.

Gehen wir diesen Weg!?Da kommen, denke ich, jetzt auch wir ins Spiel. Dieser Mann aus Nazareth wollte ja, dass man ihm nachfolgt, nacheifert, seine Jüngerinnen und Jünger damals und heute – also wir auch.
Einstehen für seine Überzeugungen – mir fällt die diesjährige „7 Wochen ohne – Aktion“ ein, die dazu auffordert, nicht zu kneifen. Es ist nicht immer so einfach, zu seinen Überzeugungen zu stehen – nicht einmal dann, wenn uns nicht der Tod droht, ja nicht einmal irgendeine Form von Strafe.
Sich hüten vor Rache und Vergeltung! Vielleicht ist Ihnen auch schon mal großes Unrecht geschehen?! Mir schon, und da war ich voller böser Gedanken und Rachevorstellungen. Rache und Vergeltung sind auch der Motor so vieler blutiger Konflikte, die in der Welt toben.
Ein Opfer bringen, für die, die man liebt. Das klingt ein bisschen nach Edelmut und Ritterromantik; man kann es sich im wahren Leben irgendwie kaum vorstellen. Jedenfalls nicht im großen Stil. Nicht bis zum Tod.
Und doch – ich sage es nochmal. Das scheint mir der Weg zu sein, der Weg zur Rettung, dem wir nachzustreben herausgefordert sind.

Die andere Dimension: Wir retten die Welt nicht – Gott rettet sieNicht, dass wir diesen Weg gehen und damit die Welt retten könnten (aber vielleicht ein klein bisschen besser machen); nicht, dass wir diesen Weg gehen und uns selbst retten könnten!
Nein – da kommt nun schon noch eine andere Dimension ins Spiel. Und das meint auch der Hebräerbrief, wenn er dem Hohenpriester Israels den „wahren Hohenpriester Christus Jesus“ gegenüberstellt. Denn durch menschliche Opfer, so meint er, ist nichts gewonnen; nicht die Reinheit des Gewissens, nicht Erlösung von den menschlichen und allzu menschlichen Abgründen, nicht die Erlösung von schuldhaften Dilemmata, in die wir Menschen nun einmal geraten.
Aber dass Gott sich opfert, sich selbst in die Waagschale wirft, eintritt für uns, das ist die Mitte unseres Glaubens – das lässt uns aufatmen; das ermöglicht uns, aufrecht und furchtlos vor unseren Gott zu treten, weil wir wissen, dass für ihn alles in Ordnung gebracht ist.

„Es läuft alles auf Jesus hinaus“Also doch Sühnetod!? Ja, vielleicht schon Sühnetod, weil ich sehe und erlebe und in mir spüre: Es ist so vieles nicht in Ordnung, in der Welt; in meinen Beziehungen; in mir. Und ich bin froh, dass Gott da für mich, für uns eintritt, dass Jesus sich am Kreuz hingibt, um das recht zu machen, was uns misslingt, und damit das zurecht zu bringen, was ich nicht vermag.
Jemand, der von sich sagt, er sei kein Christ, aber doch gelegentlich ganz gerne in den Gottesdienst kommt, sagte mir neulich: „Weißt Du, ich kann Dir in vielem zustimmen, aber am Ende läuft bei Euch halt alles auf Jesus hinaus.“
Ja, am Ende läuft alles auf Christus Jesus hinaus. Das ist ja unsere Stärke! Aus unserem Glauben an ihn schöpfen wir die verändernde Kraft, die die Welt braucht. Am Ende läuft alles auf eine Dimension hinaus, die unser Können und Vermögen übersteigt. Gott sei Dank. Am Ende läuft alles hinaus auf seine Wiederkunft „zur Rettung derer, die ihn erwarten“.
Amen.

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