Lätare / 4. Sonntag der Passionszeit (19. März 2023)

Autorin / Autor:
Pfarrer i.R. Friedemann Bresch, Rottenburg [bresch72072@aol.com]

Jesaja 54, 7-10

IntentionWenn Katastrophen einbrechen ins persönliche Leben oder in das Leben von Gruppen und Völkern, gerät der Boden ins Schwanken. Alte Gewissheiten halten nicht mehr, alles droht im Chaos zu versinken. Das war zu allen Zeiten so. Dem setzt Gott die Botschaft der Hoffnung entgegen. Sie wird Fleisch im Leiden, Sterben und Auferstehen Jesu.
(Der Text wird erst im Verlauf der Predigt verlesen.)

Liebe Gemeinde,
Angst und Krieg, persönlicher Kummer oder das Leid von mehr als 50.000 Erdbebenopfern. Das kann einen irre machen an Glauben und Gottvertrauen. Ich glaube, das war schon immer so.

Stellen Sie sich einen lauen Abend vor. Die Sonne ist untergegangen, aber ein Feuer erhellt flackernd den Platz. Ab und zu knackt das Holz in den Flammen. Im Hintergrund murmelt das Wasser des großen Flusses. Eine idyllische Szene. Aber die Stimmung ist gedrückt. Die Menschen, die um das Feuer sitzen, schweigen und hängen ihren trüben Gedanken nach. „Wie lange soll das denn noch so gehen?“, fragt eine Frauenstimme. „Seit bald 50 Jahren leben wir nun in der Fremde. Ich selbst ja noch nicht so lange. Ich bin hier geboren. Ich habe noch nie unsere Heimat gesehen. Meine Eltern erzählen mir von Jerusalem, der Stadt auf dem Berg. Die Königsstadt mit den schönen Häusern. Und vor allem dem Tempel. Wie gerne würde ich einmal an einem Gottesdienst dort teilnehmen. Die Musik hören, die Gesänge und Gebete. Die Priester sehen, die Gott dienen und in seinem Namen reden. Spüren, dass Gott lebt und nah ist.“ Sie seufzt. „Das wäre wunderbar. Danach sehne ich mich von ganzem Herzen. Aber das werde ich wohl nie erleben. Jerusalem ist zerstört, der Tempel steht nicht mehr. Verwüstet von den gottlosen Feinden, in deren Land wir gefangen sind. Ach, mein Herz ist so leer. Wo ist Gott? Wo gibt es einen Ort, an dem ich ihn spüren kann? Ich komme mir vor wie eine Braut, die von ihrem Mann im Stich gelassen wurde und die nun einsam dasitzt und weint.“
Eine Männerstimme betet laut: „Herr, vergiss nicht, was uns zugestoßen ist! Sieh doch, wie man uns schmäht und beschimpft! Das Land, das du uns gabst, ist in fremder Hand, Ausländer wohnen in unseren Häusern.“ Zustimmendes Gemurmel ist zu hören. Hier und dort beginnen Köper, sich vor und zurück zu wiegen wie in Trance. Die Stimme fährt fort: „Unsere Väter sind im Krieg gefallen und unsere Mütter sind Witwen geworden. Unser Wasser bekommen wir nur für Geld, auch Brennholz müssen wir teuer bezahlen.“ „Ja, Mann!“, sagt eine andere Stimme und wieder murmeln viele zustimmend. Dann erneut die betende Stimme: „Der Feind sitzt uns ständig im Nacken; wir sind erschöpft, doch wir dürfen nicht rasten.“ „So ist es“, sagt ein anderer. „Das ist doch gemein. Das muss aufhören!“
Ein anderer sagt: „Vergesst nicht: Wir sind selbst schuld. Wir haben Gott verlassen in unseren Sünden. Wir sind anderen Göttern nachgelaufen, haben nicht gehört auf die Propheten des Höchsten, gelobt sei Er. Jeremia wurde verspottet und in den Turm geworfen. Wir müssen uns nicht wundern, wenn Gott zornig ist.“
Nach einem Moment der Stille gehen die Stimmen durcheinander. „Recht hat er“, sagen die einen. „Wir haben gesündigt und müssen Buße tun.“ „Ich bin nicht schuld“, sagt die junge Frau von vorhin. „Vielleicht haben unsere Eltern gesündigt. Aber warum soll ich dafür büßen?“ „Quatsch“, sagt ein dritter, „Gott ist nicht zornig. Höchstens über unsere Feinde. Wir sind ja sein auserwähltes Volk. Er wird den Heiden heimzahlen, was sie uns angetan haben.“

Katastrophen heute und die Antwort GottesLiebe Gemeinde, verlassen wir jetzt den Schauplatz an den Ufern der Flüsse Babylons um das Jahr 540 vor unserer Zeitrechnung und kehren zurück in unsere Gegenwart. Ich vermute, dass Ihre Gedanken bei dem einen oder anderen Stichwort eingehakt haben: das Gefühl der Gottverlassenheit und Sinnlosigkeit. Das Leiden unter Gewalt, Zerstörung, Krieg und Ungerechtigkeit. Die Frage, ob Gott zürnt. Alles das erleben wir sowohl in unserem kleinen persönlichen Leben wie auch in der großen Welt. Wir brauchen nur an die Pandemie zu denken, an das Erdbeben in der Türkei und in Syrien, Flüchtlinge und die Kriege in aller Welt. Der in der Ukraine ist uns ja täglich nah.
Gibt es einen Trost in dieser Not? Eine Antwort auf die brennenden Fragen, die uns abzustumpfen drohen?
Den Menschen damals an den Ufern Babylons wurde eine Antwort gegeben. Wir finden sie im sogenannten zweiten Buch Jesaja im Kapitel 54. Da sagt Gott:

„Ich habe dich einen kleinen Augenblick verlassen, aber mit großer Barmherzigkeit will ich dich sammeln. Ich habe mein Angesicht im Augenblick des Zorns ein wenig vor dir verborgen, aber mit ewiger Gnade will ich mich deiner erbarmen, spricht der HERR, dein Erlöser. Ich halte es wie zur Zeit Noahs, als ich schwor, dass die Wasser Noahs nicht mehr über die Erde gehen sollten. So habe ich geschworen, dass ich nicht mehr über dich zürnen und dich nicht mehr schelten will. Denn es sollen wohl Berge weichen und Hügel hinfallen, aber meine Gnade soll nicht von dir weichen, und der Bund meines Friedens soll nicht hinfallen, spricht der HERR, dein Erbarmer.“

Eine Hoffnungsbrücke auf drei PfeilernDas ist eine Antwort, die tröstet und aufatmen lässt. Das, was jetzt so drückend ist und aussichtslos erscheint, wird ein Ende haben. Wie eine Hoffnungsbrücke über eine tiefe Schlucht spannen sich diese Sätze in eine neue Zukunft. Sie ruht sozusagen auf drei Pfeilern:

1. Sie nimmt die katastrophale Gegenwart ernstDa wird nichts beschönigt. Diese Brücke besteht nicht aus Sätzen wie: „Alles halb so schlimm.“ „Kopf hoch, wird schon wieder.“ Die Wahrheit ist: Es war und ist schlimm.
„Ja“, sagt Gott, „ich war zornig. Meine Liebe wurde überschwemmt von der Enttäuschung. Ich habe um dich geworben, dir immer neue Botschaften geschickt. Aber du hast mich nicht gehört. Anderes war dir wichtiger. Du hast mir nicht vertraut. Andere Mächte und Ideen schienen dir überzeugender zu sein. Und so habe ich dich, meine Braut, verlassen. Das war so und darunter leidest nicht nur du. Auch mir tut das weh.“

2. Das große ABERDer katastrophalen Gegenwart setzt Gott sein ABER entgegen. „Ich habe dich einen kleinen Augenblick verlassen, ABER mit großer Barmherzigkeit will ich dich sammeln. Ich habe mein Angesicht im Augenblick des Zorns ein wenig vor dir verborgen, ABER mit ewiger Gnade will ich mich deiner erbarmen. … Denn es sollen wohl Berge weichen und Hügel hinfallen, ABER meine Gnade soll nicht von dir weichen…“
Dieses ABER sagt: So, wie es ist, wird es nicht bleiben. Die Zukunft ist nicht einfach das Produkt der Gegenwart. Es gibt mehr als die empirischen Fakten. Es gibt Gott, der einen Neuanfang setzt. Gott verweigert dem Lauf der Dinge seine Zustimmung. Er kehrt um. Er wendet sich ab von seinem Zorn und gibt seiner Liebe und seinem Erbarmen Raum. Davon wird der weitere Weg bestimmt sein.

3. Die Erinnerung und Erneuerung glücklicher ErfahrungenDas große ABER muss man erst mal glauben. Und warum sollte man? Ist das nicht naiv? Sitzt man nicht einem Traum auf, zu schön, um wahr zu sein?
Da erinnert Gott an alte, an uralte Erfahrungen. Bis zur Zeit Noahs geht er zurück und erinnert an sein Versprechen: Die Erde soll nicht ein zweites Mal überschwemmt werden von den Wassern seines Zorns. Sie soll ein Ort sein, an dem Mensch und Tier und Pflanze leben können. Ist es nicht ein Wunder, dass das bis heute so ist? Schauen Sie mal in einer klaren Nacht in den Sternenhimmel. Wie klein unsere Erde ist! Wie verletzlich! Und dennoch ist sie so unbeschreiblich schön und bietet alles, was wir zum Leben brauchen.
Und das eigene Leben? Wie oft war es schon bedroht! Manchmal fehlte nur wenig und es wäre aus gewesen. Warum kann ich trotzdem aufrecht gehen und mich freu-en? Ist das nicht ein Zeichen, dass Gott mich beschützt hat?
Diese Erinnerung setzt meinen Fuß wieder auf festen Grund. Gott hat sich als verlässlich gezeigt. Er wird es auch jetzt und in Zukunft sein.

Passion und Ostern als Inkarnation des Versprechens GottesHeute ist der Sonntag Lätare. Mitten in der Passionszeit sagt er: „Es gibt Grund zur Freu-de.“ Denn die Passionsgeschichte mit all ihrem Blut, ihrem Schmerz und ihrer Verzweiflung ist dennoch eine Geschichte der Liebe Gottes. Wir sehen Jesus in seiner Angst. Er wird gefangen und falsch angeklagt. Er wird von allen verlassen. Schmerzen werden ihm zugefügt. Man verspottet ihn. Am Ende stirbt er mit dem Schrei „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“
In diesem Leiden und Sterben ist sozusagen alles zusammengefasst, was Menschen das Leben schwer machen und was es zerstören kann. Als Jesus stirbt, wird alles erschüttert, was fest zu sein schien. Aber entgegen dem Augenschein hat Gott Jesus nicht aufgegeben. An Ostern wird sein große ABER wahr, eine neue Zukunft beginnt. Deshalb gilt nun erst recht und endgültig:
„Es sollen wohl Berge weichen und Hügel hinfallen, aber meine Gnade soll nicht von dir weichen und der Bund meines Friedens soll nicht hinfallen, spricht der Herr, dein Erbarmer.“

Amen.

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