Letzter Sonntag nach Epiphanias (27. Januar 2019)

Autorin / Autor:
Pfarrer Thomas Lehnardt, Reutlingen [Thomas.Lehnardt@elkw.de]

2. Mose 3, 1-15

IntentionDie Predigt lädt ein, die Erfahrung der Gottesbegegnung des Mose am Horeb zu reflektieren. Die narrative Predigt setzt auf die Stärke der biblischen Meistererzählung, in der Menschen sich mit ihren unterschiedlichen Gotteserfahrungen wiederentdecken können.

Mose blickt auf den nicht mehr brennenden Dornbusch zurückDer Dornbusch brennt nicht mehr. Und Mose versucht zu verstehen, was ihm da gerade geschehen ist.
Endlich löst sich die Erstarrung seines Körpers. Er bewegt die Beine. Tritt einen Schritt vor. Kann hingehen und diese wundersame Erscheinung näher betrachten. Der Strauch hat wirklich nicht gebrannt. Kein Blatt ist versengt, auch wenn sich die Rußspuren des Feuers am Fels dahinter deutlich abzeichnen. Aber am Boden unter dem Dornbusch liegt keine Asche.
Was war das, was ihm da geschehen ist? Mose hockt sich vor den Dornbusch und beginnt nachzudenken.

Der Alltag wird zum Ort der Begegnung mit dem HeiligenWas hatte er noch einmal getan, bevor das alle passiert war?
Mit den Schafen ist er unterwegs. Auf der Suche nach frischem Weideland war er hinausgezogen aus den vertrauten Gefilden, hinein in die Wüste. Richtung Horeb hatte es ihn gezogen.
Eigentlich hat er es doch ganz gut getroffen – hier in der Fremde. Als junger Flüchtling war es aus Ägypten gekommen und hatte Zuflucht gefunden beim Priester Jitro. Das Handwerk des Hirten hatte er erst lernen müssen. Bei ihm daheim galten Hirten wenig. Aber er hatte schnell gelernt. Jitro hatte ihm seine Herde anvertraut und seine Tochter Zippora zur Frau gegeben. Er hat es wahrlich gut getroffen.
Tag für Tag zieht er mit den Schafen durchs Land. Viel Geschäft nach allem zu schauen, nichts Besonderes mehr für ihn, vertrauter Alltag.
Da entdeckt er von Ferne den brennenden Busch. In der Hitze der Wüste fangen die dornigen Sträucher immer mal wieder Feuer. Nichts Besonderes eigentlich. Er will schon weiterziehen, doch irgendetwas macht ihn stutzig. Der Busch brennt, doch es ist keine Asche zu erkennen. Er muss zweimal hinschauen. Zunächst traut er seinen Augen nicht. Neugierig geworden will er sich die Sache näher ansehen.
Da hört er seinen Namen rufen: „Mose, Mose.“ Vertraut wie von seiner Mutter daheim in Ägypten dringt ihm der Klang ins Herz. „Hier bin ich.“
„Zieh‘ deine Schuhe aus, denn hier ist heiliges Land.“
Mitten in der Bewegung auf den Busch zu hält er inne, erstarrt und streift dann die Schuhe ab. Die Anrede mitten im Tagesgeschäft aus dem Nichts heraus zieht ihm buchstäblich die Schuhe aus. Erst jetzt im Rückblick spürt er den felsigen Boden unter den Füßen.

Gott hat schon einmal in das Land geführt, das er zu zeigen versprach„Ich bin der Gott deines Vaters, der Gott Abrahams, der Gott Isaaks und der Gott Jakobs“, hört er es aus dem brennenden Busch sprechen.
Lange hatte er nicht mehr an den Gott seines Vaters und seiner Mutter gedacht. Als Ziehsohn der Tochter des Pharao hatte er mit anderen Göttern zu tun gehabt. Da spricht ihn einer an mit dem Klang der Stimme seiner Mutter. Da erinnert ihn einer an die alten Familiengeschichten von Vater Abraham, Vater Isaak und Vater Jakob. Das war wirklich lange her. Beim Priester Jitro in Midian hat er jetzt mit anderen Göttern zu tun.
Mose merkt erst jetzt, wie tief ihn die Worte treffen.
Ist der Gott Abrahams nicht derjenige, der gesagt hatte: „Geh aus deinem Vaterland … in ein Land, das ich dir zeigen werde?“ Und hatte dieser Gott nicht auch Abraham, Isaak und Jakob immer wieder zugesagt: „Ich will dich segnen … und du sollst ein Segen sein.“ Immer wie-der war dieser Segen gefährdet gewesen. Mose erinnert sich, wie spannend seine Schwester davon erzählen konnte. Zuerst als es keine Nachkommen für Abraham und Sara gab. Dann als die Erstgeborenen der Israeliten in Ägypten erschlagen werden sollten.
Jetzt, nach all den Jahren in der Fremde, spricht ihn plötzlich der Gott an, der schon einmal aus der Fremde in eine neue Heimat geführt hatte, das Land, das ich dir zeigen werde.
Als er zu begreifen beginnt, wer da zu ihm spricht, zieht er sich das Kopftuch über sein Gesicht. Diesem mächtigen Gott seiner Vorväter tritt man nicht ungeschützt unter die Augen.

Gott hat mein Elend gesehen„Ich habe das Elend meines Volks in Ägypten gesehen, und ihr Ge-schrei über ihre Bedränger habe ich gehört.“ Ja, das ist ein Elend in Ägypten für die Israeliten. Immer wieder klagen die Mütter und Väter, die Kinder und die Alten dem Gott Israels ihr Leid. Doch er scheint sie nicht zu hören. Sind seine Ohren taub geworden? Hat er ein hartes Herz aus Stein bekommen? Trotz des drängenden Geschreis scheint er sich seiner Kinder Israel nicht zu erbarmen.
Er selbst, Mose, hatte damals, als er noch in Ägypten lebte, nicht mehr tatenlos mit ansehen können, wie das Volk ausgebeutet und unterdrückt wurde. Gott schien ja die Hände in den Schoß zu legen. Da hatte er im Zorn die Hand gegen einen Aufseher erhoben und ihn erschlagen. Deswegen hatte er schließlich fliehen müssen. Da hatte ihn auch seine privilegierte Stellung als Ziehsohn der Tochter des Pharao nicht geschützt.
Auch wenn er es einigermaßen gut getroffen hat in der Fremde, in diesem Moment ist die ganze alte Geschichte wieder präsent, als sei sie gerade erst geschehen. Der Schreck darüber sitzt ihm immer noch in den Gliedern.
Der Gott Abrahams hat das Elend seines Volkes gesehen. Hat er auch ihn in seinem Elend gesehen? Sollte er sein Volk doch nicht vergessen haben? Sollte er sich gar an mich erinnern, schießt es dem Mose durch den Kopf, als er die Worte hört.
Als er daran denkt, wird Mose warm ums Herz. Normalerweise ist da kein Platz für solche Gefühle in seinem harten Alltag. Da gilt es, seinen Mann zu stehen, in der Familie und bei der Arbeit mit der Herde, im Gerangel mit den anderen Hirten um Wasser und beste Weideplätze. Im Alltag scheint ihm oft kein Platz zu sein, für solche Gedanken. Da muss schon ein Dornbusch brennen, damit er wieder mit dem Gott seiner Väter und seiner Bedürftigkeit, seinem Elend in Berührung kommt.

Wer wird Gott für mich sein auf meinem Lebensweg?Fast hätte er darüber den Auftrag überhört. Klar und deutlich ist er eigentlich formuliert. Aber es braucht ein wenig, bis der bei ihm an-kommt. „Geh du hin zum Pharao und führe mein Volk aus Ägypten.“ Es hat zwar einige Zeit gebraucht, aber dann hat sich dieser Auftrag ganz genau in sein Hirn eingebrannt. „Go down, Moses, way down to Egypt’s land, tell old pharaoh to let my people go”– so würden sie später singen.
Meinen ersten Einwand scheint der mir noch fremde Gott gar nicht gehört zu haben. Du wirst das Volk hierher zum Berg Horeb führen. Das scheint ja Sinn zu machen. Zurückzukehren zu den Orten, an denen der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs seinem Volk Israel schon ein-mal begegnet war. Er muss sich diesen Ort hier genau einprägen – geht es ihm durch den verwirrten Kopf. Aber darin ist er ja gut. In den Wüsten des Lebens findet er sich zurecht.
Und als er – gleichsam um sich zu vergewissern – diesen fremden Gott nach seinem Namen fragt, erhält er diese rätselhafte Antwort: „Äheje ascher äheje.“ Wie, um Himmels willen, soll er das deuten? Wie soll er das verstehen? Wer wird dieser Gott für mich sein auf meinem Lebensweg?
Allenfalls eine erst Ahnung hat er, was ihm diese Formulierung vielleicht sagen könnte. Wenn er auf die Erfahrungen mit dem Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs zurückblickt, könnte das bedeuten: Ich war, der ich war. Ich war für euch der Gott, als den ihr mich erlebt habt. Wenn ihr wissen wollt, wer ich für euch bin, dann schaut auf die Erfahrungen, die ihr mit mir gemacht habt.
Andererseits könnte es auch bedeuten, denkt sich Mose: „Ich, Gott, bin der ich bin.“ Mit anderen Worten vielleicht: Ich, Gott, bin mir treu. Mehr kann man von mir nicht sagen.
Und dann kommt Mose noch die Zukunft in den Sinn: „Ich werde sein, der ich sein werde.“ Vielleicht macht diese Selbstvorstellung am Anfang eines gemeinsamen Weges des Gottes Israels mit seinem Volk am meisten Sinn. Wenn ihr in die Zukunft schaut, dann werdet ihr Erfahrungen mit mir machen. In diesen Erfahrungen werde ich mich als euer Gott erweisen.
Am Ende schwirrt Mose der Kopf vor lauter Nachdenken. Schließlich stehen ihm die vier Buchstaben vor Augen: JHWH. So hat der sich vorgestellt, der aus dem Dornbusch sprach. Schier unaussprechlich dieser Gottesname.

Erfahrungen mit Dornbüschen auf dem WegSein Blick wandert zurück zum Dornbusch vor ihm. Der Dornbusch war überraschend unversehrt aus der Gottesbegegnung hervorgegangen. Auch er selbst hatte keinen Schaden genommen. Ob er das als Zeichen für den künftigen Weg seines Volkes aus der Knechtschaft zurück in das verheißene Land deuten darf? Denn dass sie durchs Wasser würden gehen müssen, war klar. Und dass sie vielleicht sogar durchs Feuer würden gehen müssen, war zu befürchten. Sollten die Wasserströme sie nicht ersäufen und das Feuer sie nicht versengen? Wäre der Dornbusch auch ein solches ermutigendes Zeichen auf den Weg des Volkes Israel durch die Welt?
Darf er sich von diesem Dornbusch, der die Hitze des Brandes spürte, aber dabei nicht verging, für die Herausforderungen seines Weges er-mutigen lassen? Einer seiner Nachfolger wird nach den schrecklichen Pogromen des Mittelalters sagen: Gott spricht aus dem Dornbusch und nicht aus einem anderen Baum – denn in den Leiden bin ich mit ihnen. Und einer wird sogar zu sagen wagen: „Nach den brennenden Synagogen und den Judenverbrennungsöfen hätte der Judenstaat den brennenden Dornbusch als Staatssymbol wählen können.“ (Zitat Daniel Krochmalnik GPM 73, 2018, S. 112).

Sende, wen du senden willstDer neue Hirtenstab liegt schwer in seiner Hand. Noch fühlt er sich fremd an. Nicht so vertraut wie der alte. Wäre es doch nur bei seinem ersten Impuls geblieben: Sende, wen du senden willst, Gott, aber mich lass bei den Schafen des Jitro. Aber Gott hat ihn nicht losgelassen.
Was ihm da heute geschehen ist, darüber wird er noch länger nach-denken müssen. Aber jetzt ist er um seine Entscheidung gefragt. Sollte er den Auftrag wirklich annehmen?
Am Ende fasst er den neuen Hirtenstab fester, stützt sich darauf und steht auf. Noch etwas zögerlich macht er sich auf in das Land, das dieser Gott ihm zeigen wird. Gespannt, wer der für ihn sein wird. – Amen.

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