Letzter Sonntag nach Epiphanias (29. Januar 2023)

Autorin / Autor:
Pfarrer i.R. Günter Knoll, Herrenberg [pfarrer-knoll@t-online.de ]

Matthäus 17, 1-9

IntentionDie Geschichte von der Verklärung Jesu führt uns hinein ins innerste Geheimnis Gottes und seiner Menschwerdung in Jesus von Nazareth.

Liebe Gemeinde!
Der siebte Tag ist immer ein besonderer. Sonntag, oder für die Juden früher: Sabbat. Der Tag, an dem man sich Zeit nehmen kann für Gott. Da kann man Gott begegnen. Von einer ganz besonderen Begegnung an einem siebten Tag erzählt die Geschichte, die wir heute bedenken wollen.
Ich lese Matthäus 17, die Verse 1 bis 9:

„Und nach sechs Tagen nahm Jesus mit sich Petrus und Jakobus und Johannes, dessen Bruder, und führte sie allein auf einen hohen Berg. Und er wurde verklärt vor ihnen, und sein Angesicht leuchtete wie die Sonne, und seine Kleider wurden weiß wie das Licht. Und siehe, da erschienen ihnen Mose und Elia; die redeten mit ihm. Petrus aber antwortete und sprach zu Jesus: Herr, hier ist gut sein! Willst du, so will ich hier drei Hütten bauen, dir eine, Mose eine und Elia eine. Als er noch so redete, siehe, da überschattete sie eine lichte Wolke. Und siehe, eine Stimme aus der Wolke sprach: Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe; den sollt ihr hören! Als das die Jünger hörten, fielen sie auf ihr Angesicht und fürchteten sich sehr. Jesus aber trat zu ihnen, rührte sie an und sprach: Steht auf und fürchtet euch nicht! Als sie aber ihre Augen aufhoben, sahen sie niemand als Jesus allein. Und als sie vom Berge hinabgingen, gebot ihnen Jesus und sprach: Ihr sollt von dieser Erscheinung niemandem sagen, bis der Menschensohn von den Toten auferstanden ist.“

Liebe Gemeinde, Schwestern und Brüder!
Eine phantastische Geschichte wird uns da erzählt. Man reibt sich unwillkürlich die Augen: Wache ich oder träume ich? Der Erzähler nimmt mich mit auf einen hohen Berg. Unversehens bin ich einer von drei Jüngern, die Jesus da allein mit sich hinaufgenommen hat auf diesen hohen Berg, und ich werde mit ihnen zum Zeugen eines einzigartigen Vorgangs, der mit dem Wort „Verklärung“ geheimnisvoll umschrieben wird.
Es geht da oben um Jesus, das ist eindeutig. An ihm vollzieht sich, was der Erzähler „Verklärung“ nennt: „Er wurde verklärt vor ihren Augen.“

Sie kannten ihn ja schonSie kannten ihn ja schon, diese drei auserwählten Jünger, Petrus, Jakobus und Johannes; sie kannten ihn schon als einen begnadeten Bußprediger, der in ihrer Heimatregion am Galiläischen Meer aufgetreten war und den Anbruch des Reiches Gottes angesagt hatte. Sein Ruf „Kommt, folgt mir nach! Ich will euch zu Menschenfischern machen“ hatte sie gepackt, und sie hatten stehenden Fußes ihre Fischernetze verlassen und waren seither mit ihm, dem Wanderprediger, im Land unterwegs. Was hatten sie nicht alles schon mit ihm erlebt: vollmächtige Predigten, darunter eine denkwürdige Bergpredigt mit bedeutungsvollen Seligpreisungen; eine neue Auslegung der Gebote, die Mose einst auf dem Berg Sinai von Gott bekommen hatte; Heilungswunder; eine wundersame Sturmstillung; Gleichnisse vom Reich Gottes hatte er ihnen erzählt, und buchstäblich Tausende hatte er mitten in der Wüste sattgemacht – und das alles in einem Gottvertrauen, ja geradezu in einer Gottesgewissheit, die unerschütterlicher nicht hätte sein können.
Und immer wieder kam da die Frage auf: Wer ist der eigentlich, der da so vollmächtig auftritt, und dem wir uns als Nachfolger ganz verschrieben haben? Kann es sein … ist es möglich … dürfen wir das glauben?

Wer ist er eigentlich? Dem Geheimnis auf der SpurDie drei Jünger, die sich von Jesus auf den hohen Berg haben mitnehmen lassen, bekommen dort eine Antwort auf ihre Ahnungen und Fragen, freilich so, dass es sie „umhaut“. Ohne dass sie es je gewollt haben oder sich hätten vorstellen können, werden sie eingeweiht in ein Mysterium von allergrößter Tragweite. Dieser Jesus, ihr verehrter Lehrer und Meister, ist mehr als ein Mensch, er hat gleichsam eine zweite Identität. Dort, wo Gott sich schon immer offenbart hat, „auf einem hohen Berg“, da offenbart er sich ihnen (und zwar exklusiv ihnen) in einem Menschen, in ihrem Menschen. Ihr Mensch Jesus ist zugleich Gottes Mensch.
Da versteht sich nichts von selber, gar nichts. Man muss die Umstände deuten, wenn man dem Geheimnis dieses Gott-Menschen auf die Spur kommen möchte. Da ist zunächst einmal die Verklärung. Jesus wurde vor den drei auserwählten Jüngern „verklärt“. Wörtlich heißt es: „er wurde verwandelt vor ihren Augen“; Jesus nahm also eine andere Gestalt an, als sie ihn sonst vor Augen hatten, und diese Gestalt war in jeder Hinsicht lichtvoll. Sein Angesicht leuchtete wie die Sonne, und seine Kleider wurden weiß wie das Licht. Jesus erschien also in göttlichem Glanz, himmlisch strahlend.
Und dann waren da plötzlich die beiden religiösen Urgestalten: Mose, dem Gott auf dem Berg Sinai als Gesetzgeber für sein Volk erschienen war und dem er die Tafeln des Gesetzes übergeben hatte; und Elia, der Ur-Prophet, dem Gott sein Verheißungs- und sein Gerichtswort anvertraut hatte. Beide, Mose und Elia sind nicht begraben worden, sondern Gott hat sie hinweggenommen von der Erde. Sie haben ihre letzte Ruhe unmittelbar bei Gott gefunden als Zeichen der Wertschätzung von Seiten Gottes. Diese beiden reden mit Jesus sozusagen auf Augenhöhe. Sie bilden mit Jesus zusammen eine Trias und stehen so der Trias Petrus, Jakobus und Johannes gegenüber.
Aber nicht genug der heiligen Dreizahl. Dem Jünger-Sprecher Petrus fällt nichts anderes ein als der Gedanke: drei Hütten will ich bauen, drei Stiftshütten bzw. drei „Zelte der Begegnung“ zwischen Gott und Mensch. Diese drei: Mose, Elia und Jesus sind es doch, durch die Gott mit seinem Volk in Verbindung getreten ist und in Verbindung tritt. Ich will diesen Moment festhalten und auf Dauer stellen: „Verweile doch, du bist so schön.“ Ist das vermessen? Kann man das, den Augenblick religiöser Klarheit festhalten? Wohl kaum!
Aber das große Offenbarungsgeschehen ist noch nicht zu Ende. Gott selber, verhüllt in einer lichten Wolke, erhebt seine Stimme und erklärt Jesus zu seinem geliebten Sohn, dem er sein ganzes Wohlgefallen schenkt. Jetzt ist es heraus: der ist’s, der und kein anderer. Auf sein Wort soll man hören.

Gottesfurcht und AuferweckungDas ist zu viel für die drei Jünger. Es überkommt sie Gottesfurcht im wahrsten Sinne dieses Wortes. Sie fallen nieder und verbergen ihr Angesicht, weil sie sonst vergehen würden vor der überwältigenden Größe und Allmacht Gottes. Damit endet das Verklärungsgeschehen.
Die Jünger liegen überwältigt am Boden und sind zu keiner Regung mehr fähig; sie sind wie tot. Was jetzt folgt, ist zugleich zart und machtvoll. Jesus – wir dürfen ihn wieder in menschlicher Gestalt denken – geht zu den Jüngern hin, berührt sie und auferweckt sie und nimmt ihnen die Furcht, die sie hat zu Boden fallen lassen.
Wie Gott bei jeder Begegnung den Menschen ihre Furcht nehmen muss, so nimmt Jesus die Furcht von den Dreien. Sie erfahren die göttliche Kraft ihres Meisters, der in der Tat auch Herr über den Tod ist. Sie erfahren in ihm den lebendigen Gott, der lebendig macht.

Niemand als Jesus alleinUnd wen sehen sie, als sie die Augen aufheben? Niemand als Jesus allein. Die anderen bei-den großen Gestalten der Heilsgeschichte sind verschwunden, Jesus allein ist noch da. Petrus wird es später als Gefangener vor dem Hohen Rat in Jerusalem bezeugen: „In keinem andern ist das Heil, auch ist kein anderer Name unter dem Himmel den Menschen gegeben, durch den wir sollen selig werden, als allein der Name Jesus“ (Apostelgeschichte 4, 12).
Die Klarheit der Erkenntnis ist unüberbietbar. Die drei Jünger sind zu Zeugen des Geheimnisses Gottes geworden, das in Jesus Gestalt angenommen hat. Im Grunde genommen müssten sie jetzt losstürmen und Zeugnis ablegen über das, was sie auf dem Berg gesehen und gehört und erlebt haben. Aber es wartet auf sie noch eine Weisung Jesu – beim Heruntersteigen –, die sie zu diesem Zeitpunkt noch nicht fassen können, die aber von entscheidender Bedeutung für jedes Zeugnis von Jesus Christus ist. Die Zeugen Jesu dürfen von dem, was sie auf dem Berg der Verklärung mit Jesus erlebt haben, nichts weitersagen, bevor der Menschensohn von den Toten auferstanden ist. Was das heißt? Auf dem Berg ist zwar das Geheimnis Gottes offenbar geworden; die Jünger, die in dieses Mysterium eingeweiht worden sind, wissen nun, wer Jesus in Wahrheit ist, nämlich der menschgewordene Gott selber; aber noch ist ihm nicht widerfahren, was seine Göttlichkeit ausmacht, nämlich seine Passion, sein Leiden und Sterben zugunsten der Menschen, seine ganze Hingabe als Ausdruck der Liebe Gottes.
Der Mystiker Johann Scheffler, bekannt als Angelus Silesius, hat in Worte gefasst, wie wir im Glauben dem Geheimnis Gottes, der sich in Jesus Christus offenbart hat, im Leben entsprechen und auf der Spur bleiben können. Er hat es in ein Gebet gefasst:

Liebe, die du mich erkoren, eh ich noch geschaffen war,
Liebe, die du Mensch geboren und mir gleich wardst ganz und gar:
Liebe, dir ergeb ich mich, dein zu bleiben ewiglich.

Liebe, die für mich gelitten und gestorben in der Zeit,
Liebe, die mir hat erstritten ewge Lust und Seligkeit:
Liebe, dir ergeb ich mich, dein zu bleiben ewiglich.

Amen.

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