Okuli / 3. Sonntag der Passionszeit (12. März 2023)

Autorin / Autor:
Pfarrerin Gundula Guist, Friedrichsdorf [Gundula.Guist@ekhn.de]

Lukas 22,47–53

IntentionDer Predigttext ist insofern eine Herausforderung, als dass er aus sich selbst heraus keine Hoffnung enthält. Er bleibt ganz in der Passion. Die Situation erscheint aussichtslos.
Die Absicht der Predigt ist es, dies auch zur Geltung kommen zu lassen und nur vorsichtig einen Weg zur Auflösung zu zeigen. Finsternis muss ausgehalten und durchgehalten werden.
Die Möglichkeit der Hoffnung kommt über den Namen des Sonntags.

Liebe Gemeinde,
wir haben es heute mit einer Geschichte aus finsterer Zeit zu tun – so eine richtige Passionsgeschichte.
„Als er aber noch redete“ – so beginnt der Predigttext. Es ist Nacht. Jesus ist niedergeschlagen. Gemeinsam mit seinen Jüngern war er in den Garten Gethsemane gegangen. Er spürte: Die Schlinge um ihn zog sich langsam zu. Er hatte gebetet und mit seinem Vater um den richtigen Weg gerungen. Seine drei engsten Freunde hatte er mit sich genommen, damit sie mit ihm wach bleiben und beten. Aber sie ließen ihn beten und schliefen ein. Das war wahrscheinlich gar nicht böse gemeint. Sie waren einfach erschöpft, vielleicht auch deprimiert. Auch sie merken; die Finsternis legte sich langsam um sie. Vielleicht erinnert uns das an den Lock-Down – diese träge Zeit, in der viele mehr geschlafen haben als sonst.

Nun aber kommt plötzlich Bewegung in die Szene. Nicht dass es damit besser würde – aber zumindest das Warten hat ein Ende.

Predigttext: Lukas 22, 47-53„Als er aber noch redete, siehe, da kam eine Schar; und einer von den Zwölfen, der mit dem Namen Judas, ging vor ihnen her und nahte sich Jesus, um ihn zu küssen. Jesus aber sprach zu ihm: Judas, verrätst du den Menschensohn mit einem Kuss? Als aber, die um ihn waren, sahen, was geschehen würde, sprachen sie: Herr, sollen wir mit dem Schwert dreinschlagen? Und einer von ihnen schlug nach dem Knecht des Hohenpriesters und hieb ihm sein rechtes Ohr ab. Da sprach Jesus: Lasst ab! Nicht weiter! Und er rührte sein Ohr an und heilte ihn. Jesus aber sprach zu den Hohenpriestern und Hauptleuten des Tempels und den Ältesten, die zu ihm hergekommen waren: Ihr seid wie gegen einen Räuber mit Schwertern und mit Stangen ausgezogen? Ich bin täglich bei euch im Tempel gewesen, und ihr habt nicht Hand an mich gelegt. Aber dies ist eure Stunde und die Macht der Finsternis.“

Reaktionen der Jünger und Jesu auf die Macht der FinsternisSie schlägt zu, die Macht der Finsternis. Bei Star Wars würde es jetzt heißen: Gut gegen Böse, die Schlacht beginnt! „Möge die Macht mit dir sein.“ Einer von den Jüngern ist ganz so wie ein Yedi-Jünger. Er zieht sein Schwert und …. trifft nicht ganz. Nur das Ohr hat er erwischt. Er, der gerade noch geschlafen hat, ist froh, jetzt endlich etwas tun zu können. Ich kann ihn verstehen. Man muss doch irgendetwas tun! Zum Nichtstun und Warten verdammt zu sein, während die Welt zu Bruch geht – das hält man kaum aus. Aber rettet das die Situation?
Und sie küsst, diese Macht der Finsternis.
Im Gewand der Freundschaft kommt sie daher. Judas heißt der Jünger, der Jesus verrät. Er hatte sich weggeschlichen von den anderen. Er hatte den Hohenpriestern und Hauptleuten gesagt, wo sie diesen Jesus ergreifen könnten. Nicht öffentlich, so dass es Aufregung gegeben hätte. Nicht im Tempel, nein, sondern heimlich, nachts, abseits. Steckbriefe gab es damals noch nicht. Auch keine Fotos. Also wussten die Soldaten nicht, wen sie hätten ergreifen sollen. Man musste ein Erkennungszeichen ausmachen. Das Erkennungszeichen war ein Kuss. Wie gemein!
Und Jesus, wie regiert er?
Muss er nicht maßlos enttäuscht gewesen sein von seinem Freund, dem Jünger Judas?! Jeder, der schon mal von einem Freund hintergangen worden ist, kennt dieses Gefühl: diese Scham, diese Schande, diese Fassungslosigkeit. Das kann doch nicht sein! Nicht der, der nicht! Der wird mich doch nicht betrügen. Manch eine Ehe, manch eine Beziehung führt in die bittere Erkenntnis: Der oder die andere hatte schon längst andere Pläne. Oder manch ein Kollege oder Kollegin oder Sportskamerad ist klammheimlich an einem vorbeigezogen und hat sich hintenherum den Posten ergattert, den ich gerne gehabt hätte. Intrigiert wird vor allem da, wo man sich gut kennt: in der Familie, unter Freunden, unter Vereinskameraden – ja auch unter Christen. Wer Opfer wird, den drängt es, um sich zu schlagen – oder Pläne zu schmieden, es dem anderen genauso heimzuzahlen.
Nicht so Jesus. „Verrätst du den Menschensohn mit einem Kuss?“, heißt es in der Bibel. Das klingt eher niedergeschlagen, verletzt und enttäuscht. Es klingt nicht wehrhaft, standhaft und wütend. So wird auch der Hieb mit dem Schwert von Jesus nicht gutgeheißen. Nein, keine Gewalt. Kein Fight. „Nicht weiter!“ Im Gegenteil: Jesus heilt das abgeschlagene Ohr.
Alles, was Jesus gegen seine Gefangennahme setzt, ist die Frage, warum sie ihn nicht im Tempel ergriffen haben. Aber eigentlich weiß er das. In der Öffentlichkeit ergreifen die Leute leicht Partei für einen charismatischen Führer; aber wenn er erstmal als Verbrecher angeklagt ist, dann bröckelt die Zustimmung. Vielleicht ist ja doch was dran, wenn die Justiz ihn schon festgesetzt hat …
So endet unser Predigttext mit den Worten Jesu: „Aber dies ist eure Stunde und die Macht der Finsternis.“

Sonntag Oculi: Blick auf Jesus – was kann das helfen?Der Sonntag heute heißt OKULI. Er zitiert damit auf Latein einen Vers aus dem Psalm 25: Oculi mei semper ad Dominum. Übersetzt heißt das: „Meine Augen sehen stets auf den Herrn.“
Wenn wir hier auf Jesus schauen, sehen wir einen Menschen an einem Tiefpunkt seines Lebens. Gottes Sohn wird nichts erspart – auch der Verrat nicht. Trotzdem bleibt Jesus ruhig. Er nimmt die Situation an, so wie sie ist. Er will nicht auch noch seine Jünger in Gefahr bringen. Er weiß für sich selbst, dass er diesem Weg folgen muss – die anderen aber sollen frei gehen können.
Auf Jesus schauen heißt in diesem Zusammenhang: eine schwierige Situation aushalten. Nicht dreinschlagen. Keinen Gegenangriff planen. Der Finsternis äußerlich tatsächlich ihre Macht lassen – aber trotzdem innerlich ihr nicht folgen mit Hass und Gewalt. Stattdessen die Augen auf Jesus richten und ihm folgen. Er ist das Licht, das letztlich nicht verlöschen wird. Im Gegenteil: Strahlend wird es aufgehen am Ostermorgen. Wir wissen das – die Jünger damals und auch Jesus wussten das noch nicht. Sie konnten nur ihr Vertrauen auf Gott setzten, dass er es schon richtig machen würde – und sie mussten warten und durch viel Angst und Trauer hindurch gehen, bis ihr Vertrauen belohnt wurde.

„Letztes Jahr in der Schule habe ich die Geschichte von der Kreuzigung in einer ersten Klasse erzählt“, so erzählt eine Lehrerin. „Schließlich sollen die Kinder wissen, was an Ostern gefeiert wird – und die Auferstehung ist nun mal nicht ohne Kreuz und Tod zu haben. Ich bin davon ausgegangen, dass alle Kinder die Geschichte grob kennen. Das war bisher immer so. Aber dieses Mal nicht. Mit großen Augen saß ein Mädchen da und sagte immer wieder: ‚Das können die doch nicht machen. Die dürfen ihn doch nicht fangen und töten!' Zum Glück saß eine Freundin neben ihr, die ihr sanft den Arm um die Schulter legte und ihr immer wieder sagte: ‚Keine Angst. Die Geschichte geht gut aus!‘“
Wir erleben es immer wieder, dass die Finsternis Macht hat und Macht ergreift: Im persönlichen Leben und auf der politischen Bühne, im Beruf und in der Wirtschaft, selbst in der Wissenschaft – in unserer Welt kann fast alles sowohl zum Guten als auch zum Schlechten dienen. Wenn wir die Augen auf Jesus richten, dann setzen wir den finsteren Mächten mindestens innerlich etwas entgegen. Das kommt uns manchmal ziemlich wenig vor. Und trotzdem: Es ist, so hoffe ich, der Lichtschein einer anderen Welt, auf die wir gemeinsam hoffen und um die wir gemeinsam beten. Ja, es gibt wohl Schlachten bzw. Situationen, die man verloren geben muss, um selbst nicht ganz unterzugehen. Aber von dem Licht, das Gott für uns ist, und von der Hoffnung auf ein lebenswertes Leben für mich und die anderen – davon sollen uns auch Zeiten der Finsternis nicht abbringen.
Schauen wir also nicht nur auf Nachrichten oder Krankheitsdiagnosen und lassen uns davon runterziehen, sondern schauen wir auf Christus, unseren Herrn und unser Licht. Halten wir mit Blick auf Christus Zeiten der Finsternis aus. Christus bedeutet „Gott ist mit dir in Zeiten der Finsternis“. Christus ist Hoffnung und Licht.
Wie sehr man angesichts finsterer Situationen manchmal ringen kann, ja muss, um die Hoffnung, um den Glauben, um das Vertrauen auf Gott, das zeigen weitere Verse des Gebetes aus Psalm 25 deutlich:

„Meine Augen sehen stets auf den HERRN;
denn er, er wird meine Füße aus dem Fangnetz ziehen.
HERR, wende dich mir zu und sei mir gnädig,
denn ich bin einsam und vom Leid gebeugt.
Sprenge du die Fesseln, die mir das Herz zusammenschnüren,
lass mich frei werden von allem, was mir jetzt noch Angst macht.
Achte auf mein Elend und auf meine Mühe
und vergib mir alle meine Sünden!
Sieh doch, wie viele Feinde ich habe,
sie verfolgen mich mit abgrundtiefem Hass!
Bewahre mein Leben und rette mich!
Lass mich nicht in Schande geraten, denn bei dir suche ich Zuflucht.
Aufrichtigkeit und Ehrlichkeit sollen mein Schutz sein, denn meine Hoffnung bist allein du.“
(Neue Genfer Übersetzung, Ps 25,15-21)
Gott gebe uns die Gnade, so beten zu können, wenn die Finsternis nach uns greift.
Amen.

Predigt zum Herunterladen: Download starten (PDF-Format)