Okuli / 3. Sonntag der Passionszeit (28. Februar 2016)

Autorin / Autor:
Dekan Michael Werner, Ludwigsburg [Dekanatamt.Ludwigsburg@elkw.de]

Epheser 5, 1-8

Menschen brauchen Licht„Lebt als Kinder des Lichts!“ Licht ist der Anfang, liebe Gemeinde. Nicht nur in der Bibel, wo alles mit dem Licht beginnt: „Gott sprach: Es werde Licht.“ Auch sonst brauchen wir das Licht, das der Dunkelheit ein Ende setzt und dafür sorgt, dass wir überhaupt etwas sehen und füreinander sichtbar werden: Menschen. Dinge. Zusammenhänge. Licht schafft Klarheit. Licht wärmt. Licht schafft Leben. Menschen brauchen Licht.

Davon erzählt ein Märchen von den Philippinen. Es war einmal ein König, der hatte zwei Söhne und war gut und gerecht. Als er alt wurde, fragte er sich, welcher von den beiden sein Nachfolger werden sollte. Um das herauszufinden, gab er ihnen eine Aufgabe. Beide sollten bis zum Abend die große Halle seines Schlosses mit etwas füllen, das nicht mehr als fünf Silberstücke kosten sollte. Da machte sich der Ältere auf und suchte im ganzen Land. Schon bald fand er etwas, womit sich der Saal füllen ließ. Für fünf Silberstücke kaufte er alles Zuckerrohrstroh im Königreich, das bei der Ernte übriggeblieben und wertlos war. In großen Wagen ließ er es am Nachmittag in die große Schlosshalle schaffen und war sich seiner Sache schon sicher. Als es Abend wurde, kam der jüngere der beiden Söhne dazu. Man hatte ihn den ganzen Tag nicht gesehen. Jetzt ließ er das ganze Stroh aus dem Saal schaffen, bis der letzte Rest und die letzte Ecke ausgefegt waren. Dann stellte er, als es dunkel war, eine Kerze in die Mitte des Saales. Ihr warmes Licht füllte tatsächlich – mehr noch als das wertlose Stroh – den letzten Winkel des großen Raumes und spiegelte sich in den Gesichtern aller. Wer der nächste König werden würde, war entschieden.

Menschen brauchen Licht. Das Märchen sagt: Es genügt bereits ganz wenig davon, dass wir etwas davon wahrnehmen und spüren. Und: Es tut uns gut.

Leben als Kinder des Lichts„Lebt als Kinder des Lichts!“ Für die Verse im Epheserbrief ist das Licht eine ganz praktische Angelegenheit. Und es ist eine Frage der Haltung. „Denn ihr wart früher Finsternis; nun aber seid ihr Licht in dem Herrn. Lebt als Kinder des Lichts!“

Man kann nicht Licht sein, ohne zugleich etwas von diesem Licht zu verbreiten. Licht ist nicht nur für sich selbst da. Licht ist Licht, indem es leuchtet.

Und wie dieses Licht leuchtet, in welchen Farben es sich bricht, das beschreiben diese Verse ganz konkret: Licht, jedenfalls das Licht, das Christen um sich herum verbreiten, schließt die Habsucht und Habgier aus. Das verzweifelt selbst sein und alles haben wollen. „Licht in dem Herrn“, sagen die Sätze, verträgt sich nicht mit Beziehungen, in denen einer auf Kosten des andern nur sich selbst sucht und lebt. Licht schließt die „losen und närrischen Reden“, das Mitschwimmen im großen Strom der unbedachten Stimmungs- und Meinungsmache aus.

Wir haben in den vergangenen Wochen gleich mehrfach erlebt, wie aus dem, was gesagt oder vielleicht auch gezielt gestreut wird, plötzlich eine ganze Lawine von Stimmungsmache und Vorverurteilungen wird. Nein, sie stehen wirklich niemandem gut an, die Laster und Untugenden, die hier benannt werden und die das Licht der Menschenfreundlichkeit und Menschlichkeit Gottes verdunkeln.

Und trotzdem sind mir beim Stichwort Licht zunächst einmal ganz andere „Licht-Bilder“ eingefallen: Zum Beispiel die vielen Ehrenamtlichen, die sich in diesen Monaten in der Arbeit mit Flüchtlingen engagieren, die Sprachunterricht für Kinder geben, Spielcafés organisieren und ganz praktische Hilfe leisten, damit Menschen hier bei uns ankommen können. Oder auch diejenigen, die sich ganz ohne die Aufmerksamkeit der Medien in unseren Gemeinden und in Kirche und Diakonie engagieren und zum Beispiel im Besuchsdienst Kranke besuchen, Kontakte herstellen und Besorgungen machen, wenn jemand nicht mehr aus dem Haus kann. Licht hat viele Farben. Es muss nicht spektakulär sein, wenn jemand Verantwortung für andere übernimmt. Und doch entsteht etwas von dem Licht, das leuchtet und wärmt.

Dabei gehören unsere Grenzen mit in diese Licht-Bilder hinein. Keiner von uns ist immer nur Licht. Keine von uns muss das ganze Licht sein. Im Gegenteil: Manchmal ist unser eigenes Licht, das, was wir zum Leuchten bringen, eher klein. Oft genug haben wir selbst Licht nötig: „Ich möchte Leuchtturm sein / in Nacht und Wind / für Dorsch und Stint / für jedes Boot / und bin doch selbst / ein Schiff in Not“ (Wolfgang Borchert).

Und trotzdem bleiben die Sätze dabei: „Nun aber seid ihr Licht in dem Herrn. Lebt als Kinder des Lichts!“ Es gibt, so sagen diese Sätze, so etwas wie ein Leben, das mit Habsucht und Gier so wenig zusammenpasst wie mit einer Sexualität, die im andern im Grund nur sich selber sucht. Denn darin kommen die konkreten Beispiele ja zusammen: dass sie das Leben wollen ohne zu teilen. Also nicht Austausch, nicht Gabe und Hingabe, nicht Mitmenschlichkeit und Vielfalt, sondern: Ich will, ich brauche möglichst alles. Für mich. Für meine Vorstellung von Glück. Vielleicht auch aus Angst, wir könnten etwas versäumen. Licht, Liebe, Leben entstehen dadurch nicht. Fehlendes Licht, sagen die Verse im Epheserbrief, hat damit zu tun, dass wir einander die Menschlichkeit verweigern. Wo das Licht fehlt, wird das Leben eng und klein.

Licht kommt von LiebeWoher kommt das Licht? Es kommt nicht aus uns. Auch wenn wir es dort gelegentlich suchen. „Licht in dem Herrn“ nennen uns die Verse und fangen mit gutem Grund nicht bei uns oder in uns an, wo es um das Licht und seine Quelle geht. Im Gegenteil: Sie weisen zunächst einmal von uns weg: „So folgt nun Gottes Beispiel!“ heißt es zu Beginn. Wörtlich: Werdet Nachahmerinnen und Nachahmer Gottes! Ein schönes Bild. Kinder lernen so. Erwachsene manchmal auch. Indem wir nachmachen und ausprobieren, was wir bei anderen sehen. Nachahmen hat etwas Spielerisches. Jedenfalls ist es nicht verkrampft. Man muss nicht gleich alles können, was man auf diese Weise zu lernen versucht.

Dass wir Nachahmerinnen und Nachahmer Gottes sein sollen, heißt nicht, dass wir Gott oder wie Gott sein sollen. Im Gegenteil: „Wir sollen Menschen sein, nicht Gott. Das ist die Summa,“ sagt Martin Luther über die wohl wichtigste Einsicht unseres Glaubens. Aber wo wir uns tatsächlich auf Gottes Beispiel einlassen, wo wir anfangen, diesem Gott und seinem Licht zu folgen und ihm sozusagen auf der Spur bleiben, indem wir mit uns und andern pfleglich und fürsorglich umgehen; wo wir den lebenschaffenden und -erhaltenden Gott nachahmen, indem wir uns selbst für ein menschenwürdiges Leben einsetzen, wo uns das Erbarmen Gottes zum Leitbild für unseren eigenen Umgangs mit uns und anderen wird, da stellt sich tatsächlich etwas von dem Licht ein, das nicht aus uns selber kommt und das der Epheserbrief meint. Christen, so sagt mir dieser erste Satz unseres Predigttextes, sind Menschen, die immer wieder damit anfangen, mitten in ihrem Leben einem andern, nämlich Gott, Platz zu machen und Raum zu geben.

Das trifft sich mit dem zweiten starken Grund des Lichts, in dem uns der Epheserbrief sieht: „Lebt in der Liebe, wie Christus uns auch geliebt hat.“ Lebt in der Liebe! Es heißt nicht: Lebt eure Liebe – oder versucht wenigstens manchmal, einigermaßen nett zu sein. Lebt in der Liebe meint mehr: Es gibt offensichtlich eine Liebe, die bereits da ist, noch bevor wir mit unserer Liebe anfangen. Eine Liebe, die wie ein Raum ist, in dem man sich bewegt. Sie ist bereits da. Ich muss sie nicht erst in mir finden oder etwa machen. Sie ist der Raum, der durch Jesus Christus vorgegeben ist. Die Liebe, in der wir leben sollen, ist wie ein Haus, in dem wir uns einrichten und einwohnen.

Neben dem Licht ist das das Zweite, was diese Verse trägt: Christen leben im Horizont der Liebe Christi. Sie arbeitet an uns. Sie macht das Leben weit. Und wir leben sozusagen in sie hinein. Ich muss die Liebe und ich muss mich nicht aus mir selber hervorbringen, wenn ich mich im Raum dieser Liebe bewege. Eigentlich eine Binsenweisheit: Man kann nur weitergeben, was man selbst empfangen hat. So ist das mit allem. Auch mit der Liebe. Christen, so sagt der Epheserbrief, leben vom Vorrat einer Liebe, die sie weitergeben und weiterleben.

Noch einmal LichtDiese Liebe macht uns zu Kindern des Lichts. Dabei machen wir uns nichts vor. Unser eigenes, moralisches oder sonstiges Licht ist es nicht, das über uns hinausweist. Wir überfordern uns, wenn wir meinen, wir könnten Menschen durch die Überzeugungskraft und Eindeutigkeit unserer Lebensführung für Gott und für den Raum dieser Liebe gewinnen.
Es geht nicht um unser Licht. Und es geht schon gar nicht darum, dass wir uns selbst vor andern ins rechte Licht rücken. Es geht um das Licht, das bereits in der Welt ist. Und es geht um das, was dieses Licht zum Leuchten bringt. Auch durch uns.

So wie das Kind, das in einer Kirche die bunten Fenster mit ihren Heiligendarstellungen gesehen hat und dann sagt: „Heilige sind Menschen, durch die die Sonne scheint.“ Das könnte ein schönes Bild für uns sein: Christen sind Menschen, die tun, was andere auch tun. Sie haben Sorgen wie andere auch, und sie freuen sich über dieselben Dinge. Aber darüber hinaus sind Christinnen und Christen Menschen, durch die etwas in unsere Welt scheint. Das Licht einer Liebe, die nicht nur uns, sondern auch andern gut tut. Nicht immer ganz hell, nicht immer ganz viel, nicht immer unverstellt und manchmal vielleicht auch durch manches verdunkelt. Aber doch so, dass man es sieht. Wie im Märchen von der Kerze, deren Licht am Ende einen ganzen Raum ausleuchtet. Menschen brauchen Licht. Licht schafft Klarheit. Licht wärmt. Licht schafft Leben. Wenig davon genügt. „Lebt als Kinder des Lichts!“ Amen.

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