Ostermontag (02. April 2018)

Autorin / Autor:
Pfarrer Markus Lautenschlager, Nürtingen [MarkusLautenschlager@gmx.de]

1. Korinther 15, 50-58

Liebe Gemeinde,
siebenhundertviertausend Ergebnisse bietet Google zum Stichwort „andere Gottesdienste“. Anscheinend empfinden wir ein erhebliches Ungenügen am Bestehenden. Immer mehr vom Gleichen reicht nicht aus. Groß ist die Sehnsucht nach dem Neuen, dem Unverbrauchten, eben „dem Anderen“.
Mag die Fülle der anderen Gottesdienste ein Luxusproblem sein, mag man auch argwöhnen, die Verheißung des Anderen ende hier allzu oft in der Enttäuschung durch das Gleiche: Als Problemanzeige taugt das Suchergebnis bei Google allemal.
Fleisch und Blut werden das Reich Gottes nicht ererben.
“Dass es so weiter geht, ist die Katastrophe.“ (Walter Benjamin).
Es muss anders werden. Ganz anders. Und zwar alles.
Wir hätten so gerne das Gute ohne das Böse, das Schöne ohne das Hässliche, das Gelingen ohne das Scheitern, das Glück ohne den Schmerz, das Leben ohne den Tod.

Die Hoffnung …Dies Verwesliche muss Anziehen die Unverweslichkeit, und dies Sterbliche muss anziehen die Unsterblichkeit. So muss es sein. Wäre es nicht so, würden wir verrückt. Stürbe diese Hoffnung, mit ihr stürbe die Menschlichkeit.
Mein Vater hat sich danach gesehnt in den letzten Monaten seines Lebens im Pflegeheim, als mit fortschreitender Muskelschwäche der Bewegungsspielraum enger und enger und die Krankenhausaufenthalte häufiger wurden. Ich möchte hinübergehen aus dem irdischen ins ewige Leben, aus der Zeit in die Ewigkeit. Ich habe genug vom zähen täglichen Kampf, der den Verfall nur verlangsamen, nicht umkehren kann. Schluss mit Reha und Physiotherapie! Hinweg mit Thera-Band und Telefon mit großen Tasten! Schluss mit Training, mühsamer Wiederholung und kleinen langsamen Fortschritten! Jesus wird mich erlösen, und zwar plötzlich, in einem Augenblick. Sein Denkspruch: „Der Meister ist da und ruft dich“ (Johannes 11,28). Diese Hoffnung ließ ihn getrost sterben. Geduldig ertrug er die Demütigungen durch den hilflosen Körper.

… aus der OffenbarungPaulus verdankt die Hoffnung einer Offenbarung, der Eröffnung eines Geheimnisses. Gewonnen aus der Zusammenschau der Auferstehung Jesu mit dem eigenen Todesgeschick. Gewonnen aus der Schau des Auferstandenen – „Ich habe den Herrn gesehen!“ (vgl. 1. Korinther 9,1) – mit der Erschließung dieser Vision durch ein „Wort des Herrn“ (1. Thessalonischer 4,15) und der geduldigen Meditation der Hoffnungstexte seiner Heiligen Schrift, des „Wortes, das geschrieben steht“. Er teilt dieses Geheimnis mit seiner Gemeinde in Korinth: Wir werden alle verwandelt werden. Unzerkaut, in einem einzigen Bissen wird der Tod ganz verschluckt, hinuntergeschlungen werden in den Sieg hinein.
Paulus formuliert diese Hoffnung auch mit einem Sprachbild der Apokalyptik: dem Fanfarenstoß der letzten Posaune, dem Signal zur Totenauferstehung. Und wir sehen vor unserem inneren Auge die Engel mit den Schofar-Hörnern, die geöffneten Gräber, den thronenden Christus mit Lilie und Schwert, die Seelenwaage in der Hand des Erzengels Michael, die Höllenqualen der Verdammten, das ganze apokalyptische Bilderarsenal der Wiederkunft Christi, wie es die christliche Kunst unzählige Male in Szene gesetzt hat. Nicht als Vollendung einer innergeschichtlichen Entwicklung kommt das Reich Gottes, sondern jäh als gewaltsames Ende der chronologischen Zeit.

… und die Frage nach dem WannUnd wir erinnern uns der ungezählten Versuche, ein Datum oder einen Zeitraum dafür anzugeben. Von Jesus selbst ca. im Jahr 30 n. Chr. – „Es stehen einige hier, die werden den Tod nicht schmecken, bis sie sehen das Reich Gottes kommen mit Kraft“ (Markus 9,1) – über James Harmston, Gründer der mormonischen Sekte True and Living Church, der die Wiederkehr Christi für den 6. April 2000 prophezeite, - bis zu Nostradamus, der für das Jahr 3797 die Erscheinung des „Königs der Schrecken“ prophezeite. Das sind nur drei Beispiele aus der Sammlung „Les Fins du Monde – Weltuntergänge“ von Kerstin Schimandl.(1) Wirkungsvoller kann man all diese Vorhersagen kaum entkräften, als dass man sie schlicht nebeneinanderstellt. In der Tat: „Dieses Buch beweist: Einen Großteil aller Weltuntergangsvorhersagen haben wir bereits überlebt! Statistisch stehen die Chancen also gut, dass die Welt sich weiter dreht!“
Ich meine: von diesem Verständnis apokalyptischer Bilder dürfen wir uns als Christen getrost verabschieden. Wenn aber nicht so, wie dann?

Gott kann mehr als alles, was wirklich istIch nenne zuerst, worauf ich keinesfalls verzichten kann: Gott kann mehr, Anderes und Neues, als alles zusammen, was in der Welt möglich und wirklich ist. Sonst wäre „Dass die Welt sich weiter dreht“ wirklich die Katastrophe. Der Gott, der Jesus von den Toten auferweckt hat, ist der Garant dafür, dass das, was ist, nicht alles ist. Die Theologin Lisanne Teuchert spricht in ihrer Doktorarbeit über die Frage, wie Gott in der Welt, der Natur, der Geschichte und im individuellen Leben handelt, hier vom „kritische[n] Moment Gottes gegenüber unserer Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft“.(2)

Auferstehung – in einem Augenblick GottesMir hilft dabei eine andere Formulierung des Paulus: Die Auferstehung der Toten und unsere Verwandlung geschieht „plötzlich, in einem Augenblick“. Im Griechischen steht für plötzlich „in einem Atom“, unteilbar. Also nicht als Teil der berechenbaren, unterteilbaren Zeit, sondern diese unterbrechend, gleichsam quer zu ihr. Unsere Verwandlung geschieht als Einbruch der Zeit Gottes in unsere Zeit. Das kann jeden Augenblick geschehen und ist jedes Mal ein unverfügbares, unableitbares Wunder.
Vielleicht steckt ja im Augenblick noch mehr, nämlich: Totenauferstehung geschieht buchstäblich im Augen-Blick, im Wurf eines Blickes, im Blickkontakt, der alles verwandelt.
„Deine Augen – Tauben“ besingt der Liebende die Geliebte im Hohenlied Salomos (1,15). Ein kurzer Augenaufschlag nur unter dem Schleier. Sie flirtet mit ihm. Ihre Augen-Blicke fliegen hin und her wie die Tauben. Sie sind Liebesboten. Nur ein einziger Blick von ihr, und alles ist anders, lebendig, leuchtend, lohnend, intensiv, beseligend. „Du hast mein Herz betört, / meine Schwester, Braut, / du hast mich ‚verherzt‘ / mit einem deiner Blicke“ (Hoheslied 4,9).
Gabriele d’Annunzio (1863-1938), der Dichter und Lebemann (und leider auch Begründer des italienischen Faschismus) besingt den Trevi-Brunnen: Rom, der Frühling, die Liebe. „Sie“ im Gedicht ist seine Geliebte Barbara Leoni und „Nettuno“ ist Neptun, der römische Gott des Wassers, der die Figurengruppe des Brunnens beherrscht:
„Eines schönen Febermorgens war er
plötzlich da, der junge Frühling.
Bei seinem unverhofften Lachen
erbebte vor Staunen die ganze Stadt.

Im Brunnen jubelte der Travertin
des Papstes; und hinauf den stolzen Bau
versprühte der Schwall des Wassers
feine Silberschauer.

Doch dann ging s i e vorbei (ein einz’ger
Blick von ihr war sel’ge Freude);
lauter rauschte da der Brunnen

und von Nettunos mächtigen Schultern
flog auf mit hellem Flügelschlag
ein Schwarm von Tauben – empor in den Azur.“ (3)

Ein einziger Blick von ihr war unsterbliche Freude.

„Siehe, ich sage euch ein Geheimnis:
Wir werden alle verwandelt werden
in einem Augen-Blick.
Das Verwesliche wird anziehen
die Unverweslichkeit.
Und das Sterbliche
die Unsterblichkeit.
Gott aber sei Dank,
der uns den Sieg gibt
durch unsern Herrn Jesus Christus!“
Er lasse sein Angesicht leuchten über uns. Amen.

Anmerkungen
1 Verlag Hermann Schmidt Mainz, ohne Seitenzahlen
2 Gottes transformatives Handeln. Eschatologische Perspektivierung der Vorsehungslehre bei Romano Guardini, Christian Link und dem „Open theism“, FSÖTh 161, Göttingen 2018. Das Zitat auf S. 157.
3 Poetischer Rom-Führer. Italienisch & Deutsch, hrsg. v. Hans Hinterhäuser, Darmstadt 1997, S. 49. Hier noch das italienische Original:

Ricordo di Trevi
Subitamente apparsa nel mattino
di febbraio rideva la Primavera
giovine. Tutta l’Urbe trepida era
di meraviglia al riso repentino.

Gioiva ne la fonte il travertino
papale; e su per la gran mole altera
ovunque diffondeasi da la spera
de l’acqua un sottil brivido argentino.

Ma quando ella passò (m’ebbi sol uno
sguardo e mi parve quasi un’immortale
gioia!) mise la fonte alto susurro

e da gli òmeri vasti di Nettuno
si levò con un chiaro frullo d’ale
un volo di colombi ne l’azzurro.

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