Ostermontag (28. März 2016)

Autorin / Autor:
Pfarrer und Studienleiter Johannes Gruner, Bad Urach [Johannes.Gruner@elkw.de]

1. Korinther 15, 12-20

Liebe Gemeinde!
Ist Christus wirklich von den Toten auferstanden? Lässt sich das beweisen? Diese Frage beschäftigt die Menschen seit fast 2000 Jahren. Einige aus der Gemeinde in Korinth bejahen dies aufrichtig. Nach Beweisen fragen sie nicht. Sie sind sich sicher: Jesus ist von den Toten auferstanden. Aber sie sagen auch: Wir werden nicht von den Toten auferstehen. Das eine hängt mit dem anderen nicht zusammen. Wir brauchen das nicht, denn wir sind getauft.

Merkwürdig. Diese Frage scheint sich heute umgekehrt zu haben. Auf Ostern hin wird oft die deutsche Bevölkerung nach ihrem Osterglauben befragt. Die Ergebnisse der Meinungsforscher werden dann in Schlagzeilen umgesetzt wie: „Weniger als die Hälfte der Deutschen glaubt an die Auferstehung.” Oder: „Das leere Grab ist für die Deutschen ein Betrug.” Wenn wir die Umfragen aber etwas genauer anschauen, dann ergibt sich ein anderes, ein erstaunliches Bild: Viele sind überzeugt: Nach dem Tod werden wir zu einer neuen Form von Leben wiedergeboren werden. (vgl. http://www.beb-ev.de/wp-content/uploads/2013/04/Referat_23.04.13_Dr.Petersen_09.45-Uhr.pdf).

Auferstehungshoffnung weckt SehnsüchteWie ist das nun mit der Totenauferstehung? Wie soll das zugegangen sein? Und warum ist das für uns so wichtig? Hören wir einmal in uns hinein. Wie wirkt das auf uns: (langsam und besonnen sprechen)Jesus ist wirklich auferstanden.
Und auch wir werden einst von den Toten auferstehen.
Der Tod hat nicht das letzte Wort.
Das Leben siegt über den Tod.
(Pause)Da kommt doch etwas in uns ins Schwingen. Leben kommt auf. Da keimt Hoffnung. Ja, wenn auch wir auferstehen, dann ist das doch sicher gut für das Leben heute.

Multioptionsgesellschaft als Gegenmodell zur AuferstehungshoffnungAber was ist das? Was kommt da ins Schwingen? Ich denke, es ist der Blick über unser eigenes, über unser begrenztes Leben hinaus. Sich diesem Blick öffnen – das ist gar nicht so einfach. Denn das Leben ist ja so vielfältig. Wir haben die Wahl, aus vielen Dingen auszuwählen. Vieles ist uns möglich. Wie gestalten wir unser Wochenende? Auf welche Art soll heute gegessen werden: Tiefkühlpizza oder Restaurantbesuch? Welchen Beruf soll ich wählen? Oder welches Angebot annehmen? Nicht nur Jugendliche wollen an einem Wochenende auf mehreren „Hochzeiten gleichzeitig tanzen”. Und so versuchen wir, mehreres gleichzeitig zu machen.

Wir haben für dieses Verhalten ein Wort, das viel gescholten, aber auch eingefordert wird: „Multi-Tasking” nennt man das. Vieles auf einmal machen. Da wird manch einer richtig atemlos. Aber wir wünschen uns halt, möglichst vieles im Leben mitzunehmen. Ich könnte ja Wichtiges im Leben versäumen! Und so arbeite ich zu Hause, höre nebenher meine Musik und beaufsichtige die Kinder bei den Hausaufgaben. Am Ende habe ich mehr Zeit für mich. So mache ich es mir wenigstens vor. Denn: Bleibt am Ende wirklich mehr Zeit für mich? Für meine Partnerschaft? Für meine Familie? Bleibt wirklich mehr Zeit, Freundschaften zu pflegen? Ich erlebe ja oft genug, dass ich am Abend müde bin. Das wäre ja nicht schlimm. Aber ich habe gleichzeitig den Eindruck, vieles nicht geschafft zu haben.

Auferstehungshoffnung als Gegenmodell zur MultioptionsgesellschaftWas also käme für uns ins Schwingen? Was wäre, wenn wir auferstehen? Wenn wir über unser Leben hinausblicken? Was würde das mit uns machen? Ich denke, wir blicken dann neu auf unser Leben. Uns wird bewusst: Ja, ich bin sterblich. Ja, ich bin begrenzt. Mein Leben hat ein Ende. Und ich weiß: Ich werde bis dahin nicht alles mitnehmen, was mir das Leben bietet. Denn ich bejahe: Mein Leben ist endlich. Aber nicht zu Ende. Was also würde geschehen, wenn ich mein Leben darauf ausrichte, dass mein Leben begrenzt ist?

Genau diese Frage stellt Paulus. Paulus fragt: Spielt die Auferstehung für uns eine Rolle? Hoffen wir über unser Leben hinaus? Paulus ist davon überzeugt: Die Botschaft von der Auferstehung lässt uns ganz anders auf das Leben sehen. Sie gibt uns Hoffnung!

Stellen Sie sich zunächst nochmal den Multi-Tasking-Menschen vor, der alles auf einmal macht. Er meint, dadurch mehr vom Leben zu haben. Ich frage mich: Ist seine Erschöpfung am Ende des Tages eine wohlige Erschöpfung? Ist er wirklich zufrieden mit dem, was er geleistet hat? Ist es das, was er sich von seinem Tag erhofft hat?

Oder denken Sie daran, wie es in unserer Welt gerade zugeht. Wir erleben sie unübersichtlich. Sie ist kaum mehr zu berechnen. Der Nahe und Mittlere Osten sind nicht mehr weit weg. Sie gehen uns jetzt etwas an. Das Elend der Menschen, die unter Krieg leiden, sehen wir leibhaftig. Diese Menschen sind mitten unter uns mit ihren Verletzungen und Traumatisierungen. Wie sollen wir damit umgehen? Wie soll man da noch hoffen?

Und was für die Gesellschaft gilt, erleben auch wir in unseren Gemeinden. Die Mitgliederzahlen der Kirchen schrumpfen. In Stuttgart leben jetzt erstmals mehr Nichtchristen als Christen. Was ist mit der Strahlkraft des Glaubens? Immer weniger Kirchenmitglieder lesen die Bibel. Glaubenswissen geht verloren. Da soll man noch Hoffnung haben?

Auferstehungshoffnung schafft den BlickwechselJa! Denn: „Ist Christus nicht auferstanden, so ist auch euer Glaube vergeblich”, sagt Paulus. Christus aber ist auferstanden! Wer aber mit der Auferstehung der Toten rechnet, der blickt gelassener auf sein Leben. Ich muss nicht alles mitnehmen, was das Leben bietet. Ich kann auswählen und mich da hinein vertiefen. So wie kleine Kinder, wenn sie etwas entdeckt haben. Wenn sie spielen. Sie sitzen dann ganz selbstvergessen da. Sie machen etwas immer wieder. Lassen sich kaum ablenken. Und dabei sind sie fröhlich und ausgeglichen. Sie nehmen nicht alles mit, sondern vertiefen sich in die eine Sache.

Wer mit der Auferstehung rechnet, der weiß: Ja, ich bin begrenzt. Es gibt Dinge, bei denen kann ich nicht mitmachen. Aber dafür lebe ich das, wofür ich mich jetzt entschieden habe. Das ist gut. Das tut mir gut. Und es ist schön, so zu leben. Wer mit der Auferstehung rechnet, der akzeptiert dies. Umso mehr kann er sich auf das einlassen, was vor ihm liegt. Er kann sich den Herausforderungen stellen, die sich ihm auftun. Und er kann das Leben genießen. Das muss ja kein Widerspruch sein, wie wir an dem selbstvergessenen Treiben der Kinder sehen. Sie sitzen mit ihren Bauklötzen auf dem Boden und versuchen immer wieder aufs Neue, einen hohen Turm zu bauen. Wenn er einstürzt, wird wieder von vorn angefangen. Ich sehe an ihnen: Selbst wenn es in meinem Leben schwierig werden sollte, kann das auch Ansporn sein, die Aufgabe zu lösen. Wir können von Kindern weiter lernen: Wenn etwas auch nach mehreren Versuchen nicht klappt, dann wenden sie sich etwas anderem zu und versuchen es vielleicht später nochmals.

Wer mit der Auferstehung rechnet, der akzeptiert: Manches ist nicht zu lösen. Aber er weiß sein Leben in Gottes Händen. Das Leben hat anstrengende Seiten. Doch auch hier begleitet mich Gottes Güte. Wer so lebt, weiß: Das Unvollendete wird von Gott vollendet.

Und so kann ich Schwerpunkte setzen. Meine Schwerpunkte. Andere mögen andere haben. Ich konzentriere mich auf meine Aufgaben. Dann heißt für mich Leben aus der Auferstehung zum Beispiel: Ich setze mich für die ein, die Hilfe brauchen. Dann stehe ich im Tafelladen. Oder aber ich helfe ehrenamtlich bei der Integration von Flüchtlingen. Oder aber ich habe einen Blick auf das hochbetagte Ehepaar in der Nachbarschaft und biete mich an, zu helfen, wenn es nötig ist.

Leben aus der AuferstehungDas ist Leben aus der Auferstehung. Das ist Leben, das über sich hinausblickt. Wir wissen uns von Gott getragen und geleitet. Wir hoffen und wissen: Es gibt Möglichkeiten, das Elend zu verringern. Genau diese Hoffnung kommt aus der Auferstehung von den Toten. Wir blicken über unser begrenztes Leben hinaus. Und entdecken da Gott. Wir vertrauen darauf: Gott kennt Wege, die wir nicht sehen. Wir vertrauen darauf: Gott kann Neues schaffen. Auf diesen Weg mit Gott lassen wir uns ein. – Amen.

Hinführung
Der Predigttext erscheint als eine Fortsetzung des am Tag zuvor, an Ostern, zu predigenden Bibeltextes. Er bringt aber einen weiteren Aspekt der Osterbotschaft zum Klingen: Christus ist auferstanden; aber werden wir das auch? Während es in 1. Kor 15,1-11 um den Erweis der Auferstehung Jesu von den Toten geht, wird jetzt danach gefragt, was es bedeutet, wenn wir sagen: Auch wir werden auferstehen.
Der Predigttext tut so, als ob er argumentieren würde. Es ist jedoch keine Argumentation im eigentlichen Sinn. Vielmehr kreist Paulus redundant um die Frage: Was wäre, wenn wir nicht auferstünden? Diesen Gedanken habe ich versucht, positiv zu wenden: Was gewinnen wir, wenn wir glauben, am Ende der Tage selbst aufzuerstehen. Was trägt der Gedanke, dass wir selbst auferstehen, für unseren Glauben und für unsere Lebenshaltung heute aus? Anregend waren dazu die Überlegungen von F.-W. Marquardt, Was dürfen wir hoffen, wenn wir hoffen dürften? Eine Eschatologie, Band 1, Gütersloh 1993, S. 64-114.


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