Ostersonntag (16. April 2017)

Autorin / Autor:
Dekan Dr. Martin Hauff, Ravensburg [Martin.Hauff@elkw.de]

Matthäus 28, 1-10

Liebe Ostermorgen-Gemeinde!
In seiner monumentalen Matthäus-Passion vertont Johann Sebastian Bach den gesamten Leidensweg Jesu nach dem Matthäusevangelium. Bachs Matthäus-Passion endet mit der Grablegung Jesu. Das letzte Chorstück stellt den Zuhörer an die Seite Maria Magdalenas und der anderen Maria, die dem Grab gegenüber saßen, nachdem Josef von Arimathäa den toten Jesus in dieses sein Grab gelegt hatte. Der Chor singt: „Wir setzen uns mit Tränen nieder / und rufen dir im Grabe zu: / Ruhe sanfte, sanfte ruh! / Ruht ihr ausgesog‘nen Glieder!“

Beim Grab Jesu klingt am Karfreitag Bachs Matthäus-Passion in aller Stille aus. Und beim Grab geht der Bericht des Matthäus weiter – und will uns über das Grab hinaus auf einen Weg bringen, der von der Osterfreude geprägt ist. Dabei setzt der Evangelist Matthäus in seinem Bericht vom Ostermorgen drei Schwerpunkte, die wir jetzt miteinander bedenken:
1. Das versiegelte, bewachte Grab kann Gottes Ostersieg nicht aufhalten.
2. Durch die Begegnung mit dem Auferstandenen verliert das leere Grab seine Mehrdeutigkeit.
3. Der Gang zum Grab wird zum Gang zurück ins Leben.

1. Das versiegelte, bewachte Grab kann Gottes Ostersieg nicht aufhalten.Als einziger Evangelist berichtet Matthäus von der Bewachung des Grabes. Noch über seinen Tod hinaus möchten die Hohenpriester Jesus bewacht wissen. Sie möchten sicherstellen, dass die Sache Jesu zum völligen Verstummen kommt. „Das Grab ist die absolute Endstation, mit dem Tod ist alles aus“, so hoffen die Gegner Jesu, die nichts so sehr fürchten wie die Begegnung mit ihrem Opfer. Offenbar sind sie ihrer Sache aber doch nicht ganz sicher. So kommt es zu der grotesken Situation, dass sie noch einmal zu Pilatus gehen, eine römische Wache für das Grab erbitten und mit der Wache das Grab sichern und den Rollstein versiegeln. Freilich, auch durch versiegelte Gräber hindurch kommt Gottes todesüberwindende Macht zum Ziel. Das berichtet Matthäus im Folgenden.

Als der Sabbat zu Ende ist, im Dämmerlicht des ersten Tages der Woche, als Maria Magdalena und die andere Maria sich auf den Weg machen, das Grab zu besehen, handelt Gott selber draußen vor der Stadt am Grab. So wie Matthäus davon berichtet, spürt man ihm auf Schritt und Tritt ab: Er will im Grunde Unsagbares sagen. Erdbeben; Blitz; der Engel im schneeweißen Gewand, das alles ist noch unsere Sprache. Eine Grabeshöhle, die leer ist, das ist noch etwas, was man sich vorstellen kann. Die Grabeswächter, die wie im Tod erstarrt neben dem riesigen Stein liegen über ihren Schwertern und Lanzen, das sind noch Bilder, die wir malen können; und der hilflose Weg der Frauen, „um nach dem Grab zu sehen“, das sind Schritte, die wir verstehen.

Aber über all dem ist das Eigentliche unsagbar, nämlich das Eingreifen der Leben schaffenden Macht Gottes, die Auferstehung Jesu selbst. Und indem der Bericht des Matthäus sich an dieses Eigentliche herantastet, spürt man buchstäblich, wie er daran zerbricht. „Er ist nicht hier, er ist auferstanden!“ Das wird hinterher gesagt. Das Wunder hat sich vollzogen, niemand hat es gesehen, kein Mensch kann es beschreiben.

Und doch hat gerade dieser Bericht des Matthäus die Maler des 16. Jahrhunderts dazu angeregt, über den Text hinaus noch einen Schritt weiterzugehen und den Moment darzustellen, in dem der Auferstehende das Grab verlässt. So sind Kunstwerke entstanden, die weltberühmt geworden sind, beispielsweise die Darstellung auf dem Isenheimer Altar von Mathis Grünewald aus dem Jahr 1515. Die Grabplatte ist durch Engelshand weggeschoben, und der auferstehende Christus schwebt aus dem geöffneten Grab. Christus ist im Strahlenkranz aller leuchtenden Farben dieser Welt dargestellt, und die Grabeswächter werden eben zu Boden geschleudert. Kunstwerke wie dieses wollen den Vorgang der Auferstehung in unsere Vorstellung zurückholen. Aber sie zeigen nur noch einmal: Es geht nicht. Auferstehung ist Gottes Geheimnis in Zeit und Ewigkeit. Wir können nicht den Vorgang selber darstellen, nur im hintennach die Spuren wahrnehmen. Aber so viel wird aus den Worten des Matthäus und ihrer Weiterverarbeitung in der Kunst deutlich: So fest verschlossen das Grab auch war, Gottes Ostersieg konnte es nicht aufhalten. Gott hat Jesus nicht in der Tiefe des Grabes gelassen. Aus dem Grab heraus erweckte er in der Frühe des Ostermorgens den toten Jesus zum neuen ewigen Leben.

2. Durch die Begegnung mit dem Auferstandenen verliert das leere Grab seine Mehrdeutigkeit.Bemerkenswert in der Ostergeschichte nach Matthäus ist, dass das leere Grab als solches nicht bestritten wird – auch nicht von den Gegnern Jesu. Aber das leere Grab für sich gesehen ist vieldeutig. Es ist deshalb bis auf den heutigen Tag umstritten. Es ist kein schlagender Beweis für die Auferstehung. Im Gegenteil, hinter der merkwürdigen Grabwächter-Episode bei Matthäus tritt ein Einwand hervor, der von Gegnern Jesu immer wieder erhoben wurde: Die Jünger Jesu seien bei Nacht in das Grab eingedrungen und hätten Jesu Leichnam gestohlen und dann öffentlich behauptet, er sei auferstanden.

Nun, Osterglaube, Auferstehungsglaube stirbt an Beweisen, wie echte Liebe zugrunde geht, wenn sie Beweise für die Liebe des anderen fordert. Vor Menschenaugen verborgen hat Gott in der Frühe des Ostermorgens schöpferisch gehandelt und Jesus auferweckt. Was aber jenseits unserer sinnlichen Wahrnehmungswelt liegt, ist nicht weniger wirklich als die innerweltlichen Ereignisse und darf nicht als nur eingebildetes Geschehen abgetan werden. Gottes Wirken hört nicht dort auf, wo unsere Wahrnehmungsfähigkeit an ihre Grenzen stößt.

An Ostern ist der Auferstandene seinen Jünger/innen begegnet. In unserem Abschnitt berichtet Matthäus von der Begegnung des Auferstandenen mit den beiden Marien: „Seid gegrüßt…Fürchtet euch nicht! Geht hin und verkündigt es meinen Brüdern, dass sie nach Galiläa gehen.“ Für die Jünger war die Begegnung mit dem Auferstandenen wirklicher und gewisser als alles, was sie an irdischen Begegnungen erlebt hatten. Zum Osterglauben haben sich die Jünger also nicht von sich aus durchgerungen. Osterglaube war für sie nicht eine psychologische Bewältigungsstrategie, um mit dem rätselhaften Tod Jesu fertigzuwerden. Osterglaube ist vielmehr ein Reflex auf die Begegnung mit dem auferstandenen, erhöhten Herrn. Er ist mit seiner Auferstehungs-Leiblichkeit den Jüngern gegenübergetreten, nicht als Traumbild aus den Tiefen ihrer eigenen Seele aufgestiegen.

Von dieser Ostererfahrung her wird für die Jünger/innen Jesu das an sich mehrdeutige leere Grab eindeutig. Nicht als handfester Beweis, aber als hoffnungsvolles Begleitzeichen der Auferstehung. Das leere Grab als Begleitzeichen der Auferstehung macht deutlich: Jesus ist nicht als leibloser Geist auferstanden, sondern als leibhafte Person. In seinem verklärten Auferstehungsleib blieb alles lebendig, was sein irdisches Leben ausfüllte. Auch sein Leidensweg ist darin aufgehoben. Der auferstandene Jesus trägt bleibend die Nägelmale des Kreuzes. Das war auch Mathis Grünewald, dem Meister des Isenheimer Altars, wichtig: Der auferstehende Christus zeigt dem Betrachter seine Handflächen, in denen die Nägelmale nicht zu übersehen sind. D.h. bei der Auferstehung wurden Kreuz und Leiden Jesu als ein Moment der Geschichte in die Ewigkeit Gottes aufgenommen. Auch als österlicher Herr bleibt Jesus unser Menschenbruder und Leidensbruder, der mit uns geht – auch hinein ins Leiden, hinunter in die Abgründe und in den Tod.

„Er ist nicht hier, er ist auferstanden!“ – das steht über dem Gang der Maria Magdalena und der anderen Maria zum Grab. Liebe Gemeinde, niemand von uns muss es überspielen, dass sein Gang zum Grab eines lieben Menschen mit Trauer und Schmerz verbunden ist. Ostern ist der Gang zum Grab, der zum Gang zurück ins Leben wird, ohne dass die Trauer überspielt wird. Aber seit es Ostermorgen geworden ist, ist der Gang zum Grab kein hoffnungsloser Gang mehr. Denn ganz nahe dürfen wir unsere Verstorbenen und den auferstandenen Jesus beieinander sehen. Jesus ist auferstanden, er als erster, das ist der Grund unserer Hoffnung auf Auferstehung der Toten. Und wie der auferstandene Christus in neuer Leiblichkeit den Seinen gegenübertrat, so werden auch von Krankheit gezeichnete oder von Unfällen oder Kriegseinwirkungen entstellte Körper in neuer Leiblichkeit in Gottes Ewigkeit sein. Das leere Grab Jesu – ein Zeichen der Hoffnung für die Christenheit.

3. Der Gang zum Grab wird zum Gang zurück ins Leben.Unsere Ostergeschichte bleibt nicht am Grab stehen. Der Gang zum Grab wird zum Gang zurück ins Leben. Der Aufbruch vom leeren Grab nach Galiläa steht an. „Sagt’s den Jüngern, dass sie hingehen nach Galiläa, dort wird der Auferstandene ihnen begegnen“, so sagt es der Engel zu den beiden Marien, und gleich darauf wiederholt es der auferstandene Jesus, als er den Frauen begegnet. Galiläa, das war für Jesu Jünger ihre Heimat und ihr vertrauter Alltag, im Dorf am See, bei den Netzen, bei den Fischerbooten – eben dort, wo Jesus als der Irdische ihnen die Botschaft vom Reich Gottes nahe gebracht hatte.

Galiläa, das ist für uns der Alltag, der uns fordert und in dem wir uns zu bewähren haben. Auf dem Berg in Galiläa, umgeben von ihrer Alltagswirklichkeit, begegnet der auferstandene Jesus den Jüngern und sagt ihnen zu: „Siehe, ich bin bei euch – als der Lebendige – alle Tage bis an der Welt Ende.“ Umgeben von unserer Alltagswirklichkeit, von unserem Galiläa, hören auch wir in diesem Ostergottesdienst die Zusage des lebendigen Christus: „Siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende.“
Weder die Jünger damals noch wir heute an Ostern 2017 müssen deprimiert und mit gesenktem Haupt in unseren Alltag gehen. „Seht auf und erhebt eure Häupter!“ heißt es in der Bibel. Aber ja doch! Wir glauben an den auferstandenen Christus und nicht an einen Toten. Wir haben Hoffnung für diese Welt und über diese Welt hinaus.

Ja, christliche Hoffnung sieht die Welt im Licht des Ostergeschehens. Christliche Hoffnung ist eine Hoffnung gegen den Augenschein, weil sie das Scheitern, das Sterben am Kreuz, nicht als Gegenbeweis sieht, sondern als Teil der Existenz, das die Hoffnung eben gerade nicht zunichtemacht. Denn selbst der auferstandene Christus nimmt Narben mit in sein neues Leben. Und so können wir Schritte für das Leben wagen, Zeichen des Friedens setzen, den Weg der Gerechtigkeit gehen – im Bewusstsein und in der Hoffnung, dass viele kleine Schritte in der Summe ein Veränderungspotenzial ergeben, das wirkt.

Vor einiger Zeit las ich einen Satz, der mir im Blick auf Ostern seither nicht mehr aus dem Kopf geht. Er stammt von dem Schriftsteller und Liedermacher Wolf Biermann. Der feierte kürzlich seinen 80. Geburtstag und brachte zu diesem Anlass seine Autobiografie „Warte nicht auf bessre Zeiten“ heraus. Wolf Biermann sagte einmal: „Die Auferstehung ist die härteste Währung auf dem Markt, wo Hoffnung gehandelt wird.“ Keine Frage, der Markt, wo Hoffnung gehandelt wird, boomt – in unserer Zeit des Umbruchs, des rasanten Wandels und der damit einhergehenden Unsicherheit. Die Nachfrage nach Hoffnung, die nicht trügt, sondern trägt, ist groß. Menschen sehnen sich nach tragfähiger Hoffnung, die nicht wie ein Traumbild jäh dahinschwindet, wenn es ernst wird. Das Osterevangelium berichtet vom Sieg des Lebens über den Tod, von Gottes Machttat am toten Jesus in der Frühe des Ostermorgens. Das Grab konnte Jesus nicht festhalten. Damit bringt das Osterevangelium die an Härte nicht zu überbietende Währung ‚Auferstehung‘ auf den Markt, wo Hoffnung gehandelt wird. Wo wir uns vom Osterevangelium berühren lassen, bekommen wir Münzen der Hoffnung in die Hände, mit denen wir wuchern können.

Denn, liebe Ostergemeinde, unser Glaube an den auferstandenen Jesus Christus führt nicht zur Flucht aus der Welt – sondern ganz im Gegenteil zu einem Ja zu der Welt, die von Gott geschaffen ist und die er erlösen und vollenden wird, wann und wie er will. Gerade die Verheißung, dass Leben bei Gott nicht mit dem Tod endet, verpflichtet dazu, auf der Erde für das Leben einzutreten. Kraft und langen Atem dazu bekommen wir aus der Osterbotschaft: „Der Herr ist auferstanden, er ist wahrhaftig auferstanden!“ Amen.

Anregungen zu dieser Predigt verdanke ich:
Theophil Askani, Predigt über Matthäus 28,1–10, Reutlingen, Ostersonntag, 19.04.1981, in: ders., Da es aber jetzt Morgen war, stand Jesus am Ufer, Reutlingen 1981, S. 267–274; Margot Käßmann, Fantasie für den Frieden oder: Selig sind, die Frieden stiften, Frankfurt 2010; Max Seidel, Der Isenheimer Altar von Mathis Grünewald, Stuttgart/Zürich 1990.



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