Palmarum / Palmsonntag (24. März 2024)

Autorin / Autor:
Rundfunkpfarrerin i. R. Dr. Lucie Panzer, Stuttgart [lucie.panzer@web.de]

Philipper 2, 5-11

IntentionGott ist Mensch geworden und hat in Jesus Christus für uns gelitten. Deshalb sind wir wohl gelitten bei Gott (Eberhard Jüngel). Jesus hat uns gezeigt und ermöglicht, als Menschen miteinander und füreinander zu leben. Wir müssen nicht wie Gott werden, wir können Mensch sein und bleiben.

Palmsonntag! Wir haben es gehört, die Karwoche beginnt mit einem Volksfest. So jedenfalls stelle ich mir die Demo in Jerusalem von damals vor. So wie heute, wenn eine siegreiche Mannschaft begrüßt wird und Tausende sich versammeln, singen und Fahnen schwenken. Oder, wenn in irgendeiner Monarchie, in Großbritannien, Dänemark oder Norwegen vielleicht, ein neuer König gekrönt wird – Menschen stehen am Straßenrand und winken mit ihren Fähnchen. Damals in Jerusalem haben sie Palmzweige geschwenkt, ihre Kleider begeistert auf den Weg gelegt und „Hosianna“ gerufen für den König, den sie da gesehen haben. „Gelobt sei, der da kommt im Namen Gottes“. So fing die Karwoche an.
Ein sehr altes Lied erinnert daran, dass es dann anders weiterging: Ein paar Tage später kam das „Kreuzige!“ und die Kreuzigung. Paulus hat das Lied irgendwo kennengelernt und es uns in seinem Brief an die Philipper überliefert. Er schreibt: An diesem Jesus Christus sollt ihr euch orientieren.
Ich lese Philipper 2, 5–11:

"Seid so unter euch gesinnt, wie es der Gemeinschaft in Christus Jesus entspricht:
Er, der in göttlicher Gestalt war,
hielt es nicht für einen Raub, Gott gleich zu sein,
sondern entäußerte sich selbst und nahm Knechtsgestalt an,
ward den Menschen gleich und der Erscheinung nach als Mensch erkannt.
Er erniedrigte sich selbst und ward gehorsam bis zum Tode, ja zum Tode am Kreuz.
Darum hat ihn auch Gott erhöht und hat ihm den Namen gegeben, der über alle Namen ist,
dass in dem Namen Jesu sich beugen sollen aller derer Knie, die im Himmel und auf Erden und unter der Erde sind,
und alle Zungen bekennen sollen, dass Jesus Christus der Herr ist, zur Ehre Gottes, des Vaters.“

Liebe Gemeinde, wir haben Grund, ein Fest zu feiern. Jesus Christus ist zu uns gekommen. Er bestand nicht darauf, wie Gott zu sein. Daran sollen wir uns orientieren.

Wir müssen nicht wie Gott seinAuch wir müssen nicht wie Gott sein. Obwohl das ja offensichtlich schon von Anfang an verlockend war für die Menschen. Schon Adam und Eva wollten sein wie Gott. Damit fing die Elendsgeschichte der Menschheit an. Aber Gott ist Mensch geworden! Zwischen Ochs und Esel in einem Stall wurde er geboren, auf einem Esel ritt er in Jerusalem ein. Nicht herrschaftlich auf einem stolzen Pferd, nicht einem Kamel, wie die Reichen und Vornehmen damals. Gott ist ein ganz normaler einfacher Mensch geworden. Einer wie Sie und ich. Wer Gott nahe sein will, muss nicht höher hinaus als die anderen, muss es nicht immer schneller immer weiter bringen. Das hat man ja früher geglaubt, dass Gott nur für die Wohlhabenden, für die Wohlgeborenen und die Mächtigen da ist. Und heute, wo viele meinen, der Himmel sei leer, da werden diejenigen, die reich sind, mächtig und berühmt wie früher die Götter verehrt und manchmal auch gefürchtet. Aber wo Menschen an Gottes Stelle verehrt und gefürchtet werden, wo sie alles dafür tun, dass sie verehrt und gefürchtet werden: Da werden andere beschädigt. Wo die einen sich wie Götter, wie Herrenmenschen aufführen, da behandeln sie andere wie Untermenschen. Denn die anderen, die Armen, die Beherrschten, die Wehrlosen, die sollen sich für Untermenschen halten. Für minderwertige Menschen, die man davonjagen kann, wenn man sie nicht braucht oder wenn man meint, dass sie zu viele werden. So hat es schon der ägyptische Pharao gemacht, der sich ja auch als Gott verehren ließ. Als dem die Juden zu viel wurden, befahl er kurzerhand, die Jungen in den Nil zu werfen. Manchmal denke ich, eigentlich sind wir Menschen noch nicht weiter gekommen – heute überlegt man, diejenigen nach Afrika zu deportieren, die man nicht im Land haben will.

Gott wird MenschAber das alte Christuslied sagt uns: Gott kommt herunter. Er ist heruntergekommen. Schon an Weihnachten endet es damit, dass die Hirten fröhlich nach Hause gingen, weil Gott zu ihnen gekommen ist. Und am Palmsonntag jubeln sie, weil Jesus gezeigt hat, wie Menschsein geht. Menschsein heißt zusammenleben. Gut zusammenleben, weil Menschen füreinander da sind. So wie Jesus mit anderen gelebt hat und für andere da war. Marcel Reiff, der Sportreporter, hat im Bundestag vor ein paar Wochen bei einer Gedenkfeier das Vermächtnis seiner jüdischen Vaters weitergegeben: „Sei ein Mensch!“ Ich glaube, genau das ist gemeint: Mit anderen leben und für andere da sein, so wie Jesus es vorgelebt hat.
Jesus hat gezeigt, wie teilen geht und dass es für alle reicht, wenn man teilt. Wir denken leider immer noch, nur wenn ich mehr kriege, dann bin ich zufrieden. Sollen doch die anderen für sich selber sorgen.
Jesus hat gezeigt, wie verzeihen geht und dass Menschen wieder auf die Beine kommen, wenn sie ihre Vergangenheit hinter sich lassen können. Wir dagegen halten einander immer und immer wieder vor, was gewesen ist. Wahrscheinlich, weil wir uns besser fühlen, wenn wir andere mit ihren Schuldgefühlen klein halten. Vielleicht auch, weil ich mit den eigenen Schuldgefühlen kämpfe und hoffe, dass keiner drauf kommt, was mir zu schaffen macht.
Und Jesus hat gezeigt, dass auch Leiden und Sterben zum Menschsein gehört. Er hat sich erniedrigen lassen. „Er erniedrigte sich selbst“ sagt das alte Lied. Auch und gerade da, wo Menschen erniedrigt werden, leiden müssen und sterben, auch und gerade da ist Gott bei ihnen. Es ist nicht wahr, dass Gott diejenigen verlassen hat, die sterben müssen. Sogar Jesus hat das gedacht, das ist wahr. Aber Gott lässt die nicht im Stich, die das erleiden und ertragen müssen. Die Würde des Menschen hört nicht auf, wenn einer ins Elend gerät. Auch Gott selbst hat gelitten, gehadert und geschrien.
Man muss auch nicht tapfer sein, wenn man leiden muss. Auch Weinen und Klagen, Verzweifeln und Schreien gehören wohl zum Menschsein. Gewiss, wir können und dürfen alles Menschenmögliche tun, um Leiden zu lindern. Auch Jesus hat Leiden gelindert und Kranke geheilt. Wir können und müssen alles tun, um unnötiges Leiden zu bekämpfen. Vor allem das Leid, dass Menschen anderen zufügen, das darf und soll nicht sein. Damit dürfen und wollen wir uns nicht abfinden. Aber keiner, der leidet, muss sich von Gott verlassen fühlen. Vieles ist nicht zu verstehen. Aber ich glaube, dass es eine Pflicht ist für Christen, Leidenden beizustehen, damit sie spüren: Ich bin nicht allein in meinem Elend. Im Namen Gottes ist da neben mir ein Mensch, der mir beisteht.

Wir können als Menschen lebenWir können und sollen Mensch sein – das hat Jesus Christus uns ermöglicht und gezeigt. Und Gott hat ihn nicht im Stich gelassen, sondern ihn zum Herrn gemacht. Zum Herrn über die ganze Welt. Auch wo Menschen ihren Gott anders nennen, auch wo sie andere Geschichten von Gott erzählen, auch da gilt: Jesus ist der Herr. Und dieser Herr ist groß und großzügig genug, andere Namen und anderen Glauben zu ertragen. Wir Christen bekennen: „Ich glaube, dass ich nicht aus eigener Vernunft noch Kraft an Jesus Christus, meinen Herrn, glauben oder zu ihm kommen kann; sondern der Heilige Geist hat mich durch das Evangelium berufen, mit seinen Gaben erleuchtet, im rechten Glauben geheiligt und erhalten“ (Luther, Kleiner Katechismus, 3. Artikel). Ich verstehe das so: Der Heilige Geist hat mich zum Glauben berufen und erleuchtet … soll ich ihm Vorwürfe machen, weil andere nicht berufen und genauso erleuchtet werden wie ich?
Jesus ist der Herr über die ganze Welt – das glaube ich. Er, der menschgewordene Gott. Er, der elende, der gefolterte, er, den sie hingerichtet haben und der sich nicht gewehrt hat. Für die Mehrheit der Menschen auf der Welt ist das unvorstellbar. Aber ich glaube: Weil er Mensch geworden ist, müssen wir nichts anderes werden. Jesus Christus, Gott selbst, hat uns gezeigt, wie Menschsein geht. Wie Gott sich seine Menschen gedacht hat. Beim Friedensgebet machen wir uns das jeden Montag klar. „Selig sind, die Leid tragen, selig sind die Sanftmütigen, selig sind die Barmherzigen, selig sind die Friedfertigen – sie werden Gottes Kinder heißen.“ Das hat Jesus gesagt, als er auf dem Berg predigte. Von Jesus und seinem Geist motiviert hoffen wir, dass so die Welt anders werden kann. So menschlich, wie Gott sie haben will.

PalmsonntagPalmsonntag. Mit einem Jubeltag fängt die Karwoche an diesem Sonntag an. Und sie endet wieder an einem Sonntag. Dann jubeln wir und feiern die Auferstehung und das neue Leben. Dazwischen denken wir in dieser Woche an das, was auch Leben ist. Wir denken daran, dass Jesus gelitten hat, damit wir leben können. Trotz allem. Denn wir sind wohlgelitten bei Gott.
Amen.

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