Pfingstmontag (20. Mai 2024)

Autorin / Autor:
Pfarrer und Repetent Simon Blatz, Tübingen [simon.blatz@elkw.de]

Epheser 4,(1-6.)11-15.(16)

IntentionDie Predigt betont, dass Einheit der Christinnen und Christen keine geistliche Nebensache ist, aber dass es gute Gründe gibt, dass es manchmal nur schwerfällig vorangeht.

Über gelungene und misslungene ZusammenarbeitGute Zusammenarbeit ist inspirierend. Man sitzt in einer Runde, die Aufgaben werden verteilt, die Frage steht im Raum: „Wer kann das erledigen?“, und die Reaktion? Kein Schweigen, kein Mikado, nach dem Motto, wer sich zuerst bewegt hat verloren, sondern Hände gehen in die Luft. Die Motivation ist spürbar, hier wollen Leute etwas beitragen und bewegen: „Gerne, übernehme ich das.“ Und wenn es bei einer Person gerade viel ist, wenn sie Entlastung braucht, dann sagt sie das und jemand anderes übernimmt, ohne Diskussion, ohne faden Beigeschmack, ohne Berechnung, ohne Rechtfertigung, denn es ist klar, wenn die Belastung sich in ein paar Wochen umkehrt, dann funktioniert auch die Entlastung umgekehrt und genauso reibungslos. Wer eine Idee hat, spricht sie aus. Die anderen hören zu, versuchen zu verstehen und äußern frei ihre Meinung. Das Miteinander hält das ohne Abnutzung aus. Kreativ sein und widersprechen, jedem ist klar, beides gehört dazu. Wo Zusammenarbeit so funktioniert, sei es in der Arbeit, der Kirchengemeinde oder auch in Familie und im Freundeskreis, da passiert etwas ganz Großartiges. Die einzelnen Kräfte addieren sich nicht nur zu ihrer Gesamtsumme, sondern es ist spürbar mehr Kraft vorhanden. Gute Zusammenarbeit gibt jedem einen extra Schub, und deshalb ist gute Zusammenarbeit so inspirierend.
Und dann haben manche von uns das Gegenteil erlebt. Es dominiert Berechnung. Lieber nicht zu schnell „Ja“ sagen, denn sonst werde ich von den anderen über den Tisch gezogen. So schaut jeder auf sich. Statt zusammen agieren alle gegeneinander. Absprachen verlieren sich im Kleinklein, und immer wieder kommen persönliche Abneigungen zutage. Die Anspannung liegt wie Schwüle in der Luft. Das Gewitter scheint nur Minuten entfernt und regelmäßig entlädt es sich. Wer etwas sagt, wägt die Worte ab, dass es die andere Person bloß nicht in den falschen Hals bekommt. Hier ist nichts von einem extra Schub zu spüren, Angst und Frust schränken die Fähigkeiten ein. Ideen und Engagement sind gehemmt. Jeder macht den anderen ein bisschen schlechter.

Einigkeit im GeistWenn ich an solche Erfahrungen gelungener und misslungener Zusammenarbeit denke, finde ich es verständlich, dass Einigkeit etwas mit dem Geist Gottes zu tun haben soll. So sagt es zumindest der heutige Predigttext aus dem Epheserbrief, genauer aus dem vierten Kapitel. Ich lese den ersten Abschnitt:

(1) So ermahne ich euch nun, ich, der Gefangene in dem Herrn, dass ihr der Berufung würdig lebt, mit der ihr berufen seid, (2) in aller Demut und Sanftmut, in Geduld. Ertragt einer den andern in Liebe (3) und seid darauf bedacht, zu wahren die Einigkeit im Geist durch das Band des Friedens: (4) ein Leib und ein Geist, wie ihr auch berufen seid zu einer Hoffnung eurer Berufung; (5) ein Herr, ein Glaube, eine Taufe; (6) ein Gott und Vater aller, der da ist über allen und durch alle und in allen.

In diesem vierten Kapitel des Epheserbriefs wird es praktisch. Was folgt aus unserem Glauben konkret? Und nicht am Ende, nicht am Rand, sondern zu Beginn und zentral steht die Einigkeit. Christinnen und Christen sollen einig sein. Das hat gute Gründe, sind sie doch alle verbunden mit dem einen Gott und Vater und dem einen Herrn Jesus Christus, in einem Glauben und einer Taufe. Und diese Einigkeit drückt sich in ihrer Zusammenarbeit aus. In einer Zusammenarbeit, in der es unterschiedliche Aufgaben gibt, die aber alle wichtig sind, für dieses Miteinander:

(11) Und er selbst gab den Heiligen die einen als Apostel, andere als Propheten, andere als Evangelisten, andere als Hirten und Lehrer, (12) damit die Heiligen zugerüstet werden zum Werk des Dienstes. Dadurch soll der Leib Christi erbaut werden, (13) bis wir alle hingelangen zur Einheit des Glaubens und der Erkenntnis des Sohnes Gottes, zum vollendeten Menschen, zum vollen Maß der Fülle Christi

Nochmal: unterschiedliche Aufgaben – Apostel, Propheten, Evangelisten, Hirten, Lehrer – tragen auf ihre Weise zu diesem Miteinander bei. Jede und jeder bringt sich auf ihre Weise ein. Das Idealbild ist der Leib, der Körper. Auch ein Körper besteht ja aus unterschiedlichen Teilen, die unterschiedliche Aufgaben erfüllen und gerade darin zusammenwirken. Die Vorstellung, dass Hände, Füße, Beine usw. ihr eigenes Ding machen, ist absurd. Allein sind sie nutzlos. Sie sind aufeinander angewiesen. So soll es auch im Miteinander der Christinnen und Christen sein.

Eine unangenehme DiagnoseBeim ersten Hören klingt das harmlos. Dass Einigkeit besser ist als Streit, dass Miteinander besser ist als Gegeneinander, wer würde da widersprechen? Aber der Eindruck der Harmlosigkeit trügt, denn gerade das Bild des Körpers ist überhaupt nicht harmlos, sondern in dieses Bild ist eine unangenehme Diagnose eingewickelt. Ein Körper nämlich, bei dem die einzelnen Teile nicht zusammen-, sondern gegeneinander arbeiten, ist vor allem eines: krank. Und das wirft die ungemütliche Frage auf, wie es sich denn so verhält mit dem realexistierenden Miteinander unter Christinnen und Christen? Ist der Leib Christi gesund?
Ich will nicht ungerecht sein, denn es gibt im Kleinen und im Großen Mut machende Beispiele. Christinnen und Christen achten sich in ihrer Unterschiedlichkeit, sie finden diese Unterschiedlichkeit bereichernd und wachsen aneinander. Auch über das Persönliche hinaus finden sich Beispiele Kirchen und Gemeinden haben sich zusammengeschlossen und gemeinsame Projekte auf den Weg gebracht. Aber man muss auch zugeben, dass es viel Streit gab und gibt. Nicht zuletzt sexualethische Themen haben in den vergangenen Jahren tiefe Gräben in und zwischen die Kirchen gezogen. Es drohen sogar Spaltungen, gelegentlich gibt es sie sogar. Zu dem Gegeneinander kommt die Gleichgültigkeit. Was interessiert mich, was die anderen machen oder wollen? Aber auch die Gleichgültigkeit passt nicht recht zur Einigkeit im Geist, zum Leib Christi.
Der Epheserbrief macht demgegenüber deutlich: Einigkeit ist kein Randthema, Oekumene der Christinnen und Christen ist kein geistliches Orchideenfach für Menschen mit besonderen Neigungen. Es ist zu wenig, wenn wir die Oekumene denen überlassen, die eben familiär mit der katholischen Kirche verbunden sind oder zufällig Freunde in der Freikirche vor Ort haben. Einigkeit ist keine untergeordnete Aufgabe, die wir mit ökumenischen Gottesdiensten an den zweiten und dritten Feiertagen abarbeiten, sondern Einigkeit ist Aufgabe aller Christinnen und Christen. Der Einsatz für die Oekumene steht auf der Prioritätenliste ganz oben und wenn das nicht so ist, ist das das Symptom einer Krankheit.

Nicht zwingend eine charakterliche oder geistliche MangelerscheinungAber es wäre ungerecht, zu sagen, es wäre ein charakterlicher oder geistlicher Mangel, wenn es mit der Einigkeit nicht klappt. Als wäre das mit der Einigkeit ganz leicht und scheiterte nur an der Borniertheit, Behäbigkeit und Dickköpfigkeit einzelner. Sicher, Menschen sind bequem. Sicher beschädigen Hartherzigkeit, Unbarmherzigkeit und Streitlust das Miteinander. Und bestimmt stellt sich bei manchen die Frage, ob das immer wieder aufs Neue auf die Tagesordnung gesetzte Thema wirklich so wichtig ist. Aber manchmal müssen wir doch auch sagen: Hier geht es um etwas, was mir in Gottes Namen wichtig ist. Ich kann und ich will mich hier nicht einfügen. Wenn ich das tue, verrate ich meine Überzeugungen und deshalb beziehe ich klare Position. Mir scheint, ich beschädige den Leib Christi eher, wenn ich schweige, als wenn ich widerspreche, auch wenn ich damit unser Miteinander gefährde. Vielleicht sind die sexualethischen Debatten der vergangenen Jahre dafür ein Beispiel: Gleichgeschlechtliche Ehen, sexuelle Vielfalt ... Mir scheint, dass sich der Streit nicht dadurch erklären lässt, dass die einen eben ewiggestrig und die anderen zeitgeistbesoffen sind. Nein, ich denke, dass für beide Konfliktparteien zentrale geistliche Anliegen auf dem Spiel stehen, für die sie im Gottes Namen eintreten und streiten.
Was nun?
Der Wunsch nach Einigkeit ist überhaupt nicht harmlos. Im Gegenteil er fordert heraus, die eigenen Prioritäten zu überprüfen, und führt uns vor Augen, dass uns auch Dinge trennen, die uns vor Gott wichtig sind. Was nun? Am Ende des Predigttextes findet sich ein Vers, der ein Impuls sein kann:

(15) Lasst uns aber wahrhaftig sein in der Liebe und wachsen in allen Stücken zu dem hin, der das Haupt ist, Christus.

Es geht um einen Wachstumsprozess. Die Einigkeit in Christus ist noch nicht da. Wir sind noch nicht fertig und deshalb immer auch mit Unvollkommenem konfrontiert. Aber die Einigkeit ist das Ziel und sie muss das Ziel bleiben.

Amen.

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