Quasimodogeniti (03. April 2016)

Autorin / Autor:
Pfarrer Dr. Johannes Reinmüller, Ingelfingen [johannes.reinmueller@web.de]

1. Petrus 1, 1-9

Liebe Gemeinde!
In unserem Leben gibt es Zustände, die da sind, um beendet zu werden. Einer dieser Zustände ist zum Beispiel Krankheit. Wer krank ist, will so schnell wie möglich gesund werden. Und ein weltweites Heer an Ärzten, Pflegern, Pharmazeuten und Forschern ist damit beschäftigt, Krankheit schnell zu verbannen.
Ebenso verhält es sich mit dem Zustand des Fremdseins. Wer fremd ist, will so schnell wie möglich heimisch werden. Jeder, der schon einmal in eine neue Schulklasse, an einen neuen Wohnort oder an eine neue Arbeitsstelle kam, kennt das Gefühl des Fremdseins: Die Unsicherheit gegenüber dem Neuen, die skeptisch-abwartenden Blicke der Alteingesessenen. Es liegt daher in der Natur des Menschen, so schnell wie möglich mit den neuen Mitmenschen warm, im neuen Ort heimisch und mit der neuen Situation vertraut werden zu wollen. Wem das nicht gelingt, der erleidet dementsprechend Kälte, Heimatlosigkeit und Misstrauen.

Der Predigttext für den heutigen Sonntag steht im Ersten Petrusbrief. Petrus spricht darin seine Leser, die Christen in Kleinasien, dem Gebiet der heutigen Türkei, als Fremdlinge an. Allerdings ist für Petrus das Fremdsein kein Mangel, der schnell überwunden werden soll. Sondern Petrus setzt voraus: „Ihr seid Christen und damit seid ihr automatisch Fremdlinge!“
Ist man als Christ automatisch ein Fremdling? Ist man als Christ ein Außenseiter, der sich nicht integrieren lassen soll?

Auf keinen Fall!

Fremdling – in dieser Welt und doch nicht aus dieser WeltDie Forderung von Jeremia „Suchet der Stadt Bestes“ (Jer 29,7) oder das Gebot von Jesus „So gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist“ (Mk 12,17par) galt auch für die Christen damals. Immer wieder beteuerten Christen, dass sie ihrem Staat gegenüber loyale Bürger seien. Immer wieder betonten sie: „Wir Christen leben in der Welt, in der Gesellschaft, die wir mitgestalten und mittragen.“

Aber wie passt das Fremdsein in eine solche Lebenseinstellung hinein? Christen sind Fremdlinge, weil sie zwar in der Welt leben, aber nicht aus dieser Welt sind. Sie schöpfen ihre Identität und ihre Hoffnung nicht aus den Gesetzen und Wahrheiten, die ihnen die Welt bietet. Denn Gott hat die Christen herausgerufen – nicht aus der Welt, wohl aber aus deren Wertmaßstäben heraus.

Die Christen lebten vormals als Heiden nach den Gesetzen der Welt – sie beteten Götzen an, sie achteten auf ihren Vorteil, sie geilten sich an den öffentlichen Spektakeln in den Arenen auf, um sich von den Kriegen ablenken zu lassen. Doch dann wurden sie Christen. Gott rief sie aus diesen Wertmaßstäben heraus und stellte sie in neue hinein: Sie folgten Jesus Christus nach, sie wurden von seinem Geist erfüllt, hatten damit die lebendige Hoffnung.

Fremdling – weil von Gott herausgerufenDas war das Leben der Christen zur Zeit des Petrusbriefes. Das waren die Anfänge der Kirche, der Ek-klesia. Es war wortwörtlich eine Gruppe der „Heraus-Gerufenen“.
Es lag auf der Hand, dass man mit dieser neuen Lebenshaltung mit dem ätzenden Spott und der lodernden Häme von Nachbarn, von Arbeitskollegen und manchmal sogar von Freunden und Familienmitgliedern übergossen wurde. Spätestens da wurde den Christen bewusst: „Ich bin als Christ ein Fremdling!“ Das war das Lebensgefühl der Christen in Kleinasien und das ist das Lebensgefühl der Christen dort heute noch und von 100 Millionen unserer verfolgten Glaubensgeschwister weltweit (so eine Schätzung der Organisation OpenDoors).

Wie sieht es aber bei uns heute in Deutschland aus?

Christsein bei uns – nicht verfolgt und doch fremdEin Saudi fragt einen Deutschen: „Und eure Bundeskanzlerin?“, der Deutsche meint: „…ist eine Pfarrerstochter“, der Saudi fragt wieder: „Und euer Bundespräsident?“, der Deutsche: „…ist ein Pfarrer“. Darauf meint der Saudi: „Oha, ihr lebt ja in einem Gottesstaat!“.

Nein, wir leben zum Glück nicht in einem Gottesstaat, aber wir leben in einem Staat, in dem vor wenigen Minuten noch laut mit Glocken zum Gottesdienst eingeladen werden konnte und in dem sich die Mehrheit seiner Bürger zur Kirche bekennt. Wir als Christen sind keine Fremdlinge, keine Außenseiter, die verborgen eine Subkultur leben müssen, keine chancenlosen Outlaws, denen aufgrund ihres Glaubens die Karriere verwehrt und hohe Ämter abspenstig gemacht werden.

Wir als Christen leben in unserem Staat einerseits im Bewusstsein, keine Fremdlinge zu sein und andererseits mit dem Anspruch, Kirche zu sein. Fehlt uns damit was? Ist es für uns und unsere Kirche ein Manko, nicht verfolgt zu werden?
Wir sollten uns hüten, unsere Freiheit, die wir in diesem Staat haben, leichtfertig abzutun. Und wir sollten uns hüten, Fremdsein nur als einen äußeren Zustand anzusehen. Denn fremd ist man als Christ nicht, wenn sich alle nichtchristlichen Freunde von einem abgewandt haben und einen alle Arbeitskollegen des Glaubens wegen verspotten.

Fremd ist man bereits dann, wenn man entsetzt bekennt: „Das ist nicht meine Welt.“ Fremd fühlt man sich bereits dann, wenn man fragt: „Kann man sich in einer Welt wirklich heimisch fühlen, in der jedes Jahr …?“ Jeder von uns hat auf diesen Satzanfang seine eigene Fortsetzung.
Die eine fragt sich entsetzt: „Kann man sich in einer Welt wirklich heimisch fühlen, in der jedes Jahr allein in Deutschland 100 000 Kinder abgetrieben werden?“ Der andere fragt sich entsetzt: „Kann man sich in einer Welt wirklich heimisch fühlen, in der jedes Jahr mehr unsere Luft und unsere Weltmeere verschmutzt werden?“ Die anderen fragen sich: „Kann man sich in einer Welt wirklich heimisch fühlen, in der jedes Jahr die Schere zwischen Arm und Reich größer wird?“

Es sind Fragen, die einen wütend und hilflos zugleich machen. Es sind Fragen, die einem das Gefühl des Fremdseins in der eigenen Welt vor Augen führen, eines Gefühls, das der Schriftsteller Jean Paul als Weltschmerz bezeichnete. Zu diesem Gefühl schrieb er: „Nur sein Auge sah alle die tausend Qualen der Menschen bei ihren Untergängen. Diesen Weltschmerz kann er, so zu sagen, nur aushalten durch den Anblick der Seligkeit, die nachher vergütet“ (Jean Paul, Selina oder über die Unsterblichkeit der Seele).

Christsein – ein Leben zwischen Weltschmerz und himmlischer FreudeSolange wir Christen in dieser Welt leben, solange werden wir den Weltschmerz in uns tragen, solange werden wir an dieser Welt und an ihren Unzulänglichkeiten leiden und uns freuen, wenn wir diese Welt verlassen. Doch was wird dann, am Ende unseres Lebens, kommen? Dazu heißt es weiter in unserem Predigttext:

„Dann werdet ihr euch freuen, die ihr jetzt eine kleine Zeit, wenn es sein soll, traurig seid in mancherlei Anfechtungen, damit euer Glaube als echt und viel kostbarer befunden werde als das vergängliche Gold, das durchs Feuer geläutert wird, zu Lob, Preis und Ehre, wenn offenbart wird Jesus Christus.
Ihn habt ihr nicht gesehen und habt ihn doch lieb; und nun glaubt ihr an ihn, obwohl ihr ihn nicht seht; ihr werdet euch aber freuen mit unaussprechlicher und herrlicher Freude, wenn ihr das Ziel eures Glaubens erlangt, nämlich der Seelen Seligkeit.“

Amen.

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