Reformationsfest (31. Oktober 2019)

Autorin / Autor:
Pfarrer Friedmar Probst, Alfdorf [friedmar.probst@elkw.de ]

5. Mose 6, 4-9

6,4 Höre, Israel, der Herr ist unser Gott, der Herr ist einer.
5 Und du sollst den Herrn, deinen Gott, lieb haben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit all deiner Kraft.
6 Und diese Worte, die ich dir heute gebiete, sollst du zu Herzen nehmen
7 und sollst sie deinen Kindern einschärfen und davon reden, wenn du in deinem Hause sitzt oder unterwegs bist, wenn du dich niederlegst oder aufstehst.
8 Und du sollst sie binden zum Zeichen auf deine Hand, und sie sollen dir ein Merkzeichen zwischen deinen Augen sein,
9 und du sollst sie schreiben auf die Pfosten deines Hauses und an die Tore.

IntentionBekennen und danken – so leuchtet mitten in der Welt Gott auf.

Liebe Gemeinde,
heute, am Reformationsfest, gehen die Gedanken zurück an die Zeit vor 500 Jahren. Wie standhaft Martin Luther war, wie unerschrocken er seinen Glauben bekannt hat.
Luther und die Reformatoren wie Ulrich Zwingli, Jean Calvin und Johannes Brenz haben immer wieder das ausgesprochen, was ihnen wichtig geworden ist: Gottes Liebe geht all unserem Tun voran. Nicht unser vermeintlich frommes und gutes Tun macht uns selig, sondern Gottes Liebe. Das erkennen wir im Licht des Evangeliums von Jesus Christus. Davon sprechen die Glaubenszeugnisse und Bekenntnisse der Reformatoren.

Gott bekennen heißt dankenEin Bekenntnis ist im Grund ein Dank. Wenn ich meinen Glauben bekenne, dann in Dankbarkeit für alles, was der dreieinige Gott an mir, an uns, an seiner Kirche getan hat.
Und ein Dank ist immer auch ein Bekenntnis. Wenn ich dankbar bin, dann sage – bekenne – ich, wem ich das Gute oder mein Glück verdanke.
Auch unser heutiger Predigttext ist ein Bekenntnis. Es ist das Sch’ma Jisrael. Das Glaubensbekenntnis Israels, das Bekenntnis zu dem einen Gott, der sein Volk aus Ägyptenland geführt und ihm die guten Weisungen am Gottesberg gegeben hat. „Höre, Israel, der Herr ist unser Gott, der Herr allein.“
Dieses Bekenntnis ist nichts „von früher“. Keine alten Geschichten. Denn auch heute Morgen, am 31. Oktober 2019, sind jüdische Menschen in Tel Aviv, New York, in Stuttgart oder Berlin mit diesem Bekenntnis aufgestanden. Das Rezitieren des „Sch’ma Jisrael“ gehört zum Morgengebet dazu, wie es heißt: „Du sollst davon reden, wenn du dich niederlegst oder aufstehst.“
Das Sch’ma Jisrael hat eine Besonderheit im ersten Satz. Der letzte Buchstabe im ersten Wort ist ganz großgeschrieben und der letzte Buchstabe im letzten Wort ebenfalls. Zusammengenommen bedeuten diese beiden Buchstaben „Zeugin oder Zeuge“. Also eine Person, die Gottes Handeln in der Welt bekennt. Manchmal auch in der Gefahr für Leib und Leben. Und manchmal an der Schwelle zum Tod.
Eine jüdische Überlieferung sagt, Rabbi Akiba, ein jüdischer Weiser ungefähr 100 Jahre nach Jesus, sei mit den Worten des Sch’ma Jisrael auf den Lippen als Märtyrer gestorben. Der Sterbende habe das letzte Wort „ächad“ – du bist der einzige (Gott) – hinausgezogen, bis sein Atem erloschen sei. Und eine Himmelsstimme sei zu hören gewesen: „Heil dir, Rabbi Akiba, dass dir die Seele bei ‚einzig‘ ausging. … Heil dir, Rabbi Akiba, denn du bist für das Leben der zukünftigen Welt bestimmt!“ Auch im Schrecken des Todes hat das Bekenntnis seinen Ort.

Wie geht das – Gott lieben?„Du sollst den Herrn, deinen Gott, liebhaben, von ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit all deiner Kraft.“
Kann man Gott lieben? Liebe lässt sich nicht befehlen, nicht unter Menschen, nicht bei Gott. Aber was wir machen können: uns mit Gott, mit seinen Weisungen, mit den Psalmen und Liedern beschäftigen. Die alten Geschichten weitererzählen. Ich bin sicher: Dann werden wir merken: im Tun, in der Aktion wächst die Liebe zu Gott. Die Liebe zu Gott wird in drei Bereichen entfaltet.
„Mit deinem ganzen Herzen“: also mit unseren Willenskräften, mit unseren geistigen Kräften, mit dem Gebet unseres Herzens können wir Gott lieben.
„Mit deiner ganzen Seele.“ „Seele“ ist im Hebräischen die Kehle. Also ein ganz vitales Zentrum unseres Lebens. Damit trinken wir Wasser und Bier, das fließt die Kehle hinunter. Auch der Braten oder die Spätzle passieren die Kehle. Und in der Kehle sind lebenswichtige Körperverbindungen: die Nervenbahnen in den Halswirbeln, die Hauptschlagader, die Luft- und die Speiseröhre. Die Kehle bedeutet Leben. Hier sind unsere Stimmbänder.
An den Stimmbändern hört man, wie jemand drauf ist. Die Kehle kann juchzen, jodeln, oder schluchzen und schreien. Immer ist die Kehle ein Ausdruck unserer Seele. Und mit diesem vitalen Zentrum können wir Gott lieben durch unsere Gebete, durch unsere Worte, mit unseren Liedern, im Gospelchor oder im Kirchenchor. Du sollst lieben den Ewigen mit ganzer Seele, also mit deiner Kehle.
„Und mit all deiner Kraft.“ Hier kommt die Liebe zum Nächsten dazu. Die Bibel lässt keinen Zweifel daran: Die Liebe zu Gott zeigt sich in der Liebe zu den Mitmenschen - „mit deiner ganzen Kraft“. Das ist also nicht einfach noch etwas Zusätzliches zu dem, was bisher schon gesagt wurde. Der jüdische Ausleger Roland Gradwohl hört bei „Kraft“ auch den Anklang an den Besitz mit, an unser Vermögen. Den Nächsten zu lieben, dazu braucht es auch finanzielle Mittel. Dadurch, dass wir bereit sind zu teilen mit denen, die es nötig haben. Gottesliebe und Nächstenliebe hängen im Sch’ma Jisrael ganz eng zusammen. In dieser Tradition lebt, denkt und handelt Jesus.
So steht heute am Reformationstag das Bekenntnis und die Liebe zu dem einen und einzigen Gott, den Israel bekennt. Jesus Christus hat ihn Vater genannt und uns seine Brüder. Also dürfen auch wir Christen den Gott Israels als unseren Vater lieben und bekennen.

Das Bekenntnis im Alltag weitergeben„Diese Worte sollst du zu Herzen nehmen.“ Ein Thoralehrer aus Israel stand vor einer deutschen Schulklasse und hat gezeigt, wie das gemeint ist. „Wir Juden beten dreimal pro Tag, die Muslime fünfmal, wie oft betet ihr?“ „Manchmal abends“, so war die Antwort. Dann zeigte der Lehrer, wie die Tefillin, die Gebetsriemen, angelegt werden. Er erklärte: Am linken Oberarm, ganz in der Nähe meines Herzens, ist diese Lederkapsel, darin stehen die Worte „Höre Israel!“ Für die Schülerinnen und Schüler war es sehr eindrücklich zu sehen, wie die Worte des Bekenntnisses dem Beter am Herzen liegen. So wird ein Wort aus dem 5. Mosebuch täglich mit Leben erfüllt.
„Und du sollst diese Worte deinen Kindern einschärfen.“ Das, was uns wichtig ist, lasst uns nicht für uns behalten. Gebt es weiter an die nächste Generation, an eure Kinder und Enkelkinder. Delegiert das nicht nur an die Religionslehrerin und an die Kinderkirchhelfer, an die Jungscharleiterin oder den Diakon. Nein: Ihr sollst das selbst tun. Die Kinder wollen und sollen wissen, was ihren Eltern und Großeltern wichtig ist. Wovon sie leben.

Die Kraft der RitualeDass der Glaube einen selbstverständlichen Platz im Alltag hat, dazu gibt es Rituale. Sie können uns zusammen mit unseren Kindern helfen, dem Bekenntnis zu Gott eine Gestalt zu geben. Der Gebetswürfel vor der gemeinsamen Mahlzeit: Ein Kind darf würfeln und dann das Tischgebet sprechen. Das Abendlied und ein Gute-Nacht-Gebet sind Zeichen: der Mutter, dem Vater bin ich wichtig. Und ihm oder ihr ist Gott wichtig.
Auch für Erwachsene sind Gebete eine Form, Gott im Alltag zu bekennen. Morgengebete sind eine schöne Form „in den Tag" zu kommen. Martin Luther hat seinem „Morgensegen“ ein paar Regieanweisungen beigefügt, wie man das Gebet als Einstieg in den Tag nutzen kann: „Des Morgens, wenn du aufstehst, kannst du dich segnen mit dem Zeichen des heiligen Kreuzes und sagen: Das walte Gott, Vater, Sohn und Heiliger Geist! Amen. Darauf kniend oder stehend das Glaubensbekenntnis und das Vaterunser. Willst du, so kannst du dies Gebet dazu sprechen...“ Es folgt dann der Morgensegen, in vielen Gesang- und Gebetbüchern verbreitet.
Ich spüre, wie Luther hier als ehemaliger Mönch auf der biblischen Tradition aufbaut, Gott zu lieben mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit aller Kraft. Er lädt uns ein, über Gott nicht nur nachzudenken, sondern ihn zu bekennen und zu loben mit unserem Gebet und in heilsamen Ritualen.
Wenn wir jetzt weitergehen
„Du sollst davon reden, wenn du unterwegs bist.“ Nie werde ich es vergessen. Wir hatten eine Thora-Lernwoche in der Kirchengemeinde vor uns. Ich holte das Lehrerehepaar Shlomo und Martha in Denkendorf ab und brachte sie in unseren Ort. Als wir auf das Dorf zufuhren, sagte Shlomo unvermittelt: „Gelobt sei Gott, dass du uns gebracht hast nach A. …“ Mich hat das sehr berührt. Diese einfachen Worte waren für mich ein Bekenntnis zu Gott, in einer profanen Situation, unterwegs im Auto, ganz natürlich und unverkrampft ausgesprochen.
Nachher verlassen wir die Kirche und spätestens morgen meldet sich der Alltag. Dann gilt es ganz besonders, sich das „Höre, Israel!“ zu Herzen zu nehmen und Gott und den Menschen zu lieben. Und ich bin sicher: Es wird dabei etwas aufleuchten vom Segen, den Gott reichlich schenkt. Amen.

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